Protokoll der Sitzung vom 25.02.2022

Herr Striegel, wir sind uns in der Analyse dessen - das ist anhand des gemeinsamen Antrags deutlich geworden -, was jetzt ist, relaƟv einig. Dass wir sehr wohl unterschiedliche OpƟonen, wie man darauf reagieren sollte, haben, dürŌe unter Demokraten auch selbstverständlich sein. Ich frage jetzt aber einmal ganz deutlich, weil mich das wirklich interessiert, nach Ihrer persönlichen PosiƟon oder nach der PosiƟon Ihrer Partei - das können Sie entscheiden -: Die wirkliche SankƟon, die jetzt sofort radikal treffen würde, wäre ein Stopp der Energielieferung von Erdgas und Öl aus Russland nach Deutschland. Stehen Sie dafür? Wollen Sie das oder wollen Sie das nicht?

SebasƟan Striegel (GRÜNE):

Mein Parteikollege Robert Habeck, Herr Gallert, hat gestern Abend - ich meine, es war in der

ARD - sehr deutlich gesagt, dass wir auch an dieser Stelle täƟg werden müssen:

Erstens. Der Gasmarkt muss reguliert werden. Das ist er bisher nicht.

(Zuruf von Rüdiger Erben, SPD - Weitere Zu- rufe)

- Herr Kollege Erben, bite warten Sie noch einen kurzen Moment. - Zweitens häten wir und haben wir tatsächlich ausreichend Gasvorräte. Bei Erdöl sieht es anders aus.

(Lachen)

- Wir haben ausreichend Gasvorräte, um noch über den Winter zu kommen. Ich glaube, das ist unstreiƟg.

(Unruhe)

Insofern ist klar, dass wir die Abhängigkeit von russischem Erdgas weiter reduzieren müssen und uns diversifizieren müssen. Und ja, ich sage ausdrücklich: Wir müssen weniger und am besten gar kein russisches Erdgas mehr imporƟeren. - Vielen herzlichen Dank.

Also weder ja noch nein, gut. Danke, Herr Striegel.

SebasƟan Striegel (GRÜNE):

Herr Präsident, ich verbite mir, dass Sie meine Rede hier am Rednerpult interpreƟeren. Das ist nicht Ihre Aufgabe.

(Zurufe - Unruhe)

Ich habe Ihre Rede nicht interpreƟert. Ich habe nur festgestellt, was Sie gesagt haben: ja und

nein. Ich habe das nicht interpreƟert. Das steht mir gar nicht zu. Das mache ich auch nicht. Danke, Herr Striegel. Es gibt keine weiteren Fragen.

(Zuruf - Unruhe)

- Ja, ganz ruhig. Das war alles entspannt. - Dann spricht Herr Borgwardt für die CDU-FrakƟon.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einiges hat man vermutet. Wenn man als Letzter redet, hat man den Vorteil, dass man das Bild, das sich hier zeichnet, noch einmal schön kommenƟeren kann. Es war mir klar, dass es von der einen Seite RelaƟvierungen gibt. Aber dass die GRÜNEN hier sehr schnell Aufgaben verteilen - Sie können sicher sein, Herr Striegel: Der Ministerpräsident und das gesamte Kabinet werden die nöƟgen Maßnahmen, die wir unsererseits für angemessen halten und die verhältnismäßig sind, auch ohne Ihre Aufforderung ergreifen.

(Beifall)

Da sind wir sehr sicher.

Man muss sich einmal vorstellen: Vor einigen Monaten - man kann sagen, vor vielleicht drei, vier, sechs, sieben oder acht Monaten - waren die Worte zu hören: Stellt mal lieber bei der Bundeswehr die Hilfe im Rahmen der Pandemie ein und schnürt denen ein Marschgepäck, damit sie dann bereit sind. - Das sind auch interessante Worte, Herr Striegel. Ich häte nie gedacht, dass ich die von Ihnen einmal höre.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Russland hat nach Medienberichten etwa 150 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen und, wie wir heute wissen, auch bereits in Marsch gesetzt. Die US-Regierung hat am Dienstag die Verlegung von zusätzlichen Soldaten sowie von Ausrüstung nach Osteuropa angekündigt.

In der Nacht zum Donnerstag hat nun der russische Präsident Wladimir PuƟn den Militäreinsatz befohlen. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax hat Russland Raketenangriffe auf militärische Ziele in der ganzen Ukraine begonnen. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat den Kriegszustand ausgerufen und die diplomaƟschen Beziehungen zu Russland abgebrochen. Zudem hat er alle Ukrainer aufgerufen, ihren Beitrag zur Verteidigung des Landes zu leisten. Selenskyj vergleicht den russischen Angriff mit dem Angriff des faschisƟschen Deutschlands auf die Ukraine im Zweiten Weltkrieg.

Ich häte nicht gedacht, dass man angesichts des unendlichen Leides diese Verbindung findet, und das noch auf ehemaligem sowjeƟschem Gebiet. Auch das ist bemerkenswert, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Die Lage ist schockierend. Nicht nur ich, sondern auch meine gesamte FrakƟon und, wie ich glaube, auch die Mehrheit in diesem Hause sind persönlich fassungslos angesichts der Ereignisse. Auch wenn Regionalparlamente wie der Landtag von Sachsen-Anhalt bei derarƟgen weltpoliƟschen Krisen - meine Vorredner gingen darauf ein - keinen unmitelbaren Handlungsspielraum haben, sind wir dennoch nicht sprachlos. Deshalb finde ich es richƟg und wichƟg, dass wir heute in diesem Hause über diesen Konflikt debaƫeren. Ich bin unserem Ministerpräsidenten ausdrücklich dankbar - auch darauf gingen meine Vorredner ein -, dass er unseren Hinweis in der letzten Kabinetssitzung sofort aufgegriffen hat und eine Regierungserklärung zu diesem Thema heute früh im Plenum abgegeben hat.

Ich bin auch den FrakƟonen der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE sehr dankbar, dass wir einen gemeinsamen Antrag hinbekommen haben, mit dem der Landtag seine Solidarität mit der Ukraine erklärt und den

Völkerrechtsbruch durch Russland engagiert verurteilt.

Meine Damen und Herren! Seit Wochen eskaliert der Konflikt mit Russland. Am Montag eskalierte er erstmals, als Russlands Präsident Wladimir PuƟn die Unabhängigkeit der SeparaƟstenregionen Donezk und Luhansk anerkannte und umgehend Truppen entsandte. Das Parlament in Moskau als willfähriger Gehilfe raƟfizierte die Anerkennung am Dienstag einsƟmmig - ein klarer Verstoß gegen das Minsker Abkommen. Alle bereits im Vorfeld aufgestellten Vermutungen wurden damit bestäƟgt. Russland und PuƟn wollen mit allen Miteln verhindern, dass sich die Ukraine der Europäischen Union annähert. Es gibt bereits seit Langem die Vorwürfe, dass PuƟn ein neues Imperium wie zu Sowjet- und Zarenzeiten schaffen will. Im Jahr 2005 hat er den Zerfall der Sowjetunion als größte geopoliƟsche Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

In seiner TV-Ansprache hat PuƟn mit einer derarƟgen Verachtung über die Ukraine gesprochen, dass viele Experten bereits vermuten, dass Russland weiter die Stabilität des Landes mit allen Miteln untergraben und vielleicht sogar versuchen wird, sich auch das Zentrum und den Westen des Landes wieder vollends einzuverleiben.

Die jetzigen Taten lassen dieses Szenario immer wahrscheinlicher werden, meine Damen und Herren. PuƟns Rede wird auch als unmissverständliche Warnung an die anderen Sowjetrepubliken verstanden, die im Jahr 1990 den Weg in die Unabhängigkeit gewählt haben. Nicht umsonst wertete der ukrainische BotschaŌer Andrij Melnyk in Berlin die Rede PuƟns als Kriegserklärung. US-Präsident Joe Biden war sich relaƟv früh sicher, dass Russland bereit ist, deutlich weiter zu gehen, und einen massiven Militärschlag gegen die Ukraine starten wird. Er sprach von dem Beginn einer Invasion.

Die Leidtragenden sind schon jetzt die Menschen in dem Kriegsgebiet und in Russland. Nach UN-Schätzungen gab es in den ersten acht Jahren während des Konflikts zwischen der Ukraine und den SeparaƟsten bereits 14 000 Tote. Laut Innenministerium in Kiew sind infolge russischer LuŌangriffe bereits weitere Menschen - auch darauf gingen meine Vorredner ein - ge- tötet worden.

Es muss unser oberstes Ziel sein, dass keine Toten mehr hinzukommen. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung, die EU und die UN auf, alles zu tun, um diesen Krieg zu stoppen und einen folgenschweren Flächenbrand in Europa zu verhindern. Der Frieden in Europa muss wiederhergestellt werden.

Das Vorgehen des russischen Präsidenten ist ein klarer Bruch des Völkerrechts. Weder die NATO noch die Ukraine haben Russland in irgendeiner Weise bedroht. Der Aggressor in diesem Konflikt heißt eindeuƟg PuƟn. Deshalb bin ich unserem Ministerpräsidenten auch dankbar dafür, dass er deutliche Worte gefunden hat. Es muss unmissverständlich klar sein, dass ein solches Handeln Konsequenzen hat.

Weder die Bundesregierung noch die Europäische Union haten eine andere Wahl, als Sank- Ɵonen gegen Russland zu verhängen. Vor diesem Hintergrund ist dies eine richƟge und notwendige Entscheidung. Das sage ich, obwohl auch wir und meine FrakƟon mit großer Mehrheit in diesem Landtag die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 beschlossen haben. Das ist allerdings bereits einen Monat her. Die Entscheidungen sollen immer mit Blick auf die aktuelle SituaƟon getroffen werden. Dazu stehen wir. Deswegen begrüßen wir auch jetzt ausdrücklich die beschlossene Aussetzung.

Neben der Europäischen Union hat auch Großbritannien SankƟonen gegen russische GeschäŌsleute und Banken verhängt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In unserem KoaliƟonsvertrag haben wir festgehalten, dass unsere DemokraƟe vom gegenseiƟgen Respekt, von der Unantastbarkeit der individuellen Menschenwürde und der Wertschätzung gesellschaŌlicher Vielfalt lebt. Die Ukraine ist ein souveränes Land, das selbst über seine ZukunŌ entscheidet. Dieses kann nicht einfach der Kreml per se übernehmen.

(Beifall)

Vor dem Hintergrund der aktuellen SituaƟon haben mich und meine FrakƟon insbesondere die Aussagen der PoliƟkerin Sahra Wagenknecht fast sprachlos gemacht. Sie hat in den letzten Wochen immer wieder betont, man müsse auch die russischen Sicherheitsinteressen berücksichƟgen. Noch am Montag machte sie in einem NDR-Interview deutlich, dass es PuƟn und Russland nicht darum gehe, in die Ukraine einzumarschieren, schon gar nicht um kriegerische Handlungen, sondern darum, dass Russland nicht einfach weiter hinnehmen wolle, dass sich die NATO immer weiter ausbreite. - Diese Aussagen haben mich und meine FrakƟon tatsächlich zum Kopfschüteln gebracht. Ich bin dankbar - das sage ich in diesem Zusammenhang auch -, dass sie diese Aussage gestern relaƟviert hat.

(Zuruf: Wie viele andere Politiker auch! Das ist so!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für diesen Konflikt braucht es eine starke NATO, die gemeinsam mit einer selbstbewussten Europäischen Union agiert. Derzeit können wir nur hoffen, dass trotz allem eine Lösung auf diplomaƟschem Weg gefunden werden kann. Momentan ist Krieg in Europa.

Abschließend möchte ich den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ziƟeren: Es ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, meine Damen und Her-

ren, sondern es ist ein Krieg gegen die DemokraƟe, ein Krieg gegen uns und ein Krieg gegen unsere Freiheit. - Herzlichen Dank.

(Beifall)

Herr Borgwardt, der Kollege Lieschke hat eine Frage.

Herr Borgwardt, Sie haben Nord Stream erwähnt. Vorhin wurde schon gesagt, dass wir von dem russischen Gas stark abhängig sind. Wir wissen, dass Agrofert in Witenberg mehr als die HälŌe des Gases Sachsen-Anhalts verbraucht, um ihre Produkte herzustellen. Sie sagten, es ist richƟg, Nord Stream zu stoppen.

Wir alle sind von den Bürgern Sachsen-Anhalts gewählt und haben die Interessen unserer Bürger zu vertreten. SankƟonen sollen eigentlich in die Richtung wirken, dass man poliƟsch etwas fordert, und wenn man es nicht bekommt, kann man sagen, man verhängt SankƟonen, um damit etwas zu erreichen. Aber SankƟonen sollen letztendlich den poliƟschen Gegner treffen und nicht uns selbst.

Sind Sie nicht auch der Meinung, dass wir, wenn wir uns dafür aussprechen, Nord Stream zu stoppen, dafür sorgen, dass unsere Bevölkerung mehr Schaden hat, oder sehen Sie den Schaden tatsächlich auf der russischen Seite? Ich sehe, dass wir dann steigende Preise bekommen und dass die Bevölkerung deshalb mehr bezahlen muss. In meinen Augen sind das Folgen, die Sachsen-Anhalt betreffen und weniger die Russische FöderaƟon. Wie stehen Sie dazu?

(Zuruf)

Noch einmal - Sie haben wahrscheinlich nicht genau zugehört -: Ich habe gesagt, dass wir - auch meine FrakƟon - nachhalƟg für die Inbetriebnahme waren.