Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Jetzt kommt mal eben schnell die Änderung eines Schulgesetzes. Ich frage: Trägt denn der Spitzenkandidat der Thüringer Sozialdemokraten für die Landtagswahl nun den an Tagesgeschäft und Medienspektakel orientierten Politikstil mit kurzen Halbwertszeiten auch in die Bildungspolitik unseres Landes hinein? Herr Döring, ich habe noch Ihre Worte im Ohr: "Schule braucht Ruhe, Schule braucht Beständigkeit, um sich gut zu entwickeln." Setzen Sie sich mit dieser Ansicht durch! Für die Thüringer Union sage ich, keine Experimente auf dem Rücken unserer Schüler.

(Beifall bei der CDU)

Vor drei Wochen ungefähr stand in der Zeitung, es gab einen Plan der SPD, im Vorfeld der Landtagswahl eine Unterschriftenaktion durchzuführen, sozusagen eine Art Volksbefragung, und die Menschen zu fragen, ob sie denn wollen, dass es eine Einheitsschule geben soll. Das ist jetzt schon über Bord geworfen und man hat einfach den fertigen Gesetzentwurf aus der Schublade herausgezogen. So kurz vor dem Ablauf der Legislaturperiode ist dies eigentlich eine Farce. Es ist unsolide, weil nämlich eine ernste und breite Debatte in der Öffentlichkeit gar nicht erst stattfinden kann. Ich will aber zu der Begründung Ihres Gesetzentwurfs noch einige Argumente sagen. Sie sagen, das Thüringer Schulgesetz in seiner jetzigen Form trüge den allgemein, anerkannten Erfordernissen der Zeit nur ungenügend Rechnung. Dagegen stelle ich aber auch, dass Thüringer Schüler deutschlandweit bei den Bildungstests Spitzenplätze belegen, bei PISA Platz 4 und bei IGLU sind wir eh ganz Spitze.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben natürlich auch den Blick auf das Internationale, man darf sich ja nicht nur loben. Man muss es aber auch mal sagen können, dass Thüringer Schule deutschlandweit gute Leistungen vollbringt. International ist das noch nicht

so. Man muss aber auch sagen, dass wir, um an internationales Spitzenniveau heranzugelangen, seit 1999 oder eigentlich immer auf dem Weg waren, denn Ende 1999 wurden die PISA-Daten erhoben und seitdem gab es zahlreiche Maßnahmen. Ich will nur mal die Lehrpläne nach dem Kompetenzmodell nennen, die erst danach oder fast zeitgleich eingeführt wurden, ich will die Schulgesetzänderung nennen, die wir hier schon beschlossen haben und wofür PISA natürlich auch ein Anlass war. Ich will die Initiative zur Entwicklung von Schulqualität nennen, ich will zum Beispiel auch die Initiative zu den Leitlinien frühkindlicher Bildung nennen, um nur mal einiges herauszugreifen. Es ist ja nicht so, dass nichts unternommen wird, sondern wir sind hier auf einem sehr guten Weg und die Thüringer Schullandschaft ist Vorbild für viele andere Bundesländer in Deutschland. Wenn ich an unsere Lehrpläne denke, dann sind die sogar weltweit ein Exportschlager an Schulen im Ausland. Die SPD sagt nun in ihrer Begründung, dass sie neue Wege aufzeigen will und da ist das längere gemeinsame Lernen ein Weg, der beschrieben wird, der Ausbau schulischer Ganztagsangebote, die stärkere Eigenständigkeit von Schule und kontinuierliche Qualitätsentwicklung. "Neu" steht für mich dort in Anführungszeichen, denn was ist daran neu? Wir haben diese Wege alle beschrieben und gehen sie, diese Wege.

Längeres gemeinsames Lernen: Tatsache ist, es gelingt in Deutschland in der Sekundarstufe I nur schlecht, selbst in homogen zusammengesetzten Klassen, den einzelnen Schüler individuell und optimal zu fördern. Auch aus dem hervorragenden Abschneiden bei der Grundschulleistungsstudie IGLU schlussfolgert die SPD nun, man muss die Kinder nur einfach weiter gemeinsam lernen lassen und alles wird gut. Man lässt dabei aber die Bedingungen, unter denen das Lernen in der Grundschule stattfindet, völlig außer Acht. Ich will mal einige Punkte nennen. Da ist zum Beispiel das Engagement der Eltern, das ist bei Kindern im Grundschulalter noch wesentlich größer und bricht ab Klasse 5 massiv ab. Oder dort ist zum Beispiel auch die Tatsache, dass jeder Grundschullehrer, meist sind es ja Grundschullehrerinnen, in fast allen Unterrichtsfächern ausgebildet ist. An den anderen Schularten unterrichten in der Regel Lehrer, die nur in zwei Fächern, manche sogar nur in einem Fach ausgebildet sind. Auch das muss man sehen. Auch ist die Diagnosefähigkeit und das Eingehen der Lehrer auf die unterschiedlich ausgeprägten Möglichkeiten der Kinder zum Lernen in der Grundschule viel stärker ausgeprägt.

Unser Weg in Thüringen ist nicht die Einheitsschule nach Klasse 4 für alle, sondern ein differenziertes, leistungsbegabt orientiertes Schulsystem, das jedem Schüler einen optimal fördernden Bildungsgang gewährt. Aber gute Erfahrungen, zum Beispiel klassen- und fächerübergreifender Unterricht, Kooperationsformen der in der Klasse unterrichtenden Lehrer, Einbeziehung von außerschulischen Partnern, schulinterne Lehrpläne, Leseinitiativen in den Schulen, individuelle Förderpläne, das sind Erfahrungen, die insbesondere auch auf die Regelschulen und Gymnasien ausgedehnt werden sollen.

Zu dem Punkt "Ausbau schulischer Ganztagsangebote": Eine Schule wird nicht dadurch besser, dass man sie einfach auf den ganzen Tag ausdehnt. Ich will aber auch sagen, Sie negieren ein Stück weit mit Ihrem Begründungstext, dass wir in den Thüringer Schulen, egal welcher Schulart, schon sehr, sehr viele ganztägige Angebote haben. Dann frage ich Sie, welche Verbesserung wird denn erreicht, wenn die Schule nun das Einvernehmen mit dem Schulträger herstellen muss und wenn dann das Kultusministerium auch noch für jede Schule, die ein ganztägiges Angebot darbieten will, eine Genehmigung aussprechen soll. Das kann doch wohl nicht der richtige Weg sein. Oder Sie sagen eben auch - größere Eigenständigkeit der Schule, wobei mir nicht ganz deutlich wird -, wo sie wirklich die Eigenständigkeit von Schule ausleben. Denn die Zwangsmaßnahmen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf jeder Schule vorschreiben wollen, die scheinen mir doch zu überwiegen. Aber beziehe ich es mal eben auf die Thüringer Regelschule, dann ist mir jetzt nicht so ganz klar, wollen Sie jetzt den Hauptschulabschluss ganz abschaffen? Das kann ja wohl irgendwie nicht so richtig sein, denn Thüringer Schüler müssen ja bundesweit anerkannte Abschlüsse haben.

Von mir aus können Sie die Schüler auch länger gemeinsam lernen lassen, machen wir ja auch. Wir haben ja dazu einen Vorschlag gemacht und haben ihn gestern im Bildungsausschuss diskutiert, wie man günstig dazu kommen kann. Aber von vornherein zu sagen, wir orientieren den Schüler zum Beispiel nicht auf den Hauptschulabschluss, halte ich nicht für richtig. Ich denke, jede Schulart muss auch ein entsprechendes Profil haben und muss dem Schüler auch entsprechende Bildungsinhalte, Bildungsmethoden und Lernwege aufzeigen. Es gibt sehr gute Gründe dafür, dass sich viele Thüringer Regelschulen entschieden haben, Hauptschulklassen und Realschulklassen nebeneinander zu führen. Wenn wir den Weg zu mehr gemeinsamem Lernen an den Regelschulen gehen, muss erste Voraussetzung sein, dass die Schule in der Lage ist, das gemeinsame Lernen so zu gestalten, dass jeder Schüler optimal gefördert und gefordert wird. Das beschreiben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf in keiner Weise. Ich sage, lassen Sie die Schule selbst entscheiden, ob sie ihre Schüler gemeinsam in einer Klasse unterrichten will oder ob sie die Klassen nebeneinander, wir reden von der additiven Form, führen will.

Qualitätsentwicklung wird von Ihnen im Gesetzentwurf beschrieben. Wir tun dies seit einigen Jahren, nur ist hier wieder die Frage, wie geht man hier heran. Natürlich wollen wir die Qualitätsentwicklung, man sagt Schulentwicklung, vorantreiben. Aber geschieht das dadurch, dass man jeder Schule aufzwingt, dass sie ein Schulprofil beschreiben muss, wobei die fachliche Definition für mich nicht ganz sauber ist, wie es im Gesetzentwurf steht. Aber muss man das der Schule dann vorschreiben? Und muss man ihr dann vorschreiben, dass sie dafür immer wieder das Einvernehmen mit dem Schulträger und dem Schulamt herbeiführen muss? Muss es denn sein, dass man die Schulbehörden in regelmäßigen Abständen in die Schule jagt, um

dort alles nachzukontrollieren à la Inspektorensystem? Wir halten das nicht für richtig. Wenn man möchte, dass Schule frei ist, und wenn man Schule zutraut, dass sie professionell von den Lehrern gemacht wird, dann muss man es ihr auch wirklich zutrauen und nicht wieder hinten herum viele administrative Mittel einführen. Ich habe so den Eindruck, wenn das so würde, wie Sie es vorschreiben, dann kommen wir hier zu einem administrativen Schönberichtswesen, das Thüringer Schulen durchzuführen haben.

Der einzige Punkt, der aus meiner Sicht zu wirklich mehr Eigenständigkeit führen würde in Ihren Gesetzesformulierungen, ist die Frage der finanziellen Eigenständigkeit und der Eigenbewirtschaftung von Haushaltsmitteln. Nur sage ich, es gibt ja in Thüringen die Möglichkeit, dass die Schule ein Budget erhält und dass der Schulträger diese Aufgaben auf die Schule delegiert. Ich frage mal, in welchem SPD-geführten Landkreis wird es denn getan?

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: In fast allen...)

Ich stelle einen großen Unterschied fest zwischen dem, was man als Anspruch formuliert, und dem, was man tut. Denn schaue ich in SPD-regierte Landkreise, dann ist das Geld alle, da hat man kein Geld mehr, um es überhaupt noch in die Schulinvestitionen zu stecken und wenn ich an Saalfeld/Rudolstadt denke, da versucht die Landrätin sogar, sich aus der Schulsozialarbeit zurückzuziehen. Das ist dann tatsächliche sozialdemokratische Politik.

(Beifall bei der CDU)

Also, der Glaube an sich ist tot, folgt ihm nicht das Handeln. Herr Döring, wir möchten trotzdem Ihre Vorschläge in den Ausschüssen diskutieren, denn ich denke, es ist wichtig, dass wir miteinander nach Wegen suchen, wie man Thüringer Schule besser machen kann und die plakativen Reden sollten außen vor bleiben. Die Zeit von bildungspolitischen Grabenkämpfen muss einfach vorbei sein. Ich habe sie in Thüringen nie so gesehen und Sie sollten diese Gräben auch nicht aufreißen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Döring, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wer in diesen Tagen einen Blick auf die bildungspolitische Landkarte Deutschland wirft, stellt rasch eines fest: In Thüringen herrschen Stillstand und Innovationsscheu.

(Unruhe bei der CDU)

Herrschen ist dabei, denke ich, das richtige Stichwort, denn es ist die jetzige Landesregierung, die für diesen Zustand verantwortlich ist.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich das nur an einigen Beispielen verdeutlichen. Ende November 2002 hat der Landtag das Thüringer Schulgesetz novelliert. Die Resultate von PISA und PISA E waren seinerzeit bereits bekannt und wurden auch breit diskutiert. Von eklatanter bildungspolitischer Bedeutung ist bei diesen Vergleichsstudien, dass der Kompetenzvorsprung der Schüler aus den PISA-Spitzenstaaten gegenüber den getesteten Schülern in Thüringen mehr als ein bis zwei Schuljahre beträgt. Das ist ein Ergebnis, das wir zur Kenntnis genommen haben und da kann man auch nicht die Ergebnisse deutschlandweit betrachten. Auch hier wissen wir ja ganz genau, wenn ich wirklich die Kinder von Asylbewerbern abziehe, dann sind wir eben nicht auf Platz 4, sondern stehen wir auf Platz 10 von 14 Staaten, das ist ja die bittere Realität. Aus der langen Liste nötiger, in den PISA-Spitzenstaaten größtenteils seit langem realisierten bildungspolitischen Innovationsschüben möchte ich hier einige herausgreifen, die auch zur Grundlage unseres Gesetzentwurfs geworden sind, nämlich das längere gemeinsame Lernen, der Ausbau von schulischen Ganztagsangeboten, die individuelle Schülerförderung, neue und differenzierte Unterrichtsformen, mehr Eigenständigkeit der Schule und Schulprofilierung und damit im Zusammenhang - ich habe es schon einmal gesagt - die Weiterentwicklung. Es geht um die Weiterentwicklung und Evaluierung der Bildungsqualität. In der Schulgesetznovelle von 2002 findet sich nichts davon. Das haben wir schon bei den Lesungen der Gesetzentwürfe kritisiert. Unsere Argumente haben damals bei der Mehrheitsfraktion des Hauses aber keinen Widerhall gefunden. Ähnlich unbefriedigend ist es ja auch mit der neuen Regelschulordnung. Wenn man sie wirklich auf ihren Kern reduziert, sinkt dort lediglich die Zahl der Unterrichtsfächer, indem im Kurssystem eine Differenzierung in Haupt- und Realschüler vorgenommen werden muss und es gibt für die Schulen mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung der Stundentafel. Das begrüße ich natürlich generell.

Minister Krapp verkauft aber die genannten Detailänderungen als längeres gemeinsames Lernen an der Regelschule. Aber das, meine Damen und Herren, ist Etikettenschwindel, denn es fehlt die Verbindlichkeit der neuen Bestimmungen zur Reduktion der verpflichtenden Differenzierung für alle Regelschulen. Diese Veränderungen greifen lediglich bei Regelschulen mit Kurssystem, und Sie wissen genau, das sind nicht einmal ein Viertel aller Regelschulen. Die übrigen Regelschulen haben abschlussbezogene Klassen eingerichtet, und sie haben dies getan, weil für die integrierte Form - und auch das wissen Sie, Herr Minister

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Regelschule?)

der Regelschule bis heute die personellen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Und auch daher ist die neue Regelschulordnung nur eine Mogelpackung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun ein letztes Beispiel für den gegenwärtigen Zustand der Bildung in Thüringen nennen. Auch bei den schulischen Ganztagsangeboten bleibt hierzulande der notwendige bildungspolitische Innovationsschub aus. Die Landesregierung ruft zwar rege das Geld aus dem Bundesprogramm ab, pädagogische Konzepte spielen jedoch bei der Weiterleitung der Gelder an den Schulträger so gut wie keine Rolle und in Thüringen droht das Ganztagsschulprogramm zu einem reinen Schulsanierungsprogramm zu mutieren.

All diese Punkte haben wir oft genug auch hier im Hause kritisiert, gebracht hat das nichts. Deshalb wollen wir es nicht länger bei bloßer Kritik belassen und legen einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Schulgesetzes vor. Dabei knüpfen wir an die bisherige Entwicklung in Thüringen an und orientieren uns an praktikablen Lösungen. Es geht uns in unserem Gesetzentwurf um nachhaltige Veränderungen im Rahmen der täglichen Arbeit der Schule. Dabei setzen wir folgende Schwerpunkte:

- konsequente Einführung des gemeinsamen Lernens an der Regelschule und darüber hinaus das Ermöglichen von Schulversuchen zum längeren gemeinsamen Lernen im Rahmen der Profilierung der Einzelschule,

- größtmögliche Eigenverantwortung der Schule,

- kontinuierliche Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung und damit verbunden sind eine Erweiterung natürlich der Mitbestimmungsrechte der Schulkonferenz und die Stärkung der Schulleitung,

- gesetzliche Rahmenbedingungen für die Errichtung von Ganztagsschulen,

- Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern und der Vorrang der Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Meine Damen und Herren, ich möchte nun zu diesen Schwerpunkten im Einzelnen einiges sagen.

Zunächst zum Punkt 1 - längeres gemeinsames Lernen: PISA hat uns gezeigt, Deutschland ist Weltmeister in der sozialen Auslese. In keinem vergleichbaren Land bestimmt soziale Herkunft so stark den Schulerfolg wie in Deutschland. Und hier

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das ist aber in Thüringen)

- ja, ja, ich komme auf Thüringen, Herr Emde, ich komme natürlich auf Thüringen - in Thüringen hat ein Ober

schichtenkind bei gleichem schulischen Kompetenzniveau eine mehr als doppelt so hohe Chance, in der Klasse 4 die Übergangsempfehlung für das Gymnasium zu bekommen, wie ein Kind aus unteren Schichten. Auch das können Sie ja im Bericht der Enquetekommission nachlesen, wir haben es ja gemeinsam auch so aufgeschrieben.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Vergleichen Sie uns ruhig mal mit SPD-geführten Ländern!)

Anstatt den Kindern Bildungswege zu eröffnen, führt also unser System der frühen Aufteilung auf unterschiedliche Schularten allzu oft in Bildungssackgassen. Viele der bei PISA erfolgreichen Staaten gehen einen ganz anderen Weg, sie lassen die Schüler länger gemeinsam lernen und ermöglichen in den Klassen und Lerngruppen einen nach Leistungsniveau differenzierten Unterricht. Dabei erhalten alle Schüler individuelle Förderung und Unterstützung, sie werden konsequent und umfassend in ihren Stärken gefördert. Genau das wollen wir auch in Thüringen ermöglichen und deshalb treten wir für gemeinsames Lernen aller Schüler bis Klassenstufe 8 ein.

Wir beginnen in unserem Gesetzentwurf mit konkreten Schritten bei der Regelschule. An einer Regelschule sollen künftig alle Schüler bis einschließlich Klasse 9 in allen Fächern gemeinsam unterrichtet werden. Dabei steht natürlich die individuelle Förderung im Mittelpunkt, eine Förderung der Leistungsstarken ebenso wie der Leistungsschwächeren. Wichtig ist, dass diese verbindliche Festschreibung gemeinsamen Lernens an den Regelschulen erst ab dem Schuljahr 2005/2006 greifen soll, um den Schulen den notwendigen Vorlauf zu ermöglichen. Zudem sieht unser Gesetzentwurf Schulversuche vor, mit denen wir weitere über die Regelschulen hinausgehende Erfahrungen zum längeren gemeinsamen Lernen sammeln können. Auf dieser Basis wollen wir später gemeinsames Lernen aller Schüler bis Klasse 8 realisieren. Es geht uns also um eine solide vorbereitete Umsetzung bildungspolitischer Innovationen und nicht um Herumexperimentieren auf Kosten der Schulen, wie uns hier vorgeworfen wird.

Ich möchte an dieser Stelle zudem betonen, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, dass wir uns keinesfalls vom längeren gemeinsamen Lernen bis Klasse 8 verabschiedet haben. Uns ist jedoch auch bewusst, dass man - und das unterscheidet uns - mit gewachsenen Strukturen nicht per Knopfdruck einfach umgehen kann und sie so weit umgestalten kann, wie Sie sich das sozusagen ideologisch vorstellen. Die Realisierung längeren gemeinsamen Lernens braucht Zeit, sie benötigt die Akzeptanz der Bevölkerungsmehrheit und einen möglichst breiten Konsens im parteipolitischen Raum. Ideologisch geprägte Machbarkeitsphantasien helfen uns da nicht weiter, Frau Sojka, und auch nicht der Vorwurf, wir hätten uns vom längeren gemeinsamen Lernen verabschiedet. Nein, wir suchen konkrete Wege und wollen das nicht als Monstranz allein vor uns hertragen.

An dieser Stelle sei mir ausgewogenheitshalber auch noch eine Replik in Richtung CDU erlaubt: Herr Minister Krapp und auch der Kollege Emde haben sich ja besorgt gezeigt, dass die von uns gewollte konsequente Festschreibung gemeinsamen Lernens an der Regelschule nicht die Anerkennung der KMK finden könnte. Ich denke, Ihre Sorgen in Ehren, aber der KMK-Beschluss über die Schularten und Bildungsgänge im sekundaren Bereich I, den Sie immer wie eine Monstranz vor sich her tragen, stammt von 1996. Er ist fünf Jahre vor PISA entstanden, reflektiert damit überhaupt nicht den gegenwärtigen bildungspolitischen Diskurs und wird in PISA mit Sicherheit in nächster Zeit auf der Agenda der Kultusministerkonferenz stehen. Das heißt, die Tage dieser Regelung sind gezählt. Und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein haben vor kurzem erklärt, dass sie in ihren Ländern ebenfalls längeres gemeinsames Lernen realisieren wollen; von einem Thüringer Sonderweg kann also keine Rede sein.

Meine Damen und Herren, ich komme zum zweiten Schwerpunkt unseres Gesetzentwurfs, der größtmöglichen Eigenverantwortung der Schulen: Ohne dass sich das Land damit aus seiner Bildungsverantwortung zurückzieht, wollen wir den Thüringer Schulen größtmögliche Eigenständigkeit geben. Wir wollen, dass die Schulen mit Hilfe eigener Schulprogramme und orientiert an verbindlichen Bildungsstandards künftig selbst ihr pädagogisches, fachliches und organisatorisches Profil entwickeln können. Den Schulen muss zudem der Abschluss von Rechtsgeschäften möglich sein. Sie müssen ihre Sachmittel selbst bewirtschaften können und die Schulleiter brauchen größere Kompetenzen bei der Personalauswahl, Personalentwicklung und Personalführung. Zu so viel Eigenverantwortung, das ist klar, gehört auch eine gewisse Rückkopplung. Deshalb wollen wir die Schulen verpflichten, regelmäßig an internen und externen Evaluationen zum Stand der von ihnen vermittelten Bildungsqualität teilzunehmen. Dabei geht es nicht darum, Fehler anzuprangern und es geht auch nicht um einen Schul-TÜV, sondern um Hilfestellung und Orientierung für unsere Schulen.

Zu Punkt 3 - Ganztagsschulen: Unser Ziel ist hier klar, wir brauchen klare gesetzliche Rahmenbedingungen für die Schulen, welche sich zu Ganztagsschulen entwickeln wollen. Diese Schulen brauchen Verlässlichkeit und Sicherheit und vor allem muss endlich die Wertigkeit der pädagogischen Konzepte festgeschrieben werden, denn ohne sie ist bei den schulischen Ganztagsangeboten ein Plus an Bildungsqualität nicht zu erzielen.

Zu Punkt 4 - Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern: Die Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern sollte nach Wunsch der Landesregierung ursprünglich Bestandteil der Schulgesetznovelle vom November 2002 sein. Hardliner der CDU-Fraktion haben seinerzeit eine Streichung dieses Passus erreicht. Wir halten das nicht nur aus humanitären Gesichtspunkten für unverantwortlich - schließlich geht es um die Realisierung des Menschenrechts auf

Bildung -, sondern auch aus bildungspolitischen Erwägungen. Empirische Untersuchungen zeigen nämlich eindeutig, dass mit dem Verzicht auf die Schulpflicht eine hohe Barriere für den Bildungszugang für Kinder von Asylsuchenden errichtet wird.

Zu Punkt 5 - Integration: Thüringen hat mit 7,1 Prozent bundesweit den höchsten Anteil an Förderschülern; der Bundesdurchschnitt liegt bei 5,6 Prozent. Hier besteht eindeutig, das wissen wir alle, Handlungsbedarf. Wir müssen daher den Stellenwert integrativer Beschulung erhöhen und das bedeutet letztendlich auch, dass wir im Schulgesetz den Vorrang der Integration gegenüber anderen Formen der Beschulung festzuschreiben haben.

Meine Damen und Herren - ich habe vom Schulgesetz gesprochen -, ich denke, es ist Ihnen deutlich geworden, dass unser Gesetzentwurf die derzeit für Thüringen notwendigen bildungspolitischen Weichenstellungen beschreibt und wir malen dabei keine Wolkenkuckucksheime, sondern zeigen realisierbare Lösungsansätze auf. Wir fordern deshalb auch die anderen Fraktionen des Hauses auf, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit unserer Gesetzesinitiative zu führen. Ich beantrage die Überweisung an die Ausschüsse. Danke.

(Beifall bei der SPD)