Protokoll der Sitzung vom 23.03.2023

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es gab mehrere Fälle häuslicher Gewalt, die die Polizei offensichtlich auch als solche erkannt hat. Schon vor drei Jahren hatte Kerstin S. ihren damaligen Mann wegen häuslicher Gewalt angezeigt. Soweit der Presse zu entnehmen war, wurde dieses Verfahren wie so viele dieser Verfahren eingestellt. Das Leiden der Frau ging also weiter. Wenige Wochen vor ihrem Tod erstattete Kerstin S. Anzeige gegen ihren Expartner, der versucht hatte, sie mit dem Auto zu rammen und sie aus ihrem Auto zerrte. Sie wies mehrfach auf die Bewaffnung des Mannes hin. Sie sagte klar, dass sie Angst hatte.

Die angezeigten Taten waren eindeutig. Bedrohungen, Nötigung, Stalking. Die Beamten nahmen die Anzeige auf. Sie schickten die Frau los, um sich Hilfe zu suchen, was sie auch tat. Sie informierten die Waffenbehörde. Wie genau und worüber genau, müssen wir uns anschauen. Sie fanden es auch grundsätzlich für angebracht, eine Gefährderansprache durchzuführen. Was sie nicht taten und was das offensichtlich Drängendste gewesen wäre, war es, den Täter zu entwaffnen.

Am 8. März zeigten sich die fatalen Folgen. Statt die Instrumente der Gefahrenabwehr zu nutzen und die Waffen wegen der offensichtlich drohenden Gefahr sicherzustellen, endete ihr Einsatz an einer verschlossenen Tür. Wie kann das sein, fragt man sich, und zwar erst recht, weil es eigentlich sehr klare Vorgaben für polizeiliches Handeln in genau diesem Fall gibt.

Ein Runderlass aus dem Jahr 2010 legt detailliert Folgendes fest: Werden tatsächliche Anhalts-

punkte für Bedrohungen und Gewalttätigkeiten in gegenwärtigen oder ehemaligen Paarbe- ziehungen oder in Fällen von Stalking und damit einhergehende Bedrohungen polizeilich bekannt, sind ohne zeitlichen Verzug alle erforderlichen und rechtlich zulässigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung

durchzuführen.

Ebenfalls regelt der Erlass: Eine Gefährderansprache soll binnen 48 Stunden erfolgen, und zwar auf der Dienststelle. Dem soll ein strukturierter Prozess der Situations- und Gefährdungsanalyse folgen und die nötigen Maßnahmen sollen auch und ausdrücklich auf den Täter gerichtet erfolgen.

Offensichtlich tat die Polizei das nicht. Die Frage, warum in diesem Fall so eklatant gegen die doch eindeutigen Dienstvorschriften, die nicht nur Vorschriften sind, sondern auch noch außerordentlich plausibel, naheliegend und nachvollziehbar sind, verstoßen wurde, muss ebenso aufgeklärt werden wie die Frage, wieso der Schützenverein, dem der Täter seit 30 Jahren angehörte, offensichtlich nicht kontaktiert wurde.

Diesen Fragen müssen wir nachgehen. Auch das fordern wir mit unserem Antrag. Dass es eine dramatische Form von Behördenversagen war, die den Femizid in Bad Lauchstädt ermöglicht hat, wissen wir angesichts dessen, was nicht getan wurde, schon heute.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir müssen es auch so klar benennen. Das hilft Kerstin S. nicht. Es hilft auch den 113 Frauen, die im Jahr 2021 in Deutschland von gewalttätigen Partnern, Expartnern, Onkeln, Vätern und Brüdern ermordet wurden, nicht. Es hilft auch nicht den Menschen, die um Kerstin S. trauern. Aber es kann den 5 000 von häuslicher Gewalt Betroffenen, die wir im letzten Jahr in Sachsen-An-

halt hatten, helfen. Und es kann helfen, Femizide zu verhindern.

Polizei und Waffenbehörde haben die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht genutzt. Sie sind ihrer aus Waffengesetz, Polizeigesetz und Erlasslage des Innenministeriums resultierenden Verantwortung nicht gerecht geworden und haben damit im Kernbereich der ihnen übertragenen Aufgaben versagt. Das muss Konsequenzen haben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Neben der Aufarbeitung von offensichtlichen Fehlern müssen wir uns auch kurzfristig und schnell auf die offensichtlich bestehenden Defizite in Bezug auf die Kenntnis der Rechtslage und des eigenen Handlungsauftrages bei Polizei und Waffenbehörden fokussieren und auf sie reagieren. Mit unserem Antrag fordern wir daher die Ministerin für Inneres und Sport auf, dafür Sorge zu tragen, dass künftig bei Fällen von Bedrohung, Stalking, Tätlichkeiten und gleichzeitig vorliegenden Waffenerlaubnissen die Möglichkeiten des Entzugs der Erlaubnis zum Waffenbesitz und des Waffenverbotes umfassend, schnell und wirksam genutzt werden, und zwar nicht als Kann-Bestimmung, sondern als ein Muss.

Ich gestehe unumwunden ein, einem Erlass und einem Gesetz, das nicht befolgt wird, mit einem weiteren Erlass zur Durchsetzung zu verhelfen, ist bei Weitem kein Selbstläufer und nur ein Teil dessen, was nötig ist. Aber das ist das, was wir hier als Parlament miteinander tun können.

Dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen und die dienstlichen Vorgaben, die sie macht, auch umgesetzt werden, steht allerdings im Verantwortungsbereich der Innenministerin. Ob ihr das in Zukunft besser gelingt, daran wird sie sich messen lassen müssen.

Meine Damen und Herren! Wenn wir nicht bei Bestürzung stehen bleiben wollen, dann müssen wir uns auch - so unsere feste Überzeugung - anschauen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der Täter legal Zugriff auf tödliche Waffen haben konnte. Das heißt, es ist die Frage nach dem Waffenrecht zu stellen. Ich werde das in der Fünfminutendebatte tun. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nach der Einbringung beginnen wir nunmehr mit der Fünfminutendebatte. Zuerst spricht die Innenministerin Frau Tamara Zieschang. Sie haben das Wort. - Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Am 8. März ist in Bad Lauchstädt eine Frau gewaltsam ums Leben gekommen. Ich spreche den Angehörigen und Hinterbliebenen des Opfers mein tief empfundenes Mitgefühl und meine Anteilnahme aus.

Der Landtag und auch die Öffentlichkeit erwarten zu Recht, dass umfassend aufgeklärt wird, wie die Polizeibehörde und wie die Waffenbehörde vor Ort mit diesem Fall von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld vor der Gewalttat umgegangen ist.

Nach allem, was mir bislang an Erkenntnissen vorliegt, hätte der polizeiliche Umgang mit dem Geschehen anders und professioneller erfolgen müssen. Am 1. Februar dieses Jahres hat das Opfer bei der Polizei angezeigt, dass ihr von ihr getrennt lebender Ehemann sie mit dem Auto

verfolgt und versucht hatte, sie aus ihrem Wagen zu ziehen. Schon während der Anzeigeaufnahme wies die 59-jährige Frau darauf hin, dass er im Besitz von Schusswaffen sei und sie die Befürchtung habe, er könne diese Waffen einsetzen, wenn er unter Alkoholeinfluss stehe.

Wie in solchen Situationen polizeilich zu agieren ist, ist in einer seit dem Jahr 2010 geltenden Erlasslage des Innenministeriums geregelt. Diese Erlasslage wurde zuletzt im Februar 2022 aktualisiert und ergänzt. Wie auf diese Situation polizeilich zu reagieren ist, ist dort im Detail geregelt worden.

Der die Anzeige aufnehmende Polizeibeamte hat dementsprechend noch am 1. Februar sämtliche erforderlichen Schritte eingeleitet, angefangen bei der Einleitung der Gefährderansprache über die Information der Waffen- behörde bis hin zur Einschaltung der Interven- tionsstelle.

Im weiteren Verlauf ist jedoch zu konstatieren, dass im zuständigen Polizeirevier keine fortwährende, alle verfügbaren Informationen einbeziehende Situations- und Gefährdungsanalyse vorgenommen wurde. Es wurde auch keine Gefährderansprache durchgeführt. Und es erfolgte auch kein enger und umfassender Informationsaustausch mit der unteren Waffenbehörde des Landkreises Saalekreis.

Nach den mir derzeit vorliegenden Informationen zeichnet sich ab, dass es für die Entscheidung der Waffenbehörde elementar gewesen wäre, wenn die Polizei nicht lediglich die ihr vorliegenden Erkenntnisse weitergegeben, sondern auch vertieft weiter ermittelt und die dabei gewonnenen Informationen beweissicher dokumentiert der Waffenbehörde zur Verfügung gestellt hätte. In jedem Fall hätten Polizei und Waffenbehörde bei der Gefährdungsbewertung enger zusammenarbeiten müssen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Welche Schlussfolgerungen ziehe ich daraus? Erstens. Polizei und Waffenbehörde wurden gestern nochmals landesweit dafür sensibilisiert, wie mit Fällen von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld umzugehen ist. Dabei wurde auf die bereits bestehenden umfangreichen Regelungen nachdrücklich hingewiesen. Mit Blick auf die Polizei geht es darum, Gewalteskalation zu verhindern und die Opfer wirksam und proaktiv vor weiterer Gewalt zu schützen.

Zweitens. Als Sofortmaßnahme wird nunmehr ergänzend vorgeschrieben, dass es bei Fällen von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld, bei denen Tatverdächtige über waffenrechtliche oder sprengstoffrechtliche Erlaubnisse verfügen, verpflichtende Fallkonferenzen zwischen der Polizei sowie den für das Waffen- und Sprengstoffrecht zuständigen Behörden durchgeführt werden. Dies soll sicherstellen, dass bei der Gefährdungsbewertung eng zusammen- gearbeitet wird, um die Möglichkeiten des Waffenrechts stringent vollziehen zu können.

Drittens. Das Hochrisikomanagement für Fälle von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld wird bei der Landespolizei ab Frühsommer dieses Jahres landesweit eingeführt. Das Hoch- risikomanagement wurde seit dem Jahr 2020 im Rahmen eines Pilotprojektes im Polizeirevier Halle erfolgreich erprobt und es hat sich bewährt. Die landesweite Einführung soll ermög- lichen, dass Fälle von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld in allen Behörden strukturiert und konsequent angegangen und gemeinsam mit allen einzubeziehenden Beteiligten die Opfer geschützt werden.

(Zustimmung von Marco Tullner, CDU)

Viertens. Die Waffenbehörden wurden gestern mit einem Erlass zum Vollzug des Waffengeset-

zes dazu angehalten, von den Möglichkeiten der sofortigen Sicherstellung von Waffen und Munition konsequent Gebrauch zu machen. Zudem wurde die aktuelle Rechtsprechung dazu er- läutert.

Fünftens. Der tödliche Fall von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld wird mit der gesamten Landespolizei und auch mit allen Waffenbehörden ausgewertet werden; denn die Gewalt in engen sozialen Beziehungen - das zeigt auch die polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2022 - nimmt seit dem Jahr 2018 kontinuierlich zu. Allein im letzten Jahr sind in 892 Fällen von häuslicher Gewalt Betroffene von der Landespolizei an die Interventionsstellen des Landes vermittelt worden.

Auf alles das werden wir im Ausschuss für Inneres und Sport sicherlich noch sehr viel detaillierter eingehen. Bis dahin liegt vielleicht auch der seit vielen Monaten immer wieder angekündigte Gesetzentwurf zur Änderung des Waffenrechts vor. Sie wissen, dass die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt.

Wir werden aber neben dem Waffenrecht auch darauf dringen, dass die von der Bundesregierung erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz aktualisiert wird. Auch deren Aktualisierung ist bereits seit Längerem angekündigt. Sie gewährleistet einen einheitlichen Vollzug des Waffengesetzes durch die Länder und soll den zuständigen Waffenbehörden die Anwendung des Gesetzes erleichtern. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Innenministerin, es gibt eine Frage von Frau Quade. - Bitte sehr, Frau Quade.

Ich mache eine kurze Bemerkung und stelle eine Frage. Frau Ministerin, ich habe sehr aufmerksam nicht nur das verfolgt, was Sie gesagt haben, sondern auch das, was Sie bisher zum erheblichen öffentlichen Interesse in diesem Fall gesagt haben. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass Sie ziemlich schnell sehr klar Fehler eingestanden haben, Fehler benannt haben und dem nachgehen wollen. Das erkenne ich an. Das halte ich für angemessen.

Eine Frage, die sich mir stellt, ist die folgende. Ich habe es in der Rede angedeutet. Wir haben seit dem Jahr 2010 relativ klare Vorgaben dazu, wie bei einem solchen Fall zu verfahren ist. Alles das, was Sie jetzt vorgetragen haben, also das, was Sie gestern angewiesen haben, halte ich für richtig und für notwendig. Das ist aber, wenn wir ehrlich sind, kein neuer Stand im Vergleich zu dem, was per Erlass im Jahr 2010 geregelt wurde.

Die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Gibt es außer nochmaligen Hinweisen auf eine Erneuerung von Handlungsempfehlungen und Erlassen auch noch eine Änderung bei der Frage, wie die Umsetzung vom Innenministerium, also von Ihrem Haus, begleitet und kontrolliert wird? Denn wir haben offensichtlich in Bad Lauchstädt ein massives Problem bei der Befolgung der vorgeschriebenen Maßnahmen, und es stellt sich die Frage nach der Kontrolle und nach der Umsetzungsevaluierung.

Sie können antworten.

Frau Abg. Quade, wir haben es bei vielen Punkten, dass Sie zu Recht darauf hinweisen, dass die

Erlasslage das eine, das andere die Frage ist, ob die Umsetzung erfolgt.

Deswegen habe ich auch hier sehr bewusst gesagt, dass der Kollege, der die Anzeige aufgenommen hat, absolut entsprechend der Erlasslage gehandelt hat. Er hat alles das, was die Erlasslage vorsieht, sogar noch nach dem Ablauf seiner Schicht umgesetzt, weil er eben auch an dem Fall so nah dran war. Insofern ist auch der Versuch der Gefährderansprache am selben Tag erfolgt.

Wir müssen jetzt konstatieren, dass die nachfolgende Schicht, nachdem diese Gefährderansprache eben nicht erfolgreich war und eben diese Umsetzung noch nicht erfolgt war, informiert werden sollte. Es kann bis heute nicht geklärt werden, wieso das nicht erfolgt ist. Insofern wird es immer so sein, egal was wir mit Erlassen regeln: Wenn es eben plötzlich einen Bruch in der Kette gibt aufgrund eines Kommunikationsproblems, was es gewesen sein könnte, werden wir das nicht verhindern können.

Gleichwohl denke ich aber, dass es das eine ist, dass wir auf die bestehende Erlasslage hinweisen. Das ist das, was ich mit der Sensibilisierung gemeint habe. Das andere ist, dass wir mit der verpflichtenden Einführung von Fallkonferenzen schon noch eine Lücke schließen, die wir bislang hatten. Denn damit stelle ich den sehr eng abgestimmten Austausch zwischen Waffenbehörde und Polizeibehörde sicher und damit eben auch, dass dann, wenn nach der Auffassung der Waffenbehörde weiter ermittelt werden muss, um auch deren Entscheidungen rechtssicher zu machen, dies im Rahmen dieser Fallkonferenzen sehr detailliert abgestimmt werden kann.

Es gibt eine ganz kurze Nachfrage.