Protokoll der Sitzung vom 07.09.2022

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschlussempfehlung liegt Ihnen in der Drs. 8/1558 vor. Ich bitte Sie im Namen des Ausschusses für Bildung um Ihre Zustimmung.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Stehli. Ich sehe keine Fragen oder Interventionen. - Angesichts des Umstandes, dass Sie den Beratungsgang sehr detailliert geschildert haben, haben mir die Parlamentarischen Geschäftsführer mitgeteilt, dass abweichend von der Tagesordnung keine Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt stattfinden soll. Deswegen - ich verharre ein wenig und sehe keinen Widerspruch - können wir jetzt zum Abstimmungsverfahren schreiten.

Abstimmung

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses in der Drs. 8/1558 zustimmt, den bitte ich jetzt um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Wer ist dagegen? - Das ist die AfDFraktion. Damit ist die Beschlussempfehlung beschlossen worden und der Tagesordnungspunkt 18 erledigt.

Wie angekündigt, kommen wir jetzt zum Tagesordnungspunkt 26, der eigentlich für die morgige Sitzung vorgesehen war, aber nunmehr

gemeinsam mit dem Tagesordnungspunkt 27 in der heutigen Sitzung behandelt wird. Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 26

Erste Beratung

Tafeln als sozialpolitische Akutversorgung stärken

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1563

Diesen Antrag wird Frau Sziborra-Seidlitz einbringen. - Frau Sziborra-Seidlitz, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn es einen deutlichen Armutsindikator gibt, dann ist es die steigende Zahl der Tafeln in Deutschland.

(Tobias Rausch, AfD: Das stimmt!)

Deren Anzahl wächst seit Jahren kontinuierlich von etwa 330 Tafeln im Jahr 2003 auf aktuell mehr als 940 Tafeln bundesweit. In allen anderen Bereichen wäre ein solches Wachstum eine Erfolgsgeschichte. Bei den Tafeln hat dieses Wachstum einen bitteren Beigeschmack; denn wenn die Zahl der Tafeln seit Jahren derart steigt, dann zeigt sich damit nicht nur das Engagement der Leute vor Ort, sondern auch der Bedarf. Es zeigt sich ganz offensichtlich eine zunehmende Prekarisierung, eine Verschärfung von Armutslagen in unserer Gesellschaft.

In Zeiten einer hohen Inflation und einer großen Zahl von Menschen, die aufgrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nach Deutschland kommen, verschärft sich dieser Langzeittrend. Entsprechend schießt die Zahl der Kundinnen und Kunden der Tafeln aktuell durch die Decke.

Nach Informationen des Dachverbandes Tafeln Deutschland e. V. ist die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer seit Anfang dieses Jahres um 50 % gestiegen. Damit nutzen aktuell mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland dieses Angebot der zusätzlichen Lebensmittelabgabe.

Dieser Zuwachs hat drastische Folgen. 32 % der Tafeln in Deutschland mussten bereits einen Aufnahmestopp einführen. 62 % verteilen kleinere Mengen Lebensmittelspenden an ihre Kunden. Kund*innen bekommen „ihre Tüten“ nur noch in größeren Zeitabständen. Gleichzeitig gehen überall, auch in Sachsen-Anhalt, die Lebensmittelspenden zurück. Im besten Fall rührt es daher, dass die Supermärkte und Restaurants mittlerweile genauer planen und kalkulieren, um Überschüsse zu minimieren. Dies zu erreichen, war und ist das Hauptziel der Tafeln, nämlich der Stopp von Lebensmittelverschwendung und der bewusste Umgang mit Ressourcen.

Aktuell bringt der Rückgang der Spenden die Tafeln noch weiter in Bedrängnis. Diese Bedrängnis wird noch gesteigert, weil die Inflation die Tafeln natürlich auch direkt trifft. Die Kühlung der Lebensmittel z. B. ist stromintensiv und damit zurzeit ein Kostentreiber. An dieser Stelle wollen wir als GRÜNE ansetzen und den Tafeln durch einen Landesfonds unter die Arme greifen, damit sie ihre wertvolle Arbeit weiterführen können und nicht in eine finanzielle Schieflage geraten.

Mir ist bewusst, dass das soziale Angebot der Tafeln hochgradig ambivalent ist, indem sie den Staat vermeintlich aus der Verantwortung nehmen, Armut zu beseitigen, indem Menschen mittels Bedarfsprüfung als Arme gekennzeichnet werden - nicht umsonst ist der Gang zur Tafel für viele mit Scham verbunden -, indem dort eine Form der Mildtätigkeit wirkt, die sich zwar auf eine lange Tradition, z. B. der christlichen Armenspeisung, beziehen kann, aber eben auch Asymmetrie schafft.

Im modernen Sozialstaat sind Ansprüche auf Teilhabe verbriefte Rechte jedes Bürgers und jeder Bürgerin. Bei den Angeboten der Tafeln ist man immer auf den guten Willen des Gegenübers angewiesen. Einklagbare Rechte wie gegenüber dem Staat hat der Klient, der Kunde, gegenüber der Tafel nicht. Das ist bei einem solchen zusätzlichen Angebot weder angemessen, noch sollten wir uns das wünschen. Aber gerade in Zeiten großer Bedrängnis und größeren Andrangs ist das für viele Kundinnen und Kunden schwer zu verstehen. Das führt dann zu zusätzlichem Druck für die Mitarbeitenden der Tafeln.

Der überwiegend freiwillige Einsatz der Engagierten bei den Tafeln ist gerade deshalb und trotz dieses Zwiespalts gesellschaftlich wertvoll, hoch anzurechnen. Ihnen gebührt großer Dank, mildern sie doch Armutslagen, eröffnen soziale Kontakträume und praktizieren ganz direkt Mitmenschlichkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus richten sich die Tafeln eben auch gegen einen Lebensstil der Verschwendung und des Überflusses. Lebensmittelverschwendung und das tonnenweise Wegschmeißen von Nahrung waren und sind immer dekadent. Aktuell ist es angesichts der Weltlage geradezu obszön. Deshalb sind die

Tafeln auch in ihrem Hauptzweck als Akteure und Lobbyisten gegen Lebensmittelverschwendung absolut wertvoll und zu unterstützen.

Daher ist es ganz ausdrücklich nicht Ziel des Antrages und auch nicht der Wunsch der Tafeln, mit Landesmitteln Lebensmittel zu kaufen, um diese zu verteilen. Das ist nicht nur nach der Satzung der Tafeln nur in absoluten Ausnahmefällen möglich, dies wäre dann auch wirklich ein Rückfall in Zeiten der staatlich finanzierten Armenspeisung.

Wir fordern die Landesregierung stattdessen auf, die Tafeln im Bereich der Sachkosten, insbesondere der Energiekosten zu unterstützen, damit sie ihre auf allen Ebenen wichtige Arbeit fortführen können.

Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen, um an alle Unternehmen im Land zu appellieren: Bitte spenden Sie überschüssige Lebensmittel an die Tafeln. Dort werden sie dringend gebraucht.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)

Werfen Sie sie nicht weg. Verfüttern Sie sie nicht an Tiere, spenden Sie bitte an die Tafeln. Damit können die Tafeln kurzfristig aktuelle Notlagen mildern. Langfristig und als nachhaltige Maßnahmen gegen Armut braucht es natürlich andere Antworten - Antworten, an denen die neue Bundesregierung arbeitet. Das Bürgergeld und die Kindergrundsicherung z. B. können und sollen Armut verhindern; damit sind die Tafeln für Bedürftige im besten Falle nicht mehr notwendig.

Als Projekte zur Verhinderung von Lebensmittelverschwendung ohne dezidierten Hinweis auf Armut werden sie aber auch in einem teilhabesichernden Sozialstaat sinnvoll

und wertvoll sein. Das sehen wir z. B. bei Initiativen wie „Lebensmittel retten Magdeburg“ oder auch Projekten wie die kostenfreie „Ada-Kantine“ in Frankfurt-Bockenheim als Restaurant für alle, in dem jeder Mann und jede Frau kostenlose Mahlzeiten serviert bekommen.

Restaurants für alle gibt es übrigens auch schon heute bei den Tafeln auch in Sachsen- Anhalt, z. B. das „Restaurant mit Herz“ in Quedlinburg. Lassen Sie sich die Chance nicht entgehen und probieren Sie ruhig auch als Abgeordnete einmal diese Orte der Lebensmittelrettung und des sozialen Miteinanders jenseits von Stigmata und zu einem sehr geringen Preis aus.

Die Tafeln allein in dieser Funktion sind zugegebenermaßen noch Zukunftsmusik. Aktuell sind sie auch als Unterstützung bei sozialen Härten noch dringend notwendig. Lassen Sie uns als Land also das unsrige tun, um die Arbeit der Tafeln in dieser Notwendigkeit, aber auch grundsätzlich zu unterstützen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Sziborra-Seidlitz. - Für die Landesregierung wird Ministerin Frau GrimmBenne sprechen. - Frau Grimm-Benne, Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Tafeln in Sachsen-Anhalt bieten mit ihren Angeboten vielfach Hilfen in

schwierigen Lebenslagen an, die von vielen Menschen sehr dankbar aufgegriffen werden.

Gleichzeitig ist ihre Arbeit ein Plädoyer für Nachhaltigkeit; denn sie setzen ein Zeichen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Und nicht zuletzt engagieren sich landesweit viele Hundert ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bei den Tafeln und stärken damit das Ehrenamt insgesamt.

Ich selbst werde am kommenden Sonntag in Quedlinburg sein, wo das 25-jährige Jubiläum begangen wird. Dort werden auch wieder Ehrenamtliche, die sich schon seit Jahrzehnten bei den Tafeln tätig sind, ausgezeichnet.

Kurzum, die Tafeln bereichern das Miteinander in Sachsen-Anhalt. Ihre Arbeit wird deshalb aus verschiedenen Quellen, meist durch großzügige Spenden, unterstützt. Auch das Land hat sich mittlerweile entschlossen, einen maßgeblichen Beitrag zu leisten, und unterstützt mit der Förderung das Zentrallager der Tafeln Sachsen-Anhalt e. V. in Hohenerxleben.

Die soziale Verantwortung des Landes und der sozialstaatliche Auftrag Deutschlands weisen aber über wohltätige Spenden hinaus. Unsere Regelsysteme müssen vielmehr für alle und flächendeckend sicherstellen, dass ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet wird. Dazu gehört z. B. auch, sich angemessen mit Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs versorgen zu können.

Dort, meine Damen und Herren Abgeordnete, liegt der Schwerpunkt der gemeinsamen sozialpolitischen Verantwortung. Wir müssen zunächst unsere Sozialpolitik so aufstellen, dass es auch ohne flankierende private Hilfen möglich ist, ein menschenwürdiges Existenzminimum an allen Orten zu gewährleisten.

Dies ist in der gegenwärtigen Situation massiv steigender Lebenshaltungskosten eine große Herausforderung, der sich Deutschland mit nunmehr drei großen Maßnahmenpaketen gestellt hat. Der Staat ist bereit und in der Pflicht, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir das gemeinsam leisten können.

Die Tafeln als Angebote des zivilgesellschaftlichen Engagements spielen hierbei an ihren Standorten eine komplementäre Rolle, die jedoch den sozialstaatlichen Kernauftrag weder ersetzen sollen noch ersetzen dürfen. Eine Kompensation zurückgehender Lebensmittelspenden durch staatliche Zuwendungen, bspw. in Form eines Fonds, würde dem sozialstaatlichen Handlungsauftrag nicht entsprechen. Auch der Idee der Rettung von Lebensmitteln vor dem Wegwerfen, die das Selbstverständnis der Tafeln mit prägt, wäre hierdurch nicht zu erreichen.

Ich bin mir sicher und ich weiß, dass wir noch im Sozialausschuss darüber debattieren werden. Ich habe dem, was Frau Sziborra-Seidlitz zu der aktuellen Situation der Tafeln gesagt hat, nichts hinzuzufügen. Sie hat es sehr authentisch dargestellt. Es gehört auch nicht zum Selbstverständnis der Tafeln, dass sie Lebensmittel hinzu kaufen müssen, um die Menschen zu versorgen. Auch daran müssen wir arbeiten. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne. Ich sehe keine Fragen. - Deswegen rufe ich als ersten Debattenredner Herrn Krull ans Mikrofon. - Herr Krull, bitte.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine sehr geehrten Mitglieder des Hohen Hauses! Die Tafeln in Sachsen-Anhalt leisten zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der sozial Schwächeren. Dabei müssen wir uns immer den Grundgedanken der Tafeln in Erinnerung rufen. Der findet sich im Motto der Tafeln prägnant wieder: Lebensmittel retten, Menschen helfen.

Genau darum geht es: qualitativ hochwertige Lebensmittel vor der Vernichtung zu bewahren. Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums bedeutet nicht, dass das Lebensmittel nicht mehr sicher zu konsumieren ist.

Es gibt aber nicht d i e Tafel in Sachsen-Anhalt. Wir finden hier unterschiedliche Organisationsmodelle. Dabei finden wir Tafeln, die zum Teil kommunal getragen sind, wie die Tafel in Magdeburg und von der AQB gGmbH Magdeburg, Ausgabestellen von Tafeln bei der Bahnhofsmission in Halberstadt oder private Initiativen, die mit den Tafeln eng zusammenarbeiten, wie der Verein „TierAnker Magdeburg e. V.“.