Protokoll der Sitzung vom 29.06.2023

Vielen Dank, Frau Schüßler. Ich habe keine Fragen gesehen. - Deswegen rufe ich jetzt Frau

Anger für die Fraktion DIE LINKE an das Rednerpult.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem sehr gleichlautende Anträge der extremen Rechten zum Thema bereits in Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und auch Mecklenburg-Vorpommern in den Landtagen gescheitert sind und sie auch im Bundestag seit 2021 mit dem Thema nicht durchdringen, versucht die antragstellende Fraktion das jetzt in Sachsen-Anhalt.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Unfassbar!)

Aber auch das wird scheitern. Denn dieser Antrag will, wie so viele Anträge der Fraktion, Menschenrechte mit Füßen treten, Menschen stigmatisieren und Menschen diskriminieren.

(Zuruf von der AfD: So ein Blödsinn! Wir wollen Kinder schützen - Weitere Zurufe von der AfD)

Das, was die extreme Rechte in diesem Haus will, ist, die Öffentlichkeit mit Absicht desinformieren und eine Hysterie auslösen. Aber nicht mit uns!

(Zuruf von der AfD: Keine extrem Rechte!)

In diesem Antrag tut die AfD gerade so, als könne man Pubertätsblocker an jeder Supermarktkasse aus dem Süßigkeitenregal mit- nehmen,

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

und über das Regenbogenportal der Bundes- regierung gibt es dafür auch noch die Gut-

scheine, natürlich. - Was für ein menschenverachtender Zynismus gegenüber all den Betroffenen. Junge transidente Menschen geraten oftmals in Lebenskrisen. Ihre Suizidgefährdung ist deutlich höher als bei cisgeschlechtlichen Menschen.

(Stefan Ruland, CDU: Was?)

Ja, das hängt auch mit der Form der Miss- achtung und Diffamierung ihrer Identität zusammen. Pubertätsblocker gewährleisten dabei eines: Ein Hinausschieben der Entwicklung der geschlechtlichen Merkmale. Sie tun genau das, was der Name schon sagt, sie blocken. Damit gewinnen die Jugendlichen wertvolle Zeit, um sich ihrer Geschlechtsidentität bewusst zu werden. Sie können, selbstverständlich begleitet von Fachexpertinnen und ihren Eltern, entscheiden, ob sie die cisgeschlechtliche Pubertät durchleben wollen oder sich für eine Transition entscheiden. Dies hat vor allem etwas mit einem selbstbestimmten Leben zu tun, etwas, was die extreme Rechte hier ja nicht will.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Fraktion und ich sind froh, dass wir Anlaufstellen im Land haben, die die Hilfesuchenden dabei unterstützen.

Meine Damen und Herren! Worauf der vor- liegende Antrag abzielt, ist ganz klar: die Pflege der Transfeindlichkeit und das Fortsetzen der Pathologisierung von Menschen. Das passt der AfD nur zu gut ins eigene Bild.

(Unruhe bei der AfD)

Der Antrag ist mit voller Überzeugung abzulehnen und allen transidenten Menschen gilt die volle Solidarität und Unterstützung. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir kommen zum nächsten Redner. Das ist Herr Pott.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein wahrscheinlich sehr hoch emo- tionales Thema, über die Geschlechtsdysphorie und die damit verbundene Vergabe von Pubertätsblockern an Kinder und Jugendliche. Ich bin mir durchaus der Emotionalität dieses Themas bewusst, möchte aber trotzdem darum bitten, dass wir in der Debatte immer sachlich bleiben.

Ich möchte zunächst klarstellen, dass aus der Sicht der Freien Demokraten alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht oder der Geschlechtsidentität leben dürfen sollen, wie sie es selbst für richtig halten.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Das beinhaltet zumindest auch die Möglichkeit der geschlechtlichen Umwandlung. Ein bisschen mehr Gelassenheit würde an mancher Stelle auch einmal guttun. Unnötige staatliche Einschränkungen im privaten Bereich sollten wir immer auch mit dem notwendigen Finger- spitzengefühl diskutieren.

Eine Geschlechtsumwandlung ist ein Vorgang, der höchstpersönlich und individuell ist. Dementsprechend wird er auch von Fachärztinnen und Fachärzten sehr intensiv begleitet, sei es auf der Ebene der psychischen Beratung, oder eben aber auch bei der Gabe von pubertätshemmenden Medikamenten. Der Staat sollte aus meiner Sicht den Fachärztinnen und Fachärzten vertrauen, das entsprechend richtig und mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl zu tun und zu begleiten.

Was genau sind Pubertätsblocker, die im Antrag der AfD-Fraktion angesprochen werden? - Es handelt sich dabei um Medikamente, welche, wie der Name schon vermuten lässt, die Pubertät und somit die Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale unterdrücken. Anders als das aber teilweise in der Debatte wirkt oder herübergekommen ist, sind diese Medikamente nicht sonderlich leicht erhältlich. Ganz im Gegenteil: Gerade bei Minderjährigen ist eine intensive fachfachärztliche Begleitung und Beratung sowie das Einverständnis des Sorgeberechtigten im Vorfeld notwendig.

Wir sollten daher, glaube ich, den Individuen vertrauen, selbst die Entscheidungen zu treffen. Auch sollten wir ganz klar sagen: Natürlich ist es eine Entscheidung, die ein 14-, 15- oder 16-Jähriger noch nicht allein mit dem kompletten Weitblick komplett abschätzen kann. Aber genau dafür gibt es die fachärztliche Beratung und die Sorgeberechtigten haben ein Wort mitzu- reden. Daran halten wir als Freie Demokraten auch ganz klar fest.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Das alles nur auf einen Hype zurückzuführen, finde ich ein bisschen schwierig. Es gibt auch Studien, die das durchaus anders belegen.

Nichtsdestotrotz sind wir für weitere Debatten dazu auch im Ausschuss natürlich offen. Wir werden der Ausschussüberweisung zustimmen und werden dann schauen, wie sich die ganze Debatte weiterentwickelt und dass wir als Koalition zu einer guten Beschlussempfehlung kommen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Pott. - Es folgt Frau SziborraSeidlitz für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Autonomie oder Selbstbestimmung, nicht schaden, Wohlergehen oder Fürsorge und Gerechtigkeit. Das sind die vier medizinethischen Grundprinzipien, nach denen Ärztinnen weltweit Therapieentscheidungen abwägen - insbesondere dann, wenn Fälle ungewöhnlich, ethisch herausfordernd oder besonders sind; insbesondere dann, wenn Medikamente off Label genutzt werden sollen; insbesondere dann, wenn ein Therapieerfolg nicht so einfach aus dem Lehrbuch zu entwickeln ist; insbesondere am Beginn oder am Ende des Lebens oder in besonders vulnerablen Lebensphasen. Immer dann wägen Ärztinnen- und Behandlerinnenteams ab - mit ihrer Expertise, ihrer Erfahrung und ihrem wissenschaft- lichen Hintergrund.

Autonomie der Patientin, nicht schaden, Wohlergehen und Gerechtigkeit. Diese vier Prinzipien werden gefüllt und gewogen, um zu schwierigen Entscheidungen zu finden. Das Bauchgefühl oder die Meinung von Personen, auch wenn es sich dabei um Landtagsabgeordnete handelt, ist zum Glück kein Abwägungskriterium für medizinische Entscheidungen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das sollte es auch nicht sein. Nicht nur dieser Antrag, sondern auch die Geschichte zeigt uns, was passiert, wenn sich populistisch aufge- ladene Moral in die Medizinethik einmischt. Und mehr wäre zu diesem Antrag eigentlich nicht zu sagen, nicht hier und auch nicht in einem Ausschuss.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Einige wenige inhaltliche Worte dennoch: Was Sie in Ihrem Antrag als scheinbar modisch assoziierten Transhype benennen, beschreiben

seriöse Wissenschaftlerinnen weitaus differenzierter. Zwar ist in den letzten Jahren objektiv - das bestreitet niemand - ein Anstieg der Anzahl der Jugendlichen zu beobachten, die mit einer sogenannten Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter - ICD-11 - Hilfe, Beratung und Unterstützung suchen. Dies wird aber vor allem mit einer sich verändernden gesellschaftlichen Umgebung verbunden, die durch die Sichtbarkeit von queeren Lebensrealitäten überhaupt erst Worte gibt für das, was mit einem selbst anders ist, die durch gewachsene Toleranz überhaupt erst die Möglichkeit gibt, sich zu outen, und die durch neue Behandlungsansätze überhaupt erst Wege aufzeigt, das eigene Geschlecht zu leben, wenn es sich im eigenen Körper falsch anfühlt.

Ähnliche Phänomene waren schon im Bereich der Homosexualität beschrieben worden. Der Begriff der sozialen Ansteckung war schon bei der Zunahme von homosexuellen Outings keine passende Beschreibung. Und er ist für das hier beschriebene Feld schlichtweg nicht anwendbar. Das ist lange widerlegt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das von Ihnen angeführte sogenannte ROGDSyndrom ist kein anerkanntes medizinisches Phänomen. Die Beschreibung dieses Syndroms ist mindestens als hoch umstritten zu betrachten und keinesfalls als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Und selbstverständlich darf und sollte ein solch umstrittener Ansatz keinesfalls Anlass sein, sich politisch in die Behandlung von Minderjährigen einzumischen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das wäre im Übrigen auch eine unfassbare Anmaßung gegenüber der Fachlichkeit und der Expertise von Behandlerinnen.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ich finde das echt unfassbar!)

Meine Herren, immer wieder halten Sie uns hier im Landtag Stöckchen hin, weil Sie auf die Entfesselung des Kulturkampfes hoffen. Aber, meine Herren, Ihre Stöckchen sind einfach viel zu kurz. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zurufe: Oh! - Hendrik Lange, DIE LINKE: Hat sie schön gesagt! - Unruhe)

Ja, das spielt sich

(Unruhe)

mehr im Kopf des Zuhörers ab.