Protokoll der Sitzung vom 22.03.2023

Sie all das nicht mitbekommen haben, dass Sie all das nicht vor Februar dieses Jahres wussten? - Im Gegenteil.

Ihre Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Kollegin Eva von Angern dazu ist eine Nebelkerze mit dem Blendwort „Intensivmedizin“. Richtig in der Antwort ist, dass die Früh- und Neugeborenen-ITS an der Uniklinik weiterhin regulär in Betrieb sind, aber eine Früh- und Neugeborenen-ITS ist eine vollkommen autarke Abteilung, die absolut nichts mit einer pädiatrischen Intensivmedizin zu tun hat. Neonatologen versorgen Neugeborene. Sie können die Versorgung von Kleinkindern und größeren Kindern nicht gewährleisten. Diesen Anschein erwecken Sie jedoch in Ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage.

Meine Damen und Herren! Wir müssen nicht nur klar benennen, was die Problemlangen sind, wir müssen als Land endlich ins Handeln kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Uns läuft die Zeit davon. Den Menschen im Land läuft die Zeit davon. Oder die Menschen werden uns davonlaufen. Der Fachkräftemangel ist schon jetzt eklatant groß. Derlei Situationen verschärfen sich weiter.

Wie die Landesregierung auf die von meiner Fraktion gestellte Frage in der Regierungsbefragung im Februar mitteilte, sehe man die Gewinnung von Fachkräften in der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Die Begründung in Kurzform lautete: Man kommt nur nach Sachsen-Anhalt, wenn auch die Lebensbedingungen vor Ort stimmen, und dazu trägt jeder Mensch in Sachsen-Anhalt bei.

Ganz ehrlich, werte Kolleg*innen von der Landesregierung, Sie machen sich doch wahrlich

einen schlanken Fuß, wenn Sie die Verantwortung auf die Menschen delegieren. Die Kommunen arbeiten aktiv an ihrem Profil, sie kämpfen jeden Tag für Kita, für Schule, für Jugendarbeit, für ÖPNV, und sie kämpfen vor allen Dingen gegen die Vorurteile bezüglich des Lebens im ländlichen Raum, und das trotz unzureichender finanzieller Unterstützung seitens des Landes.

Meine Damen und Herren! Bringen wir es einmal auf den Punkt. An der Kinder-ITS in Magdeburg sehen wir gerade die Fortsetzung einer fehlgeleiteten Profilpolitik für unser Bundesland. Wer genau hinsieht, der kann Folgendes erkennen: Das marode Gebäude der Kindermedizin zeugt von fehlenden Investitionen des Landes, und es ist rein optisch wahrlich kein attraktiver Arbeitsort. Das jahrelange Wegsehen beim Fachkräftemangel verlangt nun seinen Tribut auf der Kinder-ITS und anderswo. Dieser Personalmangel wird zu Weiterem führen; denn wer soll in einer Uniklinik Ärzt*innen pädiatrisch oder gar intensivpädiatrisch weiterbilden, wenn so gut wie niemand mehr da ist? Es entstehen gravierende Ausbildungsmängel durch das Fehlen der pädiatrischen Intensivmedizin.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen jetzt ein Umdenken; denn die bisherige Politik der Fachkräftegewinnung und -bindung hat sich als gescheitert erwiesen. Wir alle wissen doch, dass Fachkräftebindung mehr erfordert, als ein Jobangebot zu bekommen. Ich sage Ihnen, das werden auch Ihre Headhunter nicht leisten. Magdeburg und auch Sachsen-Anhalt sind eben nicht Berlin oder München, und das ist auch gut so. Unseren Charme sieht man nicht auf den ersten Blick. Daher muss es bei so einem Headhunting deutlich über das Jobmatching hinausgehen. Es muss Unterstützung beim Ankommen geben, bei der Wohnungssuche, bei der Kita-Suche, beim Platz an der Schule, beim

Sportverein - eben alles, was dazugehört, um sich in einer neuen Stadt oder im ländlichen Raum niederzulassen. Der Job allein, meine Damen und Herren, wird es nicht mehr richten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die aktuelle Not bei der flächendeckenden Versorgung von zum Teil schwer erkrankten Kindern in Sachsen-Anhalt ist ein Skandal. Jetzt zeigen sich die Auswirkungen der jahrelangen Versäumnisse bei der Absicherung von Standorten und das Aussitzen struktureller Probleme. Es braucht eine höhere Attraktivität der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen für interessierte angehende Mediziner*innen und praktizierende Ärzt*innen. Wir müssen deutliche Anreize setzen.

Ja, man kann Ihnen zugutehalten, dass Sie mit der Einführung der Landärzt*innenquote einen ersten Schritt zur Sicherung des Versorgungsauftrags im ländlichen Raum gegangen sind. Dazu gehören auch Kinder- und Jugendmediziner*innen. Aber das Problem ist hier, dass die Fachspezialisierung erst nach mindestens fünf Jahren erfolgt und wir nie sichergehen können, dass sich von den 20 Studierenden auch nur eine einzige Person für die Spezialisierung in der Pädiatrie entscheidet. Das, was wir brauchen, sind Anreize für bereits praktizierende Mediziner*innen, damit diese in Sachsen-Anhalt bleiben.

Minister Willingmann sagte es bei der letzten Regierungsbefragung zusammengefasst so: Wir befinden uns im Wettbewerb um Goldstaub. Planerisch müssen wir also eine dringlich zu besetzende Sicherstellungspraxis etablieren, und wir müssen auch hier über zusätzliche Anreize für die Menschen reden, um sie zu binden.

Für meine Fraktion ist klar: Es braucht neben einer kurzfristigen Lösung auch ein langfristiges Konzept zur Sicherung der Pädiatrie und der Kinder-ITS im Speziellen. Es gilt, eine bedarfsgerechte Versorgung zu ermöglichen. Kinder- und Jugendmedizin ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Daseinsvorsorge. Kinder- und Jugendmedizin ist ein wesentlicher Standortfaktor. Dazu muss man auch über Kooperationen nachdenken. Aber seien wir einmal ehrlich: So etwas gelingt am besten, wenn alles gut läuft. In einer Situation wie der aktuellen birgt das nur noch mehr Unsicherheiten und wirkt erzwungen.

Mit wem könnte man ein Konzept zur Fachkräftegewinnung besser entwickeln als mit den Expert*innen selbst, den Kindermediziner*innen und den Kinderintensivmediziner*innen? Holen Sie sich diese Expert*innen unbedingt mit ins Boot; denn diese wissen am besten, was eine gute medizinische Versorgung für unsere Jüngsten bedeutet und wie diese auszusehen hat. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Bevor wir in die Dreiminutendebatte eintreten, noch der Hinweis: Heute Morgen zu Beginn der Landtagssitzung wurde gesagt, dass wir, falls wir noch vor dem Zeitlimit sein sollten, die Punkte 22 und 23 vorziehen würden. Das deutet sich jetzt an. Bisher habe ich aber das Signal bekommen, dass das heute nicht der Fall sein sollte.

(Guido Heuer, CDU: So ist es! - Rüdiger Erben, SPD: So ist es!)

- Wenn das so ist, ist klar, dass das jetzt der letzte Tagesordnungspunkt ist

(Zuruf: Richtig!)

und wir morgen ganz normal weitermachen. - Gut. Dann machen wir das so.

Jetzt spricht für die Landesregierung die Ministerin Frau Grimm-Benne. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die stationäre kinderärztliche Versorgung ist in den letzten Tagen und Wochen erneut in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, im Land wie auch beim Bund.

Im Zuge der Schließung der Kinderintensivstation am Uniklinikum Magdeburg konnte auch dank des telemedizinischen Netzwerks mit der Uniklinik Halle schnell auf die geänderten Umstände reagiert werden. Dadurch und mittels einiger Verlegungen - bis zur neunten Kalenderwoche waren es 15 - kann die intensivmedizinische Versorgung der Kinder auch im Norden und in der Mitte des Landes weiterhin sichergestellt werden.

Ich will betonen: Die pädiatrische und neonatologische Behandlung am Standort Magdeburg wurde und wird weiterhin ausnahmslos gewährleistet.

(Beifall bei der SPD)

Die Kooperation der Kliniken untereinander funktioniert dabei eigenverantwortlich und gut. Das hat sich in Zeiten der Pandemie deutlich

gezeigt. Ich will daran erinnern, wie man in den Clustern Nord und Süd insbesondere die Verlegung von Coronaintensivpatienten geregelt hat. Die erfolgreiche Auftaktveranstaltung der beiden Regionalkonferenzen Süd und Nord, insbesondere unter Einbeziehung beider Universitätskliniken, am 20. Oktober 2022 in Halle bzw. am 16 März 2023 in Magdeburg hat dies nochmals bestätigt.

Eine der wesentlichen Ursachen für die Schließung der Kinder-ITS ist der deutschlandweit bestehende Fachkräftemangel. Das Land kann in diesem Punkt in den stationären Sektor grundsätzlich nicht direkt eingreifen. Aber ich will das Beispiel der Universitätsklinik Magdeburg nennen. Herr Prof. E., der dort sowohl intensivmedizinisch tätig als auch gleichzeitig der Präsident der Ärztekammer ist, hat deutlich gemacht, dass wir bei uns Intensivmediziner zu Kinderintensivmedizinern weiterqualifizieren wollen. Frau Anger, Sie haben selbst eingeräumt, dass das eine Qualifizierung ist, die, weil sie qualitätsgerecht sein muss, mehrere Jahre in Anspruch nimmt.

Ich möchte auch betonen, dass die Krankenhäuser als eigenverantwortlich wirtschaftende Einrichtungen im Rahmen ihrer Privatautonomie die Vorhaltung des entsprechenden medizinischen Personals grundsätzlich selbst tragen. Die Landesregierung wird sie aber nicht allein lassen. Wir haben deshalb in beiden Regionalkonferenzen die Universitäten, insbesondere die medizinischen Fakultäten, gebeten, nicht nur für den eigenen Bereich der Universitätskliniken auszubilden, sondern auch für alle anderen Bereiche.

Auch wenn ich mich wiederhole: Es ist per Gesetz geregelt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragsärztliche Versorgung, wozu die ambulante Kinder- und Jugendmedizin zählt, sicherzustellen haben.

Wie mir die KVSA mitgeteilt hat, gibt es aktuell in keiner Region im Land Sachsen-Anhalt eine bedarfsplanerische ambulante Unterversorgung der Kinder- und Jugendmedizin - mit Ausnahme des Bereiches Gardelegen, wo wir jetzt ein Versorgungsmodell aufgelegt haben, um den ambulanten und stationären Bereich dort sicherzustellen. Ich denke, Sie müssen zumindest anerkennen, dass wir in genau diesen Bereichen mit neuen Versorgungsmodellen auf- warten.

Sie müssen zumindest zugeben: Wir brauchen dafür andere Finanzierungssysteme. Im Augenblick ist es so, dass wir schon eine Finanzierung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Umfang von 300 Millionen € bundesweit geregelt haben, indem wir die Erlösbudgets um 12 % gesteigert haben, und das bereits seit dem 1. Januar 2023.

All das sind nur Zwischenlösungen. Ansonsten wäre ich froh, wenn wir den Alternativantrag der Regierungsfraktionen heute verabschieden könnten, weil wir dann noch einmal umfassend dazu Stellung nehmen können, wie die Situation ist. Sie haben es selbst gesagt: Eine solche Debatte eignet sich schlecht für eine dreiminütige Erwiderung.

Sie haben sogar noch mehr Zeit. Es gibt erst einmal eine Frage von Frau Eisenreich. - Frau Eisenreich, sind Sie an der Reihe.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich habe in Ihren Ausführungen leider keine Worte zu der Situation in Zeitz, zur Pädiatrie

und Geburtsstation, vernommen; das finde ich höchst bedauerlich.

Ich möchte Bezug auf den Alternativantrag nehmen und Sie als Ministerin etwas fragen. Unter Punkt 2 wird gesagt, dass vom Bund zusätzliche Mittel in Höhe von 6,5 Millionen € für Geburtskliniken und Pädiatrie in den Jahren 2023 und 2024 zu erwarten sind. Meine Frage wäre an dieser Stelle: Wie viel davon soll nach Zeitz gehen?

Sie können antworten.

Ich habe die Aufstellung nicht ganz im Kopf. Ich habe die Bescheide am Montag gezeichnet. Danach gehen, glaube ich, zusätzliche Mittel in Höhe von rund 60 000 € - ich möchte mich jetzt nicht festlegen, das würde ich gern noch ein- mal hinterfragen - an die Geburtsstation in Zeitz.

Frau von Angern, Sie haben auch eine Frage? - Bitte.

Danke, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich habe eine Nachfrage, weil Sie bei der letzten Regierungsbefragung nicht dabei sein konnten, wir das Thema dort aber schon angesprochen hatten. Ich habe natürlich mit besonderer Sorg-

falt Ihre Antwort auf meine Kleinen Anfragen gelesen, insbesondere zur Einschätzung vom Verband Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen in Deutschland, Landesverband Sachsen-Anhalt. Diese sprechen von einer akuten Gefährdung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt durch die Schließung der Kinder-ITS an der Uniklinik, auch wenn sie - hoffentlich - nur vorübergehend ist.

Dem hat Herr Willingmann in der Regierungsbefragung widersprochen. Ich habe gedacht, vielleicht kommt dann die Antwort aus Ihrem Hause. Allerdings ist die Antwort nicht wirklich aus Ihrem Haus gekommen, sondern Sie waren nur Boten. Sie haben deutlich gemacht, dass das vor allem eine Antwort aus der Uniklinik Magdeburg ist. Aber - und darauf will ich hinaus - auch dort wurde dieser Aussage des Verbandes widersprochen.

Nun frage ich Sie - es ist ja nicht irgend- jemand, der dort zusammensitzt; es sind die leitenden Kinderärzte in Sachsen-Anhalt, die zu einer solchen Einschätzung kommen -: Ist es wirklich seriös und angemessen zu sagen, das stimmt nicht - Punkt?

Frau Ministerin, Sie können antworten.

Sie sprechen die Antwort auf die Kleine Anfrage selbst an. Ich finde, wir müssten da unterscheiden. Wir reden von der Schließung der Kinderintensivmedizin. Wir reden nicht von der Schließung der Pädiatrie. Wir reden

auch nicht von der Neonatologie, die sozusagen in beiden Bereichen aufrechterhalten worden ist.

Ich habe mit dem Chefarzt Herrn H. gesprochen, der gleichzeitig der Chefarzt im Städtischen Klinikum ist und der für den Verband gesprochen hat. Natürlich ist im Augenblick die Zahl der Kinder- und Jugendmediziner rückläufig und es muss mehr ausgebildet werden. Er hat deutlich gemacht: Die RS-Viren führten im November, Dezember dazu, dass in das Städtische Klinikum und auch in das Universitätsklinikum erkrankte Kinder auch aus der Umgebung kamen - Sie haben es selbst angesprochen -, von Wolfsburg bis Braunschweig, weil hier noch Betten zur Verfügung standen. Er hat angemahnt, dass wir noch weitere Bereiche für genau solche Fälle aufrechterhalten müssen.