Ich danke Ihnen, Herr Emde, dass Sie heute im Abschlussteil Ihrer Rede richtigerweise noch einmal Bezug genommen haben zur Arbeitslosigkeit und zur Wertigkeit von Familien, aber im Abschlussbericht kommt diese Deutlichkeit leider nicht zum Tragen. Familienfreundlichkeit, meine Damen und Herren, beginnt, wenn diese Probleme, die ich bisher genannt habe, einer Lösung zugeführt werden. Aus meiner Sicht und der meiner Fraktion muss sich Familienfreundlichkeit im Alltag beweisen, das heißt im Stadtteil, in den Gemeinden und auch im Betrieb. Zur Familienfreundlichkeit und auch aus gesundheitspolitischen Aspekten heraus gehört für mich deshalb auch das Angebot eines warmen Mittagessens in allen Schularten dazu. Ich denke, hier muss sich stärker das Land seiner Verantwortung in der Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche stellen. Skandinavische Länder machen uns dies vor, die nämlich in allen Schularten und auch in allen Kindertageseinrichtungen kostenfreies Mittagessen zur Verfügung stellen. Deshalb sage ich auch, ein Familientag im Jahr reicht nicht aus. Das ist für mich Aktionismus und vielleicht wäre es doch besser gewesen, das Geld in mehr Familiencards zu stecken oder eben auch in einen höheren Zuschuss für das warme Mittagessen. Wir werden morgen diesen ersten Landesfamilientag erleben. Meine Fraktion wird sich natürlich mit einem eigenen Stand daran beteiligen und wir werden sehen, wie dieser Tag verläuft. Ich hoffe natürlich, dass sehr viele Familien kommen und ihn dann auch wirklich nutzen.
Die Vielfältigkeit der Formen familiären Lebens erfordert eine neue Gewichtung der staatlichen Unterstützung von Familien zu der von Ehen. Deshalb gehört für mich und meine Fraktion das Ehegattensplitting abgeschafft,
oder es wird zu einem Familiensplitting weiterentwickelt. Kindertagesbetreuung muss aus unserer Sicht mittelfristig in Deutschland kostenfrei sein und durch Steuergelder der Allgemeinheit finanziert werden. Das setzt, das wissen wir, ein Umdenken in der Steuerpolitik der Bundesebene voraus. Familien brauchen langfristige Perspektiven, so wie die Gesellschaft Leistungen der Familie braucht. Sie stützen die Arbeitswelt und die sozialen Sicherungssysteme ebenso wie die Konsummärkte und die Gesellschaft in ihrer intergenerationellen Komplexität.
Meine Damen und Herren. Angesichts der Vielfalt von Lebensentwürfen und Lebensstilen sind Werte zu vermitteln, die den Heranwachsenden eine Orientierung ermöglichen, ihnen in kritischen Lebenssituationen auch helfen und ihnen auch helfen, Konflikte zu bewältigen, die jedem im Leben irgendwann widerfahren. Hier sehe ich aber ein Defizit in der Arbeit der Enquetekommission. Bei allen wohl
wollenden Umschreibungen der Situation von Familie und Bildungssystem in Thüringen wird das Problem der Wertevermittlung und der gesellschaftlichen Werteorientierung, wenn überhaupt, dann sehr verkürzt abgehandelt. Hierzu möchte ich Sie nur verweisen auf den Abschlussbericht auf Seite 12 und ich möchte ein kurzes Zitat bringen: "... verlässliche Strukturen der Alltagsgestaltung, überzeugende Angebote an Lebenssinn, Grundwerteorientierung, Vorbilder und Erschließungsräume geglückten Lebens" - sind "ebenso notwendig wie die Fähigkeit, Ungewissheit auszuhalten und sich neuen Anforderungen und unbekannten Situationen zu stellen. Die Orientierung am Selbst und seinem Freiheitsanspruch wird leer, wenn das Selbst seine Verwirklichung nicht in Umsicht und Rücksicht auf die Realität und auf die anderen Menschen sucht.". Hier ist zu fragen, was sind verlässliche Strukturen der Alltagsbewältigung? Sind sie nur in den Familien zu suchen, oder wo finden wir sie denn in der Gesellschaft? Wenn dazu in einer Diskussionsrunde kürzlich von einer Teilnehmerin festgestellt wurde, dass sie den Eindruck vom Abschlussbericht hat, hier werden Eltern an ihren Defiziten gemessen, ist diese Aussage nicht einfach von der Hand zu weisen. Dann müssen nicht nur diese Fragen gestellt werden, dann muss es auch eine intensive öffentliche Diskussion in diesem Lande dazu geben. Mit dem Landesbündnis für Familie ist es einfach nicht getan. Im Enquetebericht steht als Empfehlung, dass dieses Landesbündnis Entscheidungen für die Politik vorbereiten sollte. Davon ist, und das muss ich hier zum wiederholten Male sagen, das Bündnis schon im Ansatz, meine Damen und Herren, noch weit entfernt. Ich hoffe natürlich, dass sich das ändert, denn nur wenn konkrete Entscheidungen vorbereitet werden, die dann die Politik auch aufgreift und umsetzt, dann bringt ein solches Familienbündnis direkt etwas für Familien.
Zu fragen ist auch, von welchen Werten lebt diese Gesellschaft? Wie finden junge Menschen individuelle und gesellschaftliche Werteorientierungen? Wie sieht denn die Realität in Thüringen aus? Mehr als 18.000 Thüringer Jugendliche hatten bis Ende März dieses Jahres noch keine Lehrstelle. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist seit der Wende um mehr als 17 Prozent zurückgegangen. Dieser Rückgang basiert weniger auf Freiwilligkeit noch auf Freiheitsgewinn und die fehlenden sinnstiftenden Ausbildungs- und Arbeitsplätze verbreiten nun mal Angst und Hoffnungslosigkeit. Zu fragen ist auch, dient das Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche der Förderung ihrer Interessen und Neigungen und einer kulturellen Vielfalt im Land? Werden die modernen Informations- und Dienstleistungsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft sowie der Markt alles richten oder gehört noch etwas anderes zum Leben? Wie ist es mit der Aneignung sozialer Kompetenzen, dem Erlernen von Verhaltensfertigkeiten? Welche Rolle spielen denn Gefühle im Leben eines jungen Menschen? Wie lernen junge Menschen Situationen emotional richtig einzuschätzen? Wir wissen doch, dass Kinder, die im Umgang mit Ärger und Wut aufwachsen, später
häufig Probleme mit Aggressivität haben. Aggressives Verhalten wird aber immer massiver, wenn man eben nicht frühzeitig und rechtzeitig darauf reagiert. Zu all diesen Fragen schweigt sich der Abschlussbericht aus und es war daher unumgänglich, ein Sondervotum einzubringen.
Meine Damen und Herren, der Ökonomisierungsprozess hat die Familie längst erreicht. Am Ende steht ein funktionierendes Optimum Familie. Von Kindern und Jugendlichen wird Marktfähigkeit erwartet, die damit verbundene Flexibilität bringt Veränderungen im Verhältnis der Werte von Mobilität und denen der Beständigkeit und Verlässlichkeit. Nicht nur, dass Mobilitätsvorgänge Individualisierungsschübe hervorbringen, soziale Mobilität hat auch Auswirkungen auf Lebenswege und Lebenslagen der Menschen, auf Familien, Nachbarschafts-, Berufs- und Betriebsbindungen. Es ist einer der Gründe, warum Familie einen hohen Stellenwert auch oder gerade bei jungen Menschen besitzt und zugleich liegt in dem skizzierten Problemfeld die Schwierigkeit, dauerhafte Bindungen einzugehen. Eine gesellschaftliche Diskussion zu diesem Problemkomplex halte ich für notwendig.
Zwischenmenschlicher Umgang ist auch leider kein natürliches Ereignis mehr. Kinder müssen zwischen Umgangswirklichkeit und virtuellen Wirklichkeiten unterscheiden lernen. Deshalb muss Schule heute Möglichkeiten bieten, Alltagskompetenzen zu entwickeln. Diese müssen die familiären Lebensbezüge, die Beziehungs- und Haushaltskompetenzen einschließen. Dem universellen Entfremdungs- und Verformungsprozess, der Menschen zum Objekt macht, muss Bildung entgegenwirken und Bildung ist eben nicht auf Wissen reduzierbar. Deshalb sind auch Lernprozesse so zu gestalten, dass Schüler als selbsttätige entscheidungs- und handlungsfähige Subjekte gesehen, aber auch so behandelt werden.
Dazu möchte ich noch anmerken, zu den von mir aufgeworfenen Fragen gehört natürlich auch die Frage, was ist Deutschland, was ist Thüringen bereit, für Bildung auszugeben? Denn Deutschland liegt mit 4,4 Prozent bei Bildungsausgaben unter dem Durchschnittswert der Europäischen Union mit 5,2 Prozent und weit abgeschlagen hinter dem Vorbild USA mit 7,2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts.
Meine Damen und Herren, ich denke, die Aneignung fremder Kulturen mit wirklichem Wertgewinn setzt die Integration in fremde Sozialstrukturen voraus, entweder im Arbeitsprozess oder über familiäre Bindungen,
alles andere ist bestenfalls Wissenserwerb. Aber auch mehr Wissen über andere Völker und Kulturen ist schon sehr wichtig, um prophylaktisch gegen Fremdenfeindlichkeit zu wirken. Das sage ich insbesondere unter dem Ereignis der EU-Osterweiterung vor wenigen Tagen. Eine multikulturelle Gesellschaft ist aber nicht in Sicht, wenn ich u.a. an das Gezerre um das Einwanderungsgesetz im Bund denke, und ich bin auch etwas unzufrieden mit der Diskussion in der Enquetekommission zum Thema "Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern". Ich bedauere, dass Herr Seela jetzt nicht im Raum ist, er hat während der Rede meiner Kollegin Frau Dr. Stangner eine unflätige Bemerkung zu diesem Thema gemacht. Ich denke, Abgeordnete, die in diesem Haus sitzen und mit diesem Problem so umgehen wie Herr Seela auch heute wieder, es ist ja nicht das erste Mal, denen müsste man eigentlich noch mal eine Schulpflicht verschreiben.
Ich meine aber, insgesamt möglich ist auch die Besinnung auf gemeinsame Werte in den Kulturen, in Toleranz und Achtung dem jeweils Besonderen und anderen gegenüber.
Dabei sollten gerade wir Ostdeutschen nicht vergessen, was wir uns an Wissen und Erfahrung über osteuropäische Kulturen angeeignet haben. Gewonnene Weltoffenheit in Richtung Westen darf eben nicht zu einer Trübung unseres Blickes für den Osten führen; ich hoffe, dass das auch nicht so wird. Auch in diesem Sinne, meine Damen und Herren, rege ich, wie meine Vorgänger hier am Pult auch, eine breite gesellschaftliche Diskussion im Nachgang zu den Ergebnissen der Enquetekommission an, die am Ende Schlussfolgerungen der Politik anheim geben muss, die diese auch umsetzt, dass Thüringen wirklich zu einem familien- und bildungsfreundlichen Land werden lässt. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu Beginn noch einmal ein paar Worte zur Entstehung der Enquetekommission sagen. Das hohe Haus hatte ja bis zur Einsetzung dieser Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen" durchaus kontrovers über Auftrag und Anliegen einer solchen Kommission diskutiert. Das ist, denke ich, in den Debattenbeiträgen hier auch zum Ausdruck gekommen. Die Oppositionsfraktionen hatten, bevor wir zu diesem Beschluss kamen, bereits dreimal eine Enquetekommission beantragt, die sich konzentrierte
auf die Entwicklungen im Schulbereich - Schulleistungen, Schulreform, Schulentwicklung. Demgegenüber hat meine Fraktion von Beginn an deutlich unterstrichen, dass Erziehung und Bildung ein ganzheitlicher Prozess ist, der mit dem ersten Lebenstag des Kindes beginnt und damit notwendigerweise auch im familiären Umfeld ansetzt. Vielleicht hätten wir einen Teil dieser Debatte heute nicht, wenn wir dies nicht so konsequent durchgesetzt hätten. Erziehung ist demzufolge auch zuallererst Aufgabe der Familie, Kindergarten und Schule haben unterstützende Funktionen. Das, denke ich, muss man sich immer ins Bewusstsein zurückrufen.
Das darf natürlich nicht heißen, dass die Familie, dass die Eltern eines Kindes bei der Erziehung allein gelassen werden sollen. Sie brauchen vielfältige
und auch verbindliche Unterstützungsangebote. Schule ist eines davon, aber lange nicht das einzige. Ich habe dieser Tage im Focus ein Interview mit der nordrhein-westfälischen Kultusministerin Schäfer gelesen, sie hat dort den Satz gesagt: In Afrika sagt man, ein ganzes Dorf erzieht ein Kind. Ich denke, das ist ein schönes Bild. Jedenfalls hat auch die Enquetekommission in ihrer Arbeit diesen ganzheitlichen Ansatz, der ja der Kern des Auftrags des hohen Hauses war, aufgenommen und dabei ganz besonders die Schnittstellen und die partnerschaftlichen Beziehungen der beteiligten Bereiche in den Blick genommen. Mit einem Modernismus könnte man sagen, es wurden Vernetzungen untersucht und damit war natürlich auch eine Beschränkung gegeben, eine sinnvolle Beschränkung, denn in der Tat ganzheitlich kann man auch in einem beschränkten Zeitumfang sicherlich nicht alles abarbeiten. Insofern sind wir der befürchteten Gefahr einer Verzettelung nicht unterlegen und im Ergebnis zu sehr konkreten Empfehlungen gekommen, das kann man nachlesen. Meine Vorredner haben das in verschiedenen Facetten bereits erläutert. Ich will einfach feststellen, dass sich diese Herangehensweise bewährt hat und dass dadurch Bereiche erschlossen wurden, die bei einer allein auf die Entwicklung von Schule ausgerichteten Arbeit gar nicht in den Blick gekommen wären. Die Kommission hat natürlich keine neuen Mechanismen und Strukturen im Prozess der Erziehung junger Menschen erschlossen. Sie musste beim heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ansetzen. Sie konnte aber vor diesem Hintergrund sehr exakt Problembereiche erkennen und diese in politische Handlungsempfehlungen umsetzen. Dabei sind die Ergebnisse, die zum Teil durchaus in sehr heftigen und auch kontroversen Debatten entstanden, zugleich konkret und in den meisten Fällen im Einvernehmen getroffen worden. Damit bilden auch ganz selbstverständlich im Abschlussbericht die Bereiche "frühkindliche Bildung" und "Schule und ihre Partner" mehr als die Hälfte des Gesamtvolumens. Das heißt, es ist auf den Bereich besonders abgehoben worden, wo auch staatliches Handeln
eingreifen kann. Aber man muss eben deutlich früher ansetzen, wenn man der hierzulande beobachteten sozialen Selektivität in den Bildungslaufbahnen entgegensteuern will. Da kann nicht erst in Kindergarten und Schule gegengesteuert werden. Da geht es um die Ausprägung von Wissbegier, von Lernfreude, da geht es um Werteentwicklung, die Ausprägung von sozialen Verhaltensmustern von Anfang an. Da muss sich die nicht ganz neue Erkenntnis durchsetzen, dass Lebenschancen nicht nur von Zeugnissen und Titeln abhängen, sondern auch und vielleicht sogar in viel stärkerem Maße von Höflichkeit, von gutem Benehmen, von sicherem Auftreten - Eigenschaften, zu denen jede Familie ungleich mehr beitragen kann als jede Schule.
Dabei brauchen die Eltern, ich sagte es bereits, Unterstützung, auch von denen, die sich professionell mit Erziehung und Bildung beschäftigen, von Lehrern und Erziehern. Eine Vielzahl von Empfehlungen des Abschlussberichts hebt auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Eltern, Kindergarten und Schule ab. Das scheint mir ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt zu sein, wenn es darum geht, soziale Selektivität zu überwinden. Jedenfalls ist es um vieles wichtiger als jede Schulstrukturdebatte, die allein die Institution Schule im Blick hat. Das Kapitel "Schulstrukturen" ist das einzige im Abschlussbericht, das ist auch schon erwähnt worden, das ohne Empfehlungen endet, und das nicht nur, weil hier ein Konsens nicht herzustellen war. Ich denke, die gegliederte Thüringer Schule hat sich in den vergangenen Jahren durchaus beständig fortentwickelt, sie bietet eine einerseits differenzierte Form von Bildungswegen, die aber andererseits der Individualität jedes Kinder entgegenkommt, und sie sichert zugleich die Durchlässigkeit zu allen erreichbaren Schulabschlüssen. Das hat mein Kollege Emde hier deutlich dargestellt.
Sie setzt gegen nivellierende Gleichheit der Schullaufbahn für alle, die in Deutschland und mit den Traditionen dieses Landes erwiesenermaßen zu schlechteren Lernergebnissen führt,
sie setzt auf Chancengerechtigkeit - Sie, Frau Stangner, haben dieses Wort oft in den Mund genommen - durch differenzierte Angebote; weil Menschen eben nicht gleich sind, ist Chancengleichheit ungerecht und Chancengerechtigkeit verlangt Differenzierung.
Meine Damen und Herren, gute Schulen brauchen gute Lehrer, gute Kindergärten brauchen gute Erzieher. Qualifikation und Qualität des pädagogischen Personals ist eine
der Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Arbeit der Bildungsinstitution. Es ist mir wichtig, zu unterstreichen, dass auch der Kindergarten nicht zuerst eine Betreuungs-, sondern eine Bildungseinrichtung ist, wenn Bildung in einem umfassenden Sinne verstanden wird. Neben der Qualifikation ist die Zufriedenheit im Beruf, die Anerkennung der geleisteten Arbeit eine ganz wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit der Institutionen und der in ihnen Arbeitenden. Da gibt es durchaus Defizite in Deutschland. Das wird oft und lautstark beklagt, ohne dass sich erkennbar etwas ändert. Diese latente Unzufriedenheit hängt meines Erachtens mit dem Autoritätsverlust zusammen, den beispielsweise der Lehrerberuf schleichend in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Mit der schwindenden Autorität in der Gesellschaft schwand auch die Autorität gegenüber den Schülerinnen und Schülern im Schulalltag. Zurückzugewinnen ist diese nur, wenn es durch verstärkte Vernetzung von Schule mit ihren Partnern zum Rückgewinn der verloren gegangenen gesellschaftlichen Akzeptanz kommt. Diese Facette ist im Abschlussbericht nicht in dem Maße ausgearbeitet, aber es lag mir daran, das an dieser Stelle auch einmal zu sagen.
Zu den inhaltlichen und strukturellen Fragen bei Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern findet sich im Abschlussbericht ein eigenes Kapitel. Für die Erzieherinnen und Erzieher wird aufgrund des sich verändernden Aufgabenprofils und des klar formulierten Bildungs- und Erziehungsauftrages der Kindertageseinrichtungen auch ein Reformbedarf bei der Ausbildung festgestellt. Dabei wird hinterfragt, ob die derzeitige Breitbandausbildung noch zeitgemäß ist. In jedem Falle muss eine moderne Ausbildung, die auch dem Vergleich mit anderen Ländern standhält, wissenschaftlich fundiert sein und zugleich neue Felder, wie z.B. die Elternarbeit, berücksichtigen. Wichtig ist zudem ein Fort- und Weiterbildungssystem, das trägerunabhängig eine regelmäßige berufsbezogene Fortbildung und eine funktionsbezogene Weiterbildung ermöglicht. Gerade für weiterbildende Qualifikationen sind durchaus Kooperationsmodelle mit Hochschulen denkbar und sollten entwickelt werden. Die Diskussion, ob die Erzieherausbildung künftig grundständig eine Hochschulausbildung sein soll, wurde in der Enquetekommission ohne ein abschließendes Urteil geführt. Es wurde ein entsprechender Modellversuch angeregt. Ich halte es in jedem Fall für sinnvoll, dass man, wenn man über diese Frage redet, nicht nur über Organisationsformen redet, sondern eben auch in dieser Frage an der inhaltlichen Qualifizierung arbeitet. Ich denke auch, dass die Fachschulen durchaus leistungsfähige Einrichtungen sind, wenn sie bei der Auswahl ihrer Bewerber entsprechend vorgehen. Gegenwärtig besitzen nur etwa 10 Prozent der Auszubildenden im Bereich der Erzieherausbildung die Hochschulreife. Das ist eine für das gesellschaftliche Verhältnis insgesamt durchaus zu geringe Zahl, wenn man davon ausgeht, dass auch Weiterbildungswege geöffnet werden sollen. Neben dem allge
meinen Bildungsniveau sollten auch spezielle Eignungskriterien wie etwa Kommunikationsfähigkeit oder Verantwortungsbewusstsein bei der Auswahl der Bewerber eine Rolle spielen. Für die Fortbildung der Lehrkräfte der Fachschulen bietet sich - ich sagte es schon - eine Kooperation mit einer Hochschule an. Die empfohlene Einrichtung eines Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkts "Frühkindliche Bildung" kann damit sinnvoll verbunden werden. Eine institutionelle Veränderung der Erzieherausbildung, der ich mich persönlich keineswegs grundsätzlich verschließen möchte, muss jedenfalls so weit vorbereitet sein, dass die derzeitige vorbildliche Verschränkung von theoretischer und praktischer Ausbildung an den Fachschulen erhalten bleibt.
Meine Damen und Herren, in dieser Frage der Verschränkung von theoretischer und praktischer Ausbildung besteht eines der Defizite der universitären Lehrerausbildung. Noch immer erfahren Lehramtsstudenten auch in Thüringen zu spät und zu kurz, was sie im späteren Berufsalltag erwartet. Dem abzuhelfen, sind die beiden maßgeblich für die Lehrerausbildung in Thüringen verantwortlichen Hochschulen, die Universitäten in Erfurt und Jena, auf unterschiedlichen Wegen bemüht. Grundsätzlich ist zu sagen, dass in Thüringen wie in den übrigen Bundesländern die Lehrerausbildung dreiphasig angelegt ist. Nach der wissenschaftsorientierten Phase an der Universität folgt die berufspraktische Ausbildung im Studienseminar, die durch die Berufseingangsphase ergänzt wird. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die volle Ausbildung der beruflichen Handlungskompetenz erst im Beruf selbst erreicht wird. Kritisch anzumerken ist, dass die Phasen auch in Thüringen noch zu sehr nebeneinander stehen, auch wenn es da Bewegung gibt, dass sie stärker miteinander verschränkt werden müssen. Dafür gibt es gute praktische Ansatzpunkte etwa bei der Gestaltung der Praktika während des Lehramtsstudiums oder durch Austausch von Lehrpersonal zwischen Schulpraxis und Hochschule. Es sollten künftig verstärkt - und auch das ist eine Empfehlung aus dem Abschlussbericht - erfahrene Lehrkräfte die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Weiterqualifikation an den Universitäten erhalten und umgekehrt auch der wissenschaftliche Nachwuchs schulpraktische Kompetenzen erwerben. Bei der Gestaltung der ersten Phase - der universitären Phase - geht Thüringen derzeit einen besonderen Weg. Die beiden Universitäten Erfurt und Jena haben in den letzten Jahren unterschiedliche Konzepte entwickelt. In Jena wurde das grundständige Lehramtsstudium inhaltlich weiterentwickelt, in Erfurt hat man auch in der Lehrerausbildung mit der Einführung eines konsekutiven BA/MA-Modells begonnen. Damit existieren beide derzeit in der Bundesrepublik anzutreffenden Ausbildungsmodelle in unserem kleinen Bundesland nebeneinander. Das ist, denke ich, geradezu eine Herausforderung auch für einen wissenschaftlichen Vergleich dieser strukturellen Ansätze. Es wird allerdings wohl einige Jahre dauern, bis daraus Schlussfolgerungen gezogen werden können. Auch in dieser Frage scheinen mir im Übrigen die inhaltlichen Aspekte wichtiger als die strukturellen. Noch im
mer gibt es Defizite in der berufsorientierten Ausrichtung der Fachwissenschaften, in der Verzahnung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik und in einer schulbezogenen fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Forschung, deren Ergebnisse dann auch für die Studierenden nutzbar gemacht werden. Das gilt im Übrigen für beide Hochschulen. Die an beiden Hochschulen neu eingerichteten Zentren für Didaktik bzw. Lehrerbildung können dazu beitragen, diese Defizite abzubauen und dem Lehramtsstudium auch für die Studierenden eine neue Mitte zu geben. Jedenfalls braucht Thüringen - darüber müssen wir uns bewusst sein - ein leistungsfähiges und attraktives Bildungsangebot für künftige Lehrerinnen und Lehrer, denn trotz eines großen Überhangs in den 90er-Jahren ist jetzt schon klar zu erkennen, dass mit dem verstärkten Ausscheiden von Lehrern durch die Erreichung der Altersgrenze in den kommenden fünf bis zehn Jahren ein erheblicher Nachwuchsbedarf entsteht. Insbesondere im Regelschulbereich deuten die derzeitigen Studierendenzahlen darauf hin, dass wir mit einem erkennbaren Nachwuchsmangel zu rechnen haben. Darauf sollte gerade bei den Abiturienten der nächsten Abiturjahrgänge hingewiesen werden.
Meine Damen und Herren, ich kann und will nicht auf alle Fragen der Bildung des pädagogischen Personals hier eingehen. Fragen der Fort- und Weiterbildung gerade unter dem Gesichtspunkt der Schulentwicklung wären zu nennen. Die Entwicklung alternativer Arbeitsmodelle ist hier schon mal am Rande erwähnt worden und sie wurde in der Kommission diskutiert. All das findet sich in einem Dutzend umfassender Empfehlungen zu diesem Kapitel.
Meine Damen und Herren, ich wollte in Ergänzung dessen, was mein Kollege Volker Emde hier schon ausgeführt hat, ein paar Facetten hinzufügen. Ich meine, der Bericht der Enquetekommission, auch wenn er unterschiedlich gelesen wird, gibt eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen für die Bildungspolitik der kommenden Jahre. Es wurden einzelne Defizite aufgezeigt, aber es kommt, denke ich, vor allem darauf an, positive Entwicklungen kontinuierlich weiterzuverfolgen. Kontinuität und Behutsamkeit sind ganz wichtige Tugenden im Bildungsbereich. Sie schaffen das notwendige Vertrauen bei allen Beteiligten. Und Vertrauen ist in den Erziehungsprozessen ein Grundwert schlechthin.
Vor dieser Einsicht hat auch die Enquetekommission richtigerweise bei aller Verschiedenheit der Positionen und Sichtweisen ihrer Mitglieder weit gehend zu einmütigen Ergebnissen geführt. Ich denke, das ist durchaus ein Wert, der auch über Wahltage hinaus erhalten bleibt. Danke schön.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, bevor ich jetzt einen Redner aufrufe, der nicht Mitglied der Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen" war, gestatte ich mir eine Anmerkung. Wir sind ja in der vielleicht letzten Plenarsitzung und einige Abgeordnete werden, weil sie nicht wieder antreten, dieses Haus verlassen. Allein in der letzten Debatte zur Enquetekommission waren das Frau Dr. Stangner und Frau Nitzpon. Für diese Abgeordneten, die ausscheiden, hat der Ministerpräsident a.D. und älteste Abgeordnete des Hauses, der übrigens vier Jahre älter ist als der nächstälteste Abgeordnete des Hauses - damit habe ich keine konkreten Zahlen über das Lebensalter gesagt - um das Wort in dieser Debatte gebeten, der auf Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als Kultusminister in Rheinland-Pfalz in den Jahren 1967 bis 1976 zurückblicken kann, der in dieses Haus am 5. Februar 1992 als Ministerpräsident kam, da war Frau Nitzpon schon Abgeordnete in diesem Haus, der dann Abgeordneter des Thüringer Landtags seit 1994 war, aber auf Parlamentstätigkeit bis in das Jahr 1965 hinein zurückgreifen kann. Ich denke, das rechtfertigt auch die Ausnahme, an dieser Stelle noch eine Würdigung in dieser Angelegenheit vorzunehmen, ihn aufzurufen als den ältesten Abgeordneten, der stellvertretend für die spricht, die nicht wieder antreten. Da nehme ich kein Wahlergebnis voraus, aber die, die nicht wieder antreten, werden im nächsten Landtag nicht wieder sein. Ich sage jetzt namens des Präsidiums dieses Landtags all denen, die ihre Arbeit geleistet haben und nicht wieder in der nächsten Legislaturperiode hier sein werden den herzlichsten Dank und bitte Sie um Ihr Wort, Herr Dr. Vogel.