Protokoll der Sitzung vom 23.03.2023

Was ist also zu tun? - Die Schiedsverfahren müssen schnellstmöglich mit einer zukunftsfähigen Vergütungsregelung, die auf den jeweiligen Einzelfall angepasst ist, beendet werden, und zwar in Bezug auf die Träger der Eingliederungshilfe genauso wie in Bezug auf die Träger der Leis-

tungserbringung. Das kann z. B. gelingen, indem sich das Ministerium direkt in die Verhandlungen einschaltet. Soweit die Sozialagentur nur aufgrund mangelnder Mitarbeiterzahlen mit der Bewältigung der ihr obliegenden Aufgabe überfordert ist, muss sie unter Umständen personell ertüchtigt werden.

In dem Geschäftsbereich 5, der für Rechtsbehelfe zuständig ist, gibt es derzeit nur einen Mitarbeiter. Vielleicht sollte man einmal darüber nachdenken, diesem zeitlich befristet einen kompetenten Kollegen zur Seite zu stellen, der sich ausschließlich mit Schiedsverfahren beschäftigt, bis das Problem gelöst ist. Oder das Ministerium schaltet sich an dieser Stelle selbst ein.

Von den hier gemachten eigenen Vorschlägen einmal abgesehen, wird die AfD-Fraktion selbstverständlich auch parteiübergreifend alle Initiativen unterstützen, die zu einer echten Problemlösung beitragen. Damit will ich es bewenden lassen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Hecht. - Es folgt als nächster Redner Herr Pott für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ob medial oder in Gesprächen mit betroffenen Einrichtungen - die Sozialagentur ist häufig ein Thema, das besprochen und über das viel diskutiert wird.

Gerade im Bereich der Eingliederungshilfe wird häufig Handlungsbedarf gesehen, z. B. wenn es

um die steigenden Energiepreise oder die Inflation geht. Meistens steht die Sozialagentur negativ da und wird von vielen Seiten kritisiert.

Doch bevor ich vertiefend auf die Problemlagen eingehe, möchte ich kurz einige grundlegende Vorbemerkungen machen. Die Sozialagentur stellt die zuständige Verwaltungsbehörde Sachsen-Anhalts dar, wenn es um die Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe geht. Sie unterstützt die einzelnen Sozialämter der Landkreise und der kreisfreien Städte.

Wichtig ist klarzustellen, dass die Sozialagentur in zwei Bereiche unterteilt ist: die Pflege und die Eingliederungshilfe. Innerhalb des Wirkungskreises der Pflege zeigen sich meistens keine schwerwiegenden Probleme. Dies geht aus diversen Gesprächen mit Pflegeeinrichtungen hervor. Natürlich gibt es auch immer wieder einmal Diskussionen wegen kleinerer Unzufriedenheiten. Im Großen und Ganzen nehme ich dort allerdings deutlich weniger Unmut wahr als im Bereich der Eingliederungshilfe.

Demgegenüber muss ich in Bezug auf den Bereich der Eingliederungshilfe feststellen, dass eigentlich sämtliche Gesprächspartner Unzufriedenheit signalisieren und äußern. Dort ist eindeutig Handlungsbedarf zu finden, der im Bereich der Pflege bei der Sozialagentur so nicht zu finden ist.

Dass es die Probleme zwischen Einrichtungen der Eingliederungshilfe und der Sozialagentur gibt, das ist uns bewusst und ist auch schon in diversen Redebeiträgen heute deutlich geworden. Wir müssen aus meiner Sicht grundlegend an das Problem herangehen und verstehen, wie die Sozialagentur arbeitet. Nur so können wir am Ende die Probleme lösen und die Arbeitsweise im Sinne der Betroffenen verbessern. Deswegen stehen wir als Koalition auch im

regelmäßigen Austausch mit der Sozialagentur und versuchen dort, lösungsorientiert an die Kritik heranzugehen und die Probleme zu lösen. Auch innerhalb des Ausschusses ist bereits das eine oder andere Mal über diesen Themenkomplex insgesamt diskutiert worden.

Anhand der Unterteilungen und der jeweiligen Einstellungen zur Sozialagentur zeigt sich, dass gerade innerhalb des Bereichs der Eingliederungshilfe ein hohes Maß an Problemaufkommen zu finden ist und inzwischen auch medial mehrfach aufgegriffen worden ist. Das zeigt eindeutig auch die Bedeutung.

Neben diesen Problemlagen muss jedoch ebenfalls hervorgehoben werden, dass ein gewisses Maß an Verständnis für die internen Abläufe der Sozialagentur vonnöten ist; ich habe es eben angesprochen. Mit einem reinen „Macht es besser!“-Appell werden wir die Probleme mit Sicherheit nicht lösen. Die Abläufe müssen verstanden und auf dieser Basis optimiert werden, um die Sozialagentur in ihrer Effizienz und Effektivität zu steigern.

Die Diskussion muss sich darum drehen, wie wir Prozesse verbessern, digitalisieren und beschleunigen können. Wir müssen wegkommen von der Idee, dass allein mehr Geld alle Probleme dort lösen würde. Es würde Sie, glaube ich, nur zeitweise verwischen.

(Beifall bei der FDP)

Gehen wir ein bisschen tiefer, zu den Ursachen und den Auswirkungen auf die Träger. Die Verhandlung zwischen den Beteiligungen stocken und es zeigen sich Probleme. Dies zeigt sich bspw. an der hohen Zahl der Schiedsstellenverfahren - auch das haben wir gehört -, die die in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern deutlich höher ist. Das möchte ich an dieser Stelle hervorheben.

Die Zahl der offenen Schiedsstellenverfahren beläuft sich - so sind zumindest meine Kenntnisse - auf ca. 700. Es ist selbstverständlich, dass diese hohe Zahl so nicht hinnehmbar ist, keine Frage. Aber wir müssen immer auch die Zahlen einordnen. Wir müssen wissen, wie diese Zahlen richtig interpretiert werden. Denn aufgrund der Vorgaben und Strukturen - auch das haben wir gehört - werden häufig Schiedsstellenverfahren angestoßen, um Fristwahrungen und Rechtsansprüche zu sichern. Teilweise laufen dann währenddessen die Verhandlungen mit den Trägern. Aber es geht, wie gesagt, ggf. um Rechtsansprüche, die ansonsten verfallen würden. An dieser Stelle haben wir ein klares strukturelles Problem, das wir angehen müssen und mit dem - so habe ich das zumindest aus der Sozialagentur vernommen - aktuell auch die Sozialagentur selbst unzufrieden ist.

Ein weiterer Punkt sind die finanziellen Probleme von Einrichtungen der Behindertenhilfe. Seitens der Sozialagentur wird signalisiert, dass die Probleme existent, aber bei Weitem nicht so gravierend sind, wie es dargestellt wird. Es gilt, das kritisch zu betrachten und mithilfe weiterer Gespräche zu vertiefen. Wir sollten darauf achten - das habe ich auch gegenüber der Sozialagentur deutlich gemacht -, dass es nicht passieren darf, dass Einrichtungen aufgrund der Inflation oder der hohen Energiepreise aktuell schließen müssen. Das darf nicht das Ziel sein.

(Zustimmung bei der FDP)

Eine Sache kam in der Debatte bisher ein bisschen zu kurz: Was sollte eigentlich im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen? - Es sind die Betroffenen, getreu dem Motto, welches von Menschen mit Behinderungen immer wieder betont wird: Nichts über uns ohne uns!

Auch die Träger vertreten nicht immer die Meinungen der Betroffenen. Ich kann mich hierzu

sehr gut an eine Sitzung des Landesbehindertenbeirats erinnern, bei dem wir über die Mindestbauverordnung gesprochen haben, nach dem Fachtag des Sozialministeriums, der im letzten Jahr organisiert wurde. Träger bzw. Einrichtungen machten dort deutlich, dass aus ihrer Sicht dort die Übergangsphase von bis zu 30 Jahren zu kurz sei. Ein Vertreter des Allgemeinen Behindertenverbandes in Sachsen-Anhalt erwiderte daraufhin, dass er sich nicht sicher sei, ob wir überhaupt noch 30 Jahre haben.

Ich mache das an dieser Stelle deutlich, weil wir aus meiner Sicht in der Behindertenpolitik grundlegend immer zuerst von den Menschen her denken müssen, die betroffen sind, nicht von den Trägern, nicht von der Sozialagentur, sondern von den Betroffenen.

(Zustimmung)

Für all das zuvor Erwähnte bedarf es jedoch mehr als einer Aktuellen Debatte. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig, auch wenn ich die Diskussion auch an dieser Stelle begrüße. Wichtig ist es daher, in einem intensiven Austausch mit dem zuständigen Ministerium, der Sozialagentur, den Betroffenen, den Einrichtungen zu stehen.

Wir sollten uns fragen, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen, um etwas zu bewirken. Wo genau können Prozesse angepasst werden? Wie kann den Trägern sowie der Sozialagentur effektiv geholfen werden? Wie können dabei die Bedürfnisse der Betroffenen im Zentrum stehen?

Ich möchte in diesem Kontext betonen, dass das reine Geben von finanziellen Mitteln eben keine Lösung darstellt. Eine allumfassende Lösung erhalten wir nur mit dem Überdenken der aktuellen Prozesse und Strukturen.

Ich möchte - um langsam zum Ende zu kommen - diese Aktuelle Debatte auch einmal nutzen, um einen für mich relevanten Punkt zu betonen, nämlich die Ambulantisierung. Eine echte Teilhabe und ein Umdenken müssen aus meiner Sicht viel mehr Gehör finden. Ein Umdenken hat bislang kaum stattgefunden. Ein selbstbestimmtes Leben ist zentraler Aspekt jedes Menschen, auch von Menschen mit Behinderungen.

Für uns Freie Demokraten ist dieser Standpunkt, die Selbstbestimmung, von zentraler Bedeutung. Das zeigt auch eine Kleine Anfrage, welche ich im vergangenen Jahr gestellt habe, die sehr deutlich gemacht hat, dass dieses Umdenken leider auch im Ministerium und in der Sozialagentur so noch nicht stattgefunden hat und dass dort noch viel zu tun ist.

Ein Beispiel dafür, wie es in Zukunft gehen kann, ist der Verein „Lebenstraum“ in Halle. Mit seinen Angeboten zum selbstbestimmten Wohnen leistet er einen großen Beitrag zu dem ambulanten Gedanken. Ich möchte an dieser Stelle meinen großen Dank und meinen großen Respekt an alle Einrichtungen dafür aussprechen, dass sie mit ihrem Engagement Menschen mit Behinderungen den höchstmöglichen Grad an selbstbestimmtem Leben ermöglichen. Davon

braucht es mehr. Dafür müssen die Hürden, mit welchen gerade auch der Verein „Lebenstraum“ in Halle zu kämpfen hat, abgebaut werden.

Ich möchte jetzt zum Ende kommen. Was wir brauchen, das sind vertiefende Dialoge und vertiefende Debatten. Ich selbst kann für mich zumindest aktuell noch nicht sagen, dass ich alle Abläufe, Prozesse und Details in der Arbeitsweise der Sozialagentur vollumfänglich verstanden habe. Das brauchen wir aber, um eben die Probleme zu lösen und die Situation nachhaltig zu verbessern.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen bei allem, was wir beschließen, immer die betroffenen Menschen im Mittelpunkt sehen und sie mit einbeziehen. Wir brauchen eine Fokusverschiebung weg vom Stationären hin zum Ambulanten. Die Probleme der Sozialagentur sind bekannt. Damit gilt es, sie aktiv im Sinne der Betroffenen und mit dem Ziel einer echten Teilhabe zu lösen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Herr Pott, vielen Dank. - Ich sehe keine Nachfragen oder Interventionen. Deswegen bitte ich gleich Frau Sziborra-Seidlitz für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Rednerpult.

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Mai letzten Jahres haben wir im Sozialausschuss in einer großen Anhörung vieles über das Wirken, die Fortschritte und die Schwierigkeiten in den Verhandlungen der Träger der Eingliederungshilfe mit der Sozialagentur gehört.

Die große Herausforderung damals wie heute war, die Finanzierung der Eingliederungshilfe mithilfe einer Konkretisierung des bereits vorliegenden Landesrahmenvertrages so auszugestalten, dass sie zu dem neuen Bundesteilhabegesetz passt - darum geht es -, dass sie auch in der Finanzierungsstruktur dem Teilhabegedanken entspricht, der den Menschen mit seinen besonderen Herausforderungen und Bedürf- nissen ins Zentrum der Betrachtung rückt und nicht länger von der Einrichtung her denkt.

Man könnte meinen, diese Veränderung passe dem Träger nicht, weil sie Beantragung und Be-

rechnung komplexer macht und damit verkompliziert. Ganz sicher gibt es an einigen Stellen, z. B. im Feld der Kosten der Unterkunft, struk- turell noch ganz, ganz dringend Nachbesserungsbedarf. Aber nein, wir alle haben nicht nur im Sozialausschuss erlebt, dass die Träger in Sachsen-Anhalt sich engagiert auf den Weg gemacht haben, um diese neue Perspektive nicht nur mit Leben zu erfüllen, sondern sie auch als wichtig benennen und sie verteidigen.

Aber es hakt. Obwohl das Land ein eigenes Gremium, GK 131 genannt, eingesetzt hat - bei den vielen Gesetzen und bei all dem, was hier für Nichtfachleute an Ermüdendem heute schon genannt worden ist, wollte ich jetzt eine neue Vokabel, GK 131, ins Feld führen -, um erst den Rahmenvertrag zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Sachsen-Anhalt zu verhandeln und jetzt dessen weitere Umsetzung, und das gesetzeskonform bis zum Ende der Übergangsfrist in diesem Jahr, gab es schon im Mai letzten Jahres einen bemerkenswerten Stau an dieser Stelle. Es lagen schon damals etwa 380 offene Schiedsverfahren vor, bei denen es um die Anpassung von Leistungsgewährungen an konkret gestiegene und anerkannte Kosten ging.

Dennoch gab es im Sommer letzten Jahres durchaus Anlass zu Optimismus mit dem Blick auf die hiesige Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Das Land, also zuvörderst die Sozialagentur und die Leistungserbringer, also zuvörderst die Liga, schienen ihre Konflikte von Anfang 2022 beigelegt zu haben. Da schien das Sozialministerium in Person des Staatssekretärs sehr konstruktiv und schlichtend gewirkt zu haben. Die Liga-Vertreter schilderten beinahe euphorisch das neu gefundene Vertrauen und blickten optimistisch auf den weiteren Fortgang der Verhandlungen. Das Jahr 2023 sollte reichen, um die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen und den Übergangszeitraum zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in

Sachsen-Anhalt damit zu beenden. Davon scheint nur wenige Monate nach dem Jahreswechsel nicht mehr viel übrig zu sein.

Gleichzeitig spitzt sich allem Anschein nach eine Situation weiter zu und eskaliert geradewegs, über die schon im Mai 2022 im Ausschuss intensiv diskutiert wurde: die Verhandlungen zwischen Sozialagentur und einzelnen Trägern in Sachen Vergütung und Leistungsvereinbarungen und die aus diesen gescheiterten Verhandlungen anwachsende Zahl an Schiedsstellenverfahren. Es wurde gerade schon erklärt, wie das funktioniert. Seinerzeit waren etwa 380 Schiedsstellenverfahren offen. Aktuell reden wir von fast doppelt so vielen.

Es scheint, der Teil der sehr kritischen Kommentare aus dem Fachgespräch im Mai hat sich trotz aller Verlautbarungen, Ankündigungen und sicherlich engagierter Arbeit aufseiten der Verwaltung und der Landesregierung nun doch bewahrheitet.

Tatsächlich muss man heute konstatieren, dass die Situation gerade hinsichtlich der Schiedsstellenverfahren immer schwieriger wird. Dieses Schlimmer-und-schwieriger-Werden - das sind nicht einfach zwei verhakelte Verhandlungspartner - hat konkrete Folgen, und zwar Folgen für die Betroffenen, deren Bedarfe bei all dem mindestens aus dem Blick rutschen und schlimmstenfalls nicht hinreichend erfüllt werden können. Dabei geht es genau um diejenigen Menschen, die mit dem neuen Bundesteilhabegesetz eigentlich im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen sollen. Es kann so also einfach nicht weitergehen.

Was genau meine ich damit? - Sicherlich hat das Land die schwierige Aufgabe, die Widersprüche, die im BTHG stecken, irgendwie handhabbarer zu machen, Leistungen personenzentriert zu entwickeln und gleichzeitig Kostenneutralität zu

wahren. Dass das schlicht nicht möglich ist, das sollte auf der Hand liegen. Es ist immer finanziell günstiger, Menschen in großen Einrichtungen unterzubringen, an deren Strukturen sich die Betroffenen dann anpassen müssen, als individuelle Hilfen personenzentriert und im besten Fall in der eigenen Häuslichkeit zu leisten und zu finanzieren.