Zur Umsetzung dieses Prinzips ist auch das Land Sachsen-Anhalt verpflichtet. Zuständig hierfür sind unter anderem das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung und die Sozialagentur.
In unserem Bundesland leben mehr als 27 000 Menschen mit einer Behinderung in einer der über 1 100 Einrichtungen der ambulanten und stationären Eingliederungshilfe. Die Kosten hierfür übernimmt zu einem Großteil das Land Sachsen-Anhalt. Ja, die Unterstützung der Menschen mit Einschränkungen kostet Geld und wird auch immer Geld kosten. Aber es gibt schlichtweg die Verpflichtung, dass das Land hierbei unterstützen und zahlen muss. Auf ein Gesamtvolumen von knapp 2 Milliarden € beläuft sich der Einzelplan 05 im Landeshaushalt
2023, den wir gestern verabschiedet haben. Mittel in Höhe von ca. 625 Millionen € sind für die Eingliederungshilfen eingestellt worden.
Nun zum Prozedere. Jede Einrichtung der Eingliederungshilfe muss mit der Sozialagentur über die Sach- und Personalkosten verhandeln, sprich: Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen treffen, und das für jede einzelne Einheit, die vorgehalten wird. Bei mehr als 1 100 Einrichtungen könnte man daher durchaus sagen, es handelt sich für die Sozialagentur um das täg- liche Geschäft und eines der Hauptbetätigungsfelder. Aber in Sachsen-Anhalt gestalten sich diese Verhandlungen alles andere als zielführend.
Seitens der Sozialagentur wird unter anderem vorgetragen, dass die Einrichtungen ihrer Bringepflicht nicht nachkommen und daher keine einvernehmliche Übereinkunft getroffen werden kann und dass Personal zur Bearbeitung fehlt. Fragt man jedoch auf der anderen Seite, auf der Seite der Einrichtungen, nach, klingt der überwiegende Tenor ganz anders: Die Sozialagentur verweigere die klärenden Gespräche; die eingereichten Unterlagen reichten immer nicht aus; die Einrichtungen seien nicht in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen. Es ist von Misstrauen und Allmachtsgebaren die Rede.
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht die Frage nach Schuld oder Nicht-Schuld stellen, aber es mutet doch seltsam an, dass ein Großteil der 1 100 Einrichtungen nicht in der Lage sein soll, die Anforderungen zu erfüllen.
Vielleicht sollte sich die Sozialagentur die Frage stellen, ob das Problem und seine Lösung nicht im eigenen Haus liegen.
Wenn die Verhandlungen zwischen der Sozialagentur und den Einrichtungen nicht einvernehmlich beendet werden können, sind die Einrichtungen, wie wir schon gehört haben, letztlich gezwungen, spätestens am 31. Dezember eines Jahres die Schiedsstelle anzurufen, um ihre Ansprüche zu sichern. Ganz nebenbei: Nach der Anrufung wäre auch eine Eingangsbestätigung an die Einrichtung schön.
Die Schiedsstelle ist gemäß § 126 Abs. 2 SGB IX zuständig. Ihre Mitglieder sind ehrenamtlich tätig und nicht an Weisungen gebunden. Sie haben den Auftrag, unverzüglich Entscheidungen zu treffen. Im Land Sachsen-Anhalt - Fehlanzeige. Aktuell sind gut 700 Verfahren bei den entsprechenden Schiedsstellen für Eingliederungshilfe anhängig. Bei allen fünf Schieds- stellen sind es 1 134 Verfahren.
Die Schiedsstelle soll jedoch nur in Einzelfällen tätig werden, wenn über den Inhalt von Vereinbarungen keine Einigung erzielt worden ist. Dazu sage ich: Wow, 700 Einzelfälle! Oder vielleicht doch ein Systemversagen innerhalb der Sozialagentur? Anders sind die Fallzahlen nicht mehr zu erklären. Schaut man bspw. nach Berlin oder Brandenburg, sieht man, dass die dortige Schiedsstelle tatsächlich nur in einigen wenigen Fällen im Jahr angerufen wird.
Statt dass das zuständige Ministerium dem langjährigen Trend entgegenwirkt, erhöht man lieber die finanziellen Mittel für die Schiedsstellen um mehr als das Vierfache. Aufarbeitung und
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass für einige Einrichtungen bei der Schiedsstelle noch nicht Schluss ist, sondern zusätzlich oder im Anschluss Verfahren vor den Sozialgerichten geführt werden müssen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Einrichtungsträgern und Arbeitnehmern in diesen Einrichtungen für ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Einsatz bedanken. Sie übernehmen eine wichtige staatliche Aufgabe und geben den Menschen mit Beeinträchtigungen ein Zuhause, Sicherheit und Unterstützung.
Aus meiner Sicht ist es daher fatal, dass sich diese Einrichtungen gegenüber der Sozialagentur als Bittsteller fühlen. Die Verhandlungen mit der Sozialagentur müssen künftig auf Augenhöhe geführt und innerhalb des normalen Verfahrens beendet werden. Alles andere ist eine Farce.
Der Sozialagentur stelle ich anheim, intern umzustrukturieren und auf die Einrichtungen zuzugehen. Aktuell gehen diese massiv in Vorleistung, vor allem die drei Einrichtungen, die neu gebaut haben. Es bleibt die Frage, wie lange sie das durchhalten können.
Ein konkretes Beispiel: Eine Einrichtung verhandelt für Kindergarten, Wohnheim, Tagesförderung und Werkstatt seit dem Jahr 2020, also seit drei Jahren, und hat aktuell 37 Verfahren bei der Schiedsstelle.
Die allgemeinen Anpassungen gehen jedoch auch an den Einrichtungen nicht spurlos vorbei. Auch bei dem bekannten Fachkräftemangel stehen die Einrichtungen mit dem Rücken zur Wand, wenn sie nicht kurzfristig an Lohnsteigerungen anknüpfen können.
Schaut man auf die inflationsbedingten Er- höhungen seit dem letzten Jahr, dann stellt man fest, dass auch bei den Einrichtungen der Eingliederungshilfe die Kosten nicht konstant geblieben, sondern im Durchschnitt um 8 % gestiegen sind. Diese Zahl entspricht der allgemeinen Preissteigerung. Einrichtungen haben diese Erhöhungen gegenüber der Sozialagentur geltend gemacht. Das Angebot seitens der Sozialagentur an die Einrichtungen belief sich jedoch auf lediglich 1,8 %. Dass dies bereits korrigiert worden ist, wurde schon gesagt. Aber wie sollen die Einrichtungen diese Defizite ausgleichen?
Es sind aber nicht nur die oben genannten Vertragsverhandlungen, die problematisch sind, sondern auch die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe für die betreffenden Personen. Es gibt vielschichtige Probleme seit der Einführung des neuen BTHG. Die Verfahrensdauer bis zur Feststellung einer Hilfebedarfsgruppe und damit bis zur Bewilligung von Leistungen ist vielfach nicht angemessen, ganz abgesehen davon, dass nur einfache Mitteilungen an die betroffenen Menschen über die Zuordnung zu einer Hilfebedarfsgruppe ergehen, gegen die kein Rechtsmittel möglich ist. Die Einrichtung hat dann die Verpflichtung, hiergegen vorzugehen. Es wird schlichtweg über die Köpfe der Menschen mit Behinderungen hinweg entschieden, obwohl gerade diese einbezogen werden sollen. Die Rechte der Menschen mit Beeinträchtigungen werden ausgehöhlt.
Noch ein kurzer Ausblick: Es gibt immer mehr sogenannte Systemsprenger, Menschen mit geistigen und/oder seelischen Mehrfachbehin-
derungen, die nicht gruppenfähig sind. Für diese Menschen werden zukünftig neue Wohnformen geschaffen werden müssen. Die Sozialagentur täte gut daran, bereits zum jetzigen Zeitpunkt mit ausgewählten Einrichtungsträgern in Verhandlung zu treten, um mit ihnen zu sprechen, wie diese gestaltet werden können und welches Personal vorzuhalten ist. Der Schuh drückt hier schon gewaltig. Auch der Petitionsausschuss des Landtages hat sich bereits mehrfach mit der Thematik befasst.
Um auf den Anfang meiner Rede zurückzukommen: Der Bereich der Eingliederungshilfe kostet Geld. Aber es ist eine staatliche Aufgabe, die die Einrichtungsträger erbringen. Daher dürfen diese nicht als Bittsteller behandelt werden, sondern die Sozialagentur muss ihre Arbeitsweise anpassen. - Danke schön.
Frau Schüßler, vielen Dank für Ihre Rede. Man merkt, dass sich Ihre Einschätzung kaum von der von Frau Anger unterscheidet, was die Sozialagentur anbelangt. Wir haben alle mit denselben Leuten dieselben Gespräche geführt. Wir wissen also, worüber wir reden, gerade aus der Stendaler Perspektive. Aber wenn ich Ihre Einschätzung höre, frage ich Sie: Was glauben Sie,
was die Ursache dafür ist, dass die Sozialagentur so agiert, wie sie agiert? Hinter vorgehaltener Hand sagen mir natürlich alle: Wir sind diejenigen, die das Geld einzusparen haben, und deshalb benehmen wir uns so.
Ich frage Sie aus der Perspektive eines Mitglieds einer Koalitionsfraktion: Wenn Sie die Einschätzung so teilen - was sind Ihre Konsequenzen aus dieser Situation der Sozialagentur?
Danke für die Nachfrage. Die Frage habe ich mir auch gestellt, ich habe letztens beim Landesbehindertenbeirat auch schon mit Frau Anger darüber gesprochen. Es müssen mit dem Sozialministerium und der Sozialagentur Gespräche geführt werden, wie diese Bearbeitungsweise zukünftig anders laufen kann. Wie gesagt, es ist eine staatliche Verpflichtung, diese Leistungen zu zahlen. Die Menschen haben einen Anspruch darauf. Dass das Geld kostet - größter Einzelplan im Haushalt -, das wissen wir alle. Es muss aber eine Lösung her. Wie diese aussieht, das kann ich Ihnen - das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen - im Moment nicht sagen. Wir müssen uns an einen Tisch setzen und reden. - Danke.
nach vorn ans Rednerpult. - Solange er sich auf dem Weg befindet, darf ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Saaleschule für (H)alle in Halle begrüßen, die auf der Tribüne Platz genommen haben. - Seien Sie herzlich willkommen im Hohen Haus!
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich muss das, was wir von den Vorrednern in Bezug auf die Aufzählung der Fakten und Tatsachen gehört haben, nicht noch einmal sagen, weil es sich irgendwann wiederholt. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir als AfD-Fraktion bereits Anfang 2021 bei der Landesregierung nach dem derzeitigen Umsetzungsstand des Bundesteilhabegesetzes und des SGB IX angefragt haben, ob es irgendwelche bekannten Probleme bei der Umsetzung dieser Gesetze gibt. Der Landesregierung waren damals keine konkreten Problemlagen bekannt. Sie verwies lediglich auf die außergewöhnlichen Belastungen durch das damalige Pandemiegeschehen.
Es ist klar, dass in jeder Verwaltung Konflikte entstehen, die auch in gerichtliche Verfahren münden. Das ist im Ergebnis auch gut, weil sich darin das Funktionieren unseres Rechtsstaates ausdrückt. Aber es ist grundsätzlich immer besser, von vornherein zu vermeiden, dass überhaupt erst ein Gerichtsverfahren entsteht. Aus diesem Grund ist in § 133 SGB IX die Einrichtung einer Schiedsstelle vorgesehen worden, die aus Vertretern der Leistungserbringer und den Vertretern der Träger der Eingliederungshilfe besteht, und zwar in gleicher Zahl, plus einem unparteiischen Vorsitzenden. Diese Schiedsstelle ist dazu da, die Probleme bei dem Abschluss der
in Rede stehenden Vergütungsvereinbarungen zu beseitigen, und zwar bevor der Weg zu den Sozialgerichten beschritten wird.
In dieser schwierigen Gemengelage haben wir jetzt erfahren, dass 700 oder, nach der Information von Minister Willingmann, 450 Schiedsverfahren allein zu den Vergütungsvereinbarungen für die Träger der Eingliederungshilfe noch immer nicht entschieden sind. Die Ursachen dafür sind vielfältig, das ist uns allen klar. Sie mögen darauf zurückzuführen sein, dass die Vergütung der Leistungsträger infolge der galoppierenden Inflation, infolge der Personalengpässe, infolge fehlender Mitarbeiter, infolge der dramatischen Kostensteigerungen für Energie und Lebensmittel oder ganz allgemein infolge nicht bzw. nur sehr schwer kalkulierbarer unternehmerischer Risiken nicht mehr aufgeht. Deswegen haben wir eine Verantwortung, das Problem zu lösen.
Wir müssen die Schiedsverfahren schnellstmöglich zu einem einvernehmlichen Abschluss bringen, weil diese Vereinbarungen die Grundlage für die Hilfe gegenüber den schwächsten Personen in unserer Gesellschaft bilden. Ich möchte später nicht in der Zeitung lesen müssen, dass sich ein blinder Mitbürger oder jemand mit einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung das Leben genommen hat, weil sich der für ihn zuständige Träger der Leistungserbringung mit der Sozialagentur nicht über die Höhe seiner Vergütung einigen konnte. Ich bin mir sicher, dass das niemand von Ihnen möchte; denn wenn es dazu kommt, sind all diejenigen verantwortlich, die den Missstand erkannt, aber nichts dagegen unternommen haben.
Was ist also zu tun? - Die Schiedsverfahren müssen schnellstmöglich mit einer zukunftsfähigen Vergütungsregelung, die auf den jeweiligen Einzelfall angepasst ist, beendet werden, und zwar in Bezug auf die Träger der Eingliederungshilfe genauso wie in Bezug auf die Träger der Leis-