Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, einen hohen Stellenwert hat die Kommission auch der Schwangerschaftskonfliktberatung beigemessen. Diese wird mit fast 100 Prozent der Personalkosten vorbildlich gefördert und trägt dazu bei, dass Schwangeren und deren Familien auch in schwierigen Situationen das Ja zum Kind erleichtert wird.
Dennoch ist es bitter, dass fast jede dritte Schwangerschaft abgebrochen wird. Das bedeutet, dass auf drei Neugeborene immer auch eine Abtreibung kommt und das ist zu viel, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das ist zu viel in einem Land, in dem das eigentlich nicht nötig sein sollte. Allerdings werden auch ca. 25 Prozent mehr Beratungsscheine ausgestellt, als Schwangerschaften abgebrochen werden. Das bedeutet, wie wichtig die Beratung an dieser Stelle ist. Damit Frauen in dieser Konfliktsituation nicht allein gelassen werden, hat die Kommission angeregt, dass insbesondere die Väter stärker in das Beratungsgeschehen eingebunden werden sollen. Sie hat deshalb vorgeschlagen, eine Studie über die Rolle der Väter bzw. der Familien in diesen Lebenslagen zu erstellen und die Schwangerschaftskonfliktberatung gesetzlich zu regeln sowie durch eine Bundesratsinitiative die realen Auswirkungen bezüglich der Spätabtreibungen untersuchen zu lassen. Gerade hier sieht die Kommission den Bedarf auch an psychosozialer Beratung und an einer mindestens dreitägigen Bedenkzeit, wenn keine akute Lebensgefahr für die Mutter besteht. Auch kann es nicht länger angehen, dass ein Kind als Schaden bewertet werden kann.
Die Kommission hat empfohlen, dass hier über eine Änderung im Arzthaftungsrecht Abhilfe geschaffen werden soll. Damit würde auch dem Sinn eines konsequenten Lebensschutzes entsprochen, vergleichen Sie bitte die Empfehlung 10 auf Seite 76 des Berichts.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, dass es aktuelle Ereignisse gibt, die uns immer wieder tief berühren und erschüttert reagiert man in der Bevölkerung auf den Tod von ausgesetzten oder gar von ihren eigenen Müttern getöteten Säuglingen. Es ist einfach nur grausam, wenn solche Babys gefunden werden. Diese Kinder mahnen uns eindringlich! Der feste Wille zum Schutz des Lebens ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine human ausgerichtete Gesellschaft. Es ist der Kommission Ernst mit ihren Vorschlägen, die der Verringerung von Schwangerschaftsabbrüchen und die der Rettung von nicht gewollten Kindern dienen sollen.
Deshalb gibt es klare Aussagen, dass z.B. die Adoption von Kindern einen in der Gesellschaft geachteten Stellenwert haben soll. Es gibt klare Aussagen zur anonymen Geburt, zum Babykorb und zu den Möglichkeiten, wie trotz der offensichtlichen Notlage, Mütter ihr Kind noch akzeptieren könnten. Ist es nicht besser, ein Kind solchen Eltern zu übergeben, die sich ein Kind wünschen, als es abzutreiben oder sogar nach der Geburt zu töten? Was geht in solchen Frauen vor und warum gibt es diese Dinge auch in unserem ach so aufgeklärten Jahrhundert immer wie
der? An dieser Stelle möchte ich den Experten in der Kommission und auch der Landesregierung für die unkomplizierte und rasche Zusammenarbeit sehr herzlich danken,
die enorm dazu beigetragen hat, die Rahmenbedingungen für Thüringen zu klären und jedem, der dazu juristische Fragen hat, dem empfehle ich, sich die Anlage anzusehen, in der Professor Isensee einen verfassungsrechtlichen Exkurs zu diesem Thema veröffentlicht hat. Es ist sehr interessant, weil er da mit dem Lebensrecht auch sehr gut argumentiert.
Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren, ausführlich und auch im Rahmen von Anhörungen wurde das Kapitel Unterstützung bei schwerer Behinderung beraten. Wo beginnen hier Grenzfragen? In welchen Lebensbereichen ist die Würde von Menschen mit Behinderungen tangiert? Allein diese Frage war nur sehr schwer eindeutig zu beantworten. Deshalb hat sich die Kommission entschlossen, dieses Thema breit angelegt und facettenreich zu diskutieren. Hier schien auch der geeignete Ort zu sein, um sich mit dem Thema auseinander zu setzen, wie totalitäre Systeme mit dem Themenkreis umgegangen sind. Menschen mit Behinderungen sind trotz ihres Handicaps meist lebensfrohe, lebensbejahende Menschen, die in erster Linie ganz normal behandelt werden wollen, die aber auch sehr rasch an Grenzen stoßen und die neben Akzeptanz auch Rücksicht, Hilfe und Unterstützung brauchen. Von daher unterstützen wir die Forderung nach mehr Selbstbestimmung, wenngleich vor einer einseitigen Ideologie, bei der möglicherweise ganze Behindertengruppen herausfallen würden, auch gewarnt werden muss. Deshalb hat sich die Kommission für ein Gleichstellungs- und Integrationsgesetz für Menschen mit Behinderungen ausgesprochen.
Ich weiß, dass dazu viel diskutiert wird, dass es dazu Debatten gibt, wann dieses Gesetz kommen muss und wir wissen, dass es kommen muss. Es hat überhaupt nichts mit Heuchelei oder derartigen Dingen zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren, nein, ich glaube, in der Politik muss man wirklich auch dicke Bretter bohren. Man muss, das weiß ich so ein bisschen aus meiner Erfahrung, ich bin im Hobby Sängerin und mache gern Chorsinfonik, da braucht man einfach einen langen Atem zum Durchhalten
und den haben wir, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir werden auch dieses Gesetz bekommen, da bin ich ganz sicher. Insbesondere ist es aber auch wichtig, dass die Frühförderung und die sozialpädiatrische Betreuung von behinderten Kindern und Jugendlichen ge
sichert werden. Hilf mir, es selbst zu tun - dieser Satz Maria Montessori’s sollte Prüfstein in der Behindertenpolitik werden, denn nicht die Überbetreuung kann das Ziel sein, sondern möglichst selbständig leben könnende Menschen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch auf eine Thüringer Besonderheit zu sprechen kommen. Auch das haben wir in unserem Bericht eruiert. So hatte Prof. Helmut Patzer, Kinderarzt und Ordinarius an der Medizinischen Akademie Erfurt, mit seiner von ihm entwickelten und aufgebauten Abteilung für Entwicklungsfragen den Prototyp eines Kinderzentrums in der ehemaligen DDR und auch eher gegen den Willen staatlicher Stellen aufgebaut. Hier hat er nicht nur unzähligen kranken und behinderten Kindern und ihren Eltern geholfen, sondern auch eine Generation von Kinderärzten nachhaltig geprägt. Dieses Engagement war einmalig im Gebiet der ehemaligen DDR und wird aus diesem Grund auch im Abschlussbericht erwähnt. Darüber hinaus haben sich die Kommissionsmitglieder gegen jegliche Selektion von lebenswertem und lebensunwertem Leben ausgesprochen und gefordert, dass Diagnostik und Therapie immer im Einklang angewendet werden müssen.
Gemeinsames Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern in unseren Schulen, das gemeinsame Aufwachsen in Kindergärten, Arbeitsplätze, barrierefreies Bauen und vieles mehr waren wichtige Themen in diesem Bereich, zu dem es auch eine ganze Reihe von Empfehlungen gibt. Man muss auch sagen, dass z.B. die Arbeitsplätze für schwer behinderte Menschen von 3 auf 3,5 Prozent gewachsen sind, dass sich gemeinsames Lernen in den Schulen in den letzten Jahren positiv entwickelt hat und vom Schuljahr 1998/99 von 6 auf heute 8 Prozent angewachsen ist.
Meine Damen und Herren, es ist ja auch nicht damit getan, einfach behinderte und nicht behinderte Kinder in einer Schule zusammenzufassen, sondern man muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen, damit hier optimales Lernen möglich ist, denn gut ausgebildete behinderte Menschen sind wichtig, gerade auch im Bereich der Selbstbestimmung. Wer als behinderter Mensch mit seinen eigenen Händen, mit seinem eigenen Können sein Brot erwerben kann, das ist sehr viel Wert für jeden. Deswegen sind uns diese Dinge wichtig.
Kernpunkt, ich hatte es eingangs schon erwähnt, einer durchaus auch politischen Auseinandersetzung war die Beschäftigung mit den totalitären Systemen, mit dem Nationalsozialismus und mit dem real existierenden Sozialismus. In unvergleichlicher grausamer Weise sind im Na
tionalsozialismus behinderte Menschen missbraucht und umgebracht worden. Euthanasie hieß das Stichwort, dem auch hier in Thüringen ungezählte Menschen, vor allem auch Kinder, zum Opfer gefallen sind. Die Ausstellung, die wir hierzu im Landtag hatten, war hierfür ein bedrückendes Zeugnis. Auch Zwangssterilisationen und andere Verbrechen dieser Diktatur haben uns beschäftigt. Wir haben festgestellt, dass es hierzu zahlreiche historische Forschungen gibt, so dass wissenschaftlich zumindest dieser dunkle Abschnitt deutscher Geschichte inzwischen gut bearbeitet worden ist. Die Zeit in der damaligen DDR war vor allem auch für Behinderte, wenn für Behinderte auch sicher etwas getan wurde, von einer Ideologie der Ausgrenzung geprägt. Es wurde streng zwischen bildungsfähigen und bildungsunfähigen behinderten Menschen unterschieden. Bildungsfähige Kinder wurden in Sonderschulen unterrichtet und späterhin meistens in geschützten Werkstätten beschäftigt. So genannte bildungsunfähige Kinder wurden von der Förderung ausgeschlossen und entweder lediglich verwahrt oder kirchlichen Einrichtungen übergeben, die sich mit sehr viel Einsatz und unter schwierigen Bedingungen dieser Kinder angenommen haben. Da auch mein herzlicher Dank an die Kirchen, dass sie diese Leistung dort vollbracht haben.
Insgesamt haben wir festgestellt, dass diese Fakten und auch der Missbrauch der Psychiatrie in der ehemaligen DDR erforscht werden müssen, denn bei allen Unterschieden kommen wir zu der Feststellung, dass gerade zu diesen Fragen der menschenverachtende Charakter von Diktaturen deutlich wird, und das sollte für uns auch noch mal eine Art Ansporn sein, Demokratie stabil und lebendig zu gestalten.
Ich möchte noch erwähnen, dass in diesem Punkt mit der PDS kein Konsens möglich war, weil sie stets bestritten hatte, dass es sich bei der DDR um einen totalitären Staat gehandelt hat. Die PDS hat dies in einem Sondervotum deutlich gemacht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Schwerpunkt der Diskussionen war ein weiterer wichtiger Befund, der eher sozial- und gesellschaftspolitisch von Gewicht sein dürfte. Immer mehr Menschen mit Behinderungen erreichen ein höheres Lebensalter. Oft haben sie ihr Leben in einem Wohnheim oder bei ihren Eltern verbracht, vielfach auch lange in einer Werkstatt gearbeitet. Im Gegensatz zu früheren Zeiten erreichen sie das Rentenalter und überleben oft ihre Eltern. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns dieses Personenkreises annehmen und konzeptionelle Vorstellungen entwickeln, um diesen Menschen auch im höheren Lebensalter gerecht zu werden.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, im Laufe der Beratungen war festzustellen, dass die
Bereiche "Umgang mit schwerer Krankheit" und die "Begleitung Sterbender" Zusammenhänge aufweisen und ineinander greifen. Deshalb lassen Sie mich hier nur auf die Schwerpunkte eingehen. Beschäftigt haben wir uns hier mit Krankheitsbildern von chronischen Krankheiten, die größere Patientengruppen betreffen und zu starken Beschwerden, Beeinträchtigungen, schweren Krankheitsverläufen oder zu infausten Prognosen führen können. Diabetes, Rheuma, Krebserkrankungen und Demenz waren solche Schwerpunkte, die uns durch die Professoren der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität in einer Anhörung außerordentlich kompetent vor Augen geführt wurden. Ethische Fragen waren vor allem zum Thema "Organspende", "Umgang mit komatösen Patienten" und zu den Grenzfragen des medizinisch Möglichen und ethisch Verantwortbaren zu klären. Wichtigste Botschaften waren, dass z.B. bei krebskranken Kindern in der Rehabilitationsphase Kuren für die ganze Familie ein wichtiger Bestandteil des Heilungsprozesses sein sollten, wird durch diese lebensgefährliche Erkrankung eines Kindes die Familie so extrem belastet, dass sie in vielen Fällen auseinander bricht oder auseinander zu brechen droht.
Ein größeres Thema war auch die Geriatrie. Die Geriatrie ist ein Zweig der Medizin, der den alternden Menschen in den Mittelpunkt rückt. Die Ziele bestehen nicht nur darin, Menschen im höheren Lebensalter von ihren Krankheiten zu heilen, sondern auch darin, die Menschen solange als möglich alltagskompetent zu erhalten.
Ich denke, das ist eine wichtige Geschichte. Neben den ethischen Herausforderungen sind gerade auch an dieser Stelle gesundheitsökonomische Fragen erörtert worden und mehrfach und eindringlich haben uns die Fachleute gesagt, wie wichtig dieses Thema wird, denn heute werden erfreulicherweise die Menschen immer älter. Deshalb liegt es auch in unser aller Interesse, dass nicht nur dem Leben Jahre hinzugefügt werden, sondern den Jahren auch Leben. Grundlagenforschung in diesem Bereich, die Rolle geriatrischer Zentren, die Kompetenz der Ärzte und des Pflegepersonals waren für uns mindestens genauso wichtig wie die Umsetzung des Grundsatzes "ambulant vor stationär". Jung und Alt unter einem Dach, die Sorge für die eigenen Angehörigen und die Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft auch und gerade in unseren Städten sollten uns noch viel stärker beschäftigen, denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, an diesem Punkt stehen wir vor neuen Herausforderungen. Die ältere Generation ist heutzutage gut integriert, meist vital und voller Interesse für das, was um sie herum geschieht. Und sie wird gebraucht, sie wird gebraucht mit ihrer Lebenserfahrung, sie wird gebraucht, damit die Jungen sehen und erleben können, wie man auch im höheren Alter das Leben gestalten kann. Und nichts ist schlimmer, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Einsamkeit und Sinnentleerung in diesem Bericht.
Nur - und auch dazu dient dieser Enquetebericht - wenn es im Durchschnitt immer mehr ältere und auch weniger junge Menschen geben wird, dann gibt es auch eine Zunahme von Kranken und Pflegebedürftigen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle für eine Kultur des Alterns werben, dafür, dass ältere Menschen ihren Platz in der Familie, in der Gemeinde, im Verein, in der Politik haben müssen.
So wichtig die Alten- und Pflegeheime auch sind - und wir können auf sie keinesfalls verzichten, nein, ganz im Gegenteil - dennoch ist es wichtig, dass wir auch nach innovativen Formen der Pflege suchen: wohnortnah, im Quartier, in der Hausgemeinschaft, im Zusammenwirken von Jung und Alt und nicht in der Trennung. Hier ist es auch wichtig, dass generationsübergreifende Projekte zeigen, wie z.B. durchaus Kinder und ältere Menschen wirklich sehr gut miteinander auskommen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das schwierigste Thema überhaupt war das Ende des Lebens, waren die Fragen um Leiden und Tod, um Schmerz und Trauer, Dinge, die man letztendlich nicht zu 100 Prozent erklären kann, warum sie da sind, warum sie sinnvoll sind. Diese Fragen konnten wir auch nicht klären, das war auch nicht unsere Aufgabe. Ich möchte das hier nur anreißen, aber es sind Dinge, wo wir als Menschen lernen müssen, auch damit umzugehen,
und wo es darauf ankommt, sich damit auseinander zu setzen und nicht die Probleme wegzuschieben. Die Kommission hatte sich darauf geeinigt, zwischen Sterbehilfe und Sterbebegleitung streng zu unterscheiden. Sie hat sich zumindest mehrheitlich gegen jede aktive Sterbehilfe, also gegen Euthanasie, ausgesprochen.
"Zuwendung, statt Töten" könnte man hier als Überschrift wählen und, meine Damen und Herren, wir sollten nicht der Versuchung erlegen sein, die Missstände, die es durchaus auch gibt und die ich gar nicht leugnen will, zum Maßstab von Entscheidungen zu machen, die da heißen, ja vielleicht müssten wir ja doch aus diesen Gründen die aktive Sterbehilfe einführen, nein, wir brauchen alle Kraft und jeden Mut, um diese Missstände zu beseitigen, um daran zu arbeiten, dass solche Dinge in unserem Leben keinen Platz haben.
Die Begleitung von Sterbenden durch ihre Angehörigen, durch Pflegepersonal, Ärzte und Hospizdienste haben uns sehr bewegt und wir konnten feststellen, wie viel Ein
satz in diesem Bereich geleistet wird, mit welch hohem fachlichen und auch persönlichen Engagement hier gearbeitet wird.