Protokoll der Sitzung vom 19.12.2018

Großbritannien ist für Deutschland der fünftgrößte Exportmarkt. Knapp 750 000 deutsche Arbeitsplätze hängen vom britischen Warenverkehr ab. Durch die Brexit-Konfusion, meine Damen und Herren, ging die Exportleistung bereits um 5 % zurück. Sollte es keinen offenen Binnenmarkt mit der EU geben, befürchtet der VDA allein 2 Milliarden € an zusätzlichen Zöllen für die Einfuhr deutscher Autos auf die Insel. Dass dies nicht spurlos an Sachsen-Anhalt vorbeigehen wird, dürfte jedem hier im Saal klar sein.

Auch wenn sich der Außenhandel unseres Bundeslandes im Kontext des gesamtdeutschen Ex

ports, der bei 1,245 Billionen € liegt, eher bescheiden ausnimmt, war das Jahr 2017 ein sehr erfolgreiches Jahr für die Exportwirtschaft Sachsen-Anhalts. Erstmalig wurden Waren im Wert von 16 Milliarden € ausgeführt. 80 % aller Güter gingen in die europäische Region. Viele wissen nicht, dass nach Polen mit einem Warenwert von 1,6 Milliarden € inzwischen Großbritannien mit einem gehandelten Warenwert von 1,3 Milliarden € der wichtigste Handelspartner Sachsen-Anhalts ist.

Meine Damen und Herren! Wir haben hier im Parlament gelegentlich über die Sanktionen gegen Russland diskutiert - aber Russland kommt unter den zehn wichtigsten Handelspartnern unseres Bundeslandes gar nicht vor.

(André Poggenburg, AfD: Nicht mehr! - Siegfried Borgwardt, CDU: War es noch nie!)

Seit der Jahrtausendwende gab es hierzulande 16 britische Investitionen, die die Schaffung von insgesamt 2 230 Arbeitsplätzen nach sich zogen. Meine Damen und Herren! Auch aus diesem Grunde ist uns Großbritannien doch sehr nahe. Wir alle im Parlament sollten mit Argusaugen beobachten, wie es in den nächsten Monaten und Jahren politisch und wirtschaftlich auf der Insel weitergeht.

Ich begrüße sehr, dass dies auch die Landesregierung erkannt hat. Es gab in den zurückliegenden Monaten zahlreiche Gespräche mit der EU-Kommission und unserer Bundesregierung. Diese hatten zunächst zum Ziel, die wirtschaftlichen Beziehungen während der noch laufenden Vertragsverhandlungen nicht durch Protektionismus zu gefährden.

Auch die Koalitionsfraktionen sind sich darin einig, dass wir die sich sehr positiv entwickelnden Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien weiter pflegen und ausbauen wollen. Aus diesem Grunde und auch aus der Unkenntnis des Einigungstextes zwischen London und Brüssel heraus haben die Koalitionsfraktionen den heute vorliegenden Antrag formuliert.

Ich hoffe sehr, dass das Freihandelsabkommen in Bälde über den Status einer Absichtserklärung hinausgeht; denn es ist die wichtigste Grundlage für den Ausbau des Warenverkehrs zwischen dem Königreich und Sachsen-Anhalt. Ich bin unseren Europaabgeordneten, insbesondere Sven Schulze, sehr dankbar dafür, dass sie in vielen Gesprächen mit britischen Abgeordneten und auch mit der Kommission immer wieder auf das Zustandekommen dieses für Deutschland und für unser Bundesland wichtigen Freihandelsabkommens hingewirkt haben.

Aber es gibt außer den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen noch andere Fragestellungen, die wir in unserem gemeinsamen Antrag aufgeworfen haben. Wenn Sie gelegentlich auf der A 2 ein Fahrzeug mit britischem Kennzeichen sehen, dann heißt dies nicht zwangsläufig, dass „echte“ Briten im Auto sitzen. Denn meist sind das polnische Staatsbürger, die zu ihren Familien und Verwandten nach Polen fahren. Jetzt, vor Weihnachten, werden wir wieder sehr viele Fahrzeuge mit britischem Kennzeichnen sehen, die in Richtung Osten rollen. In Spitzenzeiten arbeiten insgesamt 800 000 Polen in Großbritannien.

Ich habe am Anfang meiner Rede darauf verwiesen, dass ein tiefer Riss durch die Gesellschaft der Briten geht. Als Hauptgründe für den Brexit gelten die Migration und die Zuwanderung. Ich erwähne die polnischen Fachkräfte deswegen, weil besonders viele - -

Herr Thomas, kommen Sie zum Schluss.

Sofort, Herr Präsident. Vielen Dank. - Ich erwähne die polnischen Fachkräfte deswegen, weil in diesen Tagen besonders viele Polen Großbritannien aufgrund der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung verlassen. Das wäre für Deutschland natürlich eine wunderbare Quelle neuer Fachkräfte.

(Zustimmung von Lars-Jörn Zimmer, CDU)

Ich hoffe also, der Brexit wird im Sinne SachsenAnhalts so ausgehandelt, dass unser Bundesland nicht zu stark darunter leidet. Ich werbe dafür, diesen Antrag zu unterstützen, der es uns ermöglichen soll, genau diese Problematik aktuell und prozessbegleitend im Wirtschaftsausschuss zu erörtern. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU - Zustimmung von Robert Farle, AfD, und von André Pog- genburg, AfD)

Fragen sehe ich nicht. Ich danke Herrn Thomas für die Einbringung. - Die Einbringung des Gesetzentwurfes der Landesregierung erfolgt durch den Staats- und Kulturminister Herrn Robra. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ich darf den Entwurf eines Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem bevorstehenden Ereignis einbringen, zu dem sich der Abg. Herr Thomas soeben schon ausführlich geäußert hat.

Zu den möglichen Auswirkungen auf unseren Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort sowie darüber hinaus auf Schulpartnerschaften, Kreditinstitute, die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, die Außenwirtschaft, die Landwirtschaft, die Wissenschaft - es sind praktisch alle Bereiche betroffen - wird sich der Kollege Prof. Willingmann äußern.

Das Gesetz ist die Reaktion auf den aktuellen Stand der Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland. Wir haben unmittelbar nach der Notifikation der Austrittsabsicht - das war im März 2017 - damit begonnen, die Auswirkungen auf das Land in jedweder Hinsicht zu untersuchen. Wir haben dabei insbesondere ein Normenscreening durchgeführt. 70 Staatsverträge, Gesetze usw. waren Gegenstand all dessen.

Nach dem derzeitigen Stand, nach dem eine Übergangszeit gewährt werden soll, wäre Großbritannien für den Übergangszeitraum - unter der Prämisse, dass Großbritannien am Ende dem Vertrag zustimmt - wie ein Mitglied der Europäischen Union zu behandeln. Das kann auch noch einmal verlängert werden. Dem trägt unser Gesetzentwurf bereits Rechnung. Demzufolge besteht kein weitergehender Handlungsbedarf. Das kommt in § 1 des Gesetzentwurfes zum Ausdruck.

In § 2 des Gesetzentwurfes werden die Ausnahmen, also die Tatbestände genannt, in denen das sofort zum Zeitpunkt des Ausscheidens Großbritanniens aus der Europäischen Union wirksam wird. Das sind insbesondere das aktive und das passive Wahlrecht. Wir haben 376 wahlberechtigte britische Staatsangehörige in Sachsen-Anhalt, die dann schon zur Kommunalwahl nicht mehr mitwählen können und - soweit sie auf den Listen stehen - auch nicht mehr gewählt werden können. Das ist das, was schon feststeht.

Wenn es zu einem ungeordneten Austritt kommt, dann ist es nicht nur in diesem Bereich so, sondern dann passen alle Synapsen nicht mehr, die in das Angebot der Europäischen Union an das Britische Königreich eingebaut worden sind. In dem Fall würden auch § 1 des Gesetzes und damit das Gesetz insgesamt gegenstandlos werden.

Wir haben uns dennoch entschlossen, den Gesetzentwurf jetzt einzubringen, weil wir uns auf die Lage, wie sie sich aus den Verhandlungen auf der Regierungsebene ergibt, einstellen müssen.

Wenn es doch anders kommt, dann können wir die Beratung in den Ausschüssen beenden. Ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt.

Vielleicht sollte ich ergänzen, dass wir eine Anhörung durchgeführt haben, an der 36 Institutionen, darunter Kammern und Verbände, beteiligt waren. Sie haben auch für diesen Akt keine weitergehen

den Änderungsvorschläge unterbreitet, sodass ich davon ausgehe, dass auch im Verlauf der weiteren Beratungen keine neuen Erkenntnisse auf uns zukommen werden.

Ich bekräftige: Wir sind vorbereitet. Auch der Bund hat sich vorbereitet und eine ganze Reihe von wichtigen bundesrechtlichen Materien an den derzeitigen Stand des Entwurfs des Brexit-Übereinkommens angepasst.

Nun sind wir alle gespannt, wie es weitergeht. Denn - das will ich ausdrücklich unterstreichen - die Auswirkungen sind gravierend. Der Abg. Thomas hat gerade nur die Wirkung auf Sachsen-Anhalt skizziert. Nun sind wir nicht der Nabel der Welt - wir fühlen uns zwar so, und das auch mit Recht,

(Ulrich Thomas, CDU, und Olaf Meister, GRÜNE, lachen)

aber objektiv ist es dann vielleicht doch etwas anders -, aber man kann sich vorstellen, wie dann die Auswirkungen auf Großbritannien selbst sind, das in ganz anderer Weise als wir in den Weltmarkt eingebunden ist.

Ich hoffe, dass man zur Besinnung kommt und dass unser Gesetzentwurf sinnvoll ist und am Ende im Gesetzblatt stehen wird. In diesem Sinne bitte ich um eine konstruktive weitere Beratung und eine Überweisung in den zuständigen Ausschuss. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Fragen sehe ich keine. Ich danke Herrn Minister Robra für die Einbringung des Gesetzentwurfes. - Wir kommen nun zur Debatte. Es ist eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht Minister Prof. Dr. Willingmann. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Kollege Herr Robra war gerade so freundlich, schon einmal zu skizzieren, worum es bei der Einbringung des Gesetzentwurfes geht, und der Abg. Herr Thomas hat sehr umfassend über den Weg hin zum Brexit und den aktuellen Stand berichtet. Nun will ich versuchen, einen ersten Aufschlag hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Brexits auf SachsenAnhalt zu machen. Denn ab heute sind es noch genau 100 Tage bis zum 29. März 2019, dann wird er wirksam, wenn man sich nicht einigt. Und wenn man sich einigt, dann wird er auch wirksam;

allerdings hat man dann sinnvollerweise ein Normengerüst, mit dem man weiter operieren kann.

Zum jetzigen Zeitpunkt - der Abg. Herr Thomas hat es eindrucksvoll beschrieben - ist das völlig ungewiss. Täglich gibt es neue Nachrichten, und zu den vier Szenarien, die der Abgeordnete angesprochen hat, können wir heute etwas in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen. Es ist der Aufmacher zum Thema „Wie weiter mit dem Brexit?“

Die Auswirkungen vorherzusagen, ist außerordentlich schwierig. Es ist eigentlich unmöglich. Es gibt keinen Präzedenzfall. Wir alle kennen die Erklärung vom November 2018 und wissen von der Übergangszeit bis Ende 2020, die im Grunde nichts anderes bedeutet, als dass es einen Status quo gibt und die bisherige Rechtslage fortgeschrieben würde.

Wir wissen, was auf den 585 Seiten des Vertrages niedergelegt ist, jenes Abkommens, das die enge Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union in Handels-, in Wirtschafts-, in Wettbewerbs-, in Steuerfragen und in der Frage der Standards weiter festigen und sicherstellen soll. Genau das bereitet der britischen Premierministerin Theresa May Probleme. Diese Probleme können möglicherweise auch in einem Austritt ohne Partnerschaftsabkommen münden.

Auf der Seite der Europäischen Union war die Frage strittig, wie man so etwas verhandelt. Allzu leicht soll man nicht aus der EU herauskommen; denn dann schafft man nur Anreize für diejenigen, die eventuell auch wanken. Allzu schwer darf man es auch nicht machen; denn dann hat man gravierende Einschränkungen für die Wirtschaft und für die Menschen. Die Menschen stehen übrigens im Mittelpunkt all der Bemühungen der Europäischen Union, zu einer vernünftigen Einigung zu kommen.

Schauen wir uns das einmal kurz an. Was hieße es denn für die Wirtschaft? - Mit dem Wegfall der Zollunion würden Prüfverfahren und Zölle in einem erheblichen Maße zunehmen. Darüber wurde jüngst berichtet. Über ein Unternehmen aus der Altmark, die Firma Zorn Instruments aus Stendal, wurde in einem Zeitungsbeitrag ausführlich berichtet. Das Unternehmen stellt Hochpräzisionstechnik für den Straßenbau her und liefert nach Großbritannien. Bei einem harten Brexit müssten diese Geräte künftig durch den Zoll. Auch die Wartung der exportierten Geräte wäre kurzfristig nicht mehr möglich.

Betroffen wäre aber nicht nur die Wirtschaft. Auch Wissenschaftler und Studenten aus Deutschland stünden mit Blick auf ihre Aufenthaltserlaubnis vor Ungewissheiten wie auch all jene Bürger, die in Großbritannien arbeiten.

Herr Abg. Thomas, Sie haben gerade die Zahlen für die EU und für Deutschland genannt. Etwa 117 000 Briten leben und arbeiten in Deutschland, rund 400 bei uns in Sachsen-Anhalt. Sollen sie künftig ein Visum benötigen, wenn sie für eine längere Zeit in das Vereinigte Königreich reisen? Was ist mit den Forschungspartnerschaften und den vielen Kooperationsprojekten, die bislang auf europäischen Programmen basieren und mit denen man dann künftig noch kooperieren kann? - All das sind Dinge, die geregelt werden müssen.

Es wurde auch bereits erwähnt, welches gesteigerte Exportvolumen wir im Jahr 2017 mit dem Partner Großbritannien hatten. Es betrug rund 1,3 Milliarden €. Das ist Platz 2 in unserem Ranking. Beim Import ist es mit rund 366 Millionen € deutlich weniger, aber es ist noch eine nennenswerte Größe.

Gewiss, das hört nicht alles sofort auf, aber es würde unendlich schwerer und es würde vermutlich deutlich teurer. Genau das ist der Grund, warum man eine vernünftige Vereinbarung mit dem Vereinigten Königreich braucht. Genau das ist der Grund, warum es Regelungen geben muss, die ab dem 1. Januar 2020 greifen, wenn es denn tatsächlich zum Brexit kommt.

Für die Unternehmen hier im Lande werden zahllose Informationsveranstaltungen angeboten. Die Aktivitäten dieser Art wurden unter anderem jüngst vom IHK-Präsidenten Klaus Olbricht dargelegt. Das scheint mir außerordentlich wichtig zu sein.

Genauso wichtig ist es, dass wir diesen Prozess, der gerade im ersten Quartal 2019 eine erhebliche Dynamik haben wird, im Wirtschaftsausschuss ebenso wie im Ausschuss für Europaangelegenheiten besprechen. Deshalb bin ich für diesen Antrag dankbar und möchte ganz zum Schluss - es sind nur noch wenige Tage bis Weihnachten - einen Wunsch äußern.

(Oh! bei der CDU und bei der SPD - Olaf Meister, GRÜNE, lacht)

Früher hat das Wünschen noch geholfen, wie wir wissen. Insgeheim wünsche ich mir, dass der Brexit doch noch - notfalls in letzter Sekunde - abgewendet wird.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Es wäre für alle in Europa, in Deutschland und für uns in Sachsen-Anhalt die beste Lösung. - Vielen Dank.