Der schulformspezifische Lehrkräftemangel und die daraus resultierende Einschränkung des Bildungsangebotes an unseren Schulen führen zu massiven Gerechtigkeitsproblemen, zu Unterschieden zwischen den Jugendlichen, die den noch relativ gut ausgestatteten gymnasialen Bildungsgang absolvieren, und den Jugendlichen, die alle anderen Bildungsgänge, einschließlich der Förderschulen, besuchen. Der größte Teil unserer Jugendlichen - das sind fast zwei Drittel - wird so in seiner Entwicklung massiv benachteiligt und im Schulsystem abgehängt.
Bereits im laufenden Schuljahr betrug der Unterschied in der Unterrichtsversorgung zwischen den Gymnasien und den Sekundarschulen offiziell elf Prozentpunkte, von 98 % bei den Gymnasien bis zu den dürftigen 89 % bei den Sekundarschulen. Doch das ist nur die geschönte Bilanz des Bildungsministeriums. Blendet man die mehrfach durchgeführten bedarfsmindernden Maßnahmen an den Sekundar-
und Gemeinschaftsschulen aus, dann liegt die Unterrichtsversorgung in diesen beiden Schulformen bereits deutlich unter 80 % und wird im kommenden Schuljahr real auf unter 75 % sinken.
In den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen lernen heute z. B. fast 7 000 Schülerinnen mehr als noch im Schuljahr 2013/2014. Dafür sind eigentlich mehr als 500 zusätzliche Lehrkräfte erforderlich. Tatsächlich ist der Lehrkräftebestand in diesen acht Jahren aber um mehr als 500 Lehrkräfte gesunken. An den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen fehlen also mindestens 1 000 Lehrkräfte, um wieder so wie im Schuljahr 2013/2014 unterrichten zu können.
Diese Entwicklung führt inzwischen dazu, dass immer mehr Schulen der Sekundarstufe I nicht mehr in der Lage sind, den Stundenplan mit eigenen Lehrkräften abzusichern. Inzwischen wird offenbar nicht mehr nur über 80-plus-10Unterrichtsmodelle diskutiert, sondern mit Schulleitungen auch über die Planung von VierTage-Unterrichtswochen beraten. Es gibt bereits Schulen, in denen an ganzen Schultagen kein Unterricht organisiert werden kann. Noch sind das einzelne Schulen; bis zum Ende der Wahlperiode wird es aber die gesamte Sekundarstufe I betreffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann wird es außerhalb der Gymnasien keine Fünf-TageUnterrichtswochen mehr geben, und zwar bis weit in die 2030er-Jahre hinein. Deshalb muss jetzt mehr unternommen werden, um das Bildungsangebot in den Schulen der Sekundarstufe I wieder zu vervollständigen. Dabei wird es notwendig sein, auch auf private Unterrichtsangebote zurückzugreifen. Denn selbst bei extensiver Einstellung von Seiteneinsteigern gibt es in den nächsten zehn bis 15 Jahren
wegen der ungenügenden Ausbildung keine Chance, genügend staatliche Lehrkräfte für diese Schulformen zu finden.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sich einige beim Lesen unseres Antrags etwas verwundert die Augen gerieben haben: DIE LINKE fordert die Öffnung der öffentlichen Schulen für private Unterrichtsangebote. - Das ist schon ungewöhnlich,
Ich appelliere daher an die Koalitionsfraktionen, bei diesem Antrag nicht gewohnheitsmäßig mit uns zu streiten, sondern gemeinsam anzupacken, um den Niedergang in den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen aufzuhalten.
Unser Antrag orientiert dabei vor allem auf die Angebote privater Bildungsträger für einen guten berufspraktischen Unterricht.
Diese sind in den letzten Jahren bereits entwickelt worden und sind inzwischen erprobt und ausgereift. Beispiele dafür sind etwa das Projekt „Pink!“ der Berufsakademie in Leuna oder das Projekt „Tabeo“ des Bildungszentrums für Beruf und Wirtschaft in Wittenberg.
Dieser berufspraktische Unterricht soll flächendeckend für die 8. und 9. Klassen aller Schulen der Sekundarstufe I im Umfang von einem ganzen Unterrichtstag pro Woche organisiert werden. Er unterscheidet sich grundlegend von
dem aktuellen BRAFO-Angebot und von den Betriebspraktika. Betriebspraktika und BRAFO sollen dabei nicht wegfallen, sondern als etablierte Formen der Berufsorientierung in den berufspraktischen Unterricht integriert werden.
Ein qualitativ hochwertiger und vielseitiger berufspraktischer Unterricht, der an der konkreten wirtschaftlichen Struktur der Region ausgerichtet wird, ist nach unserer Überzeugung am besten dafür geeignet, das Unterrichtsangebot an den Schulen der Sekundarstufe I wieder zu ergänzen und durch eine gute Berufsorientierung und Berufsvorbereitung den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler insgesamt zu verbessern.
Es müssen deshalb jetzt zügig die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass allen Jugendlichen aus den Schulen der Sekundarstufe I ein solcher berufspraktischer Unterricht angeboten werden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist der einzige Weg, um aus der Not des Lehrkräftemangels tatsächlich eine Chance für unsere Jugendlichen zu machen. Diese Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der CDU und der SPD, sind Sie unseren Jugendlichen schuldig.
Denn die Löcher in den Stundentafeln, die jetzt immer weiter aufreißen, sind allein die Folge Ihrer Personalpolitik in den letzten 15 Jahren.
Da aber auch durch berufspraktischen Unterricht der Ausfall ganzer Fächer nicht kompensiert werden kann, haben wir unseren Antrag etwas weiter gefasst. Wenn z. B. Träger der
Erwachsenenbildung, wie etwa die Volkshochschulen, in der Lage sind, mit ihrem Fachpersonal den regulären Fachunterricht abzusichern, der sonst wegen des Mangels an staatlichen Lehrkräften nicht stattfinden kann, dann muss das künftig möglich sein.
Es geht jedenfalls nicht, dass sich die Schulbehörden nach den Einstellungsrunden zurücklehnen und die Hände heben, wenn noch immer riesige Defizite im Unterrichtsangebot bestehen. Es geht auch nicht, dass der Finanzminister Personalkosten im dreistelligen Millionenbereich zusammenstreicht, die für die Schulbildung zur Verfügung stehen müssen. Die gekürzten Personalmittel für die staatlichen Lehrkräfte müssen im Jahr 2023 wieder in den Haushalt eingestellt werden, und zwar so, dass auch Unterricht durch private Bildungsträger bezahlt werden kann.
Genau jetzt ist die Zeit zum Handeln. Viele Gespräche in den letzten Monaten haben gezeigt, dass es ein großes Interesse bei den Schulen, beim Handwerk und bei der Industrie gibt. Und es gibt große Potenziale bei den Bildungsträgern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie diese Initiative deshalb ernst und lassen Sie die Jugendlichen, die nicht an den Gymnasien lernen, nicht weiter im Regen stehen. - Vielen Dank.
Ich habe keine Fragesteller gesehen. - Des- wegen können wir jetzt in die Dreiminutendebatte einsteigen. Als Erste spricht für die
Danke. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die Unterrichtsversorgung an unseren Schulen angespannt ist und alles unternommen werden muss und auch wird, um diese zu verbessern, das steht, glaube ich, für jeden hier außer Frage.
Über die diesbezüglich unternommenen Maßnahmen und Anstrengungen informiere ich aus meiner Sicht nicht nur im Ausschuss, sondern auch hier im Plenum regelmäßig. Der nunmehr unterbreitete Vorschlag, private Unterrichtsangebote zu organisieren und zu finanzieren, ist allerdings im Grunde bereits gelebte Praxis an unseren Schulen. Lassen Sie mich das an wenigen Beispielen kurz illustrieren. In diesen Fällen verwalten Schulen Budgets eigenverantwortlich, sie wirtschaften mit zugewiesenen Haushaltsmitteln und binden externe Partner vertraglich, meist Einzelpersonen oder Vereine, manchmal aber auch private Bildungsanbieter. Im Rahmen des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona“ wurden allen Schulen Bundes- und Landesmittel bereitgestellt, die dafür genutzt werden, Lernrückstände, z. B. in Kernfächern und darüber hinaus, aufzuholen.
Gebunden werden Studierende, pensionierte Lehrer und auch Schüler, die für jüngere Jahrgänge Nachhilfe anbieten. Einige Schulen setzen bewusst auf langfristige Kooperationen mit privaten Bildungsträgern. Insbesondere im Onlinebereich entwickelt sich ein spannender Markt für Bildungsangebote. Private Anbieter werden dabei immer vielfältiger, professioneller und versprechen, auf die individuellen
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass wir über das Coronaaufholprogramm auch Kooperationsvereinbarungen mit den Volkshochschulen, dem Verband der Erwachsenenbildung und dem Jugendherbergsverband abgeschlossen haben. Erfreulicherweise haben sich fast alle Volkshochschulen im Land und darüber hinaus weitere nach dem Erwachsenenbildungsgesetz anerkannte Einrichtungen der Erwachsenenbildung in freier Trägerschaft bereit erklärt, entsprechende Förderangebote in ihren Regionen anzubieten. Dabei ist mit dem Auslaufen des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ kein Ende der Maßnahmen auf der Landesebene verbunden. Mit dem Sondervermögen „Corona“ stehen dem Ministerium für Bildung bis einschließlich 2027 Mittel für weitere Maßnahmen zum Aufholen von Lernrückständen zur Verfügung. Dafür möchte ich dem Parlament meinen ausdrücklichen Dank zukommen lassen.
Ein zweites Beispiel für die Bindung weiterer Bildungsträger oder externer Partner ist die Ganztagsschule. Seit Jahren binden Schulen über das eigenverantwortliche Wirtschaften mit Budgets private Bildungsträger, Vereine, Initiativen oder Privatpersonen und gestalten so eine vielfältige Ganztagsbeschulung. Es werden Arbeitsgemeinschaften organisiert, Workshops für Schülerinnen und Schüler angeboten oder Fortbildungen für Lehrkräfte.
Als weiteres Beispiel können auch die Praxislerntage genannt werden. Ich weiß gar nicht, was Sie sich vorgestellt haben. Das von Ihnen
- Doch. Ich habe sehr gut zugehört. - Das Bildungsministerium führt noch bis zum Ende des Schuljahres 2025/2026 das Modellprojekt „Duales Lernen in Form von Praxislerntagen“ mit Schülerinnen und Schülern des 8. und 9. Schuljahrgangs durch. Während der Praxislerntage werden allgemeinbildende, fächerverbindende und fächerübergreifende Unterrichtsinhalte und die praktische Tätigkeit in einem von der Schülerin oder dem Schüler selbst ausgewählten Betrieb, einem Unternehmen, einer berufsbildenden Schule im Bereich des fachpraktischen Unterrichts, einer sozialen oder anderen Einrichtung, also den Praxislernorten, miteinander verbunden.
Verehrte Anwesende! Der qualitative Unterschied des Antrages der Fraktion DIE LINKE besteht in der Forderung nach der Einstellung von Vertretungslehrkräften durch die Schulen auf der Basis von Honorarverträgen. Dieses Instrument soll auch den Kernunterricht, also den Unterricht nach Stundentafel, kompensieren und das Budget der Personalkosten, welches durch die Nichtbesetzung von Lehrstellen theoretisch ungebunden ist, an Schulen weiterreichen.
Zuallererst, Herr Lippmann: Es fällt mittlerweile auf, dass Sie schamlos aus dem Koalitionsvertrag der Regierungskoalition abschreiben.
(Zustimmung bei der CDU - Hendrik Lange, DIE LINKE: Ach, du meine Güte! - Thomas Lip- pmann, DIE LINKE: Dickes Elend!)
Wir haben auf der Seite 47 des Koalitionsvertrages bewusst das Ziel festgehalten, Schulen und Schulleitungen vor Ort mehr Flexibilität zu geben, um den Unterrichtsausfall zu minimieren. Ich sehe hierin auch Chancen für die Eigenständigkeit von Schule und auch in Bezug auf die Schärfung des Schulprofils.
Es sind jedoch noch einige rechtliche und haushalterische Fragen zu klären. Ich habe den Ausschuss vor Kurzem darüber informiert, dass ein direkter Einsatz von Vertretungslehrkräften im Unterricht auf Honorarbasis schul-, arbeits- und sozialrechtlich derzeit nicht möglich ist. Laut Schulgesetz müssen Lehrkräfte generell in einem unmittelbaren Dienstverhältnis zum Land stehen. Bei Honorarverträgen, so sagt es auch die einschlägige Rechtsprechung, sehen wir die Weisungsbefugnis und auch das Vertrauensverhältnis zwischen Schulleitung und Honorarkraft stark gefährdet.
Auch die Interventionsfähigkeit der Schulaufsicht ist diesbezüglich ungeklärt. Darüber hin- aus muss die haushalterische Umsetzung, d. h. die Budgetierung des nicht abgeflossenen Personalbudgets an den Schulen, geklärt werden.
Frau Ministerin, Sie haben die Redezeit bereits verdoppelt. Jetzt müssten Sie langsam zum Ende kommen.