Protokoll der Sitzung vom 12.12.2023

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bildungsministerin Feußner wirft der Opposition und mir ab und zu, ich würde mit meiner Kritik an unseren Schulen alles schlechtreden. Deswegen möchte ich mit etwas Positivem beginnen. Es ist großartig, dass wir so engagierte Lehrkräfte, Schulleitungen, Schulpsychologinnen, Schulsozialarbeiterinnen und so viele mehr an unseren Schulen haben, die mit großem Engagement und viel persönlichem Einsatz wirklich alles geben, damit das System Schule trotz aller Schwierigkeiten auch in Sachsen-Anhalt funktioniert.

Ich bin den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern dankbar, die uns Politikern und Poli-

tikerinnen aller Parteien regelmäßig auf die Füße treten, weil sie dafür kämpfen, dass das System Schule anders und besser wird. Die Universitäten sind positiv hervorzuheben, die bei der Lehramtsausbildung sehr viel mehr Reformwillen haben und auch zeigen, als ihnen die Landesregierung überhaupt zugestehen möchte, und die immer offen sind für einen gemein- samen Austausch; immer konstruktiv und oft visionär. Sie sind alle bereit und kämpfen dafür, unser Bildungssystem zu reformieren. Sie alle wissen: Es muss sich etwas ändern. Sie alle wollen helfen, sie alle wollen sich einbringen, damit wir endlich unser Bildungssystem auf moderne, bildungswissenschaftlich sinnvolle und lern- psychologisch valide Füße stellen.

Ich war ein bisschen irritiert - dabei ging es mir wie dem Kollegen Bernstein -, dass ausgerechnet die Fraktion diese Aktuelle Debatte beantragt hat, der unsere Bildungsministerin angehört. Ich hoffe sehr, dass die Nachdenklichkeit, die wir aus den demokratischen Fraktionen an vielen Stellen gehört haben, eine nachhaltige ist und dass das Diskussionsangebot, das wir heute vernommen haben, auch ein offenes und ein ehrliches ist.

Besonders traurig ist es, dass die Ergebnisse der PISA-Studie leider niemanden mehr überraschen. Das haben auch schon einige gesagt. Alle Jahre wieder bekommen wir dieselben Ergebnisse. Alle Jahre wieder ist der Aufschrei groß, und alle Jahre wieder ändern wir am Ende wirklich nachhaltig doch nichts.

Nach den heutigen Beiträgen hoffe ich - und ich sage es noch einmal -, dass sich das nun ändert, vor allem das Diskussionsangebot ernst gemeint ist und wir dann auch handeln; denn handeln ist nötig.

Schauen wir einmal auf die Ergebnisse: Deutschland hat ein schlechtes Zeugnis bei der

PISA-Studie bekommen und sich in allen drei Kompetenzbereichen, Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften, deutlich verschlechtert. Es ist richtig: Weltweit sanken die Ergebnisse. Aber so schnell, wie manche dabei waren, das PISA-Debakel für Deutschland allein als Folge der Coronapandemie zu erklären und das Thema damit abzuhaken, lässt es sich dann eben doch nicht beenden. Deshalb sage ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich: Mein Dank an Herrn Borchert, dass Sie diesen ein- ladenden Weg in Ihrem Debattenbeitrag nicht gegangen sind und auch niemand weiter in dieser Debatte.

Ich streite gar nicht ab, dass die Folgen der Coronapandemie und die damit einhergehenden langen Schulschließungen ihren Anteil an dem schlechten Ergebnis hatten. Aber die Coronapandemie gab es weltweit und sehr viele Länder hatten ähnlich lange Schulschließungen wie Deutschland; dennoch schneidet Deutschland im Vergleich schlechter ab als die meisten dieser Länder. Es muss also tiefer gehende und, wenn man auf die Entwicklung schaut, auch länger andauernde Gründe geben als die Coronapandemie, warum Deutschland einen PISASchock nach dem nächsten einfährt.

Aus den PISA-Ergebnissen kann man nicht erst dieses Mal zwei zentrale Aspekte ableiten, die besonders kritisierenswert am deutschen Bildungssystem sind; das wird auch sehr klar so benannt. Es sind die fehlende soziale Bildungs- gerechtigkeit und eine schlechte Integration von Schülerinnen mit Migrationshintergrund.

Bei dem Thema Bildungsgerechtigkeit kann man sich sehr gut Estland - auch das wurde schon benannt - als Beispiel und vielleicht auch als Vorbild anschauen. Estland ist ein europäischer Spitzenreiter bei der PISA-Studie. Wie unterscheidet sich deren Bildungssystem von unserem? Neben den genannten Ganztagsschulen

finde ich eines relevant - auch das hat Frau Pähle schon genannt -, nämlich dass die Kinder dort von der Vorschule bis zur 9. Klasse gemeinsam beschult werden und gemeinsam einen Abschluss machen, der sie dazu qualifiziert, eine Berufsausbildung zu absolvieren oder sich im Anschluss an die 9. Klasse entscheiden können, ein Gymnasium zu besuchen.

In Estland wird also langes gemeinsames Lernen großgeschrieben. Was können wir daraus für Deutschland und für das Land Sachsen-Anhalt lernen, um in Zukunft bessere PISA-Ergebnisse zu bekommen? - Die sinnvolle Konsequenz, die man aus Vorbildern wie diesen ziehen sollte, ist, dass wir auch hier in unserem Land langes gemeinsames Lernen praktizieren und die frühe Aufteilung der Kinder endlich beenden sollten - ein System, das nicht aus dem Willen zur bestmöglichen Förderung für alle Kinder geboren ist, sondern aus dem Glauben, nur so Exzellenz und Elite sichern zu können.

Nun: Auch dieser Ansatz scheitert mit jeder PISA-Studie, spätestens mit dem Blick auf Spitzenreiter wie Estland krachend. Exzellenz und Elite wachsen mit der langen gemeinsamen Chance auf Förderung und Differenzierung; sie sinken nicht, sondern sie wachsen. Stattdessen sollten wir mindestens die Grundschulzeit bis zur 6. Klasse verlängern, um wenigstens etwas mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Land zu schaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und noch einmal mit Blick nach Estland: Das schadet der Exzellenz nicht, sondern das nutzt sogar. Viel zu sehr ist der Bildungserfolg der Kinder unseres Landes vom Einkommen und vom Bildungshintergrund der Eltern abhängig.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Längeres gemeinsames Lernen in der Grundschule kann das zwar nicht beenden, aber zumindest den Kindern eine bessere Chance geben, einerseits selbst mitzubestimmen, an welchen weiterführenden Schulen sie weiter lernen werden, andererseits können Lehrkräfte und Eltern bei älteren Kindern besser einschätzen, welche weiterführende Schule für den individuellen Bildungserfolg am besten geeignet ist.

Bei der Integration von Schülerinnen mit Migrationshintergrund zeigt uns die PISA-Studie vor allem, dass wir keine optimale Sprachförderung für Kinder bieten, die mit der deutschen Sprache Probleme haben; das hat die Ministerin auch schon benannt. Das betrifft bei Weitem nicht nur Schülerinnen mit Migrationshintergrund, sondern auch diejenigen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Die Sprachförderung für Kinder mit Problemen in diesem Bereich muss früh ansetzen, und zwar früher, als sie es jetzt tut; selbst schon im Kindergarten oder in Form einer Vorschule. Auch diese Idee wurde schon genannt. Sie muss individuell besser aufgestellt werden. Dabei ist es ein fatales Zeichen, dass z. B. die Finanzierung von Sprach- und Kulturmittlerinnen, welche bisher eine großartige Arbeit geleistet haben, nun unsicher ist. Es wäre notwendig gewesen, diese Arbeit finanziell aufzustocken und das Projekt auszuweiten; aber darüber diskutieren wir morgen weiter.

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist äußerst wichtig, dass wir in Sachsen-Anhalt das PISA-Debakel ernst nehmen. Deshalb bin ich - das sage ich noch einmal - ausdrücklich dankbar für diese Debatte. Wir müssen aber endlich nicht mehr nur diskutieren, sondern Konsequenzen daraus ziehen und unser Bildungssystem grundlegend reformieren.

PISA-Gewinner wie Irland - auch das klang schon an: unser Besuch mit dem Bildungsausschuss in Irland - haben uns das nach ihrem eigenen PISASchock vorgemacht. Sie haben mutig Reformen gewagt, und gewonnen haben die Schülerinnen und Schüler in diesem Land.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür kämpfen wir Bündnisgrünen. Klar ist: Wandel braucht Mut und Kraft. Wandel wird auch Geld kosten. Doch wohinein, wenn nicht in Bildung, sollen wir investieren? Damit eröffnen wir nicht nur Bildungschancen für unsere Kinder, nein, wir als Land, unsere Unternehmen und unsere Handwerkerinnen brauchen unsere Kinder, brauchen gut ausgebildeten Nachwuchs, um unsere Zukunft im Land Sachsen-Anhalt abzusichern. Wir investieren in Bildung, weil wir in unsere Zukunft investieren müssen.

Wir Bündnisgrüne kämpfen für die Schule von morgen, für eine Schule, in der alle eine bestmögliche Bildung erhalten und alle Kinder und Jugendlichen so gefördert werden, dass sie Aufstiegschancen haben und sich wohlfühlen;

(Beifall bei den GRÜNEN)

egal welcher Herkunft, welcher Hautfarbe, welchen Geschlechts, welcher sexuellen Orientierung, egal ob mit Behinderung oder ohne, egal ob die Eltern reich oder arm sind. Alle Kinder, die in unserem Land leben, haben einen Anspruch auf gute Bildung. Unsere Aufgabe ist es, diesen Anspruch zu erfüllen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt eine Intervention von Herrn Redlich.

Ja, vielen Dank. - Sie haben ja recht damit, dass wir einige Dinge ändern müssen. Aber Lehrerinnen und Lehrer beklagen nun schon seit vielen Jahren das sinkende Bildungsniveau. Vergleichsarbeiten, die vor zehn Jahren noch mit vielen Einsen geschrieben wurden, können heute zum Teil nicht mehr bewertet werden.

Wir sind bei uns dazu übergegangen, die Kinder immer mehr zu hippeln, zu pippeln, im Prinzip zu pampern und irgendwie durchzubringen. Dabei vergessen wir, auf Ergebnisse zu schauen und die Ergebnisse auch zu fordern. Ich zitiere einmal aus so einem linken Blatt: „weil einigen dann schwarz auf weiß belegt würde, wie schlecht sie sind“.

Die GRÜNEN haben gerade im Bildungsausschuss davon schwadroniert, dass wir eher das Bemühen statt der Leistung bewerten sollen. Die LINKEN sagen, dass wir Noten ganz abschaffen sollen. Beim Sportunterricht sollen die Kinder nicht mehr mit Wettkampf gequält werden. Bald werden wir wahrscheinlich auch bei den Schulabschlüssen das Ganze einfach mit Teilnahmeurkunden belegen. So weit weg sind wir davon auch schon nicht mehr.

Der Leistungsgedanke ist uns in der Gesellschaft komplett abhandengekommen. Beim Bildungsniveau sind wir jetzt nur noch Durchschnitt. Wir reden hier gerade darüber, warum. Das ist sehr offensichtlich.

Gleichzeitig schauen wir auf eine PISA-Studie, die vergleicht. In der heutigen Debatte hat sich gezeigt, dass das Miteinander-Messen und das Vergleichen auch dazu führen kann, dass man Anreize setzt, sich zu verbessern. Es ist also doch ein guter Weg, dort Noten und Anreize zu haben. Ich glaube, es wird deshalb auch Zeit, dass wir in der Schule wieder mehr fordern, und

dass die Gesellschaft eben nicht abgehängt wird.

Eine verbindliche Vorschule, um mögliche Defizite vor der Schule schon auszugleichen, sehe ich auch. Aber wir haben auch schon jetzt die Möglichkeit, dass man die Zeit in der Grundschule verlängert. Wenn man es nämlich nicht schafft, dann ist man durchaus auch schon fünf Jahre in der Grundschule. Weil Sie ja sechs Jahre fordern - für die, die es nicht können. So weit weg davon sind wir ja gar nicht.

(Zurufe von Cornelia Lüddemann, GRÜNE, und von Guido Kosmehl, FDP)

Wir sollten aber auf jeden Fall wieder deut- lichere - das hat auch die Ministerin gesagt - Leistungsansprüche in den Kernfächern setzen, Vergleiche an Schulen haben und eben fordern und fördern. Aber wir sollten nicht nur diejenigen fördern, die am schlechtesten sind, sondern auch die, die gut sind, damit sie noch besser werden.

(Zuruf von Andreas Schumann, CDU)

Und wir sollten nicht nur von denen fordern, die sowieso gut sind, sondern auch von denen, die schlecht sind, fordern, dass sie auch Leistung bringen. Das wäre auch wichtig.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Sziborra-Seidlitz, wollen Sie reagieren?

Ja. Ich versuche es kurz zu machen. Ich finde es ein bisschen schade, dass Sie die wirklich sehr

sachliche Debatte jetzt durch Begriffe wie „schwadronieren“ irgendwie aufladen.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Ihre Kollegen haben vorhin respektvollen Umgang in dieser Diskussion eingefordert. Ich finde, wenn man verschiedene Ideen davon hat, wie es sein sollte - das hat Herr Borchert ja vorhin auch eingefordert -, dann gehört dazu auch, dass man respektvoll auf die Ideen der anderen schaut und das nicht mit solchen Begriffen wie „schwadronieren“ abklassifiziert. - Das ist zum Ersten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Zum Zweiten. Wir haben gerade über die Frage von Chancen gesprochen und nicht von einer Nivellierung, die uns immer gern unterstellt wird. Selbstverständlich müssen diejenigen, die besonders gut sind, auch gefördert werden. Selbstverständlich geht es auch um Exzellenz. Aber wir versuchen in Deutschland gerade, Exzellenz zu erhalten oder zu retten, und hängen dabei die Schwachen ab. Und das gelingt uns nicht. Auch das zeigen die Vergleiche.

Das „Deutsche Schulportal“ hat die Ergebnisse der PISA-Studie ausgewertet. Sie haben unter anderem das geschrieben, was ich vorhin schon einmal in der Nachfrage sagte, nämlich dass in den Ländern, wo länger gemeinsam gelernt wird, wo länger Binnendifferenzierung statt- findet, wo länger eben dieses Fördern von individuellen Stärken passiert, der Unterschied zwischen den Schwachen und den Starken nicht so groß ist wie bei uns und es insgesamt ein besseres Leistungsniveau gibt.

Bei uns sind die Starken sehr stark, die Schwachen sehr schwach, aber insgesamt ist das Leistungsniveau eben nicht so hoch wie in diesen Ländern. Genau darum geht es.

Lassen Sie uns dabei gemeinsam offen und jenseits von alteingefahrenen Vorstellungen anschauen, was andere Länder besser machen. Und ja, dabei muss man manchmal auch geliebte Zöpfe abschneiden.