Wir haben im Land, seitdem diese Kürzungsvorschläge und diese Schrumpfungspolitik auf dem Tisch liegen, eine Debatte darüber, was das für die Menschen in diesem Land bedeutet. Wir haben in Sachsen-Anhalt tatsächlich ein elementares Problem: Sachsen-Anhalt hat mit großem Abstand die bundesweit höchste Abwanderungsrate zu verzeichnen. Bei uns ist die Differenz zwischen Einwanderung und Abwanderung am höchsten. Wir verlieren zurzeit in Sachsen-Anhalt in jedem Jahr kumulativ 20 Millionen € aus dem Länderfinanzausgleich aufgrund unseres Wanderungsverlustes. 20 Millionen € Mindereinnahmen kommen in jedem Jahr dazu.
Ist das alternativlos? - Das ist es nicht. Das Land Brandenburg hat seit dem Jahr 2010 einen Einwanderungsüberschuss. Das Land Sachsen hat seinen Wanderungsverlust gestoppt, in Mecklenburg-Vorpommern ist er marginal und in Thüringen deutlich geringer als in Sachsen-Anhalt.
Jetzt schauen wir uns einmal unterschiedliche Strategien an, Herr Bullerjahn. Das Land Brandenburg hat, ausgehend von einem niedrigen Niveau, seit 2010 seinen Hochschuletat innerhalb von drei Jahren um 130 Millionen € erhöht. Das sind die Handlungsalternativen, die es gibt, auch unter den Bedingungen ostdeutscher Landeshaushalte.
Das Land Brandenburg diskutiert nicht über die Reduzierung der Schüler-Lehrer-Relation, das Land Brandenburg verbessert seine SchülerLehrer-Relation. Deswegen verliert das Land keine Einwohner, deswegen gewinnt es Einwohner, und deswegen hat es mehr Geld zur Verfügung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Das ist doch Blödsinn! - Weitere Zurufe von der CDU)
Das bedeutet also, dass Alternativen unter den Bedingungen ostdeutscher Landeshaushalte sehr wohl möglich sind. Sie sind sehr wohl möglich!
Und das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Nein, wir brauchen nicht die technokratische Umsetzung eines Deubel-Gutachtens oder dezente Hinweise von Wirtschaftsprüfern wie PwC. Nein, wir brauchen eine politische Option für dieses Land. Wir müssen dieses Land entwickeln. Und die Rahmenbedingungen, die uns daran hindern, müssen wir zu ändern versuchen. Das ist unsere Aufgabe. Ansonsten können wir uns durch ein paar abgeordnete Bundesbeamte ersetzen lassen.
Wir dürfen uns nicht zufriedengeben mit diesen Rahmenbedingungen, die uns behindern. Wir dürfen uns nicht zufriedengeben mit Schrumpfungskurs und Abwärtsspirale.
Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dieser Landeshaushalt erst einmal nur relativ kleine quantitative Veränderungen beinhaltet. Aber klar ist für jeden inzwischen - insofern kann man der Landesregierung durchaus dankbar sein -: Dieser Landeshaushalt ist der Einstieg in einen strukturellen Schrumpfungskurs, in eine strukturelle Abwicklungsspirale in diesem Land. Das muss uns klar sein.
zeigt sich, wenn man sich das anschaut, was der Minister hier vorgetragen hat, und das, was wir zurzeit täglich auf der Straße erleben, was täglich in diesem Land artikuliert wird.
Das ist schon erstaunlich. Wir scheinen in völlig unterschiedlichen Ländern zu leben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich befürchte, es hat etwas von Realitätsverlust, wenn in der Landesregierung tatsächlich das Weltbild existiert, das der Finanzminister hier dargestellt hat.
Kommen wir zu den Dingen im Einzelnen. Ich weiß auch, dass dieser Schrumpfungskurs von der Landesregierung versteckt wird. Er wird massenhaft verkauft unter Überschriften wie: Strukturreform, Effizienzerhöhung; wir wollen die Dinge verbessern, mit viel weniger Geld viel besser arbeiten. Dazu kann man sagen: Das ist eine schöne Aufgabe. Aber schauen wir uns einmal an, wie die Dinge wirklich entstanden sind, wie sie sich entwickelt haben, welche Aufgaben vor dieser Landesregierung stehen.
Beginnen wir mit dem Bereich der Schulen, ein ganz typisches Beispiel. Wir wollen aus dem aktiven Bereich der Schulen langfristig 2 000 Lehrerstellen abziehen. Die Antwort, auch heute wieder gehört, lautet: Wir machen eine Strukturreform. Welche Strukturreform machen wir da zuerst? - Wir machen eine Strukturreform des Schulnetzes. Also klare Ansage: Wir dünnen das Schulnetz massiv aus, um Lehrerstellen einzusparen.
Wer sich das ein bisschen genauer anschaut, der weiß doch aber, dass das nicht funktionieren wird. Selbst bei den vorgeschlagenen Schließungen der Grundschulstandorte, die vor Ort natürlich hart diskutiert werden, werden wir nur etwa ein Zehntel - ein Zehntel! - der Lehrer einsparen können, die auf der Streichliste stehen. Wir wissen doch, dass das endlich ist; das geht doch nicht unendlich weiter. Wollen wir nachher in einem Landkreis nur noch eine Sekundarschule haben? - Ja, dann bekommen wir es hin. Aber das ist doch keine politische Alternative.
Deswegen müssen wir doch ehrlich sein. Was wird denn passieren, wenn dieser Schrumpfungskurs im Bereich der Schule so weitergeht? - Wir wissen, dass mit diesem Landeshaushalt der Schrumpfungskurs untersetzt wird. 200 Referendariatsstellen werden gestrichen. Das ist ein ganz klares Zeichen dafür, dass wir diesen Schrumpfungskurs in der Schule beibehalten wollen.
Glauben Sie denn ernsthaft, dass wir mit diesem Schrumpfungskurs eine bessere Qualität bekommen? - Nie und nimmer! So ehrlich muss man doch sein.
Hinzu kommt Folgendes. Schauen wir uns einmal die Debatte um Ganztagsschulen an. Dort haben wir eine Strukturreform, aber am Ende dieser Strukturreform würde der Personalbedarf sogar höher sein. Also wissen wir, dass das kein gangbarer Weg ist. Deswegen ist doch klar, welche Szenarien eintreten werden. Es ist ganz klar, dass sich dieses Gerede um Strukturreformen zur Qualitätsverbesserung am Ende des Tages in Luft auflösen wird.
Es ist doch klar, was passieren wird. Der Grad der Unterrichtsversorgung liegt jetzt noch knapp über
100 %. Der Kollege Dorgerloh hat gesagt, die 120 zusätzlichen Neueinstellungen hätten ihn in diesem Jahr noch einmal gerettet. Aber was rettet ihn im nächsten Jahr, was rettet ihn im übernächsten Jahr? Dann wird es keine 120 Neueinstellungen geben, wenn die Landesregierung ihren Kurs nicht grundlegend ändert. Dieses Mal haben wir es noch einmal geschafft, aber im nächsten Jahr werden wir es schon nicht mehr schaffen.
Es stellt sich die Frage - darüber können wir gern diskutieren -, wann der Grad der Unterrichtsversorgung unter 100 % liegen wird. Wird es schon im Jahr 2014 sein oder im Jahr 2015 oder im Jahr 2016? - Wir wissen doch aber, dass das passieren wird. Es ist einfach unehrlich zu sagen, dass mit Unterrichtsausfall die Struktur und die Qualität der Schule verbessert werden könnten. Das kann man doch niemandem erzählen.
Wir haben überhaupt keine langfristige Planung dafür. Wir wissen, was passieren wird: Es wird eine Debatte um die Erhöhung der Lehrerstundenzahl geben. Wir wissen, wie hoch das Durchschnittsalter der Lehrer in Sachsen-Anhalt ist, und wir wissen, was die Erhöhung der Lehrerstundenzahl unter dem Strich bringen wird.
Aber das beinhaltet noch ein völlig anderes Problem. Ich saß natürlich - wie andere auch - in den Wählerforen bei den Lehrern vor der Landtagswahl 2011. Alle Vertreter der Fraktionen - auch die von CDU und SPD - haben es kategorisch abgelehnt, auch nur darüber nachzudenken, die Pflichtstundenzahl für die Lehrer zu erhöhen. Ich war sogar der Einzige, der gesagt hat: Um eine Bezahlung der Überstunden zu ermöglichen, muss man vielleicht einen Weg gehen. CDU und SPD haben es kategorisch abgelehnt. Damit wird man wortbrüchig.
- Herr Leimbach, fragen Sie Herrn Scharf, der neben mir gesessen hat und der für die CDU dort diese Position vertreten hat. - Wir wissen also, dass es zu einer Erhöhung der Lehrerstundenzahl kommen wird. Und wir wissen, welche Bedeutung das bei einem Lehrkörper hat, bei dem das Durchschnittsalter 50 Jahre beträgt.
Es wird natürlich auch zur Verringerung von Anrechnungsstunden für Leitungsaufgaben kommen, und das vor dem Hintergrund des Problems, das wir schon jetzt keine Schuldirektoren mehr finden und andere Leitungsfunktionen nicht mehr besetzen können.
Es wird eine Reduzierung der Stundentafel für die Schüler geben müssen. Auch dazu wird man sagen: Das ist eigentlich völlig in Ordnung; denn die Schüler haben hier sowieso schon zu viel Unter
richt gehabt. Ich kenne diese Papiere bereits. Das ist nichts, was ich hinzudichte. Es ist die logische Erklärung dessen, was kommen wird. Und wir werden es mit einer Erhöhung der Klassenstärken zu tun haben.
Das möchte man uns als Verbesserung der schulischen Qualität verkaufen? - Nein, wir werden unsere Erfolge, die es vor allem im Grundschulbereich gibt, verlieren. Das ist die Wahrheit, das müssen wir doch einmal zugeben.
Gehen wir weiter, zum Bereich der Polizei. Dort haben wir es mit einem massiven Personalabbau zu tun. Auch dazu wird die Debatte geführt: Nein, wir haben zwar einen Personalabbau, aber wir machen eine Strukturreform und nach der Strukturreform wird alles besser. Weniger Polizisten - mehr Sicherheit! Diese Debatte gibt es seit einem Jahr.
Inzwischen haben wir den interessanten Punkt erreicht, dass der Innenminister von dieser These nicht einmal mehr seine eigene Koalition überzeugen kann.
Diese sagt ganz klar: Es gibt bisher kein einziges Papier aus dem Ministerium, das in der Lage wäre, diese Zusage zu erfüllen.
Nein, seien wir doch ehrlich, der Personalabbau bei der Polizei, die Reduzierung der Zahl der Menschen, die im Bereich der öffentlichen Sicherheit beschäftigt sind, führt zu einem Verlust an öffentlicher Sicherheit. Das ist die Realität, das ist die Abwärtsspirale, das ist der Schrumpfungskurs. Und das wird wiederum ein Argument dafür sein, dieses Land zu verlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nein, nicht zuallererst im Bereich des Schulnetzes und nicht zuallererst im Bereich der Polizei haben wir dringenden Reformbedarf. Den dringenden Reformbedarf, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir in einer ganz anderen Institution, und das ist die Landesregierung in Sachsen-Anhalt.
Gehen wir zum nächsten Bereich, zum Theater. Dort verzichtet man lieber gleich auf ein Konzept, dort kürzt man nur. Man sagt: Das Konzept für unsere Kürzungen sollen die Träger entwickeln, sollen die sich doch nachher den Frust abholen.
Es ist ja nicht so, dass wir das nicht alles schon einmal gehabt hätten. Wir werden später möglicherweise sogar die Situation haben, dass sich die Landesregierung hinstellt und die Träger für das kritisiert, was sie gestrichen haben. All das hat es schon gegeben.
Diese Situation hatten wir zum Beispiel kurz vor der Landtagswahl. Damals hat der jetzige Ministerpräsident in Halle eine Petition zum Erhalt des Thalia-Theaters unterschrieben, das geschlossen worden ist, weil das Land seine Zuschüsse gesenkt hat. Das ist doch zutiefst unehrlich. Damit versucht man doch, seiner eigenen Verantwortung zu entfliehen. Ich befürchte, dass uns das bei der Theaterlandschaft wieder genau so passieren wird.
Ich sage ganz klar: Wir brauchen nicht nach einem Konzept zu rufen, das die Kürzungen in Höhe von 6 Millionen € kompensiert. Es kann bei dieser Kürzungssumme kein gutes Theaterkonzept geben, das kann immer nur katastrophal oder absolut schlecht sein. Wir kämpfen gegen die Kürzungen. Nur wenn auf diese verzichtet wird, kann es vernünftige Konzepte geben.