Protokoll der Sitzung vom 23.02.2023

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Mit Blick auf den Grundton der Debatten und Beiträge - wir haben es eben

im Grunde schon erlebt, aber ich denke da vor allem an die letzte Debatte, beantragt von der CDU im Dezember, und auch an die Beiträge der Innenministerin -

(Tobias Rausch, AfD: Das sind top Beiträge gewesen, top!)

kann man den Eindruck haben, die Aufnahme von Schutzsuchenden sei eine Aufgabe, die wir als Land abwählen könnten. Deshalb sage ich gleich zu Beginn und noch einmal ganz deutlich: Die Aufnahme und Unterbringung Geflüchteter und Asylsuchender ist eine humanitäre Verantwortung. Und sie ist eine Pflicht,

(Zuruf)

die sich unmittelbar aus dem Grundgesetz sowie Europa- und Unionsrecht ergibt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir als Land haben sie zu erfüllen. Natürlich kann man sich hinstellen und sagen, „Dublin“ funktioniert nicht. Die Rückführung läuft nicht so, wie wir das wollen.

(Daniel Rausch, AfD: Richtig!)

Natürlich kann man fordern, die Grenzen zu schließen, und wieder und wieder neue Abschiebeoffensiven ankündigen.

Natürlich kann man wider alle Empirie und wissenschaftliche Untersuchungen von PullFaktoren schwadronieren, während Menschen sich auf die denkbar und tatsächlich gefährlichsten Fluchtwege machen, weil sie keine andere Chance sehen.

Natürlich kann man die Hände heben und auf ungenügend ausgebaute Erstaufnahmeplätze verweisen.

All das kann man machen, und das wird gemacht, wie wir sehen und hören. All das hat aber mit gestaltender Politik nichts zu tun. Es verändert die Situation vor Ort, hier bei uns in Sachsen-Anhalt und in den Kommunen, nicht, zumindest nicht zum Besseren.

Wenn die Integrationsbeauftragte darauf hinweist, dass die permanente Wiederholung der Behauptung, es gebe zu viele Ausländer in Sachsen-Anhalt, auch auf diejenigen abschreckend wirkt, um deren Kommen sich die Landesregierung mit mäßigem Erfolg ausdrücklich bemüht, beleuchtet sie doch nur die Spitzen des Eisberges. Denn das, was diese Botschaften mit den Menschen machen, die hier sind, die dem Land zugewiesen werden, die es geschafft haben, eine strapaziöse Flucht zu überstehen, sehen ich und viele andere bei ihrer täglichen Arbeit.

Während sie gegen unzählige Hürden anzukämpfen haben, die ihnen deutsches Aufenthaltsrecht und Ausländerbehörden in den Weg stellen, die sie von Sprachkursen fernhalten, die sie zwingen, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, die gut für die schnelle Erstaufnahme sind, aber nicht für ein Leben, die ihnen die Arbeitserlaubnis verweigern, die sie, wenn sie krank sind, zum Amt anstatt zum Arzt zwingen, werden sie zum Problem schlechthin, also zur Belastung, zur Überforderung und zu Konkurrenten gemacht.

Das ist nicht nur ungerecht. Es ist auch brand- gefährlich, weil es Rassismus, Ausgrenzung und Abwehr bestärkt und nicht bekämpft.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Und ja, wir haben ein Defizit bei Unterkünften für die Erstaufnahme in Sachsen-Anhalt, insbesondere für die besonders vulnerablen, also besonders verletzlichen Personengruppen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun frage ich Sie: Tragen die Afghaninnen, gegen deren Aufnahme Sie als Innenministerin auf der Bundesebene vorgehen wollen,

(Tobias Rausch, AfD: Ja!)

die Verantwortung dafür? Trägt die Verantwortung dafür der Bund? - Nein. Die Verantwortung dafür trägt ausschließlich diese Landesregierung; denn sie schafft es seit Jahren nicht, die Erstaufnahmeeinrichtung in Stendal an den Start zu bringen. Sie hat festgelegt, wie die Plätze in der ZASt genutzt werden. Sie lehnt die notwendige Aufstockung der Mittel im Landeshaushalt für die Kommunen für Integration ab. Das Kapazitätsproblem ist hausgemacht.

Und völlig klar ist, dass der Bund hierbei anders agieren muss als bisher. Die direkten Kosten der Aufnahme Geflüchteter, die Kosten der Unterbringung, der Gesundheitsversorgung und der Sozialleistungen, müssen den Ländern bzw. Kommunen vollumfänglich erstattet werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir brauchen eine wirksame Beteiligung an den indirekten und infrastrukturellen Kosten der Aufnahme, eine bessere Abstimmung und Koordination und schnellere und bessere Entscheidungen des BAMF sowie mehr Sprachkurse für alle, die sie brauchen, und auch eine personelle Unterstützung durch den Bund.

Und selbstverständlich: Die Notwendigkeit, in Europa ein funktionierendes, menschenrechtewahrendes und die Einheitlichkeit der Standards sicherndes solidarisches System für die Aufnahme Geflüchteter zu schaffen, liegt

genauso wie die nachhaltige Unterbindung rechtswidriger Praxen wie Pushbacks und das Garantieren gleicher Standards im Asylverfahren auf der Hand.

Wer illegale Fluchtwege beklagt, der muss legale Fluchtwege schaffen. Wer Defizite stellenweise zu Recht beklagt und Regierungsverantwortung trägt, der muss handeln, statt markige Interviews zu geben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Und wissen Sie, es wenden sich viele Menschen an mich. Es sind Asylsuchende, Facharbeiterinnen oder Ehrenamtliche, die Menschen helfen und begleiten. Der Blick auf ihre Probleme und Anliegen ist ebenso erhellend wie erschütternd. Da ist die iranische Lehrerin, die perfekt Deutsch spricht, aber nicht arbeiten darf, weil sie keinen Pass hat und die Ausländerbehörde die Geburtsurkunde als Identitätsnachweis nicht akzeptiert und in Zweifel zieht, ob sie nun wirklich Christen sind.

(Tobias Rausch, AfD: Und wie viele Fälle gibt es davon?)

Da ist der junge Mann, der als unbegleiteter Minderjähriger kam, weder lesen noch schreiben konnte,

(Zuruf)

Deutsch gelernt hat, einen Schulabschluss geschafft hat, einen Job gefunden hat,

(Zurufe von der AfD)

eine Wohnung hat und sich ein Leben mit Freunden,

(Zurufe)

mit Vereinen und allem, was dazu gehört, aufgebaut hat. Er wurde zur Verlängerung seiner Duldung in die Ausländerbehörde bestellt. Er wurde dort in Haft genommen und soll abgeschoben werden.

(Zuruf von der AfD: Top!)

Da ist die Familie aus Indien, die seit acht Jahren - seit acht Jahren, meine Damen und Herren - in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt. Da ist die junge Frau aus Syrien, die Verwandte in einem Landkreis hat, bei denen sie wohnen könnte, die ihr beim Ankommen helfen könnten, die hier arbeiten könnte, die studieren könnte, die sie unterstützen könnten, die aber nicht zu ihnen ziehen darf, weil sie einem anderen Landkreis zugewiesen wurde.

Da ist der Menschenrechtler, der über Jahre im Auftrag der deutschen Regierung in Afghanistan gearbeitet hat und jetzt deswegen um sein Leben und um das seiner Familie fürchten muss, weil sich hierzulande niemand für ihn zuständig fühlt und stattdessen auf begrenzte Kapazitäten, Arbeitsaufwand und Kosten verwiesen wird.

Nicht diese Menschen sind das Problem, meine Damen und Herren. Eine Politik, deren Leitidee die Abschreckung und die Angst ist, als zu migrationsfreundlich zu gelten, ist das Problem.

(Zustimmung bei der LINKEN - Tobias Rausch, AfD: Was ist denn das für ein Schwachsinn hier?)

Ob Integration gelingt und ob es einen Punkt gibt, an dem es schlichtweg egal ist, wo und als was jemand gekommen, und zwar sowohl für die Person selbst als auch für den Staat und

den Aufwand, den er erbringen muss, ist nur dann eine Frage von Schicksal, wenn es weiter ganz entscheidend darauf ankommt, an welchen Mitarbeiter oder welche Mitarbeiterin der Ausländerbehörde die Person gerät.

In den politischen Debatten erleben wir vielfach, dass das Agieren der Ausländerbehörden eine Blackbox und sakrosankt, also nicht zu hinterfragen und nicht zu beeinflussen sei. Wir erleben, dass es so dargestellt wird, dass zu- dem niemand für sie zuständig zu sein scheint. Unser Antrag setzt deshalb auch am Agieren der Ausländerbehörden an mit dem Ziel, dass es den Leuten besser geht und der staatliche Aufwand für Unterbringung, für Betreuung und für Sozialleistungen kleiner werden kann.

Und nein, weniges im Bereich der Integration ist ein Selbstläufer. Es wird auch Fälle geben, bei denen Betreuung, Hilfe und Begleitung sehr lange notwendig sein werden. Wenn aber die Ausländerbehörden als Integrationsverhinderungsbehörden agieren und die vorhandenen Kapazitäten für die Erstaufnahme nicht hauptsächlich zur ersten Aufnahme, sondern mit extra langem Aufenthaltszwang zur Abschreckung genutzt werden und die notwendigen Kapazitäten Jahr um Jahr nicht geschaffen werden, wenn Menschen aus ideologischen Gründen von Arbeit und Eigenständigkeit ferngehalten werden, weil sie sich nicht integrieren sollen und Sie sie los werden wollen, dann ist die Rede vom Kapazitätsproblem, Kosten und Aufnahmestopp ungerecht, unehrlich und ein schlechtes Zeugnis für Ihre Arbeit als Landesregierung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dass es anders geht, zeigt doch der Blick in die Praxis. In einer in Bezug auf Wohnungsmarkt

und Unterbringung nun wirklich weitaus angespannteren Situation, als es in Sachsen-Anhalt der Fall ist, hat die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping die Verpflichtung zur Wohnsitzaufnahme in einer Gemeinschaftsunterkunft gelockert.

Wie falsch und unehrlich die Erzählung ist, Ausländerbehörden würden nur Recht und Gesetz umsetzen, ihr Handeln sei quasi nicht zu beeinflussen, und dass im Übrigen nicht immer das Entscheidende ist, welches Parteibuch jemand hat, zeigt das Agieren des Landrates des Burgenlandkreises Götz Ulrich, der mit seiner Dienstanweisung die klare Zielrichtung ausgegeben hat, möglichst vielen Geflüchteten unabhängig vom Aufenthaltsstatus und dem Ausgang des Asylverfahren eine Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme zu geben und erfolgreich in das Arbeitsleben integrierten Personen einen Übergang in einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen.