Protokoll der Sitzung vom 25.01.2024

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/3430

Einbringen wird den Antrag der Abg. Herr Meister. - Herr Meister, bitte schön.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Ich bin Hanna“ ist nicht nur ein bundesweites Bündnis oder eine Kampagne. Hinter „Ich bin Hanna“ stehen unzählige Menschen, Menschen, die in der Wissenschaft arbeiten, die an unseren Hochschulen und Universitäten tätig sind, Menschen, die mit dem Hashtag #IchBinHanna darauf aufmerksam machen, unter welchen schlechten Arbeitsbedingungen sie arbeiten. Diese Menschen haben das Gefühl, dass die Politik ihnen nicht zuhört.

Die Bewegung begann mit einem Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Juni 2021. Darin wurde anhand einer fiktiven wissenschaftlichen Mitarbeiterin an einer Hochschule namens Hanna das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erklärt. Mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird unter

anderem geregelt, wie lange wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befristet an einer Universität oder Hochschule arbeiten können.

Viele der Menschen, die an den Hochschulen und Universitäten arbeiten, reagierten empört. Sebastian Kubon, der später die Initiative „Ich bin Hanna“ gründete, postete auf Twitter: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung verschleißt befristete Wissenschaftlerinnen und verhöhnt sie auch noch. Zur Erinnerung, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sich gegen Menschen richtet,

gebe ich dem wissenschaftlichen Prekariat ein Gesicht: #IchBinHanna.

Unzählige weitere Angestellte von Universitäten und Hochschulen beteiligten sich darauf- hin und nutzten ebenfalls diesen Hashtag, um über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu berichten und ihrem Frust Luft zu machen.

Ihr Hauptanliegen war und ist die hohe Anzahl an befristeten Personalstellen, in denen in der Wissenschaft gearbeitet wird.

Zum Beispiel berichtet eine wissenschaftliche Mitarbeiterin: Diese Woche musste ich zwei Anfragen, ob ich bei Lehrveranstaltungen mitwirken würde, so beantworten: Sehr gern, aber ich weiß aktuell nicht, ob ich zum Zeitpunkt der Lehrveranstaltung noch hier arbeiten werde. #IchBinHanna und ich bin es so leid.

Eine andere Userin schrieb: #IchBinHanna, das bin ich, 29 Jahre alt, Neurowissenschaftlerin, promoviert mit Summa cum laude, vier Arbeitsverträge in den letzten zwölf Monaten, werdende Mutter, geringe Perspektive und keine Sicherheit.

Resümierend schreibt bspw. Amrei Bahr, eine Mitgründerin der Initiative: Das deutsche Wissenschaftssystem hat lange darauf gesetzt, dass wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prekäre Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen, weil Wissenschaft eine Tätigkeit ist, die Freude macht. Das Problem: Nichts zerstört die Freude an dieser Tätigkeit so effizient wie Existenzangst und Perspektivlosigkeit.

(Zuruf von Marco Tullner, CDU)

Sie haben alle recht; denn die Arbeit in der Wissenschaft ist derzeit unattraktiv. Nach aktuellem Stand des Wissenschaftszeitvertrags-

gesetzes hat man zwölf Jahre Zeit. In dieser Zeit oder danach bekommt man mit etwas Glück eine Professur und hat endlich eine un- befristete Anstellung.

Warum braucht man dafür Glück? - Die Anzahl der Professuren ist an den Hochschulen naturgemäß stark begrenz und somit auch die Möglichkeit, in eine unbefristete Anstellung zu kommen, und das hat natürlich Auswirkungen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist katastrophal. In der Wissenschaft herrscht ständig Unsicherheit, und es fehlt Planbarkeit für den eigenen Lebensentwurf.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen unter einem immensen Leistungsdruck arbeiten. Das Ganze ist nicht nur schlecht für die Lehre an unseren Hochschulen und Universitäten, sondern auch für die Forschung. Spätestens wenn man mit heutigen Studierenden spricht, sollte uns allen klar sein, dass es dringenden Handlungsbedarf in der Wissenschaft gibt.

(Zuruf von Marco Tullner, CDU)

Viele der Studierenden sagen, dass ihnen von ihren Dozentinnen und Dozenten davon ab- geraten wird, in der Wissenschaft zu arbeiten; eben wegen der Arbeitsbedingungen und weil sie in der Wirtschaft viel mehr verdienen. Es ist kein Wunder, dass der wissenschaftliche Nachwuchs scharenweise die Wissenschaft für die freie Wirtschaft verlässt. Die Stärke in Wissenschaft und Forschung ist aber ein Grundpfeiler unserer Wirtschaft.

(Zuruf von Marco Tullner, CDU)

Wie wollen wir unser Land ohne wissenschaftlichen Nachwuchs zukunftsfest aufstellen? Wie wollen wir im Wettbewerb mit anderen Bundesländern bzw. anderen Staaten bestehen? Andere Bundesländer haben die Problematik

erkannt und ändern ihr Hochschulgesetz entsprechend, um die Entfristungsquoten an den Hochschulen und Universitäten zu erhöhen. Denn auch wenn das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Bundesgesetz ist, ist die Ausstattung der Hochschulen und Universitäten sehr wohl Landesaufgabe, auch beim Personal.

Sowohl Berlin als auch Brandenburg sitzen an dem Thema. Beide Bundesländer wollen im Hochschulgesetz Regelungen festschreiben, die die Zahlen an Dauerstellen an den Universitäten und Hochschulen in ihrem Landesgebiet erhöhen. Für Studierende in Sachsen-Anhalt, die nach ihrem Studium in der Wissenschaft arbeiten wollen, ist der Weg nach Berlin und Brandenburg kurz. Wenn wir also im Wettbewerb um kluge Köpfe für unsere Hoch- schulen und Universitäten nicht verlieren wollen, dann brauchen auch wir mehr Dauer- stellen.

(Zustimmung von Henriette Quade, DIE LIN- KE)

Die prekären Arbeitsbedingungen treffen nicht nur auf wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu. Wie uns die Personalräte der Hochschulen berichtet haben, sind auch viele Stellen in der Hochschulverwaltung befristet, obwohl diese nicht selten Daueraufgaben er- füllen. Auch das ist eine nicht hinnehmbare Situation. Eine funktionierende Universität oder Hochschule braucht eine funktionierende Verwaltung.

Deshalb fordern wir Bündnisgrünen, dass sich die Landesregierung bei der anstehenden Verhandlung zu den Zielvereinbarungen mit den Universitäten und Hochschulen des Landes für die Erhöhung des Anteils unbefristeter Stellen einsetzt. Dazu braucht es konkrete Vereinbarungen z. B. zu Quoten, wie viele Stellen nach einer gewissen Zeit entfristet werden

sollen. Auch die Festlegung von Befristungshöchstquoten an Hochschulen und Universitäten ist gesetzlich möglich, wie letztens der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages feststellte. Und sie sind eine sinnvolle Maßnahme.

Wir Bündnisgrünen wollen Dauerstellen für Daueraufgaben. Wir wollen mehr Entfristungen für das Personal an unseren Hochschulen und Universitäten im Land. Denn wir alle brauchen attraktive und leistungsfähige Universitäten und Hochschulen. - Wir bitten um Zustimmung zum Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN - Marco Tullner, CDU: Nein!)

Vielen Dank, Herr Meister. Ich sehe keine Fragen. - Deshalb geht gleich Frau Grimm-Benne in Vertretung für Herrn Prof. Dr. Willingmann an das Rednerpult. - Frau Ministerin, bitte.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Nicht erst seit gestern befassen wir uns mit attraktiveren Arbeitsbedingungen an den Hochschulen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN greift mit ihrem Antrag ein Thema auf, bei dem wir bereits in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte erzielen konnten und bei dem wir in den kommenden Jahren weiter vorankommen wollen.

Wie Sie wissen, hat der Bund den Ländern bereits im Jahr 2015 finanzielle Handlungsspielräume verschafft, indem er die Finanzierung

des BAföG vollständig übernahm. Für SachsenAnhalt ging damit eine jährliche Entlastung von 230 Millionen € einher. Die frei werdenden Landesmittel haben wir dafür genutzt, unsere Hochschulen weiter zu stärken, schon damals mit Blick auf die Finanzierung von Daueraufgaben.

Seit 2017 fließen von den insgesamt 30 Millionen € rund 15 Millionen € in die Grundbudgets. Die verbleibenden 15 Millionen € werden zur Begleitung der Profilierungsprozesse an den Hochschulen des Landes eingesetzt, z. B. für zusätzliche Fördermaßnahmen für den wissenschaftlichen Nachwuchs, die erfolgreiche Umsetzung des Kaskadenmodells, die Internationalisierung oder die Inklusion. Wir haben die Erwartungen an die Erhöhung der Grundfinanzierung erfüllt.

In der Ergänzungsvereinbarung zu den Zielvereinbarungen wurde im Jahr 2017 festgelegt, dass 50 % der dort ausgereichten BAföG-2-Mittel für personalwirtschaftliche Maßnahmen wie die Entfristung befristeter Arbeitsverhältnisse oder die Ausfinanzierung nicht besetzter Stellen eingesetzt werden sollen. Infolge dessen konnten 81 zusätzliche unbefristete Stellen für das wissenschaftliche und künstlerische Personal in den Stellenübersichten ausgebracht und besetzt werden. Insgesamt waren es sogar 207 neue Stellen.

Unsere Bemühungen wurden auch in den folgenden Jahren fortgesetzt. Ganz wesentlich ist dabei die Bund-Länder-Vereinbarung zum Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ aus dem Jahr 2020. Obwohl Sachsen-Anhalt im Bundesvergleich schon sehr gute Betreuungsverhältnisse aufwies, haben wir uns darin verpflichtet, den Ausbau von Dauerbeschäftigung des hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen

und künstlerischen Personals in den Vordergrund des zweiten Schwerpunktes der Mittelverwendung zu stellen. Das Land verpflichtete sich dabei, 25 % der Bundesmittel für dieses Teilziel einzusetzen. Dies wurde mit den Hochschulen in der landesinternen Vereinbarung verbindlich geregelt.

Für das letzte Berichtsjahr 2022 meldeten die Hochschulen die Schaffung von 59,5 Vollzeitäquivalenten. Thema waren unbefristete Stellen außerdem in den Zielvereinbarungen für die Jahre 2020 bis 2024. Auch dort haben wir hineingeschrieben, dass Hochschulen im Tarifbereich im Umfang von 25 % der Drittmittel und Hochschulmittel zusätzliche unbefristete Stellen schaffen dürfen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich stimme dabei zu, dass für die Daueraufgaben auch Dauerstellen zur Verfügung stehen sollten. Anders verhält es sich jedoch mit Qualifikationsstellen. Sie sind für ein dynamisches Wissenschaftssystem unverzichtbar. Diese sollten daher nicht in Dauerstellen umgewandelt oder zugunsten von Daueraufgaben reduziert werden, weil dies die berufliche Perspektive zukünftiger Generationen und die Innovationskraft des Landes behindern würden.

Es besteht selbstverständlich zu all diesen Fragen immer wieder Diskussionsbedarf. Es ist in den letzten Jahren allerdings auch sehr viel im Interesse der Hochschulen und des Personals geschehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin Grimm-Benne.

Wissenschaftler scheinen irgendwie schneller zu reden als ich.

Das habe ich mir gerade auch überlegt. Da hat jemand scheinbar für ein anderes Redetempo geschrieben. - Wir beginnen mit der Debatte. Herr Tullner zieht sich sein Jackett an und kommt als Eröffnungsredner für diese Debatte nach vorn.

Frau Präsidentin, Entschuldigung, ich war etwas überrascht von der Reihenfolge. - Kollege Meister, Ihre Rede, auch wenn sie gut formuliert vorgetragen und abgelesen wurde, hat mich nicht überzeugt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist ein biss- chen bedauerlich!)

Das muss ich Ihnen ganz klar sagen. Ich möchte aber zugestehen, dass wir im Ausschuss die Gelegenheit haben werden, darüber noch einmal zutiefst zu diskutieren.

Die Frage, die Sie stellen, ist vom Ansatz her charmant formuliert: Wie bekommen wir Hochschulen so ausfinanziert und vom Personaltableau her so organisiert, dass wir Perspektiven für junge Leute schaffen, auch Ergebnisse im Erkenntnissinne haben und Exzellenz und andere wichtige Dinge produzieren? Aber das, was Sie an der Stelle fordern, überzeugt mich deshalb nicht, weil Sie letztlich mit einer Debatte kommen, an deren Ende wir zumindest

nach meiner Überzeugung über Behörden reden.

Die Universität oder Hochschule ist ein Ort, an dem Qualifikation, Erkenntnisinteresse, Neugier und auch Unsicherheit determinierend sind. Wenn wir über Rentenperspektiven, Absicherung und soziale Perspektiven reden, dann ist die Hochschule der falsche Ort. Das muss es dort auch geben; natürlich brauchen wir dort Tarifpartner. Wir brauchen rechtliche Rahmenbedingungen. Wir brauchen auch Dauerstellen dort, wo sie notwendig sind. Aber die Initiative #IchBinHanna hat am Ende aus meiner Sicht einen völlig falschen Akzent in die Debatte gebracht, weil sie eine Unwucht produziert hat.

(Unruhe)