Das war die Einbringung. Es folgt Frau Weidinger für die Landesregierung. - Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei einem Heranwachsenden handelt es sich nicht um eine ersatzlos abzuschaffende Rechtsfigur, sondern um einen Menschen,
(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Oliver Kirchner, AfD: Bei den Opfern übrigens auch!)
der zur Tatzeit 18 und noch nicht 21 Jahre alt war. Dass diese Personengruppe häufiger durch die Begehung von Straftaten auffällt als andere, ist eine empirisch sehr gut belegte Tatsache.
Nachdem im Jahr 1975 die Volljährigkeit durch eine Änderung in § 2 BGB von der Vollendung des 21. auf die Vollendung des 18. Lebensjahres herabgesetzt worden war, bleibt die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende seither schon dann begründet, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand oder es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
In diesem Lebensabschnitt sind und waren zu allen Zeiten in allen Gesellschaftsformen die häufigsten Normverletzungen zu beobachten, die oft auch die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten. Die Regelungen des Jugendgerichtsgesetzes zur Ahndung dieses Fehlverhaltens folgen dabei soziologischen und kriminologischen Erkenntnissen, rücken den Erziehungsgedanken deutlich in den Vordergrund und stellen dem Jugendgericht einen breiteren Sanktionskatalog zur Verfügung, als es nach dem Erwachsenenstrafrecht möglich wäre.
Dass dies nicht erfolglos ist, belegen langjährige Erkenntnisse. Viele als Jugendliche und Heranwachsende strafrechtlich sehr auffällige Personen verüben in späteren Lebensjahren überhaupt keine Straftaten mehr. Trotzdem werden gerade nach besonders schweren und die Öffentlichkeit aufwühlenden Straftaten junger Menschen die für Jugendliche und Heranwachsende bestehenden Sonderregelungen regelmäßig infrage gestellt. Dies betrifft insbesondere die obere Grenze des Anwendungsrahmens der Sonderregelungen für Heranwach-
sende, regelmäßig aber auch den unteren Rahmen, wenn etwa Forderungen nach der Absenkung der Grenze der Strafmündigkeit des Kindes von bislang 14 Jahren laut werden.
Forderungen nach Änderung oder Abschaffung der Anwendung der Regelungen des JGG auf bestimmte Personenkreise werden auch immer wieder an den hierfür zuständigen Bundesgesetzgeber herangetragen. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder diskutierten fachlich im Jahr 2018 über eine regelmäßige Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende. Eine entsprechende Änderung fand keine überwiegende Unterstützung.
Gründe, die zwingend eine Streichung der Einbeziehung Heranwachsender in das Regelwerk des JGG rechtfertigen, sind weder offenkundig noch aktuell aus der gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Praxis des Landes an mein Haus herangetragen worden. Auch die aktuelle Lage in Sachsen-Anhalt lässt keinen unmittel- baren gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkennen.
Im Januar berichtete mir der Generalstaatsanwalt in Naumburg, dass die in Sachsen-Anhalt angezeigte Jugendkriminalität im letzten Jahr nicht signifikant zugenommen habe. Der prozentuale Anteil tatverdächtiger Jugendlicher und Heranwachsender an der Gesamtkriminalität im Bundesland sank von 34,9 % im Jahr 2001 auf 15,3 % im Jahr 2021 und auf 15,4 % im Jahr 2022. Deshalb ist der Antrag aus justizfachlichen Gründen abzulehnen.
Besonders wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende eine Gesamtwürdigung der Persön-
lichkeit des Täters durch Gerichte voraussetzt, die in Ausübung ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen sollten nicht derart generalisierend infrage gestellt werden.
Eine weitere Schwäche des Antrages: Tatursächlich festgestellte Reife- und Entwicklungsstörungen eines Heranwachsenden sind ohnehin auch bei der Anwendung des allgemeinen Strafrechts bei der Beurteilung der Schuld- und Straffrage zu dessen Gunsten zu berücksichtigen und führen regelmäßig zur Minderung einer Sanktion. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin Weidinger. - Wir treten ein in die Debatte. - Als erster Redner kommt Herr Erben nach vorn.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will jetzt nicht auf die Hetzrede des Abg. Dr. Tillschneider eingehen, sondern auf den Antrag.
(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zurufe von der AfD: Ach Gott! - Hetzrede?)
Dabei wäre es vielleicht für diese Debatte hilfreich, wenn sich alle Mitglieder des Hauses einmal in die Zeit zurückversetzten, als sie selbst 18 Jahre alt wurden.
Was konnte man schon? Was konnte man noch nicht? Wie dachte man über bestimmte Themen und von welchen hatte man noch keine Ahnung? Wenn Sie das gemacht haben, dann überprüfen Sie einmal, wie Sie diese Fragen mit 21 Jahren beantwortet haben. Dann wird für jeden klar, dass es durchaus Unterschiede gibt.
Genau in dieser kurzen Zeitphase ändert sich gerade für einen jungen Menschen einiges. Mit 18 Jahren wird nicht einfach ein Schalter umgelegt, sodass man plötzlich alles Notwendige für den Volljährigen weiß. Denken Sie an einen Fahrschüler, der auch nach dem Erhalt der Fahrerlaubnis noch längst nicht in jeder Situation im Straßenverkehr perfekt reagiert. Das kommt erst mit der Zeit.
Die Möglichkeiten, die man durch die Volljährigkeit hat, müssen erst erprobt und auch gelernt werden. Das klappt bei einigen schneller und bei anderen langsamer. Deswegen ist es völlig richtig, dass unser Strafrecht die Rechtsfigur des Heranwachsenden kennt.
Wir können von allen 18-Jährigen sicherlich ein gewisses Maß an Reife erwarten, aber von diesem Niveau der Reife aus ist es noch ein ganzes Stück, bis man vollständig im Erwachsenen- leben angekommen ist.
Es hat einen Grund, dass die Mehrzahl der 18- bis 21-jährigen Straftäter nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wird. Das hat nichts, wie hier behauptet wurde, mit Kuscheljustiz zu tun. Ein sozialer Rechtsstaat urteilt nicht nach dem Schema F ab, sondern schaut genau nach den Tathintergründen.
Daher ist es richtig, dass ein junger Erwachsener nicht für jede Dummheit mit der vollen Härte des Gesetzes büßen muss. Die Bestrafung als Heranwachsender gibt ihm die Möglichkeit der Läuterung und Entwicklung. Ich habe dabei genug Vertrauen in unsere Justiz, dass solche Entscheidungen eben nicht leichtfertig getroffen werden.
Die Abschaffung der Rechtsfigur des Heranwachsenden, wie sie in dem Antrag gefordert wird, würde hingegen unter dem Deckmantel eines vermeintlich schlagkräftigeren Rechtsstaates ein holzschnittartiges Strafsystem schaffen. Wir als SPD-Fraktion und wir als Koalition insgesamt wollen jedoch eine Justiz, die differenzieren kann. Wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich kann es relativ kurz machen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns hier mit dem Thema auseinandersetzen. Ich stelle nach der Rede des einbringenden Abgeordneten fest, dass es nicht wirklich um eine sachliche Argumentation zu dem Thema geht. Ich werde mich nicht daran beteiligen, Hass und Hetze weiter in diese Welt hineinzutragen.
Ich finde, ich habe eine ziemlich kluge Rede aufgeschrieben mit Argumenten, die Sie aber sowieso nicht interessieren werden und die meine
Vorredner, zumindest Herr Erben und die Frau Ministerin, in einer ähnlichen Art und Weise vorgetragen haben.
Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass selbstverständlich auch Heranwachsende strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Ich sage auch genauso deutlich: Die Entscheidung, die Richterinnen mit all den Beteiligten, die bei Jugendstrafverfahren, bei den Gerichtsverfahren dabei sind, treffen, ob es eben eine Entscheidung nach JGG oder nach StGB gibt, wird dort wohl wissend getroffen. Ich finde, Politik hat sich dabei auch herauszuhalten.
Ich glaube, diejenigen, die dafür verantwortlich sind, die das gelernt haben, sollen das auch weiterhin machen. Wir sollten uns dabei ausdrücklich außen vor lassen.
Und - das will ich auch sagen - die Chancen, die das Jugendstrafrecht eben bietet, gerade in Bezug auf den Erziehungsgedanken, gerade tatangemessen mit den jungen Menschen umzugehen, sind weitaus breiter gefächert und bieten damit aus meiner Perspektive einen viel höheren Opferschutz, weil mit den Täterinnen und Tätern tatsächlich gearbeitet wird, im besten Sinne. Das kann man nicht anders sagen.
Insofern würde ich mir an vielen Stellen mehr Geld wünschen für das Thema Prävention oder auch den Täter-Opfer-Ausgleich oder andere Erziehungsmaßnahmen, die das JGG vorsieht. Darüber können wir bei dem nächsten Haushalt wieder verhandeln. Ansonsten: Wir als Fraktion werden diesen Antrag selbstverständlich ab- lehnen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir uns heute mit der Frage der zukünftigen Beibehaltung des Heranwachsendenstrafrechts befassen, verwundert schon ein bisschen. Ich habe aus der bisherigen Beratung in den Sitzungen des Rechtsausschusses durchaus eine gewisse Lücke im strafrechtlichen und verfahrensrechtlichen Wissen bei dem Kollegen Herrn Tillschneider festgestellt, insbesondere bei der Frage, wie eigentlich Strafen in Deutschland wirken, wie sie vollstreckt werden und was eigentlich der Hintergrund von Strafe und Vollstreckung ist.
Herr Tillschneider, es gibt ganz wenige Anwendungsfälle, in denen Sie vom Strafrahmen her eine Differenz haben - also, jetzt nur einmal auf dem Papier - zwischen der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts und der Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende. Diesbezüglich haben wir z. B. im letzten Jahrzehnt auch Anpassungen vorgenommen.
Mittlerweile wurde z. B. bei Mord auch bei der Anwendung des Jugendstrafrechtes die Höchststrafe auf 15 Jahre gesetzt. Ich will Ihnen jetzt kein juristisches Proseminar halten, aber Sie wissen auch, dass Mord gemäß § 211 des Strafgesetzbuches mit lebenslanger Freiheitsstrafe belangt wird, aber dass das nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung mindestens 15 Jahre sind und dass danach eine Prüfung zu erfolgen hat. Auch in dem Fall ist also eigentlich ein Gleichlauf zwischen Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht hergestellt.
- Entschuldigung, mit Todesfolge. - Dafür beträgt das Strafmaß drei bis 15 Jahre nach dem normalen Recht; die Höchststrafe nach dem Jugendstrafrecht liegt bei zehn Jahren.
Worum geht es Ihnen eigentlich? - Sie glauben, dass Sie sich an der Stelle mögliche Einzelfälle natürlich von Tätern mit Migrationshintergrund herausziehen, die große Keule schwingen und den Menschen vorgaukeln können, dass sie sicherer würden. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die Unterscheidung zwischen Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht und auch die Anwendung des Jugendstrafrechts im Einzelfall nach richterlicher und gutachterlicher Prüfung auf Heranwachsende führen dazu, dass es langfristig gesehen weniger Kriminalität gibt, weil die Resozialisierung im Vordergrund steht,
weil man einem jungen Menschen ein klares Stoppzeichen setzt, aber versucht, ihn in die Gesellschaft zu integrieren, wenn er seine Strafe abgesessen hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein geschichtsträchtiger Tag. Deshalb habe ich durchaus auch einmal in die Geschichte des Jugendstrafrechts geschaut, beginnend mit der Reichsstrafgesetzgebung, dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871, als die Strafmündigkeit bei zwölf Jahren lag,