Protokoll der Sitzung vom 18.05.2022

Jetzt frage ich sicherheitshalber ein anderes Koalitionsmitglied, nämlich die SPD, sprich Holger Hövelmann, ob er - erstens - etwas davon weiß und ob das - zweitens - so richtig ist.

(Guido Kosmehl, FDP: Ja und ja!)

Beides stimmt.

Herr Hövelmann, bitte.

Beides stimmt, weil es mit dem zusammenhängt, was ich zum Schluss gesagt habe: Es bleibt bei den maximal vier verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr. Und wir wollen - das ist das, was wir im Gesetzgebungsverfahren in den Ausschussberatungen auf den Weg bringen wollen; darauf haben wir uns mit den Koalitionsfraktionen verständigt -, dass für die nächsten zwei Jahre

(Siegfried Borgwardt, CDU: Nur für zwei Jahre!)

- nur für diese zwei Jahre - pro Jahr maximal zwei zusätzliche Sonntagsöffnungen möglich sind, um das zu erfüllen, was ich eingangs gesagt habe, nämlich die pandemiebedingten Folgen etwas auszugleichen oder zu helfen, diese auszugleichen. Ob das am Ende gelingt, entscheiden ja auch die Gemeinde und die Attraktivität vor Ort. - Also zweimal Ja, Herr Gallert.

Vielen Dank, Herr Hövelmann. - Jetzt kommt Herr Gallert selbst ans Rednerpult. - Herr Gallert, bitte.

(Ulrich Thomas, CDU: Er hat doch schon alles gesagt! - Lachen bei der CDU)

Ich musste sicherheitshalber noch einmal nachfragen,

(Unruhe)

weil ich vor der FDP rede. Deswegen.

(Lachen)

Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um das ganz klar zu sagen: Wir lehnen auch eine Überweisung dieses Gesetzentwurfs ab, weil er einfach überflüssig ist. An der Stelle, an der er wirklich etwas ändern kann, ändert er es zum Schaden der Beschäftigten. Deswegen lehnen wir ihn ab.

Erstens. Noch einmal die Frage: Wollen wir einen neuen, besonderen Anlass? Wollen wir die Belebung von Innenstädten, von Ortsteilen durch Sonntagsöffnungszeiten als entsprechenden Anlass einführen? Ich meine, ich muss nicht viel dazu argumentieren. Holger Hövelmann hat selbst gesagt, dass es eigentlich ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist,

(Siegfried Borgwardt, CDU: Hat er das ge- sagt?)

dass man durch Sonntagsöffnungszeiten etwas beleben kann, was man ansonsten nicht beleben kann.

Zweitens. Natürlich ist dieser Gesetzentwurf die Blaupause für das, was jetzt passieren wird, nämlich eine permanente Debatte darüber, dass man mehr Sonntagsöffnungszeiten realisieren will. Dafür hat man jetzt die Begründung: Weil wir wegen Corona einen besonderen Nachholbedarf haben, will man das für die nächsten zwei Jahre machen. Ich bin schon

gespannt auf die Begründung in zwei Jahren, warum man das dann wieder ausweiten will, möglicherweise auf acht Sonntage.

Deswegen sage ich noch einmal ganz deutlich: Im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, im Interesse der Familienfreundlichkeit, die einfach Rhythmus braucht, sind wir ausdrücklich gegen den Gesetzentwurf und gegen die Ausweitung der Sonntagsöffnungszeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und dabei bleiben wir auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt noch einmal zu der Debatte, wir müssten dem Einzelhandel helfen, weil er durch den Onlinehandel stark gebeutelt ist. Natürlich ist er das. Das ist zweifellos richtig. Aber zu glauben, dass wir mit zwei weiteren Sonntagsöffnungszeiten wirklich Leute vom Onlinehandel weg und wieder in die Einzelhandelsgeschäfte bekommen, wenn sie dies von Montag bis Sonnabend und auch an den vier anderen Sonntagen, die ohnehin erlaubt sind, nicht tun, dass es an den zwei zusätzlichen Sonntagen einen wirklichen Run weg vom Onlinehandel zum Einzelhandel gibt, das ist eine ganz mutige These, für die es überhaupt keinen Beleg gibt.

(Lars-Jörn Zimmer, CDU: Wenn man es nicht macht, gibt es keinen Beleg! Meine Güte!)

Jeder hat im Übrigen in seiner Familie einen expliziten Onlineeinkäufer. Ich habe zwei davon. Das, was sie im Onlinehandel machen, machen sie auch am fünften und am sechsten Sonntag nicht im Einzelhandelsgeschäft. Des- wegen wird es dort keinen Ausgleich geben.

Dann gibt es noch ein anderes Problem, dar- auf geht niemand ein. Natürlich gibt es dann

einen gewissen Druck auf alle Einzelhändler, länger zu öffnen, an zusätzlichen Tagen zu öffnen. Dadurch werden die flexiblen Kosten natürlich steigen. Der normale Einzelhändler muss einen Sonntag mehr im Geschäft stehen. Der andere, der einen Angestellten hat, muss dafür noch mehr Personalkosten aufbringen. Ob das am Jahresende wirklich einen höheren Umsatz bringt, ist außerordentlich fraglich.

Vor allen Dingen in einer Zeit - darüber diskutieren wir hier seit Wochen -, in der wir es mit einem realen Kaufkraftverlust aufgrund der Energiepreise zu tun haben. Gerade dann zu sagen: noch mehr Öffnungszeiten, noch mehr flexible Kosten für die Einzelhändler, das bringt mehr Umsatz - das ist doch eine Luftbuchung. Deswegen lehnen wir das ab. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, es gibt eine Frage von Herrn Kosmehl. Lassen Sie die zu?

Aber sicher doch.

Das verlängert die Redezeit.

Erst einmal seine.

Verehrter Herr Kollege Gallert, ich würde Ihnen gern eine etwas überspitzte Frage stellen, weil Sie den Schutz der Beschäftigten ganz besonders hervorgehoben haben. Wäre es aus Ihrer Sicht zum Schutz der Beschäftigten dann nicht sinnvoller, dass wir überhaupt keine Ladenöffnungen mehr machen,

(Ulrich Thomas, CDU, lacht - Zustimmung von Lars-Jörn Zimmer, CDU)

damit es keine Beschäftigung mehr gibt, damit die Beschäftigten geschützt werden?

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist intellek- tuell unterirdisch!)

Herr Gallert.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist selbst für die FDP zu platt!)

Na ja, ich würde für diese Frage nicht das Attribut überspitzt wählen. Ich halte aus Höflichkeit das Attribut zurück, was mir zu dieser Frage jetzt einfällt,

(Sebastian Striegel, GRÜNE, lacht)

weil ich natürlich die Würde des Hauses wahren möchte.

Das ist schön.

Ich sage es einmal so, Herr Kosmehl: Natürlich kann man sich in einer Gesellschaft darauf verständigen - möglicherweise ist das bei der FDP sogar mehrheitsfähig -, Regeln an sich aufzuheben und zu sagen: so viel wie möglich, so lang wie möglich auf, das bringt mehr Arbeit, das bringt mehr Erfolg für die Leute.

Dazu sage ich jetzt einmal - dabei bin ich als Sozialist trotzdem ein sehr wertkonservativer Mensch -, ich glaube, es braucht für Familien, es braucht für eine Gesellschaft einen gesellschaftlichen Rhythmus, und für diesen gesellschaftlichen Rhythmus braucht es auch einmal einen freien Tag in der Woche.

Nun wissen wir, es trifft nicht auf jeden zu, weil wir natürlich die Ärzte haben usw. - das ist doch klar -, aber diesen gesellschaftlichen Rhythmus so weit wie möglich beizubehalten, wobei es völlig egal ist, ob ich in eine Kirche gehe oder nicht, ich finde, das ist ein gesellschaftlicher Wert. Den darf man nicht so wegwerfen. Deswegen sind wir gegen das Gesetz. - Danke.

Vielen Dank, Herr Gallert. - Es folgt jetzt Herr Silbersack für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, dass hier Dinge infrage gestellt werden. Aber gut, das nehme ich zur Kenntnis.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Ja!)

Herr Gallert, die Realität sieht etwas anders aus. Wenn Sie sich einmal in die Innenstädte bewegen - es kann Quedlinburg sein, es kann aber auch Havelberg sein -, dann werden Sie feststellen, dass Händler, Kulturschaffende oder Keramiker dafür dankbar sind, dass es Märkte gibt, dass man zusammenkommen kann, dass sich die Menschen treffen können und dass die Initiatoren, eben auch Kunst- und Kulturschaffende, dafür dankbar sind, wenn eine gewisse Lebendigkeit in den Innenstädten vorhanden ist.

Wenn ich das von Ihnen höre, dann habe ich den Eindruck, entweder gehen Sie nicht in Innenstädte oder Sie verschließen die Augen davor.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)