Protokoll der Sitzung vom 14.12.2022

Eine niedrige Abgabenlage sowie eine gute Willkommenskultur machen die Attraktivität unseres Landes Sachsen-Anhalt aus. Dafür steht die FDP, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind am Ende des Redebeitrages angelangt. Nunmehr spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Hohmann. - Frau Hohmann, Sie haben das Wort.

Recht schönen Dank. - Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Die heute geführte Aktuelle Debatte ist derzeit richtig und in Anbetracht des Bundeskabinetts-

beschlusses zur Fachkräfteeinwanderung mehr als notwendig. Auf diesem Wege will die Bundesregierung dem Arbeitskräftemangel begegnen, indem es für Menschen aus Nicht-EULändern attraktiver wird, in Deutschland zu arbeiten.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die aktuellen Gegebenheiten und Entwicklungen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Fachkräfte politische Aufmerksamkeit sowie Lösungen benötigen. Doch bevor ich mit meinen Ausführungen fortfahre, möchte ich Ihren Blick auf die Definitionen von Arbeitskräftemangel und Fachkräftemangel lenken. Darüber habe ich mich in Vorbereitung auf meine Rede informiert. Das ist wichtig zu wissen; denn die Begriffe werden immer durcheinander geworfen. Aber was ist nun was?

Bei der Bundeszentrale für politische Bildung habe ich folgende Definition gefunden:

„Von einem Arbeitskräftemangel kann gesprochen werden, wenn Betriebe […] mehr Stellen zu besetzen haben als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Betriebe würden dann bspw. auf Stellenausschreibungen keine oder nur wenige Bewerbungen erhalten. Als Arbeitskräfte werden, unabhängig von ihrer Qualifikation, alle arbeitsfähigen Personen bezeichnet. […] Von einem Fachkräftemangel kann dann gesprochen werden, wenn die Nachfrage nach Fachkräften“

- also nach Personen, die eine anerkannte akademische Ausbildung oder eine anerkannte mindestens zweijährige Berufsausbildung absolviert haben -

„über einen längeren Zeitraum nicht mehr ausreichend gedeckt werden kann.“

Gemäß den Angaben der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur dauerte es im Zeitraum September 2021 bis August 2022 durchschnittlich 140 Tage, bis eine sozialversicherungspflichtige Stelle in Sachsen-Anhalt besetzt werden konnte. Begründet wird dies oftmals mit einem bestehenden Fachkräftemangel, welcher aufgrund des demografischen Wandels besteht.

Aber schauen wir uns die Zahlen genauer an. Die Zahlen zeigen erst einmal einen Arbeitskräftemangel und belegen, dass sich nur wenige Personen auf die Stellenangebote in SachsenAnhalt bewerben. Gemäß der aktuellen Ausgabe des Statistischen Landesamtes leben in Sachsen-Anhalt 867 429 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte - jetzt kommt es -, wobei nur 805 193 Beschäftigte ihren Arbeitsort in Sachsen-Anhalt haben. Mehr als 60 000 Menschen sind zwar sozialversicherungspflichtig beschäftigt, aber arbeiten nicht in Sachsen- Anhalt. Dies lässt vermuten, dass eine hohe Zahl an Arbeitskräften in anderen Bundesländern tätig ist.

Schauen wir uns doch einmal den Bereich der Pflege an. Bundesweit sowie hierzulande wird von einem Fachkräftemangel gesprochen. Studien zeigen, dass aktuell 290 000 Stellen offen sind, und prognostizieren, dass die Zahl auf 1,8 Millionen offene Stellen im Jahr 2035 an- steigen wird.

Doch auch wenn in all diesen Fällen von Arbeitskräfte- sowie Fachkräftemangel gesprochen wird, zeigt die Realität, dass die aktuellen Begriffsverwendungen fehl am Platz sind. So zeigt die Studie „Ich pflege wieder, wenn…“, dass mindestens 300 000 Vollzeitpflegekräfte durch Wiedereinstieg in den Beruf oder durch eine Aufstockung der Arbeitszeit zur Verfügung

stehen würden, wenn die Arbeitsbedingungen in der Pflege sich deutlich verbessern würden.

Des Weiteren zeigt die Untersuchung, dass die Beschäftigungsquote in den Pflegeberufen in den vergangenen fünf Jahren überdurchschnittlich um 14 % gestiegen ist, dass das Gesundheitswesen, das in der Coronapandemie Höchstleistungen erbracht hat, zu den wenigen Branchen in Deutschland gehörte, die nicht von einem Beschäftigungsrückgang betroffen waren.

Demzufolge zeigt sich, dass die oben genannte Zahl an offenen Stellen bundesweit vollständig gedeckt werden könnte, wenn die Arbeitsbedingungen in der beruflichen Pflege verbessert werden, und dass dementsprechend ausreichend Fachkräfte verfügbar sind.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Auch im Jahr 2019 zeigte eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, dass nur bei sieben von 144 Branchen die Zahl der offenen Stellen die Zahl der Arbeitslosen übersteigt.

In Sachsen-Anhalt wird insbesondere ein Arbeitskräftemangel im Handwerk verzeichnet. Die dramatische Situation in einigen Handwerksberufen bestätigt auch unsere Kleine Anfrage im Bundestag. Im Kern zeigt sie jedoch, dass die erfolglose Personalsuche der Unternehmen oftmals ihre Ursache in häufig schlechteren Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen hat, nicht aber in einer unzureichenden Anzahl an Arbeitskräften.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist zu begrüßen, dass der Arbeitsmarkt für Menschen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union geöffnet wird. Diese Öffnung ist richtig und

wichtig, muss aber nach dem Grundsatz „Gute Arbeit für alle“ erfolgen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Deutschland braucht die Zuwanderung, aber wir brauchen keine Konkurrenz und Unterbietung auf dem Arbeitsmarkt. Denn nach dem aktuellen Debattenverlauf wird nur darauf gesetzt, dass Unternehmen möglichst billig und unkompliziert Fachkräfte aus dem Ausland bestellen. Jedoch können die Herausforderungen der Fachkräfteentwicklung nicht durch die weitere Ausbeutung von migrantischen Arbeits- und Fachkräften gelöst werden.

Somit sind also die Ursachen für einen Fachkräftemangel richtig zu benennen, der derzeit lediglich in einer sehr begrenzten Zahl von Branchen anzutreffen ist. Die Bundesregierung unternimmt zu wenig, um dort gezielt für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Auch wenn sich mit dem Bürgergeldgesetz die Weiterbildungsbedingungen für Leistungsbezieherinnen in der Grundsicherung verbessert haben, haben wir schon mit unserem Antrag zum Bürgergeld im Oktober aufgezeigt, wie Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit geholfen werden kann.

Und ja, wir müssen in unsere Schülerinnen und Schüler im Land investieren. Aber unter den aktuellen Gegebenheiten des Lehrerinnenmangels an unseren Schulen ist es mehr als bedenklich, dass 11,6 % unserer Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2021/2022 die Schule ohne Abschluss verlassen haben. Das sind allein im letzten Schuljahr 2 070 Jugendliche, die nun versuchen müssen, ihren Weg ins Leben und den Beruf ohne Schulabschluss über andere Wege, die Frau Ministerin vorhin aufgezeigt hat, zu finden. Das ist - das muss

ich ganz ehrlich sagen - eine Schande für Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn wir beklagen den Fachkräftemangel und lassen es zu, dass mehr als 2 000 Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss in die Welt hinausgehen. Ein erfolgreicher Schulabschluss ist die Voraussetzung dafür, in Sachsen-Anhalt qualifizierte Fachkräfte ausbilden zu können. Auf diesem Weg können wir auch der nächsten Generation an Langzeitarbeitslosen präventiv vorbeugen. Hierzu benötigen unsere Schülerinnen und Schüler unter anderem einen uneingeschränkten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung, und zwar unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was brauchen wir nun, um den aktuellen Problemlagen entgegenzuwirken? - Zu Beginn müssen wir die Rechtslage von der Duldung hin zu einem echten Bleiberecht für Geflüchtete mit Arbeits- und Ausbildungsplatz formulieren und rechtssicher für alle Beteiligten gesetzlich verankern, damit die Einwanderung bzw. Einbürgerung nicht zur Ausbeutung der zugewanderten Fachkräfte führt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen an den Arbeitsbedingungen und am rechtlichen Rahmen arbeiten. Es ist unter anderem erforderlich, unbefristete Arbeitsverträge zur Regel zu machen, Mini- und Midi-Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln und somit den Niedriglohnsektor zurückzubauen und die zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Wochen auf 40 Stunden zu reduzieren

(Guido Kosmehl, FDP, lacht)

und in diesem Kontext ggf. in einigen Bereichen über eine generelle Arbeitszeitverkürzung nachzudenken, um bspw. Frauen und Kinder vor Familien- und/oder Altersarmut zu schützen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kos- mehl, FDP: Bei vollem Lohnausgleich, nicht wahr!)

Zudem müssen wir Sachsen-Anhalt als lebenswertes Bundesland für alle gestalten. Wir brauchen eine funktionierende Sorge- und Sozialstruktur in den Bereichen Bildung, Wohnen und Gesundheit sowie gute Kitas bis hin zu Freizeitangeboten für alle Familienmitglieder.

Auf diesem Weg können wir die Abwanderung von qualifiziertem Fachpersonal vermeiden und die Attraktivität des Standortes SachsenAnhalt für alle potenziellen Arbeitskräfte steigern. Alles andere stellt nur eine Symptombehandlung dar, behebt aber nicht die Ursachen der Problemlagen am Arbeitsmarkt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächster spricht für die CDU-Fraktion Herr Thomas. - Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich in der heutigen Zeit mit Betrieben und Unternehmen aus der Wirtschaft unterhalten, dann werden Ihnen mindestens vier Punkte genannt, die momentan die wunden Stellen sind. Das sind die Krise um

die Energieversorgung und um die Energiepreise, die ausbordende Bürokratie, die Lieferketten und natürlich der Fachkräftemangel.

Ich bin durchaus dankbar dafür, dass wir diese Debatte führen, auch wenn natürlich der Fachkräftemangel heute für kaum jemanden, der sich damit länger beschäftigt hat, überraschend kommt. Das wäre genauso, als wenn ich sagen würde: Huch, jetzt ist Winter und jetzt kommt eine Schneeflocke. Also, der Zustand ist bekannt.

Insofern möchte ich hinzufügen - das gehört zur Ehrlichkeit bei dieser Debatte dazu -, dass es nicht nur um den Fachkräftemangel in der Wirtschaft geht, sondern es gibt auch einen Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung und manchmal auch bei politischen Organisationen, aber das ist ein anderes Thema, meine Damen und Herren.

Wir wollen natürlich versuchen, diesem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, in dem wir Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gewinnen. Ich will das mit zwei Zahlen illustrieren. Wir haben derzeit round about 2,4 Millionen Arbeitssuchende und bieten im Gegenzug ca. 800 000 offene Stellen an. Das heißt, dass wir es bei einem Verhältnis von eins zu drei nicht schaffen, diese offenen Stellen zu besetzen.

Dazu sage ich Ihnen, meine Damen und Herren, das zunächst geplante Bürgergeld war genauso sinnvoll wie die geplante Abschaltung von Atomkraftwerken mitten in der Energiekrise. Es ist gut, dass wir das als CDU in Berlin im Bundesrat verhindert haben. Denn unser Sozialstaat beruht schon darauf, dass wir von Fördern, aber auch Fordern leben.

Das Bürgergeld, wie es zunächst geplant war, ohne Sanktionen und ohne Nachweise war

eben nicht dazu geeignet, dass sich Leute aktiv bemühen, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen. Ich betone dabei, dass ich das nicht pauschalisieren will, aber wir alle kennen persönliche Schicksale, bei denen man das vermuten kann.

Meine Damen und Herren! Wie bekommen wir es hin, diesen Fachkräftemangel zu bekämpfen, oder was kann das Land besser machen? Wir können es beklagen, wie es einige Vorredner getan haben, oder versuchen, Lösungsansätze zu finden. Ich will versuchen, einige davon zu skizzieren.

Der erste Ansatz muss natürlich sein, mit den eigenen Ressourcen eine Lösung zu finden. Damit bin ich bei den jungen Leuten, beim Schulsystem und bei der Bildung. Ich möchte die Qualität der Bildung nicht bewerten, weil die Menschen, die gerade aus der Bildung kommen, die besten Menschen sind, die wir bekommen können. Ich will vielmehr dafür werben, dass wir die frühzeitige Berufsorientierung in den Bildungseinrichtungen deutlich verstärken, damit ein junger Mensch wirklich weiß, wofür er lernt und wohin sein Weg in Zukunft führen soll.

An dieser Stelle sage ich ausdrücklich, dass solche Diskussionen, wie wir sie in den letzten Jahren oft geführt haben, nämlich dass wir mehr Akademiker und mehr studierte Fachkräfte brauchen, nicht hilfreich waren. Wir brauchen Handwerker. Wir brauchen Fachkräfte in der Pflege. Wir brauchen Fachkräfte in den Dienstleistungsbereichen usw. usf.