Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

(Zustimmung)

Die herrschende Digitalisierungspolitik glaubt, sie hätte etwas erreicht, wenn sie die Kinder vor den Bildschirm setzt. Sie erschöpft sich darin, von der Grundschule bis zum Gymnasium im Klassenzimmer die bewährten Tafeln durch sogenannte Whiteboards zu ersetzen, möglichst flächendeckend Geräte an die Schüler zu verteilen und dafür Sorge zu tragen, dass jeder Schüler jederzeit online gehen kann.

Die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN Frau Lüddemann hat sich während einer Podiumsdiskussion in Halle vor einiger Zeit gar zu der Forderung verstiegen, man müsse schon den Kindergartenkindern Tablets hinhalten, auf denen sie dann lernen, wie man auf der Bildfläche herumtapst.

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE - Weitere Zurufe)

Wer glaubt, so die Softwareentwickler von morgen heranzuziehen, dem ist nicht mehr zu helfen.

(Zustimmung)

Die herrschende Form der Digitalisierung an Schulen erreicht das genaue Gegenteil von dem, was sie vorgibt zu erreichen. Sie macht unsere Kinder nicht fit für die Zukunft, sondern sie zieht eine Generation von zunehmend passiven, konsumistisch orientierten, lernunfähigen Digitaljunkies heran.

Wie der renommierte deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer, aber auch andere Vertreter seiner Zunft seit Jahren darlegen, führt eine undifferenzierte Ausstattung mit digitalen Endgeräten und eine völlig unspezifische Transformation des gesamten Unterrichts ins Digitale dazu, dass die Lernleistungen auf allen Gebieten nachlassen. Die Konzentration als die Grundfähigkeit dafür, irgendetwas zu lernen, schwindet. Die sprachliche Artikulationsfähigkeit verkümmert. Merkfähigkeit und Auffassungsgabe nehmen ab. Die Komplexität des Denkens wird reduziert.

Die Prägetiefe des Lernvorgangs ist beim Tippen und Schauen auf den Bildschirm gegenüber dem Schreiben mit dem Stift auf Papier reduziert. Es lernt sich einfach schlechter. Auch die Textkompetenz, also die Kompetenz, Texte zu verfassen, verkümmert, weil einfach drauflos getippt werden kann und ein Text nicht mehr vorausschauend geplant werden muss, bevor er aufs Papier kommt.

Vor allem in der Grundschule sind digitale Medien nicht nur absolut überflüssig, sondern geradezu schädlich. Es gibt nichts, was man in der Grundschule besser lernt, wenn man es am Bildschirm lernt.

Weshalb verführen wir aber dann mit dem Digitalpakt die Schulträger dazu, viel Fördergeld auszugeben, um unsere Grundschulen sinnlos mit digitalen Geräten auszustatten? Weshalb? - Am Ende kommt eine Generation heraus, die zwar weiß, wie man ein Touchpad betatscht, die jedoch niemals in der Lage wäre, ein solches zu konstruieren, und die am Ende auch nicht viel mehr kann, als eben das Touchpad zu betatschen. Eine solche Generation beherrscht die Technik nicht, sondern wird von der Technik beherrscht.

Wenn wir unsere Kinder wirklich auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten wollen und wenn wir dafür sorgen wollen, im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren und nur noch das zu konsumieren, was andere herstellen, müssen wir anders ansetzen. Eine Politik, die glaubt, mit dem bloßen Aushändigen digitaler Endgeräte wäre etwas gewonnen, macht es sich leicht und lügt sich in die Tasche.

Geld auszugeben und Geräte zu kaufen scheinen erst einmal einfach. Sich um die wirklichen Probleme unseres Bildungssystems zu kümmern, ist

schwer. Die Digitalisierungspolitik, wie sie im Moment betrieben wird, hat, klar erkennbar, kompensatorischen Charakter. Man täuscht sich und andere darüber hinweg, dass die Schulabschlüsse immer weniger wert sind und dass wir im internationalen Vergleich zunehmend ins Hintertreffen geraten. Das Ganze ist blinder, billiger Aktionismus, der zeigen soll: Hier tut jemand etwas.

Wie bei derartigen Projekten nicht anders zu erwarten, ist diese Anschaffungspolitik auch nicht nachhaltig. Wer kommt denn dafür auf, wenn diese vielen Geräte, die jetzt eilig angeschafft werden, im Laufe der Zeit kaputtgehen? Wer bezahlt die Wartung, wer die Software? - Diese Fragen werden zurzeit in vielen Kreistagen in Sachsen-Anhalt gestellt, und zwar nicht nur von Vertretern der AfD.

Angesichts der niedrigen Eigenbeteiligung von nur 10 % scheint es sich zunächst um den sprichwörtlichen geschenkten Gaul zu handeln, dem man nicht ins Maul schaut, der dann aber hohe Folgekosten fordert. Für mich wirkt das ein wenig so, als hätten die Lobbyisten der Computerhersteller ganze Arbeit geleistet. Dell, HP oder an wen auch immer die Aufträge gehen, freuen sich über den Geldsegen, und das war es dann. Wer sich den Digitalpakt ausgedacht hat, der hat nicht über den Tag hinausgedacht. Das Ganze ist eine spektakuläre Einzelmaßnahme ohne Sinn und Verstand, ein kurzfristiges Verpulvern von enormen Summen an Steuergeld.

(Zustimmung)

Möglicherweise geht es auch darum, das Lehrpersonal zu reduzieren. Dass die Digitalisierung an Schulen letztlich darauf abzielt, Lehrer in großem Stil zu ersetzen, wurde immer abgestritten. Es wurde erklärt, es gehe nur um die Ergänzung des Präsenzunterrichts, um eine Bereicherung. Angesichts der Entwicklung unter den Coronaverordnungen kommen einem Zweifel daran.

Ein Grund, der für die massenhafte Anschaffung von Laptops in jüngster Zeit offen angeführt wird, ist schließlich die mögliche Umstellung vom Präsenzunterricht auf den Fernunterricht bei einer erneuten Schulschließung. Die Schüler lernen nur noch zu Hause am Rechner, was dann die Möglichkeit bietet, dass ein Lehrer sehr viel mehr Schüler betreut als zuvor, zumal er nur noch als Lernbegleiter definiert wird.

Fazit: Die herrschende Digitalisierungspolitik und insbesondere der Digitalpakt haben kein pädagogisches Konzept, sind nicht nachhaltig angelegt und setzen einseitig auf Quantität. Die unverhältnismäßigen Coronamaßnahmen werden ausgenutzt, um all das zu forcieren. Eine solche Politik ist zum Scheitern verurteilt.

Der Kontakt von Mensch zu Mensch ist unersetzbar. Es gibt keine digitale Bildung in dem Sinne, dass die Bildung auf einmal digital vonstatten gehen könnte.

Was unsere Schulen allerdings leisten müssen, ist, unsere Kinder im Umgang mit digitalen Geräten zu schulen und sie so zu bilden, dass sie den Herausforderungen einer digitalisierten Welt gerecht werden.

Wir haben in diesem Sinne mit unserem Antrag einen Gegenentwurf zu der herrschenden Digitalisierungspolitik vorgelegt. Wir wollen das Bewährte und pädagogisch Sinnvolle ausbauen, das Schädliche und Nutzlose vermeiden und schließlich die Mittel so einsetzen, dass wir nachhaltig davon profitieren. Hier gilt wie auch in anderen Bereichen: Weniger ist mehr.

Höchste Priorität muss die Erneuerung bewährter Strukturen haben. Es ist tatsächlich ein Problem, über das viele Schulleiter klagen: Ihre Rechner, für die sie seit Jahren sinnvolle Verwendung haben, sind veraltet, sie sind zu langsam und funktionieren nicht mehr richtig. Die Erneuerung von veraltetem Gerät, das dringend gebraucht wird, sollte an erster Stelle stehen.

Sodann sollten wir uns darum kümmern, das einzurichten, was wir dauerhaft erhalten können, ohne uns auf lange Sicht zu überfordern, und was wir auch wirklich brauchen, nämlich ein Computerkabinett pro Schule auf dem technisch neuesten Stand, wo intensiv und spezifisch an den Rechnern geübt und gearbeitet wird. Mehr ist unter pädagogischen Gesichtspunkten nicht notwendig. Wir bereiten unsere Kinder nicht auf die Herausforderungen und auch Gefahren der digitalen Welt vor, wenn auf einmal der gesamte Unterricht digital stattfindet. Das braucht es nicht. Kontakt mit digitalen Geräten haben die Schüler außerhalb der Schule mehr als genug.

Was es aber braucht, ist ein Fach, das sich dem Thema Digitalisierung widmet. Fächer wie Deutsch, Englisch, Religion und Geschichte müssen nicht digital unterrichtet werden, ja, sie sollen auch nicht einmal digital unterrichtet werden. Die digitale Dimension bringt hier keinerlei Vorteile. Lesen und schreiben lernt und übt man immer noch am besten mit Stift, Papier und Buch.

Bei Mathematik und in naturwissenschaftlichen Fächern können sich anlassbezogen Anwendungen für den Rechner ergeben. Im Fach Informatik ist er unverzichtbar. Dieses Fach wiederum muss von einem Wahlfach zu einem Pflicht- und Schlüsselfach werden, das den Schülern harte und belastbare Kompetenzen vermittelt. Damit die Kinder so etwas wie digitale Kompetenz eben nicht nur durch das Hantieren mit digitalen Geräten simulie

ren, sondern tatsächlich erwerben, damit unsere Kinder in die Lage versetzt werden, sich selbstmächtig in der digitalen Welt zurechtzufinden, muss Informatik ab Klasse 7 zum zweistündigen Pflichtfach werden. Das ist das zentrale Anliegen unseres Antrags.

Das theorielastige Fach muss allerdings reformiert werden. Das Programmieren und das theoretische Verständnis sollen als eine Säule erhalten bleiben. Daneben muss aber der Umgang mit den gängigen EDV-Programmen treten - als eine für Beruf, Studium und Ausbildung zwingend erforderliche Kompetenz. Jeder Lehrling muss künftig mit Exceltabellen hantieren, jeder Studienanfänger muss im Schlaf eine Hausarbeit formatieren können. Davon sind wir leider noch immer weit entfernt.

Viel wird über die digitale Kompetenz schwadroniert, ohne dass den Beteiligten klar wäre, was darunter zu verstehen ist. Meistens stehen dahinter recht luftige Begriffe und Gefühle, diffuse Vorstellungen von Modernität, Prosperität, Zukunftsfähigkeit. Wir brauchen statt der plumpen Befriedigung dieses Digitalisierungsgefühls durch einen konzeptionslosen Digitalpakt eine Digitalisierung, die nicht auf Soft Skills, sondern auf harte Kompetenzen abzielt, eine Digitalisierung, die unsere Schüler aktiviert, sie vom trägen Internetkonsum wegführt, sie auch ermächtigt, Distanz zu wahren, wo es nötig ist, und ihre Kreativität anregt.

Ein Beispiel dafür, wie es nicht geht, sind die Steve-Jobs-Schulen in den Niederlanden, Grundschulen, an denen die totale Digitalisierung praktiziert wurde. Tafel und Bücher wurden verbannt; die Kinder sollten nur noch am Rechner lernen, und das am besten selbsttätig. Die Lehrer wurden zu sogenannten Coaches umdefiniert; wir sagen dazu: Lernbegleiter. Mittlerweile ist mehrfach nachgewiesen worden, dass die Schüler an diesen Schulen den Schülern, die konventionell unterrichtet werden, hinterherhinken. Das Experiment ist gescheitert, und trotzdem eifern die Bundesregierung und die Landesregierungen diesem gescheiterten Experiment als Idealvorstellung nach.

Im Silicon Valley in den USA schicken die dort ansässigen Softwareentwickler und IT-Spezialisten ihre Kinder auf eine Schule, die bewusst auf Bildschirme im Klassenzimmer verzichtet. Die „New York Times“ hat im Jahr 2011 darüber einen Artikel veröffentlicht, der für einiges an Aufsehen gesorgt hat. Aber das erklärt sich leicht: Die Unternehmer im Silicon Valley wissen am besten, dass man das, was sie können, nicht lernt, wenn man so früh wie möglich ihre Geräte in die Hand bekommt.

Das einzusehen wäre die digitale Kompetenz, die wir von den Politikern erwarten dürfen, nämlich

dass die Vorbereitung auf das digitale Zeitalter nicht darin bestehen kann, die Kinder vor den Rechner zu setzen, sondern darin, ihnen Kompetenzen beizubringen, die sie brauchen, um mit den Herausforderungen des digitalen Zeitalters umzugehen. - Vielen Dank.

(Beifall)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Herrn Dr. Tillschneider für die Einbringung des Antrags. - Als Nächster spricht Herr Minister Tullner. Er spricht gleichzeitig für die Koalition, sodass es einzelne Redebeiträge seitens der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU nicht geben wird. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank. - Zunächst bitte ich, die Abwesenheit meines Jacketts zu entschuldigen. Das habe ich offenbar im Büro hängen lassen und wollte jetzt nicht noch extra zurücklaufen.

(Zurufe: Oh! - Ah!)

Aber wenn ich für die Fraktionen mitspreche, ist es vielleicht doch etwas handfester.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht verwundern, dass ich den Antrag der AfD auch im Namen der Koalitionsfraktionen zurückweise; denn er ist nicht der Zukunft zugewandt, er soll abwickeln, was gerade mit viel Engagement aufgebaut wird, und er verstößt gegen die einvernehmlich ausgehandelten gemeinsamen Geschäftsgrundlagen von Bund und Ländern zum Digitalpakt.

Zum Stichwort Digitalpakt: Mein lieber Kollege Tillschneider, ich bin Johanna Wanka, der ehemaligen Bundesbildungsministerin, sehr dankbar dafür, dass sie damals die Impulse gesetzt hat, die im Nachhinein zum Digitalpakt geführt haben, auf dessen Grundlage wir gerade erleben, wie wichtig es ist, dass dies in den Schulen praktiziert und zunehmend umgesetzt wird. Deswegen sind Ihre sehr rückwärts gewandten Betrachtungen akademisch interessant, aber völlig irrelevant für die Praxis von Schule in Sachsen-Anhalt im Jahr 2020.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Länder haben sich im Jahr 2016 auf die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ verständigt. Die Strategie ist „work in progress“ und wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Sie ist gewissermaßen das pädagogische Fundament für den Digitalisierungsprozess an Schulen und wird unter anderem mit dem besagten Digitalpakt seit dem Jahr 2019 ausgestaltet.

Warum das alles? - Wir müssen die Schüler für die Herausforderungen der digitalen Welt fit machen; denn die Digitalisierung erfasst alle Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens. Damit umzugehen erfordert neue bzw. erweiterte Kompetenzen hinsichtlich des selbstbestimmten, kritischen, kreativen und sozial verantwortlichen Umgangs mit Medien.

Wer in den sogenannten sozialen Netzwerken unterwegs ist, der muss wissen, wie man mit Fake News umgeht. Das gilt für Nachrichten rund um die Coronaepidemie. Das gilt für jede demokratische Partizipation auf den unterschiedlichen politischen Ebenen.

Ferner verändern sich Berufsbilder. Neue Berufe entstehen mit darauf ausgerichteten Ausbildungsprofilen, Studienrichtungen und Qualifizierungsangeboten. Darauf vorzubereiten bedeutet neue und veränderte Lernformen, Lerninhalte und Kompetenzerwartungen im Unterricht, insbesondere den Erwerb einer zeitgemäßen Medienkompetenz.

Wir müssen die Kenntnisse, Kompetenzen und Fähigkeiten schulen und die Schüler zu einem selbstständigen und mündigen Leben in einer digitalen Welt befähigen. Dies erwirbt man nicht erst in den weiterführenden Schulen, sondern bereits in der Grundschule. Das ist Konsens unter den Bildungsministern aller Länder, die sich auf das Konzept „Bildung in der digitalen Welt“ verständigt haben.

Mit dem Internet-ABC als verpflichtender Lernplanbaustein und mit kostenlosen Medienangeboten via Website und Bestellung bei der Medienanstalt Sachsen-Anhalt legen wir dazu das passende Fundament bereits in der Grundschule.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wäre das, würde der AfD-Antrag heute politische Wirklichkeit? - Er platzte hinein in die Umsetzung des Digitalpaktes und der Zusatzvereinbarung für mobile Schüler- und Lehrerendgeräte.

(Zuruf: Die wir alle brauchen!)

Die AfD will alles stoppen und rückabwickeln, was alle Länder mit viel Einsatz der Schulträger, der Schulleitungen und der Lehrkräfte ausrollen. Sachsen-Anhalt würde aus dem Konzert der Länder ausscheren, um ein Schmalspurkonzept zu verwirklichen. Welch ein verheerendes Signal für alle, die an der Entwicklung der Bildungslandschaft interessiert sind, und welch eine Absage an den kooperativen Föderalismus.

Inhaltlich will die AfD ein Pflichtfach Informatik ab Klasse 7, einen gut ausgestatteten Computerraum, gefüllt mit der Microsoft-Office-Welt und orientiert auf die Kompetenz zum Zehnfingerschreiben.