Protokoll der Sitzung vom 30.01.2004

Wir, die SPD, haben im letzten Herbst - es ist auch uns nicht leicht gefallen, das muss man ganz deutlich sagen und ich will das wirklich noch mal betonen, auch wenn Sie da Ihre Proteste wieder in den Raum werfen - mutige und progressive Steuerreformschritte vorgeschlagen und mutige Vorschläge für die Gegenfinanzierung gemacht. Herr Althaus, dass das die Länderfinanzminister und -ministerpräsidenten hinsichtlich ihrer Einnahmeausfälle zum Teil anders sehen, dafür habe ich ja sogar noch Verständnis, aber ein Bundeskanzler, ein Bundesfinanzminister,

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Da sehen Sie, wie gut es Deutschland geht.)

die haben natürlich auch für das große Ganze... Sie bieten das ja regelrecht an.

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: So geht es Deutschland auch...)

Und dann, meine Damen und Herren, beides wurde ja von Ihnen zurückgewiesen und dann gab es den Kompromiss. So weit, so gut, das habe ich ja schon entsprechend gewürdigt. Und jetzt, meine Damen und Herren, wollen Sie mehr. Sie wollen mehr, Sie wollen nicht nur eine Steuervereinfachung,

(Zwischenruf Abg. Dr. Pietzsch, CDU: Wir wollen nicht nur Steuerkosmetik, sondern Steuerreform.)

sondern Sie wollen noch einmal eine Entlastung, über deren Volumen Sie sich ja noch nicht so ganz einig sind, aber Sie wollen eine Entlastung. Nun mache ich Ihnen mal einen Vorschlag, Herr Althaus, ich weiß ja nicht, ob ich das tun müsste, aber ich mache es einfach mal: Sie haben doch momentan noch die Mehrheit im Bundesrat; warum bringen Sie nicht diesbezüglich ein Gesetz ein und könnten die Regierung sozusagen damit in Zugzwang bringen? Warum tun Sie es nicht, warum belassen Sie es bei

Ankündigungen?

(Zwischenruf Abg. Lippmann, SPD: Weil sie keines haben.)

Dazu habe ich keinen Satz von Ihnen gehört, Frau Ministerin, zu diesem steuerpolitischen Eiertanz. Aber für mich persönlich gibt es eine ganz einfache Begründung, ganz einfach: Sie wissen es nicht und können es nicht besser, ganz klar, meine Damen und Herren.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Wir sind doch die Guten.)

(Heiterkeit bei der CDU)

Und nun zu Ihnen, verehrter Herr Althaus, was tun Sie denn eigentlich in diesem Zusammenhang so richtig, und zwar für unser Land, für unseren Freistaat Thüringen? Sie beißen sich von Talkshow zu Talkshow, von Mikrofon zu Mikrofon, selbst die Amerikaner bleiben davon nicht verschont, aber was ist denn Ihre Botschaft? Ihre Botschaft ist: Wir werden uns einigen.

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Was macht Herr Matschie?)

Worüber? Keine Antwort. Wann? Keine Antwort. Sie haben nichts zu sagen, Herr Althaus, ganz einfach,

(Unruhe und Heiterkeit bei der CDU)

nicht nur in dieser CDU nicht, in dieser Bundes-CDU nicht, Sie haben auch inhaltlich nichts zu bieten. Und im Übrigen, ich will Ihnen das mal so sagen, weil vorhin die Frau Ministerin - ja, Sie waren da noch nicht da - Ihre Rolle im Vermittlungsausschuss gewürdigt hat. Das trifft vielleicht außerhalb der Sitzungen vor den Mikrofonen und Kameras zu, da haben Sie Ihre Rolle gespielt, die Ihnen die CDU zugewiesen hatte.

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Nicht neidisch werden!)

Aber ich weiß von einem Teilnehmer, der drin saß, welche Rolle, welchen inhaltlichen Beitrag Sie geliefert haben, Herr Althaus, der war nämlich null.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Glauben Sie denn das, was Sie da erzählen?)

Meine Damen und Herren,

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: Wenn Lügen kurze Beine hätten...)

dazu noch ein paar erläuternde...

(Heiterkeit bei der CDU)

Er kann es nicht lassen.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Schluss, auch wenn es Ihnen trotzdem schwer fällt, Sie müssen dennoch durch und Sie werden mich auch nicht abbringen davon, lassen Sie mich noch zu diesen beiden Anträgen, die Ihnen vorliegen, einige Bemerkungen machen. Offen gestanden, der 3. Punkt Ihres Antrags, wir haben den zwar übernommen, aber dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, dass wir in unserer Begründung auf eine Begründung dieses 3. Punkts verzichtet haben, weil mir nämlich nicht ganz klar war, aus welchem Grund der sich auf Ihrem Antrag wiederfindet. Ich meine das jetzt völlig wertfrei, ganz offen. Leider habe ich aber in den Ausführungen von Frau Ministerin zur Erläuterung dieses 3. Punkts und auch von Kollegen Mohring - der leider nicht mehr da ist, oder doch, da hinten ist er - nicht gehört, welchen Hintergrund nun dieser 3. Punkt Ihres Antrags eigentlich hat. Vielleicht kann da noch jemand zur Aufklärung beitragen.

Meine Damen und Herren, Stichwort "Vereinfachung des Einkommenssteuerrechts": Sie wissen, das haben Sie auch vorhin ausgeführt, das ist ein ständiger Prozess. Diesen Prozess am Laufen zu halten, da sind Bund und Länder gemeinsam gefordert, denn wir wissen, die Veränderungen sind letztendlich nur gemeinsam zu beschließen. Aber, meine Damen und Herren, bei Ihrer Forderung nach radikalen Vereinfachungen im Steuerrecht, zu denen man zunächst erst mal nichts Negatives sagen kann, spielen Sie aber nicht mit offenen Karten. Im Übrigen, vorhin diese Show mit den zwei Büchern, das war ja wirklich eine Steilvorlage und ein Beweis dafür, in welcher Zeit dieses Steuerchaos entstanden ist. Sie haben von 1983 das Steuerrecht hochgehalten und dann - ich weiß nicht, von wann war das?

(Zwischenruf Althaus, Ministerpräsident: 2000.)

vom Jahr 2000. Natürlich hat auch die SPD-Regierung seit 1998 dort Verantwortung zu tragen, aber das Gros der Steuergesetze, das können Sie nun nicht wegdiskutieren, ist in den letzten 20 Jahren entstanden und Sie tun offensichtlich hier so, als wäre das alles erst seit drei Jahren auf dem Tisch. Nein, wenn man darüber diskutiert - ich bin sehr bei Ihnen, wenn es um die Vereinfachung geht, ganz klar -, aber über diesen Begriff "Steuergerechtigkeit" kann man sich natürlich streiten, da sollte man sich auch streiten. Wäre es denn gerecht, Stufentarife einzuführen? Ich bin der Überzeugung, ich weiß, dass ich da nur wenig Widerhall habe, weil Sie es nun einmal auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, aber ich halte einen progressiven Tarif für gerechter, ganz klar. Er vermeidet nämlich jene Sprünge, wo dann jeder das Bestreben hat, immer mit seinem Einkommen gerade so unterhalb dieser Grenzen zu kommen. Ob das gerecht ist, das möchte ich in Zweifel stel

len. Im Zeitalter der Technik dürfte nun das Berechnen eines progressiven Tarifs kein Problem sein. Das eigentliche Problem sind nicht die Stufen oder die Progressivität, meine Damen und Herren, das eigentliche Problem ist die Vielzahl der Sondertatbestände, das haben Sie ja auch festgestellt. Und im Bemühen, alles so gerecht wie möglich zu machen, wurden in der Regel in den letzten 20 Jahren immer wieder neue Ungerechtigkeiten geboren, weil man nicht jede Klientel immer gleich bedenken kann. Das liegt in der Natur der Sache. Je nachdem, welche Klientel nun die größte Lobby bei den jeweiligen Mehrheiten hatte, so ist in den letzten Jahrzehnten dieser Steuerdschungel, unter dem wir alle leiden, entstanden. Da sollten wir aber auch so ehrlich sein, Frau Diezel, das auch so zu benennen und nicht den Eindruck erwecken, als seien immer nur die Roten daran Schuld. Ich sage ganz klar: Über Vereinfachungen kann und muss man sich jederzeit unterhalten. Aber ich sage ebenso klar: Für weitere Entlastungen, vor allem im Hinblick auf den gefundenen Kompromiss im Interesse des Staatshaushalts, ist momentan keine Luft, ganz deutlich. Wir haben, meine Damen und Herren - wir, damit meine ich die Bundesregierung -, Vorschläge zum Subventionsabbau unterbreitet. Wir haben Ausnahmetatbestände im Steuerrecht zurückdrängen wollen, aber dabei darf die Verteilungsgerechtigkeit wirklich nicht außer Acht gelassen werden. Ich sage, das Merz-Konzept, so wie Sie es beschlossen haben - und einige von Ihnen waren ja offensichtlich dabei - beinhaltet eine Senkung des Spitzensteuersatzes, aber auf Kosten der Geringverdiener, der unteren Einkommensschichten. Ist das gerecht, frage ich Sie, meine Damen und Herren?

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Das ist eine Lüge.)

Das kann es ja nun nicht sein. Und, Herr Althaus, noch einmal zu Ihnen: Wie wollen Sie denn Ihre Forderung nach einer Nettoentlastung für alle umsetzen? Das von Ihnen mit beschlossene Merz-Konzept sagt doch da ganz was anderes. Das sollten Sie sich wirklich noch mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Doppelzüngigkeit Ihrer Argumentation wird hier sehr, sehr offensichtlich.

Noch ein Letztes, meine Damen und Herren, ich empfand beim Lesen Ihres Antrags Ihren Punkt 2 c, wo es um die Gemeindefinanzreform geht, wenn ich das so drastisch ausdrücken darf, regelrecht unverschämt, was Sie da aufgeschrieben haben. Wenn Sie, wenn Ihre Partei im Bundesrat genau an dieser Stelle bei der Gemeindefinanzreform das nicht blockiert hätte, dann hätte es eine deutliche Entlastung der Kommunen gegeben. Das vom Bundestag mit den Stimmen der Koalition beschlossene Konzept war von allen kommunalen Spitzenverbänden begrüßt worden und hätte so umgesetzt werden sollen. Aber jetzt hier so zu tun, als hätte es diese Bemühungen der Regierung nicht gegeben, ich finde, das ist einfach unverschämt. Noch mal ganz klar zu Ihrer Position an dieser Stelle, die kommunalen Spitzenverbände sind für eine Beibehaltung der Gewerbesteuer und wir sind das auch, ganz klar und

deutlich. Wenn die Abschaffung und die Einführung eines kommunalen Hebesatzrechts bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer, wenn das keine Umverteilungen finanzieller Lasten von den Unternehmen hin zu dem normalen Steuerbürger sind, dann sollen Sie das den Leuten aber auch sagen, Herr Althaus und Herr Mohring. Wenn Sie dafür plädieren, die Gewerbesteuer abzuschaffen, dann sagen Sie es, dass Sie das wollen, dass es hier wieder um eine Mehrbelastung

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Er hat es doch gesagt.)

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Sie müssen mal hinhören!)

der Steuerbürger geht. Sie müssen für sich endlich klarstellen, ob Sie nun auf der Seite des von Ihrem Parteitag beschlossenen Merz-Konzepts und der beschlossenen Abschaffung der Gewerbesteuer stehen oder nicht, und hier müssen Sie Farbe bekennen, meine Damen und Herren, da hilft auch kein Herumgeeiere an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD)

Das wünsche ich mir, Herr Althaus, zum Abschluss, im Übrigen in allen Ihren Handlungen, vor allem dort, wo Sie direkt Verantwortung tragen, hier in Thüringen nämlich. Sie sind ja ein Fußballbegeisterter, ich weiß das.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Wir haben es schon mal gesagt, komm zum Schluss!)

Ich will das mal in einem Bild ausdrücken, Sie spielen in allen möglichen Stadien, nur nicht auf dem heimischen Sportplatz, und die drängenden Probleme, die unser Freistaat zweifelsohne noch hat, die werden ausgesessen oder mit untauglichen Mitteln bekämpft, da könnte ich Ihnen jetzt eine ganze Vielzahl von Beispielen noch aufzählen.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Komm, hör auf, eine halbe Stunde Herr Höhn reicht; dieser...)

Ich bin zu dieser Überzeugung gelangt, meine Damen und Herren, sowohl dieser Antrag der CDU, vor allem in seiner Begründung, als auch das Tun von unserem verehrten Herrn Ministerpräsidenten im Lande sind weiter nichts als substanzloses Gerede.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Ja warum haben Sie dann den Antrag abgeschrieben?)

Einen kleinen Moment bitte, Herr Abgeordneter Höhn, ich dachte, dass der Abgeordnete Mohring Ihnen eine Frage stellen wollte, aber er hat jetzt gezeigt, dass er das nicht

möchte. Herr Mohring, eine Frage könnten Sie jetzt stellen. Wenn Sie einen Redebeitrag anmelden wollen, dann würden wir das so aufnehmen, da ist aber trotzdem zuerst der Abgeordnete Gerstenberger von der PDS-Fraktion dran.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das ist so eine typische Diskussion, die hier stattfindet, die dem Bürger das Interesse an politischem Tun und Handeln so richtig nahe bringt. Hier streiten die Leute über das, was hätte sein können und vielleicht doch nicht ist, der eine sagt hü, der andere sagt hott, aber im Übrigen wird das Gefühl vermittelt, so richtig weiß keiner, welche Meinung sich durchsetzt und entschieden haben wir schon gar nichts. Deshalb war mir eigentlich eingefallen, dass man so einen Diskussionsbeitrag unter die Überschrift stellen könnte: "Reden über Dichtung und Wahrheit". Ich habe dann allerdings festgestellt, dass es das nicht ganz trifft und die Diskussion hat es ja jetzt gezeigt, das ist eher eine bewusste lückenhafte Darstellung der Realität. Deshalb habe ich mir vorgenommen, wir reden mal über das, was schon entschieden ist, dann ist das mit der Dichtung etwas schwieriger und mit der Realität ist vieles ziemlich schnell nachprüfbar. Deshalb, da es sich ja um drei scheinbar zusammenhanglose Anträge handelt, die hier gemeinsam behandelt werden, zunächst zur Mittelfristigen Finanzplanung. Bewusste lückenhafte Darstellung hatte ich gesagt, und das will ich an zwei Punkten festmachen, wie ich mich auch insgesamt in dem Redebeitrag vorwiegend auf das Problemfeld Arbeitsmarktpolitik beschränken will, weil dort doch einige Entscheidungen in seltener Zweisamkeit zwischen CDU und SPD gemeinsam gefasst wurden. Dort ist zu lesen in der Mittelfristigen Finanzplanung, dass es bei der Zusammenlegung der beiden Hilfesysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe dringend geboten ist, dieses zu tun und man hofft darauf, dass der relativ geringen Zahl an erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern in den neuen Bundesländern Rechnung getragen wird und dass hinsichtlich der Organisation des Niveaus der Zumutbarkeitskriterien und der anrechenbaren Vermögen ein Konsens hergestellt wird. Man vertraut auf eine zielgenaue Lösung, die auch die Kompetenz der Kommunen mit der Verantwortlichkeit für die Arbeitsmarktpolitik durch den Bund verzahnt; das Ganze datiert vom Dezember. Ganz davon abgesehen, dass es heute jeglicher Aktualität entbehrt, hat es doch etwa Pikantes. Denn im Dezember, zwei Tage nach der Kabinettssitzung, Frau Ministerin, in der die Mittelfristige Finanzplanung verabschiedet wurde, stellte der Landtag genau dieses Ansinnen, was wir als Antrag eingebracht haben, in Abrede und stimmte genau gegen diese Absicht.

Meine Damen und Herren der CDU, manchmal steht in einem PDS-Antrag auch was Sinnvolles drin. Man sollte ihn lesen, man sollte darüber nachdenken und sich nicht vier Wochen später von der Opposition schon vorhalten lassen müssen, dass man offensichtlich keinen blassen Schimmer hatte, was in der Realität tatsächlich notwen

dig ist, und sich auch von der Opposition nicht vorhalten lassen müssen, dass die Landesregierung offensichtlich ähnliche Gedankengänge, allerdings im stillen Kämmerlein, schon längst gefasst hatte. Das ist der eine Teil.