Protokoll der Sitzung vom 23.03.2023

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein geschichtsträchtiger Tag. Deshalb habe ich durchaus auch einmal in die Geschichte des Jugendstrafrechts geschaut, beginnend mit der Reichsstrafgesetzgebung, dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871, als die Strafmündigkeit bei zwölf Jahren lag,

(Zuruf von Marco Tullner, CDU)

bis hin zum Jugendgerichtsgesetz von 1923, das maßgeblich von Gustav Radbruch entwickelt

wurde, wo man auf 14 Jahre gegangen ist - übrigens mit demselben Tenor, den wir heute vorfinden, nämlich: Der Jugendliche wird nicht bestraft, wenn er zu der Zeit der Tat angesichts seiner geistigen und sittlichen Entwicklung unfähig war, das Ungesetzliche der Tat einzusehen usw.

Schauen wir einmal in die DDR: Strafmündigkeit ab 14 Jahren. Aber dort ist dem Erziehungsgedanken, den Erziehungsmaßnahmen der Vorzug vor Strafmaßnahmen gegeben worden. Was das bedeutet, meine sehr geehrten Damen und Herren, was man mit Menschen und insbesondere mit Jugendlichen gemacht hat, das haben wir in den sogenannten Jugendwerkhöfen gesehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Die Entwicklung, die wir nach 1953 in der alten Bundesrepublik genommen haben, nämlich dass wir den Heranwachsenden zwischen 18 Jahren und 21 Jahren die Chance eröffnen, sie nach Jugendstrafrecht zu beurteilen und zu verurteilen, wenn sie in ihrem Reifeprozess noch nicht so weit sind und die Einsichtsfähigkeit noch nicht haben, ist der richtige Weg. Diesen werden wir in Deutschland dauerhaft beschreiten. Deshalb werden wir den Antrag der AfD-Fraktion ablehnen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN - Zu- stimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN folgt Herr Striegel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Strafrechtsprofessorin Kirstin

Drenkhahn twitterte unlängst über eine von ihr regelmäßig veranstaltete Umfrage unter

Jura-Erstsemestern. Diese ergab, dass rund 90 % der Anwesenden schon mindestens einmal eine Straftat begangen hätten, also bspw. schwarzgefahren sind, als Ladendieb tätig wurden, getaggt haben,

(Guido Kosmehl, FDP: Oder gekifft!)

- für die Boomer hier im Raum: das bedeutet, die eigene Hundemarke per Edding auf einer Oberfläche zu hinterlassen - oder eine gewalt- tätige Auseinandersetzung mit Händen und Füßen auf dem Schulhof hatten.

Auch repräsentative Langzeitdunkelfeldstudien zeigen, dass die breite Mehrheit der Menschen in ihren jungen Jahren eine Straftat begangen hat. Jugenddelinquenz gehört zu den meisten Biografien dazu und wächst sich regelmäßig mit dem Erwachsenwerden aus. Diese als Spontanbewährung bezeichnete plötzliche Abnahme von strafbewehrten Verhalten geschieht bei jungen Männern ab einem Alter von etwa 16 Jahren und bei Frauen etwas früher.

Schon mit 19 Jahren begehen sogenannte Intensivtäter oft deutlich weniger Straftaten als mit 13 Jahren. Kriminelles Verhalten endet sehr oft im Verlauf der zwanziger Jahre - in der Regel unauffällig, ohne jegliches Zutun von Polizei oder von Justiz. Stattdessen zeigt sich der massive Einfluss des Umfeldes, wie der von Lehrer*innen oder Freund*innen.

(Unruhe)

Herr Striegel, einen Augenblick. - Wenn diejenigen, die sich anderweitig oder bilateral unterhalten wollen, das nicht unbedingt im Plenar-

saal täten, dann könnten wir alle besser zu- hören.

Das scheint mir auch dem Thema angemessen. - Auch deswegen bleibt es richtig, junge Erwachsene im Anwendungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes zu belassen.

Jetzt hätte ich noch viele fachliche Ausführungen, die ich machen könnte, aber in der wirklich gelungenen Komposition der bisherigen Rednerinnen und Redner spare ich mir das. Ich will noch zu einem Punkt kommen, den ich wichtig finde und den ich gern der Frau Justizministerin zur Aufmerksamkeit bringen möchte; denn das, was mich schon bedrückt, sind die signifikanten Unterschiede, die wir in der Anwendung des JGG im Bundesvergleich haben.

Nur rund 47 % der Heranwachsenden werden in Sachsen-Anhalt nach dem JGG verurteilt, während es in den alten Bundesländern 63 % sind. In kleinen Städten bis 30 000 Einwohner sind es nur 47 %, während es in Städten mit mehr als 500 000 Einwohnerinnen und Einwohnern 81 % sind. Dort ist das aus meiner Sicht ein Problem; denn wir laufen dabei Gefahr, die Möglichkeiten der Diversion, die wir im JGG für die Heranwachsenden haben, zu verpassen und der jungen Generation größere Steine in den Weg zu legen als nötig. Ich glaube, wir sollten an der Stelle gucken, wie wir besser an die Zahlen herankommen und wie wir zu einer höheren Quote kommen. Das wäre besser. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als nächste Rednerin folgt Frau TschernichWeiske von die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die undankbare Aufgabe, den Schlussreigen einzuläuten. Letztendlich wurde schon alles zu dem Thema gesagt. Deswegen will ich es abkürzen.

Zunächst: Ich bin ganz zufrieden, dass in Sachsen-Anhalt von den Heranwachsenden nur 47 % nach Jugendstrafrecht bestraft werden, weil das deutlich zeigt, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften genau das machen, was sie sollen. Sie sollen nämlich einschätzen, ob die Heranwachsenden geistig und sittlich noch nicht völlig ausgereift sind und deswegen nach dem Jugendstrafrecht bestraft werden oder ob sie nach dem Erwachsenenstrafrecht bestraft werden.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Das möchte das Gesetz. Das funktioniert in Sachsen-Anhalt. Weiter so!

Dann habe ich mich grundsätzlich darüber gewundert, wie die AfD-Fraktion auf diesen Antrag kommt; denn ich hatte gerade das Bauchgefühl, dass die Jugendlichen oder die Heranwachsenden länger brauchen, um auszureifen und um so richtig vollständig erwachsen zu sein. Jetzt hören wir: Das ist anders. Aber es war klar - niemand hätte gegen mich gewettet -: Es musste ein Täter mit Migrationshintergrund sein,

(Sebastian Striegel, GRÜNE, und Olaf Meis- ter, GRÜNE, lachen)

der Heranwachsender ist. Ansonsten wäre dieses Bild nicht rund gewesen.

(Zustimmung bei der CDU und von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Die Kollegen haben auch schon zum Jugendgerichtsgesetz alles gesagt. Ich möchte dazu nur noch einfügen: Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt gemäß § 18 JGG sechs Monate. Das Mindestmaß der Freiheitsstrafe nach StGB für Erwachsene beträgt einen Monat. Das heißt, es gibt durchaus auch Strafen nach dem Jugendgerichtsgesetz, die härter als nach dem normalen Strafrecht für die Erwachsenen sind.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ja!)

Ich halte fest: Im Jugendstrafrecht kommt es auf den Erziehungsgedanken an. Wenn die Heranwachsenden noch nicht ausgereift sind, dann sollen sie genau darunter fallen.

Ich halte fest: Die Gerichte und die Staatsanwaltschaften erledigen ihre Arbeit. Das sollen sie auch weiterhin tun. An dieser Stelle bedarf es keines Eingriffes der Politik. Neben 80 Millionen Bundestrainern

(Zustimmung bei der CDU)

bedarf es nicht auch noch 80 Millionen Richter und Staatsanwälte, die entscheiden, dass alle Heranwachsenden schon jetzt fertig ausgereift sein sollen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Tschernich-Weiske. - Als letzter Redner kommt für die AfD-Fraktion Herr Dr. Tillschneider noch einmal an das Mikrofon.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ministerin hat uns erklärt, dass das

Jugendstrafrecht für - wie soll ich es sagen? - Halbstarke, für Jugendliche, die sich ausprobieren müssen, die auch einmal ein paar Fehler machen und Dummheiten anstellen, vorhanden ist. Klar! Das war auch früher in den 80er-, 90er-Jahren gut so. Aber das ist schon längst nicht mehr zeitgemäß; denn wenn Sie einmal einen Blick in diese Welt wagen, dann werden Sie feststellen, dass wir eine Brutalisierung zu verzeichnen haben,

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist doch Quark!)

dass die Jugendkriminalität ausufert und dass immer schwerere Delikte vorkommen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Die Gewaltkri- minalität nimmt seit Jahren ab! Das Land wird immer sicherer!)

Daher passt die Argumentation eben nicht mehr, dass man diese Zeit braucht, um sich auszuprobieren, sondern man muss an dieser Stelle hart durchgreifen. Mit der Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende haben wir zurzeit leider nur ein stumpfes Schwert in der Hand.

Dann zum hohen Niveau. Schauen Sie sich einmal an, was am Hasselbachplatz passiert. Ich weiß nicht, wie man irgendwelche Statistiken zitieren kann, wenn man sieht, was allein hier in Magdeburg an Delikten von Heranwachsenden, ja, vor allem mit Migrationshintergrund, verübt wird. Es geht uns nicht nur um Sachsen-Anhalt, sondern wir wollen eine Bundesratsinitiative - übrigens genauso wie Gerhard Schröder im Jahr 1997, als er noch SPD-Ministerpräsident war. Er hat es auch einmal versucht. Er hatte damit leider keinen Erfolg.

Damit bin ich bei der SPD und bei Herrn Erben. Ich weiß nicht, was Sie gemacht haben, als Sie

18 Jahre alt waren, aber ich hatte nicht das Bedürfnis, jemanden niederzustechen, auszurauben oder zu vergewaltigen.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Oh! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Sie sind eher in Sachen Volksverhetzung unterwegs, oder? - Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

Aber es spricht jeder nur für sich selbst. Es ist doch schon sehr verwunderlich, wie viel Nachsicht Sie und Frau von Angern mit jugendlichen Straftätern und Kriminellen haben. Es ist doch sehr aussagekräftig, dass diese Nachsicht schlagartig endet, wenn wir es mit jemandem zu tun haben, der nach Ihren Begrifflichkeiten Reichsbürger oder Querdenker ist

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)