Das würde mich tatsächlich einmal interessieren. Oder wird dann wieder derselbe Doppelstandard von Ihnen angesetzt wie dann, wenn Sie fordern, dass die Menschen nicht mehr fliegen dürfen und keine Kurzflüge mehr machen dürfen, aber Ihre Fraktion im Bundestag die Fraktion ist, die mit Abstand am meisten fliegt? Oder wenn Sie sich für die Umwelt einsetzen, dann aber bei Marathonläufen mit Werbung von Papenburg, einem HochmülldeponieBetreiber, herumlaufen?
Ihre Doppelmoral oder die Ihrer Fraktionsvorsitzenden, die meint, man müsse mit dem ÖPNV fahren, aber jeden Weg mit ihrem Auto bis auf den Landtagshof fährt,
sind genauso unerträglich wie die Ausführungen der Abg. Frau von Angern von der LINKEN, wenn es um Demokratie geht.
Herr Büttner, die Ausführungen der Kollegin von Angern waren heute außerordentlich zutreffend, genauso wie die Ausführungen auch von anderen Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen hier im Raum.
Ich fand die Debatte mit Ausnahme des Beitrages Ihres Fraktionsvorsitzenden für richtig und für notwendig. - Erstens.
Zweitens. Standards sind dafür da, aufrechterhalten zu werden. Ich sage es sehr klar: Wer mit der AfD zusammenarbeitet, wer mit Nazis zusammenarbeitet, der sollte tatsächlich aus Parteien fliegen. Mein Vater arbeitet nicht mit Nazis zusammen. - Herzlichen Dank.
(Lebhafter Beifall und Lachen bei der AfD - Ulrich Siegmund, AfD: Doch! - Zurufe von der AfD: Doch! - Weitere Zurufe von der AfD)
Frau Pähle hat nicht angezeigt, dass sie noch einmal reden möchte. Dann ist die Debatte zu Ende. Wir haben den Tagesordnungspunkt damit beendet. Sie wissen, dass bei Aktuellen Debatten gemäß § 46 der Geschäftsordnung keine Beschlüsse zur Sache gefasst werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Guten Morgen! Wir kommen zur zweiten Aktuellen Debatte des Tages und dieser Sitzungsperiode. Wir kommen zu
Wir haben eine Zehnminutendebatte, wie eben auch schon. Es hat zunächst die Antragstellerin das Wort. - Frau Anger, bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Bundesteilhabegesetz sollten nicht nur mehr und vor allen Dingen bessere Möglichkeiten der Teilhabe für Menschen mit Behinderung geschaffen werden.
„Zweck dieses Übereinkommens [ist es], den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.“
So ist zumindest auch die Vorstellung des Bundesgesetzgebers. Aber wie läuft es hier bei uns im Land seit dem Jahr 2020, dem eigentlich scharfen Start des Bundesteilhabegesetzes? Klappt das mit der Beteiligung? Welche Mitsprache haben Menschen mit Behinderung in Bezug auf ihre Bedarfe und auch in Bezug auf ihre Wünsche? Wie läuft es denn bei der Kommunikation zwischen den Sozialämtern und der Sozialagentur? Wer entscheidet was, wann und wie?
Es sind scheinbar ganz einfache Fragen, meine Damen und Herren. Aber darauf gibt es nur eine Antwort: Katastrophal läuft es. Deswegen ist es an der Zeit, dass wir hier darüber reden. Der Fakt ist, die Selbstvertretungen, Verbände und Leistungserbringer der Eingliederungshilfe
schlagen Alarm. Die Menschen mit Behinderung werden abgehängt, Teilhabe und Selbstbestimmung adé. Das Bundesteilhabegesetz ist in diesem Land nur heiße Luft.
Beginnt der Prozess der Gesamtplanung auf kommunaler Ebene durch die Sozialämter noch partizipativ mit den Leistungsberechtigten, scheitert die Beteiligung dann, wenn die Sozialagentur es auf den Tisch bekommt oder, besser gesagt, es sich auf den Tisch zieht, und das bei rund 27 000 Leistungsberechtigten in diesem Land.
Und die Sozialagentur zieht sich jeden Fall auf den Tisch; denn diese deklariert augenscheinlich jeden der 27 000 Leistungsberechtigten zu einem komplexen Einzelfall. Das geschieht ohne jede gesetzliche Grundlage und gegen den Willen des Bundesgesetzgebers. Menschen mit Behinderung, ihre Betreuer*innen und auch die Einrichtungen, die ihr Zuhause sind, erfahren von der Sozialagentur nur wenig bis gar keine Beteiligung an ihren Verfahren, geschweige denn Wertschätzung für die wichtige Arbeit.
Vor Ort, in den Kommunen, engagieren sich in der Regel qualifizierte Mitarbeitende der Sozialämter im Gesamtplanverfahren. Sie wenden das ELSA-Verfahren an und kreuzen dabei Checklisten ab. Nachdem dann von den Sozialämtern einzelne Hilfebedarfe bestimmt wurden, stellt das Sozialamt eine Hilfebedarfsgruppe fest. Diese, meine Damen und Herren, darf jedoch nur mit Bleistift oder Klebezettel an den Gesamtplan angeheftet werden. Und warum? - Weil die Sozialagentur der Entscheidungskompetenz der Sozialämter augenscheinlich nicht traut - eine Machtasymmetrie, die ihresgleichen sucht.
Ergo: Die Sozialämter müssen für alle Leistungsberechtigten alle Akten nach Halle schicken. Was für eine Kultur des Misstrauens herrscht hier vor? In Halle prüft man dann alles noch einmal, aber bitte nicht in Gesprächen mit den Leistungsberechtigten. Das Motto „Nichts über uns ohne uns“ scheint der Sozialagentur gänzlich unbekannt zu sein.
Da wird vom Schreibtisch aus mal eben die Hilfebedarfsgruppe 8 in eine Hilfebedarfsgruppe 6 verändert. Übersetzt heißt das: Nicht mehr 19,5 Stunden netto in der Woche bekommt die leistungsberechtigte Person, sondern nur noch 13 Stunden pro Woche. Oder -
lassen Sie mich das einfach einmal provokant formulieren - soll der Hilfebedarf das Stullenschmieren sein oder die Dusche? Ich meine, das ist ja auch irgendwie Ausdruck von Selbstbestimmung. Die leistungsberechtigte Person darf jetzt entscheiden, wo ihr eben nicht geholfen wird. Eines von beiden muss sie dann eben allein machen.
Ob es geht oder nicht: Es werden in diesem Land ohne Weiteres einfach die Hilfebedarfsgruppe und die Unterstützung abgesenkt. Es wird also weniger Unterstützungsbedarf gewährt, ohne die Person auch nur einmal getroffen zu haben.
So, meine Damen und Herren, ist es mit dem Bundesteilhabegesetz aber nicht gemeint; denn es heißt ja Teilhabegesetz und nicht Entscheidedich-Gesetz. Die zuständige Behörde, die die Aufgaben des Landes erfüllen soll und dabei das Wort „sozial“ im Namen trägt, stellt hier Ökonomie vor das Wohl der Menschen. Das ist unsäglich. Nicht Eingliederungshilfe ist das, was die Sozialagentur tut, sondern Ausgliederungshilfe.
Meine Damen und Herren! Auch die Leistungserbringer beklagen sich über diesen unhalt- baren Zustand. Ja, sie schlagen Alarm, und das zu Recht. Die Träger als Leistungserbringer sind nicht nur verantwortlich für die Menschen, die die Einrichtungen ihr Zuhause nennen. Sie sind auch verantwortlich für ihre Mitarbeitenden. Und mit der Umstellung des Bundesteilhabegesetzes stehen personenzentrierte Leistungen im Fokus. Dennoch muss der Personalschlüssel funktionieren und vor allen Dingen auch aus- finanziert sein. Doch das gelingt nicht.
Die Leistungserbringer verhandeln über ihre Vergütungsvereinbarung mit der Sozialagentur. Dazu bleiben nach Aufforderung drei Monate Zeit. Meistens wird Ende September aufgefordert, damit Ende Dezember alles abgeschlossen sein könnte und ab 1. Januar die neue Ver-
gütung dann erfolgen könnte. Jedoch wurden sowohl im letzten Jahr als auch in den Vorjahren so gut wie keine Verhandlungen abgeschlossen, geschweige denn in der gesetzlichen Frist überhaupt begonnen.
In der letzten Woche vor dem 31. Dezember des letzten Jahres war die Sozialagentur zudem auch noch geschlossen. Es war niemand zu erreichen. Also reichten die Träger erneut Schiedsverfahren ein, um die Fristen zu wahren. 466 neu eingereichte Verfahren wurden deswegen zu Beginn dieses Jahres gezählt. Das, meine Damen und Herren, zeugt von mangelndem Vertrauen der Vertragspartner*innen. Aber noch viel mehr zeugt es von Arbeitsverweigerung bei der Sozialagentur.
Die Leistungserbringer bekommen als Antwort auf ihre Anträge stets zu hören, dass Unterlagen fehlten, es nicht vollständig sei oder Akten nicht da seien. Es ist schon merkwürdig, wenn man das immer wieder von allen Trägern hört, unisono. Das kann doch nicht an den Leistungserbringern liegen.
Meine Damen und Herren! Sie erinnert das alles so ein bisschen an den Passierschein A 38 bei Asterix? - Mich auch, nur ist es eben nicht im Geringsten komisch. Es ist die bittere Realität in diesem Land für Menschen mit Behinderung.
Insgesamt sind im Bereich der Eingliederungshilfe seit dem Jahr 2017 mehr als 700 Verfahren in der Schiedsstelle offen. Das ist eine Anzahl, die nie und nimmer auch nur annähernd in kurzer Zeit abarbeitet werden kann. Es ist zu erwarten, dass die Anzahl weiter steigen wird. Das geschieht dann, wenn die Verhandlungen über die neuen Vereinbarungen und über den neuen
Rahmenvertrag erst so richtig beginnen. Und nein, an dieser Stelle muss ganz klar betont werden, dass die Leistungserbringer verhandeln wollen. Blockieren tut dies allein die Sozialagentur.