Wenn es um die Finanzierung geht, dann sage ich Ihnen Folgendes: Wer was finanziert, ist die eine Geschichte. Aber wir können trotzdem die Kommunen nicht aus der Verantwortung nehmen, weil das eine ureigene Aufgabe der Jugendhilfe ist, und nicht der Schule.
Vielen Dank, Frau Feußner. - Wir steigen jetzt in die Debate ein. Es beginnt Frau Dr. Pähle von der SPD-FrakƟon.
Vielen Dank, Frau PräsidenƟn. - Sehr geehrtes Hohes Haus! Ich gebe es zu, ich habe mir schon manchmal gewünscht - ich wete, ich bin nicht die Einzige in diesem Raum -, ich häte wie Hermine Granger einen Zeitumkehrer und ich könnte mit ein paar Umdrehungen, schwupps, ein paar unauffällige Veränderungen und Korrekturen in der jüngsten Vergangenheit vornehmen. Das habe ich auch in den letzten Tagen gedacht,
als wir - das wissen Sie alle - zunehmend mit Rückmeldungen zu dem Programm Schulsozialarbeit aus Kommunen und von Trägern konfronƟert wurden. Denn diese Richtlinie - so alt ist sie noch nicht - sorgt jetzt vor Ort tatsächlich für große Diskussionen. Denn es ist etwas schiefgelaufen zwischen dem 19. Dezember 2018, als dieser Landtag einen Grundsatzbeschluss zur Schulsozialarbeit fasste, und der Veröffent- lichung der neuen Richtlinie. Der Beschluss, der im Jahr 2018 gefasst wurde, wurde von drei Grundgedanken getragen.
Erstens. Die Schulsozialarbeit soll gesichert werden. Das hieß für alle, die daran beteiligt waren auch immer: mindestens auf dem vorhandenen Niveau.
Zweitens. Wenn die EU die Schulsozialarbeit in der neuen Förderperiode nicht mehr finanzieren sollte, springt das Land ein und legt ein eigenes Landesprogramm auf. Das haben wir beschlossen.
Was dann schließlich ins Werk gesetzt wurde, hörte sich zunächst gut an. Viele Diskussionen - ich habe mich dazu noch einmal in Protokolle verƟeŌ - haben auch gezeigt, dass über diesen Prozess eigentlich immer sehr gut und konstrukƟv diskuƟert wurde. Nominell wurde die Zahl der Schulsozialarbeiterstellen gesichert. Die EU bleibt im Boot - das ist gut - und das entstehende finanzielle Defizit sollte dadurch abgedeckt werden, dass die Kommunen und ihre bisherigen freiwilligen Aufwendungen für Sozialarbeit künŌig als Pflichtanteil veranschlagt werden können. - So habe ich die Diskussion im Bildungsausschuss verstanden.
Doch in den Diskussionen in den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass dieser Ansatz in der Sackgasse steckt. Die kommunalen Sozialar-
beiterstellen können nur zum Teil als Eigenanteil veranschlagt werden; im Ergebnis sinkt deren Anzahl. Die Kommunen, die solche freiwilligen Zusatzstellen bislang nicht haten, stehen vor einem riesigen Problem. Unter dem Strich droht die Zahl der Stellen, regional unterschiedlich verteilt, zurückzugehen, obwohl schon bislang längst nicht alle Bedarfe abgedeckt werden und wir von einer flächendeckenden Versorgung leider weit enƞernt sind.
Zudem stellte sich heraus: Die immer wieder angeführte EU-Vorgabe, dass die Kommunen einen Eigenanteil erbringen müssten, besteht so nicht. Ich muss an dieser Stelle ehrlich einräumen: Auch ich habe mich auf diese Darstellung verlassen und habe sie weitergetragen. Gerade deshalb halte ich es für nöƟg, dass wir alle uns der Einsicht stellen, dass es bei diesem Modell eben doch ein Problem damit gibt, den kommunalen Finanzanteil aufzubringen. Dieses Problem wird im Zweifelsfall auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler ausgetragen; das darf nicht sein.
Das Problem dürŌe darauf zurückgehen, dass bei der Programmierung des operaƟonellen Programms für die neue Förderperiode, für die die EU ihren Anteil absenkte, niemand auf die vom Landtag gegebene Zusage zurückgegriffen hat, noƞalls ein Landesprogramm aufzusetzen. Statdessen wurde der bisherige Landesanteil durchgeschrieben und das finanzielle Delta landete bei den Kommunen. Auch wenn ich der Meinung bin, dass Kommunen sich daran auch beteiligen sollten - es ist nun einmal so, dass das genau jetzt diese Problemlage erzeugt und dass wir jetzt eine Lösung brauchen.
Nun sind wir leider alle nicht in Hogwarts und haben keinen Zeitumkehrer. Aber - das ist die gute Nachricht - wir sind im Landtag und wir haben die Haushaltshoheit. Ich werde meiner FrakƟon, wenn wir in den nächsten Wochen zu
unserer Haushaltsklausurtagung zusammenkommen, vorschlagen, dass wir uns bei den Verhandlungen über den Landeshaushalt 2022 für eine Korrektur an dieser Stelle starkmachen.
Wie auch immer das haushalterisch veranschlagt wird, wir müssen einen Weg finden, um das Niveau der Schulsozialarbeit effekƟv zu sichern, ohne die Kommunen zu überfordern und den ländlichen Raum durch Verschiebungen abzuhängen.
Nach allerersten groben Schätzungen dürŌe es um einen Finanzbedarf in Höhe von etwa 5 Millionen € gehen, der im Haushalt zusätzlich aufgebracht werden muss.
Über die beschriebenen Probleme hinaus gibt es dafür einen weiteren wichƟgen Grund. Ich glaube, an dieser Stelle finden wir tatsächlich Einigkeit. Corona hat Narben in der psychischen Stabilität, in der sozialen Kompetenz und in der Lernfähigkeit von jungen Menschen hinterlassen. Wir haben darüber schon an unterschied- lichen Stellen debaƫert, und wir haben immer gemeinsam bekräŌigt, dass das so ist. Die Schulsozialarbeit ist ein wichƟger Beitrag dazu, dass sie ihre Probleme bewälƟgen können. Sie ersetzt keine Psychotherapie, sie ersetzt auch nicht den Blick auf die Jugend, um sie von Sachen auszunehmen, aber sie leistet einen wesentlichen Beitrag.
An dieser Stelle einen Stellenabbau auszulösen wäre nicht verantwortbar und wäre das völlig falsche Signal an die Eltern und an die Schülerinnen und Schüler. Deshalb sollten wir jetzt den Mut zur Korrektur haben, auch wenn uns die magischen Fähigkeiten leider fehlen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. Ich habe keine Fragen oder IntervenƟonen gesehen. - Es folgt deswegen jetzt Herr Dr. Tillschneider von der AfD-FrakƟon. - Herr Dr. Tillschneider, bite.
Frau PräsidenƟn. - Sehr geehrte Damen und Herren! Schon der Begriff Schulsozialarbeit zeigt an, welche Fehlentwicklung sich hinter ihr verbirgt; denn entweder etwas ist Sozialarbeit, dann ist die Schule nicht ihr Ort, oder eine Arbeit gehört an die Schule, dann sollte es sich aber um Bildungsarbeit handeln und nicht um Sozialarbeit.
Die Schulsozialarbeit steht beispielhaŌ für die systemaƟsche Überforderung der Schule mit nichtschulischen Aufgaben. Ihr forcierter Ausbau ist Ausdruck der Ɵefen Krise, in der unser Schulwesen steckt. Es mutet sich immer neue Aufgaben sozialpoliƟscher Art zu, während es seine eigentliche Aufgabe, nämlich Kinder zu bilden, kaum noch erfüllt.
Die InstallaƟon der Schulsozialarbeit in der Bundesrepublik Deutschland begann, abgesehen von isolierten Einzelfällen, erst Mite der 1990er-Jahre. Die meisten Schulsozialarbeiter gibt es in Nordrhein-Wesƞalen. In Sachsen-Anhalt wurde die Schulsozialarbeit, soweit ich das sehe, erst im Rahmen des ESF-finanzierten Programms „Schulerfolg sichern“ ab 2008 eingeführt.
Wir können somit festhalten: Zu seinen besten Zeiten kannte das deutsche Schulwesen keine Schulsozialarbeit.
In NRW, wo das Bildungsniveau an allen Schulformen im Bundesvergleich immer schon am niedrigsten war, ist der Anteil der Schulsozialarbeiter am höchsten. KorrelaƟon erlaubt bekanntlich noch keinen Schluss auf Kausalität, aber Schulsozialarbeit ist zumindest ein Krisensymptom.
Ich erinnere auch immer wieder daran, dass der Einsatz von Schulsozialarbeit im Rahmen des Programms „Schulerfolg sichern“ keine messbaren Auswirkungen auf die Quote der Schulabbrecher hate. Völlig unbeeindruckt von dem Programm „Schulerfolg sichern“ bewegt sich die Schulabbrecherquote vor dem Jahr 2008 und nach dem Jahr 2008 um die 10 %. In den letzten Jahren ist sie sogar leicht angesƟegen. Das ist offenkundig. Das bestreitet auch nicht Frau von Angern; das kann sie auch gar nicht bestreiten. - Das bestreiten Sie auch gar nicht.
Ich wiederhole deshalb: Die Schulsozialarbeit unter dem Titel „Schulerfolg sichern“ hat nicht dazu geführt, dass die Schulabbrecherquote sinkt. Wissen Sie, wie man so etwas normalerweise nennt, wenn man viel Geld für etwas ausgibt, das keinerlei Effekt hat? - Man nennt das eine FehlinvesƟƟon.
Das Argument, mit dem Sie den Einsatz der Schulsozialarbeit trotzdem rechƞerƟgen, gleicht nun verdächƟg Ihrem Argument für die diversen Coronaeinschränkungen. Ohne Schulsozialarbeit, so sagen Sie, wäre alles noch viel schlimmer.
Das kann ja sein, das kann aber auch nicht sein. Diese Annahme lässt sich nämlich nicht beweisen. Die Schulsozialarbeit wurde ohne harte Be-
Das ESF-Programm „Schulerfolg sichern“ hat die Schulen dazu verleitet, nach dem Prinzip „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“ erst einmal Förderung zu beanspruchen. Brüssel zahlt ja und „Schulerfolg sichern“ klingt gut und vielversprechend. So wurde vielerorts überhaupt erst eine Nachfrage nach Schulsozial- arbeit geweckt.
Als man noch keine Schulsozialarbeit kannte, hat man nichts vermisst. Jetzt aber meint man, ohne Schulsozialarbeit nicht mehr auskommen zu können. Das ESF-Programm „Schulerfolg sichern“ hat Abhängigkeiten erzeugt, die vorher nicht da waren, und ich habe den Verdacht, dass hinter diesem Wahnsinn Methode steckt, dass also die EU mit Vorsatz so ihre diversen poliƟschen Agenden durchsetzt,
indem zuerst mit viel Fördergeld etwas angeboten wird, in der Hoffnung, dass mit dem Angebot die Nachfrage entsteht und dass das, was man durchsetzen will, schließlich von unten gefördert wird.
Das Prinzip „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“ sollte eben keine Maxime für gute PoliƟk sein. Angesichts der Tatsache, dass auch und gerade EU-Gelder letztlich unsere Steuergelder sind, sollte für nichts, was nicht unbedingt benöƟgt wird, irgendeine Förderung beansprucht werden, dies umso mehr, als die EU für jeden Euro, den sie uns großzügig ausreicht, zuvor 2 € aus unserem Säckel geholt hat.
Nun aber ist das Kind in den Brunnen gefallen, wie man sagt. Die Fehlentwicklung ist eingetreten. Viele Schulen im Land glauben, ohne