Protokoll der Sitzung vom 23.03.2023

(Kathrin Tarricone, FDP: Genau!)

Alles darüber Hinausgehende ist ein anderer Sachverhalt,

(Zustimmung bei der FDP)

ist eine andere Diskussion, ist auch eine Frage der anderen Bewertung und provoziert, und das wissen Sie auch. Das provoziert genau solche Redebeiträge wie die der AfD.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Oh!)

Ich will Ihnen für die Freien Demokraten sehr deutlich sagen, wir haben uns immer klar zu einem Waffenrecht bekannt. Wir sind aber auch diejenigen, die jeder Verschärfung kritisch entgegentreten,

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das ist schon einmal was!)

weil wir Änderungen ganz konkret an einer Verbesserung der objektiven Sicherheit fest- machen und es nicht zulassen wollen, dass aufgrund von irgendwelchen möglicherweise bestehenden Empfindungen Verschärfungen stattfinden.

(Zustimmung bei der FDP und von Stefan Ruland, CDU)

Wir haben ein Vollzugsproblem. Wir haben das Problem, dass unsere Waffenbehörden personell nicht gut ausgestattet sind. Wir haben das Problem, dass sie teilweise noch auf die Erlasslage von vor zehn Jahren schauen, auf die Erlasse, die noch anwendbar sind, und zugleich die fortlaufende Rechtsprechung nicht implementieren und nicht sagen, es hat sich etwas geändert, ich muss mich vielleicht auch weiterbilden. Vielmehr sagen sie, es steht darin nicht so konkret, ich bin noch auf dem richtigen Weg. Auch deshalb bin ich sehr dankbar dafür, Frau Ministerin, dass Sie den Erlass noch einmal

aktualisiert und Auslegungshinweise auch mit Blick auf die Rechtsprechung der Gerichte gegeben haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können natürlich im Innenausschuss eine Debatte um die Verschärfung oder die Zukunft des Waffenrechts führen. Dann lassen Sie sie uns aber mit Sachverständigen führen, und nicht vor dem Hintergrund eines Ereignisses, bei dem nicht die rechtliche Frage des Besitzes, des Erwerbs einer Waffe zu dem betreffenden Zeitpunkt im Raum stand, sondern vielmehr die Frage, ob die Hinweise zu einem konsequenten Handeln der Behörden hätten führen können. Auch das ist in dem geltenden Waffengesetz festgelegt. Deshalb braucht es eine Verschärfung nicht.

Deshalb sage ich zum Schluss: Wir werden diesen Antrag in den Ausschuss überweisen, weil wir daran interessiert sind, eine Aufklärung über den Sachverhalt zu erhalten, um zu verstehen, warum die Behörden vor Ort, die polizeilichen wie die kommunalen Behörden, wie gehandelt bzw. nicht gehandelt haben, und das zu bewerten. Wir werden uns auch einer Debatte um die Zukunft des Waffenrechts nicht verschließen.

Die letzte Bemerkung, Herr Präsident. - Wir werden das allerdings nicht auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung tun

können, weil dieser in der nächsten Zeit nicht kommen wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Tillschneider hat eine Frage an Sie, wenn ich das richtig mitbekommen habe. - Gut, Herr Tillschneider, dann können Sie sie stellen.

Ich habe mich nicht gewundert, als Frau Quade von Femizid gesprochen hat, als sie also diesen Nonsensbegriff verwendet hat;

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Herr Kosmehl hat das auch getan!)

denn, wie Sie richtig gesagt haben, Mord ist Mord, und es ist für die Verwerflichkeit des Mordes egal, ob ein Mann oder eine Frau ermordet wird - das ist immer gleich verwerflich. Der Begriff des Femizids kommt natürlich aus der feministischen Ideologie und tut so, als wäre der Mord an einer Frau irgendwie besonders schlimm. Er ist damit männerfeindlich, Männer diskriminierend und, wie gesagt, ein Auswuchs feministischer Ideologie.

Es wundert mich jetzt aber, dass ich von Ihnen, aus Ihrem Mund mehrmals den Begriff Femizid gehört habe. Sie sind ein Vertreter von der FDP, wenn mich nicht alles täuscht. Jetzt würde ich gern von Ihnen hören, wie Sie dieses Konzept sehen und weshalb Sie diesen Begriff verwendet haben.

Das kann ich Ihnen ganz einfach erklären, Herr Dr. Tillschneider. Unter dem Begriff Femizid - die historische Herleitung haben Sie genannt - versteht man mittlerweile ein Vorgehen, eine Tatbegehung, bewusst gegen Frauen gerichtet, bei dem der Täter aus seinem Hass gegen Frauen heraus diesen Mord begeht, und zwar nicht nur in einer Beziehungstat, wie wir das jetzt in Bad Lauchstädt hatten, sondern insbesondere wenn ein Täter loszieht und bewusst Frauen ermordet, weil er glaubt, dass die Frauen ihm irgendetwas weggenommen haben.

(Zurufe von Eva von Angern, DIE LINKE, und von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Deshalb finde ich es richtig, in einer solchen Debatte auch das Wort Femizid zu benutzen.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Dr. Tillschneider, trotzdem ist es juristisch Mord.

(Zustimmung)

Juristisch wird es auch als Mord verurteilt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LIN- KEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Ent- schuldigung!)

Ich sehe jetzt bei Herrn Kosmehl kein Bestreben, noch eine Nachfrage zu beantworten. Dann sind wir durch. - Es spricht als Nächster Herr Striegel für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. - Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hätte der Femizid, also der Mord an einer Frau, in Bad Lauchstädt am 8. März dieses Jahres verhindert werden können? Diese Frage hat mich, Sie und viele andere Menschen in diesem Land in den vergangenen 14 Tagen umgetrieben.

Der Tod der in Bad Lauchstädt wohnenden Schulsekretärin, die sich wenige Wochen vor

dem grausamen Mord und nachdem sie wiederholt Opfer häuslicher Gewalt geworden war, von ihrem Ehemann getrennt hatte, ist leider kein Einzelfall. In Deutschland geht die größte Gefahr für Frauen, Opfer eines Tötungsdeliktes zu werden, vom Partner oder vom Expartner aus. Jeden dritten Tag stirbt in unserem Land eine Frau durch die Gewalt ihres Partners oder Expartners. Allzu oft handelt es sich dabei um Fälle im Kontext von Trennungssituationen. Das sind keine Trennungsdramen oder Beziehungstaten, es sind Femizide,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Unruhe bei der AfD)

Tötungsdelikte an Frauen durch Männer, getrieben von archaischen Vorstellungen, die eben kein Zeichen einer Zuwanderungsgeschichte, sondern von toxischer Männlichkeit sind.

(Zurufe von der AfD)

Es ist ein gesellschaftliches Versagen, dass Frauen Angst vor ihrem Partner oder Expartner haben müssen. Es ist ein gesellschaftliches Versagen, dass wir Männer viel zu oft nicht den richtigen Umgang mit solchen Situationen finden. Männer müssen sich endlich mehr mit ihrem Selbstverständnis und den patriarchalen Strukturen, in denen wir leben, auseinander- setzen.

(Lachen bei und Zurufe von der AfD)

- Hören Sie zu! - Und wir Männer müssen lernen, mit unseren Emotionen zu arbeiten, statt sie destruktiv in Gewalt umzusetzen.

(Zuruf von der AfD: Dann fangen Sie mal bei sich an! - Lachen und Beifall bei der AfD - Weitere Zurufe von der AfD)

Schon sehr zeitig gab es im Fall des Femizids von Bad Lauchstädt Hinweise auf eklatantes Behör-

den- und Führungsversagen bei Polizei- und Waffenbehörden. Ein erster Schub von Fragen wurde uns durch das Innenministerium gestern beantwortet, nun liegt im Innenausschuss ein umfangreicher Selbstbefassungsantrag der

GRÜNEN vor, um diesen Fall weiter aufzuklären.

Wie aus den Antworten der Landesregierung auf unsere dringlichen Anfragen hervorging, fand offensichtlich der Runderlass des Ministeriums aus dem Jahr 2010 zur Verhütung der Gewalteskalation in engen sozialen Beziehungen keinen Eingang in die weitere Bearbeitungs- praxis. Dieser Erlass stellt aus meiner Sicht tatsächlich grundsätzlich eine brauchbare Grundlage für die Bearbeitung solcher Fälle dar.

Auch im polizeilichen Alltag, gerade in hektischen Dienstsituationen, kann es vorkommen, dass nicht jede Erlasslage sofort allen Beamtinnen und Beamten vollumfänglich bekannt ist. Wir wissen inzwischen durch die Ausführungen der Innenministerin, dass das hierbei nicht der Fall war. Dem ersten bearbeitenden Beamten war das klar; er hat angefangen, so zu arbeiten. Ein Polizeirevier hat aber durch seine Arbeits- organisation sicherzustellen, dass solche Fälle mit hohem Eskalationspotenzial nicht anschließend durch das Raster fallen, sondern angemessen behandelt werden. Das ist in diesem Fall offensichtlich nicht geschehen.

Zur Einschätzung des Eskalationspotenzials wissen wir bisher Folgendes: Am 1. Februar erstattete das Opfer Anzeige, weil sie der Täter mit dem Auto verfolgt und sie aus dem Auto gezerrt habe. Sie äußerte im Gespräch, dass der Täter mehrere Waffen im Besitz habe und dass sie befürchte, er könne diese gegen sie einsetzen, und zwar in einem alkoholisierten Zustand, in dem er sich hochaggressiv verhalte. Die Polizei fand heraus, dass bereits aus dem Jahr 2020 eine Anzeige wegen Körperverletzung der Betroffenen gegen den späteren Täter vorlag. Der

Polizei war bekannt, dass sich Opfer und Täter kürzlich getrennt hatten. All das sind gefahrerhöhende Aspekte, auch im Sinne des Erlasses. Es fehlte nur noch, dass der Täter isoliert lebte, sich in seinem Leben - es handelte sich um einen invalidisierten Mann - von seiner Frau abhängig sah und seine Welt durch die Trennung ohne jeden Halt zusammenbrach. Auch das war der Polizei bekannt.

Damit hatten die Behörden alle - wirklich alle - Gefahren erhöhenden Hinweise für eine Gefahrenprognose beisammen. Die Polizei und die Sicherheitsbehörden hätten alle zulässigen Maßnahmen ergreifen müssen, um die Frau zu schützen. Stattdessen gab es keine persönliche Kontaktaufnahme zu dem späteren Täter und eine Gefährderansprache auf der Dienststelle wurde nicht in die Wege geleitet. Es erfolgte bei der Polizei keine strukturierte Situations- und Gefährdungsanalyse. Die Rücksprache mit Staatsanwaltschaften und Richtern unterblieb, obwohl auch eine solche nach der Erlasslage frühestmöglich erfolgen sollte.

Die Polizei hätte eine Sicherstellung der Waffen in Betracht ziehen und durchführen müssen. Es ist mir unbegreiflich, warum die Waffenbehörde des Saalekreises hierzu keine Handlungsmöglichkeiten sah. Die oben genannten Hinweise rechtfertigten die Annahme, dass der spätere Täter die Waffen missbräuchlich verwenden würde. Der Saalekreis hätte die Waffenerlaubnis widerrufen müssen und hätte bei richtiger Ermessensausübung ein Waffenbesitzverbot aussprechen und die Waffen sofort sicher- stellen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Verantwortung für dieses Nicht-Handeln ist zu klären. Ich erwarte, dass uns auch der Landkreis dazu Auskunft gibt, und hoffe, dass er zu der Sitzung des Innenausschusses vorstellig wird.