Protokoll der Sitzung vom 23.03.2023

(Zustimmung von Stefan Gebhardt, DIE LINKE)

Sowohl die Träger als auch die Menschen mit Behinderung, mit denen ich regelmäßig im Gespräch bin, berichten immer wieder: Durch die Sozialagentur erfolgen unverhältnismäßige

Nachforderungen; es wird von verschwundenen Akten, von einer Nichterreichbarkeit der Sozialagentur gesprochen; E-Mails bleiben unbeantwortet. Es gibt eine immense Zeitverzögerung. Es ist doch kein Wunder, dass wir so viele Schiedsstellenverfahren haben. Diese müssten wir alle nicht haben, wenn es an erster Stelle, und zwar in der Sozialagentur, vernünftig klappen würde.

Ein weiterer Punkt: Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Schwerbehinderung im Land Sachsen-Anhalt ist bundesweit die schlechteste. Das müssen wir benennen. Denn wenn wir es nicht benennen, dann können wir es nicht ändern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Frau Gensecke, möchten Sie darauf reagieren?

Zunächst möchte ich zu dem letzten Punkt etwas sagen. Menschen mit Behinderung - das alles ist uns bekannt; das alles wissen wir. Mich ärgert es bloß unheimlich, wenn in den Berichterstattungen über Menschen mit Behinderung immer nur über die defizitären Bereiche berichtet wird.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Aber wenn es doch nicht schön ist!)

Es gibt ganz, ganz viele Möglichkeiten. Mit Blick auf die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Be-

hinderung ist - gerade jetzt, wo der Fachkräftemangel steigt - eine ganze Menge passiert: das Budget für Arbeit, das Budget für Ausbildung. Solche Dinge kommen in der öffentlichen Berichterstattung nie vor - das ärgert mich.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Mir geht es darum, dass man einfach nur einmal die Dinge aufzeigt, die wir zur Verfügung haben. Wir stehen in Sachsen-Anhalt mit diesen Instrumenten gut da.

Jetzt kommt die Frage von Herrn Tullner.

Frau Gensecke, ich bin Ihrem Beitrag sehr aufmerksam gefolgt. Ich finde, Sie haben sehr charmant und sehr sachkundig, aber irgendwie doch ein bisschen am Thema vorbeigeredet. Ich meine, nun ist es auch Ihr Job, die zuständige Ministerin zu verteidigen und in Schutz zu nehmen, aber das Grundproblem, das die Träger mir in meinem Wahlkreis - ich denke an die Paul-Riebeck-Stiftung und andere - schildern, ist, dass die Sozialagentur nicht in der Lage ist, ihre Aufgabe zu erfüllen.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Olaf Meister, GRÜNE)

Das ist doch keine Beschimpfung der dort arbeitenden Frauen und Männer. Die eigentliche Aufgabe ist es doch jetzt, die sächlichen und personellen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Sozialagentur ihrer Aufgabe gerecht werden kann. Wir als regierungstragende Fraktionen können sicherlich die zuständige Minis-

terin dabei auch fachlich und anderweitig begleiten.

(Zustimmung bei der SPD, bei der FDP und bei der LINKEN - Dr. Katja Pähle, SPD: Das ist eine gute Idee!)

Das müssen wir doch hinbekommen. Deshalb fand ich Ihren Beitrag - nach dem Motto: Inklusion ist schön und wir reden alles

schlecht - nicht hilfreich. Wenn es Probleme gibt, dann müssen wir sie klar benennen, sie lösen und nicht um den heißen Brei herumreden.

(Zustimmung)

Sehr geehrter Herr Tullner, die Idee nehme ich sehr, sehr gern auf. Wenn wir in die nächsten Haushaltsberatungen gehen, dann werden wir genau diesen Punkt aufgreifen. Das ist eines der Probleme: Die Personalsituation ist nicht zu- friedenstellend.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir nehmen das gern auf.

(Unruhe)

Ich weiß aber auch, wer, wenn dieser Punkt verhandelt wird, sehr genau auf den Einzelplan 05 und auf die Eingliederungshilfe schauen wird.

Frau Kollegin, wir können doch nicht bis zur nächsten Haushaltsberatung warten. Die Ministerin muss jetzt, im operativen Geschäft, umschichten, Prioritäten setzen und das Problem

lösen. Wir können doch nicht um den heißen Brei herumreden. Darum geht es mir.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Frau Gensecke.

Ich denke, wir werden nicht um den heißen Brei herumreden. Ich habe gesagt: Ich kann das nachvollziehen; auch mich erreichen genau solche Anfragen. Mich erreichen aber auch sehr positive Anfragen. Ich meine damit nicht die, die aus den Einrichtungen kommen, sondern jene, die von den Menschen mit Behinderung kommen, also von denen, die die Anträge für ihre selbstbestimmten Wohnformen etc. pp. stellen. Diese positiven Meldungen - das ist auch etwas, das nie in der Presse vorkommt oder auf mediales Interesse trifft - werden nie nach außen gespiegelt. Das ist ärgerlich.

Jetzt kommt noch Frau Schüßler mit einer Intervention an die Reihe.

Vielen Dank. - Frau Gensecke, Sie haben die Umstellung der Rahmenverträge im Jahr 2019 angesprochen. Ich erwähne an dieser Stelle, dass mit Stand vom August 2022 von den 1 121 Einrichtungen eine einzige umgestellt war. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage hervor. Ich bleibe dabei: Das ist ein Systemversagen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es muss irgendwie arbeitsstrukturell dringend etwas in der Sozialagentur geändert werden, damit es dort vorwärtsgeht. Wir können die Träger nicht länger so hängen lassen. - Danke.

Ich denke, das ist angekommen. Natürlich müssen wir an dieser Stelle etwas machen.

Aber ich war noch nicht ganz fertig - Herr Tullner hat sich so schnell hingesetzt -: Ich habe nicht um das Thema herumgeredet. Es ist mir einfach wichtig, weil ich selbst zu der Zielgruppe gehöre. Wenn ich höre - das war Ihre Aussage, Herr Tullner -, dass im Jahr 2018 die Inklusion im Land Sachsen-Anhalt gänzlich gescheitert ist, dann sage ich: Das ist ein Bruch; das tut unheimlich weh.

Deswegen habe ich heute die Möglichkeit genutzt, um darauf aufmerksam zu machen, wohin wir eigentlich wollen. Wir müssen weg von den Einrichtungen - der Kollege Pott hat dazu ja auch ausgeführt - hin zur selbstbestimmten Teilhabe.

(Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

Diese kann nicht immer nur in Einrichtungen stattfinden. Neben Mecklenburg-Vorpommern haben wir in Sachsen-Anhalt viel zu viele Einrichtungen. Wir haben 33 anerkannte Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Wenn wir die ganzen Instrumente einmal einsetzen würden, nämlich das Budget für Arbeit - ich sage es noch einmal - und das Budget für Ausbildung, das viele gar nicht kennen, dann würden wir auch die ganzen Transferleistungen an der Stelle einsparen. Jeder junge Mann, jede junge Frau hat ein Anrecht darauf und auch die Mög-

lichkeit zu überlegen: Wohin möchte ich eigentlich einmal in meinem Job? Ich möchte auch einmal die Wertschätzung haben, die ich nicht immer unbedingt bekomme, wenn ich ein Leben lang von Transferleistungen abhängig bin. - Danke.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Wir sind am Ende der Debatte. Die Antragstellerin hat um ein Schlusswort gebeten. Bevor Frau Anger an das Rednerpult tritt, möchte ich es nicht versäumen, die zweite Gruppe der Schülerinnen und Schüler der integrierten Gesamtschule Saaleschule für (H)alle in Halle auf der Tribüne zu begrüßen. - Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Haus)

Frau Anger, bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar für diese Debatte; denn sie hat einiges aufgezeigt. Ich gehe auf einige wenige Punkte noch einmal ein. Der Minister hat in Vertretung ganz gut allgemein und theoretisch erklärt, wie es laufen sollte. Nur leider - das haben wir an vielen Stellen gehört - läuft es eben nicht so.

(Marco Tullner, CDU: Er war ja fachlich nicht zuständig!)

Mir ist wichtig, zwei Punkte klarzustellen. Der erste Punkt: Der Antrag auf Verlängerung kam von den Verbänden. Es braucht eine Übergangsregelung, weil es eben keine Neuverhandlung

gibt. Ohne Initiative der Verbände gäbe es auch keinen Antrag auf eine Verlängerung.

Der zweite Punkt: Die Verbände haben berechnen lassen, dass sie durch Inflation etc. pp. 8,17 % Mehrkosten in diesem Jahr haben. Die Sozialagentur hat daraufhin 3,8 % angeboten. Das wurde abgelehnt, weil es nicht einmal die Hälfte von dem ist, was gebraucht wird. Daraufhin hat die Sozialagentur sich erdreistet, nur noch 1,8 % anzubieten. Das ist doch absurd.

(Zustimmung bei der LINKEN)