Protokoll der Sitzung vom 26.01.2023

wir die Sicherheit und Ordnung in unserem Land gewährleisten wollen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Dann müssten Sie auch für die Fahrradstaffel sein!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Dann sind wir jetzt durch und können abstimmen.

Abstimmung

Uns liegt die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport in der Drs. 8/2128 vor. Wer dafür ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind sehr zögerlich die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Damit ist diese Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen worden und wir haben Tagesordnungspunkt 19 beendet.

Für die Nachspielzeit, die Tagesordnungspunkte 25 und 27, wollten wir eigentlich noch einmal wechseln.

(Zuruf von der CDU: Ziehen Sie durch, Herr Gallert! - Zustimmung bei der CDU)

- Ja, erst fragen sie mich beide und dann kommen sie nicht. - Okay. Dann machen wir jetzt weiter.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 25

Erste Beratung

Reproduktive Selbstbestimmung stärken. Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Sachsen-Anhalt sicherstellen.

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/2139

Einbringenden für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist Frau Sziborra-Seidlitz. - Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 9. März 1972 wurde in der damaligen DDR das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft verabschiedet. Es legte die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen vollständig in die Hände der Schwangeren. In der gleichen Zeit wurde in der Bundesrepublik der § 218 des Strafgesetzbuches unter dem Eindruck der 68er-Bewegung und der „Stern“-Kampagne von 1971 heftig öffentlich diskutiert.

Im März 1972 telefonierten zwei junge Frauen in Medizinberufen und aus christlichem Kontext miteinander. Die eine war aus der DDR in den Westen ausgereist, die andere war dageblieben. Die Dagebliebene, Ärztin in einer staatlichen Klinik, erzählte von ihrem Unbehagen

mit dem neuen Gesetz. Neben ihrer eigenen Werte- und Moralvorstellung, die gegen Abtreibung spreche, befürchtete sie, zukünftig in der Klinik von verantwortungslosen jungen Frauen überrannt zu werden, die Abtreibung nur als eine Spätvariation von Schwangerschaftsverhütung betrachteten.

Ein Jahr später - die Debatte in der Bundesrepublik lief noch immer heiß - wiederholte sich das Telefonat. Die Ärztin in der DDR sagte nun, es seien nicht vor allem die jungen Mädchen und Frauen, die zur Abtreibung in die Klinik kämen, sondern Frauen in den mittleren Jahren, die oft schon Kinder hätten und in schwierigen Situationen steckten.

Sie müssen sich entscheiden zwischen der Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Leben und der gegenüber ihren schon geborenen Kindern. Diese Frauen werden sich, egal wie sie sich entscheiden, immer schuldig fühlen, und zwar entweder gegenüber ihren geborenen Kindern oder gegenüber dem ungeborenen Leben.

Gleichzeitig sind in der Gynäkologie die fieberhaften Komplikationen deutlich weniger geworden. Die unvollständigen, selbst zugefügten Aborte, die in der Klinik vollendet werden mussten, um die Frauen zu retten, was viel zu oft nicht gelungen ist, nahmen ab. Das neue Gesetz hat dabei geholfen, Frauen nicht mehr in diese Situation, in diese Gefahr zu bringen.

Diese christliche Ärztin hat die Durchführung von Abtreibungen durch Medizinerinnen fort- an und bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren als Beitrag zur Frauengesundheit gesehen. Diese Ärztin und die Telefonate gab es wirklich. Ihre Gesprächspartnerin hat mir Anfang dieser Woche davon berichtet.

Meine Damen und Herren! Die Geschichte lehrt uns vor allem eines: Wenn Schwangere eine Schwangerschaft nicht austragen können oder wollen, dann hindert sie nichts daran, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder durchführen zu lassen. Das gilt auch dann, wenn sie keinen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben. Die Geschichte zeigt stattdessen, dass der Mangel an Zugang zu medizinisch durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen vor allem dazu führt, dass die Gesundheit und im schlimmsten Fall das Leben eben dieser Schwangeren gefährdet sind.

Unabhängig davon, wie man persönlich ethisch und moralisch zu Schwangerschaftsabbrüchen steht, der Zugang zu dieser Möglichkeit ist ein Teil der Frauengesundheit, weil es vor Selbstabtreibungen und Kurpfuschern schützt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LIN- KEN und bei der SPD)

Im Schwangerschaftskonfliktgesetz werden die Länder dazu verpflichtet, ein ambulantes und stationäres Angebot zur Vornahme von

Schwangerschaftsabbrüchen sowie die entsprechenden Beratungsangebote sicherzustellen. Das bedeutet, wir haben als Land die Pflicht sicherzustellen, dass alle Schwangeren, die ihre Schwangerschaft beenden müssen oder wollen, in Sachsen-Anhalt den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben, und zwar bei dazu ausgebildeten Ärztinnen in Kliniken und Praxen.

Aber es gibt deutliche Signale, dass wir genau diese Pflicht in Sachsen-Anhalt eben nicht mehr vollumfänglich erfüllen und dass sich die Situation in Zukunft auch weiter verschlechtern wird. Schon jetzt müssen Schwangere in Sachsen-Anhalt teilweise lange Fahrtwege auf sich

nehmen, um Kliniken oder Praxen, die Abbrüche durchführen, oder um Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen für die vorgeschriebene Beratung zu erreichen. Das ist eine schwierige Situation für die Gesundheit der Schwangeren in Sachsen-Anhalt, die aus verschiedenen Gründen die Schwangerschaft beenden müssen oder wollen.

Denn wo es hinführt, wenn ungewollt Schwangere keinen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben, das sehen wir in unserem Nachbarland Polen. In diesem Land sterben Schwangere nach selbst durchgeführten Abbrüchen oder sogar direkt an den Komplikationen einer medizinisch kritischen Schwangerschaft. Denn Ärztinnen ist es dort verboten, diese Schwangeren so zu versorgen, wie sie es brauchen, weil eine rechtspopulistische Regierung dies per Gesetz verboten hat.

Und auch in einigen Bundesstaaten der USA gibt es nach der Aufhebung des Urteils „Roe versus Wade“ durch den Supreme Court im letzten Jahr eine ähnliche Situation.

Nun ist die Lage in Sachsen-Anhalt selbstverständlich nicht so wie in Polen oder wie in den USA. Denn zum Glück sind bei uns keine Rechtspopulistinnen an der Macht oder in wichtigen Entscheidungspositionen.

Dennoch gibt es auch hier inzwischen nur noch wenige Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Es werden auch nicht genügend Ärztinnen ausgebildet, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen können. Das beklagen vor allem die Medizinstudentinnen selbst. Daran müssen wir etwas ändern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir sollten z. B. dafür sorgen, dass wenigstens in unseren landeseigenen Kliniken Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und dass sie ein regelhafter Teil der Fachärztinnenausbildung sind.

Um das sicherzustellen, muss die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht nur bei medizinischer und kriminologischer Indikation, sondern auch nach der Beratungsregelung ein fester Teil der in der Stellenausschreibung festgeschriebenen Aufgabenbereiche sein, wenn Gynäkologinnen in den landeseigenen Kliniken neu eingestellt wer- den.

Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage zu Schwangerschaftsabbrüchen in Sachsen-Anhalt hat ergeben, dass nicht einmal die Landesregierung aktuell einen genauen Überblick hat, welche Kliniken und welche Praxen diesen Eingriff durchführen -

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ich wollte es nicht glauben!)

eigentlich ein Unding, da das ja auch die Einschätzung erschwert oder eigentlich unmöglich macht, ob wir als Land unserer gesetzlichen Pflicht nachkommen, Schwangeren den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen. Aber es ist auch deswegen schwierig, weil Schwangere in Not sicherlich noch viel schwerer an solche Informationen gelangen.

Deswegen brauchen wir dringend ein öffentlich einsehbares Verzeichnis, in dem die Informationen dazu enthalten sind, in welchen Kliniken und in welchen Praxen in Sachsen-Anhalt Schwangerschaftsabbrüche nach welchen Methoden durchgeführt werden.

(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Und natürlich muss es weiterhin das Ziel sein, die Kliniken, die Praxen und die Frauenärztinnen vor Angriffen und Belästigungen durch radikale Gruppen wie die sogenannten Lebensschützer zu schützen. Wir sind deshalb froh, dass die Bundesregierung dieses Problem bereits erkannt hat, daran arbeitet und ein Gesetz gegen die sogenannte Gehsteigbelästigung plant.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nach der aktuellen gesetzlichen Lage müssen sich alle ungewollt Schwangeren bei einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen, bevor sie einen Abbruch durchführen lassen können. Egal wie man zu dieser Beratungspflicht steht und unabhängig davon, wie und in welchem Gesetzbuch der Schwangerschaftsabbruch in Zukunft geregelt sein wird, es werden immer Beratungsstellen nötig sein, an die sich Schwangere im Konfliktfall wenden können.

Doch damit die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen vernünftig arbeiten können, müssen sie entsprechend finanziert werden. Wenn man mit den Trägern dieser Beratungsstellen spricht, dann erfährt man, dass sie den Eindruck haben, dass das momentan nicht so ist. Deswegen fordern wir von der Landesregierung, die Schwangerschaftskonfliktberatung tatsächlich auch auskömmlich zu finanzieren.

(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Natürlich ist und bleibt es weiterhin das oberste Ziel, ungewollte Schwangerschaften zu ver-

meiden. Dafür braucht es einen guten Sexualkundeunterricht, welcher dann auch stattfindet und nicht aufgrund von Lehrerinnenmangel ausfällt. Wir wollen deshalb von der Landesregierung, dass diese den Sexualkundeunterricht stärkt und eine öffentliche Kampagne im Bereich der Prävention von ungewollten Schwangerschaften initiiert.

Ich habe im Vorfeld zu diesem Antrag viele Gespräche geführt, z. B. mit Medizinstudentinnen und natürlich auch mit zahlreichen Gynäkologinnen. Besonders eingebrannt hat sich bei mir das Gespräch mit einer in Sachsen-Anhalt praktizierenden Frauenärztin.

Sie selbst ist Katholikin. Sie führt aus religiösen Gründen selbst keine Schwangerschaftsabbrüche durch; und davor habe ich Respekt. Dennoch hat sie betont, dass sie jeder Schwangeren hilft, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigt, dass sie ihnen dabei hilft, Konfliktberatungsstellen und Ärztinnen, die Abbrüche durchführen, zu finden. Sie sagte, dass es selbst für sie immer schwieriger wird, ihren Patientinnen zu helfen, weil die Anzahl an Kliniken und Praxen immer weiter abnimmt.