„Klimaaktivisten werden bisweilen als ‚gefährliche Radikale‘ dargestellt. Aber die wirklich gefährlichen Radikalen sind nicht die Aktivisten, sondern jene Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe erhöhen. Heute in neue fossile Infrastruktur zu investieren, ist moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn.“
Ja, sie begehen Ordnungswidrigkeiten und gegebenenfalls sogar Straftaten. Die Beurteilung der konkreten Handlungen und auch von etwaigen Rechtfertigungsgründen - ich komme später darauf zurück - obliegt dabei den unabhängigen Gerichten, nicht einem Volkstribunal aus „Bild TV“, rabiaten Autofahrern, einzelnen Landtagsfraktionen oder der Innenministerkonferenz.
Die Aktivist*innen laufen nicht weg. Sie geben sich zu erkennen und sie tragen die Folgen ihres Handelns. Sie zeigen damit letztlich Respekt vor der Rechtsordnung und tragen mögliche rechtliche Konsequenzen, und das ganz im Gegensatz zu uns,
die wir die Folgen unseres Ausstoßes von Treibhausgasen einfach auf kommende Generationen verlagern.
Ich will das auch mit Blick auf die Protestaktion der „Letzten Generation“ hier in der Landeshauptstadt Magdeburg am 21. November 2022, also vor knapp vier Wochen, noch einmal aufzeigen, im Übrigen bislang die einzige Aktion als Straßenblockade.
Der Protest wurde vier Tage vorher per Pressemitteilung - die Ministerin hat es gesagt - auch gegenüber der Polizei angekündigt. Insgesamt drei Klimaaktivist*innen gelang es dann am Morgen, sich auf der Bundesstraße 1 auf zwei von drei Fahrspuren festzukleben. Der Verkehr wurde auf diese Weise gestört, jedoch nicht blockiert. Kfz konnten weiterhin passieren; auch für Rettungsdienst und Feuerwehr war ein Durchkommen jederzeit möglich.
Die Polizei war aufgrund der Ankündigung mit einer Vielzahl auch ziviler Kräfte im Vorfeld vor Ort. Die Polizeibeamtinnen und -beamten sicherten den Protest ab und verhinderten das Festkleben von weiteren Aktivist*innen. Die Beamten warteten zunächst auf das Eintreffen des medizinischen Personals, bevor sie die Aktivist*innen ablösten, ihre Identifizierung sicherten, Anzeigen schrieben und letztlich Platzverweise erteilten. Ich habe das Handeln der Polizei als ruhig und professionell erlebt.
Viele der Passant*innen reagierten verärgert und sogar wütend auf den Protest, vereinzelt war auch Zustimmung und Ermunterung für die Aktivist*innen zu hören.
Die Forderungen der „Letzten Generation“ bei dieser Demonstration waren laut Pressemitteilung ein Tempolimit auf den Autobahnen und die Einführung eines 9-€-Tickets.
(Zuruf von Matthias Redlich, CDU Weder die Protestform noch diese inhaltlichen Forderungen heben unser demokratisches Grundgefüge aus den Angeln. Das ist unbeque- mer, ja, ausgesprochen nerviger und stören- der Protest, aber kein Terror, der willkürlich Angst und Schrecken in der Bevölkerung ver- breitet. (Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)
Bei dem Protest der „Letzten Generation“ handelt es sich um eine klassische Form des zivilen Ungehorsams.
Die Aktivist*innen sind mit guter Begründung, wie ich am Anfang meiner Rede deutlich machte, der Ansicht, der Staat tue in Sachen Klimaschutz im Allgemeinen und im Bereich Verkehr im Besonderen nicht genug. Mit ihrer Einschätzung sind sie auch nicht allein. So sprechen sich 93 % der Befragten in Deutschland für einen kostengünstigen ÖPNV und 64 % für ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen aus. 80 % finden, dass nicht genügend Anstrengungen unternommen werden, um die Treibhausgasemissionen durch Verkehr zu reduzieren.
(Zuruf von der AfD: Die sind doch alle ge- framed! - Zurufe von Ministerin Eva Feußner und von der AfD)
Gerade im Bereich der Mobilität braucht es handfeste Taten und konkrete Einsparungen, und zwar schnell. Denn momentan sind wir dort weit davon entfernt, CO2 einzusparen. Wir schaffen es noch nicht einmal, den Ausstoß auf das Niveau der Vorjahre zu begrenzen.
Nach dem geltenden Klimaschutzgesetz müssen Sektoren im Fall des Nichterreichens der Klimaschutzziele in ihrem Bereich konkrete Sofortprogramme zum Erreichen der Ziele aufsetzen. Das gilt eigentlich auch für den Verkehr. Der Expertenrat sah jedoch von einer Prüfung des Sofortprogramms im FDP-geführten Bundesverkehrsministerium ab, da dieses die Anforderungen an ein Sofortprogramm nicht einmal im Ansatz erfüllte.
Hierbei steht der Rechtsbruch, das Nichteinhalten der Klimaziele, im Raum. Es wäre notwendig, dass auch der Bundesverkehrsminister und die FDP endlich Respekt vor der Rechtsordnung zeigen und geeignete Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele im Verkehr umsetzen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Ulrich Sieg- mund, AfD: Sie fahren doch selber mit einem Diesel herum!)
Ob die von der „Letzten Generation“ gewählten Protestformen geeignet sind, darüber darf gestritten werden. Mich überzeugt die Protestform nicht, weil sie kommunikativ am Ziel vorbeiführt
und Menschen aufbringt, ohne sie für das überlebenswichtige Anliegen des Klimaschutzes einnehmen zu können. Ohne Zweifel gelingt es den Aktivist*innen, ihr Thema zu setzen, aber auch diese Debatte hier zeigt: Wir ringen um Positionen zur Protestform, streiten um B-Noten für Aktionismus, während die Klimakrise weiter eskaliert. Gleichzeitig bleibt festzuhalten: Als „Fridays for Future“ mit Millionen Menschen auf die Straße ging, folgte aus diesem Protest kein politisches Handeln, das die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze garantiert hätte.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal die Frage der möglichen Strafbarkeit bei Straßenblockaden der „Letzten Generation“ thematisieren. Festzuhalten ist: Es kommt immer auf den konkreten Sachverhalt an. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist auch in der strafrechtlichen Bewertung zu beachten.
Der Prüfungsmaßstab der Zweck-Mittel-Relation bei der Verwerflichkeit einer Nötigung ist ebenso beachtlich wie das Vorliegen eines ggf. rechtfertigenden Notstandes.
Wahrnehmbar ist, dass auch bei Gerichtsentscheidungen die zunehmende Dringlichkeit des Klimaschutzes mit einer stärkeren staatlichen Verpflichtung zur Beachtung der Klimaschutzziele einhergeht. So entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die zukünftige Wahrnehmung grundrechtlich gesicherter Freiheitsrechte nicht durch heutiges Handeln unterbunden werden darf. Das Amtsgericht Flensburg kam unlängst zu der Auffassung, dass die Besetzung eines Baumes zur Rettung kein Hausfriedensbruch, sondern durch Notstand gerechtfertigt sei. Auch in Berlin wurden Aktivist*innen
freigesprochen, weil sie rechtfertigenden Notstand für ihre Proteste geltend machen konnten. Weitere Entscheidungen, die den Klimaschutz stärken, werden folgen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich kann, wir können den Protest nicht gut finden. Ich halte die Form des Protestes für ungeeignet. Gleichzeitig ist klar: Protest bleibt notwendig, solange diese unsere Gesellschaft sich nicht umfassend auf den Weg zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze macht. Klimaschutzprotest reflexartig und parteipolitisch motiviert in die Ecke des Terrors zu stellen löst kein Problem. Tatsächlicher Klimaschutz wird gebraucht. - Herzlichen Dank.
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Striegel, auch Ihnen würde ich gern diese Frage stellen wollen. Sie haben erklärt, dass aus Ihrer Sicht die Akteure sich im Bereich
des zivilen Ungehorsams bewegen. Gehört für Sie dazu das Begehen von Straftaten? Ist das für Sie ein legitimes Mittel im zivilen Ungehorsam?