Protokoll der Sitzung vom 30.08.2019

Eigenartigerweise meint aber zum Beispiel der Ministerpräsident dieses Landes, dass man einen solchen Prozess erst dann einleiten könne, wenn der Bund dazu ein Grundlagengesetz verabschiedet habe. Das sehen wir ausdrücklich nicht so. Ebenso wie wir sieht das übrigens auch die Bundesregierung überhaupt nicht so. Diese hat nämlich im Jahr 2014 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE ausdrücklich Folgendes geantwortet - jetzt zitiere ich -:

„Den Ländern als Träger der Staatsleistungen steht es dagegen frei, einvernehmlich mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern und neue Rechtsgrundlagen zu schaffen. Das Verfassungsrecht steht dieser Lösung nicht entgegen.“

Die Bundesregierung sagt ganz klar: Länder, wenn ihr wollt, dann macht es; ihr braucht keine Grundsatzregelung von der Bundesebene. Das ist wieder diese typische Geschichte, Schraps, du hast den Hut verloren. Gehe ich in die Länder, sagen mir Ländervertreter: Bevor die Bundesregierung kein Grundlagengesetz dazu verabschiedet, können wir gar nichts machen. Gehe ich zur Bundesebene, sagt die Bundesregierung: Wir brauchen kein Grundlagengesetz; wenn die Länder den Verfassungsauftrag umsetzen wollen, dann können sie das gern allein machen.

Insofern sage ich jetzt einmal: In einem Wirrwarr aus Nichtverantwortung - das kennen wir ja aus der Politik - fließen die Dinge 100 Jahre lang wirkungslos vor sich hin. Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Allerdings ist klar, dass es keinen Sinn ergibt, eine solche Kommission zu bilden, wenn man davon ausgeht, dass es keine einvernehmliche Lösung zwischen Kirchen und Staat geben wird. Dann müsste man ein Grundlagengesetz haben, das den einen oder den anderen zwingt, entsprechende Ablösungen zu realisieren. Aber wir gehen nicht davon aus. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten aus Kirchengliederungen und von Verantwortlichen der Kirchen sehr wohl positive Reaktionen auf unsere Vorschläge wahrgenommen. Das ist kein Anti-Kirchen-Antrag, das ist ein Antrag auf Umsetzung des Grundgesetzes.

Wer jetzt sagt, dass er die Ablösung der Staatskirchenleistungen nicht will, der soll bitte auch sagen, dass er das Grundgesetz an der Stelle verdammt. Dann soll er es aber bitte ändern. Nein, dieser Auftrag ist da. Deswegen können wir ihn nach 100 Jahren auch anpacken, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich stellen mir die Leute die Frage: Was kann denn am Ende in einer solchen Kommission herauskommen? - Es gibt durchaus eine ganze Menge von Dingen, die man sich überlegen kann.

(Zuruf von der AfD)

- Aber das wollen wir in einer solchen Kommission ja gerade diskutieren. - Natürlich heißt es dann immer: Wenn es eine Einmalzahlung wäre, dann wäre das eine so extrem hohe Summe, dass sie das Land nicht bezahlen könnte. Ich will über den Betrag von 35 Millionen € gar nichts sagen, aber als Grundlage dieser Dinge werden häufig Grund und Boden oder auch Immobilien genannt; ich kenne das, wie gesagt, nicht, das wird hier und da kolportiert.

Man schaut zum Beispiel, was man jetzt für eine Rendite im Bodenbereich hat. Gestern gab es

einen langen Artikel in der „Volksstimme“. Wir sprechen von etwa 2,5 % - Herr Heuer oder Herr Daldrup, Sie werden es wahrscheinlich besser wissen -, aber vermutlich sind es Beträge, die durchaus stimmen.

Ich habe mit Herrn Henke, der sich wirklich sehr intensiv mit dem Bau- und Wohnungsbereich beschäftigt, gesprochen. Er sagt: Na ja, eine solche Immobilie wird häufig mit dem Zehnfachen - früher im Osten sogar mit weniger, im Westen mit etwas mehr - des jährlichen Ertrages bewertet. Dazu sage ich: In Ordnung, das weiß ich alles nicht, ist egal. Deswegen - das stimmt und dazu stehe ich - könnte ich mir selbst das Zwanzigfache dieser 35 Millionen € als Ablösesumme für die Kirchen vorstellen.

(Alexander Raue, AfD: Sie müssen es ja nicht bezahlen!)

Unter dem Strich - das wissen alle Leute, die ein bisschen Grundschulmathematik beherrschen - wären wir als Land unter diesen Bedingungen in 20, 25 Jahren sogar mit der Tilgung eines entsprechenden Kredites fertig - im Verhältnis zu dem, wenn wir es so belassen würden.

Ich sage aber am Ende: Mir schwebt, zumindest als Vorschlag, eigentlich etwas ganz anderes vor. Darüber müsste man auch einmal reden: Nein, wir als Staat sind nicht dafür verantwortlich, das Bodenpersonal des lieben Herrgotts zu bezahlen. Das ist die Kirche. Sie ist keine Staatskirche.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das tun wir in Sachsen-Anhalt überhaupt nicht!)

- Doch, das Argument ist ja, dass diese Staatsleistungen ganz wesentlich in die Personalkosten fließen. Das weiß ich aber nicht; denn wir haben keine Prüfrechte. Es gibt an der Stelle auch nicht die Möglichkeit, das nachzuprüfen.

(Oliver Kirchner, AfD: Genau!)

Letzte Worte. Worum wir als Gesellschaft uns aber kümmern müssen, ist doch klar. Wir haben in diesem Land massenhaft Kulturdenkmäler. Das sind zum großen Teil sakrale Bauten, riesige Kirchen in kleinen Gemeinden. Die kleinen Gemeinden sind nicht dazu in der Lage, diese zu erhalten. Das wurde in den letzten 30 Jahren mit sehr viel staatlichem Geld gemacht. Lassen Sie uns an der Stelle doch zum Beispiel einmal über Baulastträger reden und schauen,

Herr Gallert, kommen Sie zum Schluss.

ob es nicht vielleicht viel ehrlicher ist zu sagen: Diese Zahlungen werden dadurch abgelöst, dass

wir uns als Staat verpflichten, zum Beispiel viel mehr Kirchen als bisher in die eigene Baulast zu nehmen. Letztlich müssen wir das sowieso. Verfallen lassen wollen wir sie schließlich nicht. Das sind Dinge, über die man reden kann. Das ist unser Vorschlag. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, es gibt zwei Fragen von zwei Abgeordneten. - Als Erster spricht Herr Schmidt. Herr Schmidt, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Kollege Gallert, Sie sprachen mehrfach von Ablöse. Der Presse konnte man unter anderem entnehmen, dass es um 700 Millionen € geht. Ich möchte wissen, was genau Sie denn ablösen wollen. Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, welche Grundstücke überhaupt betroffen sind? Was wurde im Jahr 1803 enteignet? Wofür zahlen wir hier überhaupt? Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?

Herr Schmidt, ich habe mir wahnsinnig viele Gedanken gemacht. Das erste Problem ist - das habe ich ausdrücklich gesagt -, dass wir die Grundlagen für die berechneten jetzigen Zahlungen nicht kennen. Wir wissen nicht, wie diese Leistungen damals in den Staatsverträgen von 1994 und 1998 zustande gekommen sind.

Das Problem ist nur - seien wir doch einmal ehrlich - Folgendes: Der Vertrag ist für die Kirchen hier in Sachsen-Anhalt nicht unvorteilhaft. Ich würde sehr gern wissen, wie die Summen zustande kommen. Wenn man über Ablösung redet, dann müsste man auch einmal über diese Dinge reden. Aber am Ende des Tages wird es so sein, dass die Kirchen sagen: Ob ihr das jetzt für gerechtfertigt haltet - ja oder nein -, ist uns relativ egal. Kommen wir nicht zu einer einvernehmlichen Lösung, läuft es so weiter.

Also muss man sich mit den Realitäten auseinandersetzen. Die 700 Millionen €, Herr Schmidt, die ich genannt habe, gingen von den 35 Millionen € aus. Sie sind das Zwanzigfache dieser 35 Millionen €. Das ist eine Idee - das habe ich Ihnen erläutert -, die man zum Beispiel aus einem Mix von Immobilienkauf im Verhältnis zu dem Jahresertrag oder von Pacht im Verhältnis zu den Bodenpreisen realisieren kann. Daher habe ich das gehabt.

Egal, was es ist - die Kirchen werden natürlich nicht sagen: Es stimmt, Leute, damals habt ihr uns eigentlich zu viel zugestanden, das wollen wir

jetzt nicht mehr haben. - So naiv bin ich doch nicht. Deswegen habe ich über solche Dinge nachgedacht. - Okay, so weit dazu.

Herr Schmidt hat eine Nachfrage.

Wollen Sie mit der Kommission auch prüfen, welche Grundstücke das betroffen hat, damit man von den 700 Millionen € vielleicht noch weiter nach unten gehen kann?

Ich wundere mich über die Höhe. Ich wundere mich über die Höhe auch im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundesländern. Aber ich muss das jetzt einmal als Realität hinnehmen. Natürlich wäre es gut und richtig, im Sinne von Transparenz der Politik auch einmal klarzumachen, wie man damals zu den Zahlen gekommen ist. Nur, immer wenn ich das irgendwann einmal angesprochen habe, fielen die Antworten - ich sage es jetzt einmal so - sehr differenziert aus. Da waren es auf einmal ältere Rechtstitel, die mit Immobilien gar nichts zu tun hatten.

Nur ein Beispiel. Der MDR hat dazu Anfang des Jahres eine interessante Sendung gemacht. Es ging um einen dieser Rechtstitel, die eine katholische Kirche im Randgebiet von Thüringen zu Hessen eingeklagt hat. Sie hat gesagt: Du, Gemeinde, musst unsere Kirche sanieren. Grundlage dieser Forderung war der Beschluss eines Stadtrates aus dem Jahr 1785, der in einer besonderen Notlage der kirchlichen Gemeinde gesagt hat: Ja, das machen wir jetzt einmal. Das ist die Grundlage dafür, dass die Kirche - ich glaube, vor vier oder fünf Jahren - gesagt hat: Du, Gemeinde, musst die Kirche sanieren; du hast die Baulast.

Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Das würde mich schon interessieren. Aber am Ende wird es uns der Lösung nicht unbedingt näher bringen, weil die Kirche am Ende sagen wird: Tja, wenn ihr nicht wollt, dann lassen wir es eben.

Ich glaube aber, ehrlich gesagt - auch nachdem ich mit vielen Kirchenvertretern darüber gesprochen habe -, dass das gar nicht unbedingt das Interesse der Kirche ist. Ich will mit denen zu einem Ergebnis kommen. Ich würde gern wissen, worauf der jetzige Zustand beruht. Aber am Ende ist es mir wichtiger, den Verfassungsauftrag umzusetzen. Dazu muss man irgendwie zusammenkommen. Das ist im Grunde jetzt das Ziel.

Herr Backhaus, jetzt haben Sie das Wort.

Sie haben davon gesprochen, dass diese Staatskirchenleistungen nichts damit zu tun haben, dass die Kirchen zu DDR-Zeiten benachteiligt wurden etc. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass auch in den 40 Jahren DDR-Zeit sogenannte Staatskirchenleistungen gezahlt wurden - in der Summe mehr als 600 Millionen DDR-Mark.

Sie sprachen von der Ablösung. Eine Frage dazu kam auch schon von dem Kollegen Schmidt. Meine Frage an Sie: Auf welche rechtliche Grundlage bezieht sich Ihre Berechnung, sodass Sie von dem Zwanzigfachen sprechen? In der Presse wurden Sie mit 700 Millionen € zitiert. Welche rechtliche Grundlage ziehen Sie für das Zwanzigfache als Ablösesumme heran?

Herr Backhaus, erstens: Ja, diese Zahlungen gab es in der DDR auch. Aber man muss jetzt noch einmal ganz deutlich sagen: Schaut man sich die Kirchengliederungen in Ost und West an - ich bin ausdrücklich kein Kirchenmitglied, aber natürlich sehe ich solche Unterschiede auch -, stellt man fest, dass die Zahl der Kirchenmitglieder hier deutlich geringer ist.

Es ist natürlich auch so, dass die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu erwirtschaften, im Osten im Verhältnis zum Westen in den 40 Jahren faktisch nur sehr, sehr beschränkt vorhanden war. Es gibt immer noch deutliche Transferzahlungen von West nach Ost. Die Zahlungen gibt es. Die Staatskirchleistungen gibt es auch im Westen; dort sind sie das Sahnehäubchen auf dem Kirchenetat. Hier im Osten sind sie deutlich im zweistelligen Bereich der Gesamteinnahmen.

Ich sage noch einmal ausdrücklich: Ja, es gab auch zu DDR-Zeiten diese Leistungen, aber damit wird natürlich nicht ignoriert, dass die Kirchen in der DDR strukturell diskriminiert worden sind und heute deswegen nach wie vor ein Problem in der Kasse haben.

Herr Backhaus, ich sage an dieser Stelle übrigens auch ganz deutlich: Ich halte den Vergleich mit den anderen Ländern bei der Berechnung, wie viel Geld pro Gemeindemitglied aus dem Staatshaushalt ausgegeben wird, wirklich für irrelevant. Denn hier geht es um die Leistungen aus dem Staatshaushalt. Die kann ich je Einwohner im Land berechnen, nicht je Gemeindemitglied.

Ich sage aber auch - ein letzter Satz zu dieser Geschichte - ganz klar: Wenn wir die gleichen Maßstäbe in Bezug auf ältere Rechte ansetzen und vielleicht sogar wieder die Debatte über die Wiedergutmachung führen, dann müssten wir einmal unseren Staatsvertrag mit den jüdischen Gemeinden anschauen. Nach den gleichen Maß

stäben müsste der völlig anders aussehen. - Aber gut, das wäre noch ein anderes Thema. Insofern sage ich: Ja, ich weiß das, aber wir müssen beide Dinge voneinander trennen.

Das mit den 700 Millionen € habe ich schon erklärt: Wir haben Vertragsfreiheit. Es gibt zwei Vertragsseiten: einerseits das Land und andererseits die Kirchen. Wenn wir erreichen wollen, dass dieser Vertrag abgelöst wird, dann müssen beide Seiten damit einverstanden sein.

Das kann ich nicht machen, indem ich sage: Pass mal auf, Du bekommst noch 'nen Appel und 'n Ei, geh nach Hause. Es kann auch nicht sein, dass wir sagen: Oh, die Zinsen liegen gerade bei 0,5 %; wir rechnen einmal die 35 Millionen € hoch; okay, ihr bekommt 5 Milliarden €. Das geht natürlich auch nicht. Deswegen brauchen wir irgendeinen Weg. Ich sage ganz deutlich: Natürlich geht es um solche Summen. Diese sind aber für den Landeshaushalt tausendmal besser zu vertragen, als nichts zu machen. Das ist der Grund.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine weiteren Fragen. Dann danke ich Herrn Gallert für die Einbringung des Antrages. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt - -