Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Möchte eine Fraktion die Aussprache zu diesem Bericht verlangen? Herr Abgeordneter Gentzel. Die SPD-Fraktion beantragt die Aussprache zu diesem Bericht. Ich eröffne diese Aussprache. Es hat sich als erster Redner der Abgeordnete Dittes, PDS-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Herr Kretschmer, Sie haben mir gerade ein Sprichwort zugerufen. Ich will auch mit einem Sprichwort beginnen, meine Damen und Herren. Nichts ist geheimer als die Angelegenheit der Spione. So befand der chinesische Kriegsstratege Zhuang Zi weit vor unserer Zeitrechnung. Wenn er den Innenminister eben gehört hätte, dann fühlte er sich sicherlich bestätigt. Wenn er allerdings einen Blick auf das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz werfen würde, würde er diese Aussage wahrscheinlich in heutiger Zeit nicht wiederholen können. Aber nichtsdestotrotz, heute sollen diese Geheimdienste und die Machenschaften der Geheimnisgewinnung demokratisch kontrolliert werden, weil man allzu viele Erfahrungen mit dem Innenleben von Institutionen gemacht hat, zu deren berufsmäßiger Kunst es gehört, ihr Handeln systematisch zu verdunkeln. Zu einer demokratischen Kontrolle staatlichen Handelns gehört unseres Erachtens eine öffentliche Kontrolle im Parlament, durch die Medien und durch die Bürgerinnen und Bürger eines Landes selbst. In Thüringen jagen aber die eben genannten Medien Skandal um Skandal hinterher und decken mit Kleinarbeit und investikativer Hartnäckigkeit Dinge auf, die diejenigen, die die demokratische Kontrolle gewährleisten sollen, sonst nicht erfahren würden.

Meine Damen und Herren, Herr Köckert, ein Skandal - und das ist ein Skandal, was wir heute diskutieren - ist erst dann aus der Welt, wenn man ihn rückhaltlos öffentlich aufklärt und Konsequenzen zieht, nicht aber, wenn man ihn verdunkelt und zum ewigen Spekulationsobjekt macht. Herr Köckert, Sie haben mit Ihrem heutigen Bericht die Chance vertan, genau dem zu entsprechen. Ich muss feststellen, Sie haben dem Berichtsersuchen der SPD- und der PDS-Fraktion nicht entsprochen und Sie haben dies getan, ohne eine dafür legitime Begründung dem Parlament mit auf den Weg zu geben.

(Beifall bei der PDS)

Nicht einmal, Herr Köckert, den Verweis auf die Geheimhaltungspflicht in diesem Bereich brachten Sie hier vor diesem hohen Hause über die Lippen.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Ich habe vorausgesetzt, Sie wissen das.)

Meine Damen und Herren, unter einer öffentlichen Aufklärung verstehen wir nicht eine wiederholte Sitzung der geheim arbeitenden PKK. Welche Erkenntnisse die bringt, war ja daran zu erkennen, dass die Fragen der SPD im Fall Dienel nach der PKK-Sitzung im vergangenen Jahr nicht endeten, sondern sich vielmehr wundersam vermehrten, meine Damen und Herren. Es ist sehr wohl auch so, dass man feststellen muss, wenn man die Reaktionen aus den Fraktionen kennt, dass auch die PKK in diesem Fall über die Beschäftigung rechtsextremistischer Spitzenfunktionäre in Thüringen durch das Thüringer Landesamt nicht informiert und somit auch keineswegs kontrollfähig gewesen ist.

(Zwischenruf Abg. Grüner, CDU: Wo wissen Sie das her?)

Das habe ich Ihnen doch eingangs dieses Satzes gesagt. Lesen Sie es doch dann bitte im Protokoll nach. Wir meinen, dass die Bevölkerung in diesem Land ein Recht auf Informationen hat. Sie ist im vergangenen Jahr auch durch diese Landesregierung wiederholt aufgefordert worden, Zivilcourage zu zeigen, nicht wegzuschauen, wenn Rechtsextreme ihr Unwesen treiben. Und, meine Damen und Herren, wenn das Unwesen gemeinsam mit dem Verfassungsschutz betrieben wird, dann gilt prinzipiell natürlich dasselbe.

(Beifall bei der PDS)

Es gibt von Seiten der Politik und insbesondere der Regierung allen Anlass, den aus der Geschichte resultierenden Vertrauensverlusten umgehend entgegenzuwirken. Eingeständnisse auf Fragen steigern das Misstrauen und das öffentliche Interesse am Fall Brandt. Nach den Berichten und fotografischen Beweisen der Thüringer Allgemeinen ist offenkundig, dass sich Brandt und ein Mitarbeiter des Amts getroffen haben. Innenminister Köckert fand zu diesem offenkundig bewiesenen Treffen in seinem Bericht überhaupt keine Worte und er legt dar, dass es keine Quellen im Verfassungsschutz gibt, die rechtsextreme Spitzenfunktionäre sind. Ein Vizevorsitzender der NPD, wie Brandt es ist, ist ein Spitzenfunktionär; so fügt er hinzu, möglicherweise habe es Kontakte gegeben, aber keine informierende Quelle, wird eingeräumt. Ich frage nun: Führt ein Kontakt zwischen Verfassungsschutzmitarbeitern und rechten Führungspersonen nicht immer auch ganz zwangsläufig zum Informationsaustausch, wobei ja auch noch geklärt werden muss, in welche Richtung dieser Informationsaustausch erfolgt? Und es wird ja auch nicht so sein, wie eine Thüringer Zeitung heute spekulierte, dass sich die zwei am 3. Mai in Coburg über Kochrezepte ausgetauscht haben.

(Beifall bei der PDS)

Innenminister Köckert vermied es, darzustellen, ob Brandt jemals für den Verfassungsschutz gearbeitet und dafür Leistungen, in welcher Form auch immer, erhalten hat. Tino Brandt, meine Damen und Herren, war bereits Spitzenfunktionär in thüringischen rechtsextremistischen Strukturen, als er noch nicht im Landesvorstand der NPD Funktionen innehatte. Bereits Mitte der 90er Jahre war Brandt, der offenkundige Vertrauensmann dieser Landesregierung, Korrespondent für die von Frank Schwerdt herausgegebene rechtsextremistische Zeitung, die "Berlin-Brandenburger Zeitung", er war Mitbegründer des extrem gewaltbereiten und SS-lastigen Thüringer Heimatschutzes. Brandt bezeichnet sich als Sprecher der Anti-Antifa, ein Zusammenschluss gewalttätiger Neonazis, der sich den Kampf gegen diejenigen auf die Fahnen geschrieben hat, die öffentlich gegen die extremen Rechten auftreten und mobilisieren. Brandt war seit dem 29. März 2000 stellvertretender Landesvorsitzender der NPD, deren Vorsitzender nun wieder sein Ziehvater Frank Schwerdt ist. Brandt war bis zum 26. Februar dieses Jahres Pressesprecher der NPD Thüringen. In den Jahren 1999 und 2000 traten zeitgleich zur wachsenden Repräsentanz von Heimatschützern in der Parteispitze, die nun im Jahr 2001 von diesem restlos dominiert wird, zahlreiche Personen aus dem Spektrum der freien Kameradschaften in die NPD ein. Seither steht insbesondere der Thüringer Landesverband der NPD für eine stark nationalrevolutionäre Strömung innerhalb der Gesamtpartei. Brandt selbst ist ein Sprecher der bundesweit agierenden Revolutionären Plattform in der NPD. Die Revolutionäre Plattform wurde im März 2000 nach dem Bundesparteitag der NPD als Reaktion auf die sich durchsetzende Fraktion legalistischer Parteifunktionäre gegründet, die die offene NSNähe nicht befürworteten. Drei Vernetzungstreffen der Plattform, die beinahe wegen ihrer Radikalität aus der NPD ausgeschlossen wurde, fanden in Eisenach (Thüringen) statt. Zu den Rednern gehörten führende Rechtsextremisten wie Steffen Hupka und Christian Wurch und Interventionen des extrem antisemitischen Neumitglieds der NPD Horst Maler führten dazu, dass die Plattform aus der NPD nicht ausgeschlossen wurde, sondern vielmehr nun eine Arbeitsgemeinschaft innerhalb der NPD bundesweit darstellt. Brandt arbeitet seit Jahren beim rechtsextremen Theorieorgan "Nation und Europa" in Coburg. Die Zeitung ist bundesweit die älteste rechtsextreme Zeitung, sie wurde 1951 von ehemaligen SS-Leuten gegründet und steht bis heute für eine großdeutsche völkische Ausrichtung in der Tradition der Waffen-SS.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Machen Sie jetzt Werbung dafür?)

Über den Herausgeber Peter de Houst hat die Zeitung starken Einfluss auf die rechtsextremistische "Gesellschaft für freie Publizistik", die dieses Jahr zum wiederholten Male in Thüringen tagte. So weit zum offenkundigen Vertrauensmann dieser Landesregierung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

Mit Brandt scheint sich nun zu wiederholen, was wir aus dem Fall Dienel kennen, ein langjähriger Funktionär aus der extremen Rechten wird bzw. wurde mit öffentlichen Geldern bezahlt, und das unter einem Innenminister, der im März vergangenen Jahres bei der Verkündung seines Extremismuskonzepts erklärte, man müsse wissen, woher die Rechtsextremen in Thüringen ihr Geld nehmen. Er hätte es damals selbst am genauesten wissen können. Ja, meine Damen und Herren, aber auch der Thüringer Landtag muss wissen, mit welchen Mitteln, aber auch in welcher Form ein der Landesregierung unterstelltes Landesamt für Verfassungsschutz tätig ist. Der Innenminister lässt aber die öffentlich gestellten Fragen unbeantwortet und deshalb will ich hier einige dieser noch mal aufführen.

Wann begann etwa die Zusammenarbeit mit Brandt und auch anderen rechten Spitzenfunktionären und wie lange dauerte sie? Wurde sie eventuell auch unterbrochen, beispielsweise als Äußerungen von Tino Brandt dem Amt in der Öffentlichkeit selbst zu heftig erschienen, wie vielleicht das Interview in der Wir-Sendung des MDR im vergangenen Mai? Welche Aufträge wurden vergeben und wie qualifiziert wurden sie denn erfüllt? Wer begann die Zusammenarbeit - Brandt selbst oder das Amt? Wer trägt die Verantwortung? Wer wurde über die Anwerbung informiert? Wie wurde die Arbeit entlohnt? Gab es Strafnachlass oder Zusagen von Straffreiheit wie kürzlich von LKA und VS gegenüber dem Geraer Kameradschaftsmitglied Martschuk, wenn man deren Internetdarstellung glauben kann, und gab es Informationen an die Spitzel durch das Amt, z.B. Warnungen über polizeiliche Zugriffe auf die rechte Szene? Und vielleicht ist derzeit wirklich Schluss mit der Arbeit rechtsextremistischer Führungskader für das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, wie Köckert darstellt. Aber vielleicht wurde die Zusammenarbeit nur anders, denn unstrittig ist doch, dass es ein Treffen von Tino Brandt am 3. Mai in Coburg mit einem Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz gegeben hat. Brandt soll nach Zeitungsmeldungen bis 2000 für den Dienst aktiv gewesen sein und dann kurz nach Abbruch der Beschäftigung wieder in anderer Form aktiviert worden sein. Waren die neuerlichen Treffen vielleicht Nachsorgetreffen nach erfolgter erneuter Abschaltung, wie z.B. die "Thüringer Allgemeine" am gestrigen Tag spekulierte? Dann kann ja die Abschaltung selbst so lange auch nicht zurückliegen, es sei denn, man hat vielleicht schon sieben, acht dieser Nachsorgetreffen durchgeführt, was diesen Charakter dieser Treffen natürlich auch wieder in Frage stellen könnte. Brandt soll für seine Tätigkeit für das Thüringer Landesamt eine sechsstellige Summe in der Vergangenheit bekommen haben. Wir fordern deshalb Aufklärung darüber, inwiefern das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Kenntnis darüber besitzt bzw. besessen hat, dass ggf. öffentliche Gelder für rechtsextremistische Informanten des Landesamts für Verfassungsschutz zur Finanzierung rechtsextremistischer Strukturen genutzt wurden und werden oder ob der rechten Szene selbst Informationen oder Strukturvorschläge gegeben wurden. Wir möchten auch Antwort darauf haben, in welchem Verhältnis die schlechte

Informationslage des Thüringer Landesamts zur NPD und zum Spektrum des gewaltbereiten bis rechtsterroristischen Thüringer Heimatschutzes, ebenso wie die sehr geringe Zuarbeit des Amts zum NPD-Verbotsantrag einerseits zu den geleisteten Zuwendungen andererseits steht, und da spielt es für uns überhaupt keine Rolle, ob das nun 10 DM, 25.000 DM oder 200.000 DM waren. Wir fordern insbesondere darüber Aufklärung, ob das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz über die Zusammenarbeit mit Funktionären des Thüringer Heimatschutzes Einfluss auf die Strukturentwicklung des Thüringer Heimatschutzes und der NPD, wie eingangs beschrieben, genommen hat. Thomas Dienel und auch Tino Brandt wären nicht die ersten Verfassungsschutzspitzel in der rechten Szene, die von ganz oben kommen und ihre Verfassungsschutzzeit für den Ausbau der Strukturen nutzen. V-Leute, die die rechtsextremen Gruppen, über die sie dann Berichte schrieben, erst aufbauten und Rechtsextreme, die zum Schein als V-Leute arbeiteten, durchziehen die Geschichte des deutschen Inlandsgeheimdienstes seit den 70er Jahren. Und das entspricht, Herr Köckert, keinesfalls den Erwartungen der Bevölkerung und erst recht nicht den Erwartungen dieses hohen Hauses und genau diese Gefahr, die besteht,

(Beifall bei der PDS)

diese Erfahrung auch aus den vergangenen Jahren führt dazu, dass wir der Auffassung sind, dass ein Verweis auf diese strukturbegleitende Arbeit des Verfassungsschutzes ein Verbotsverfahren der NPD zumindest ins Schleudern bringen kann und nicht die Tatsache selbst, dass es in der NPD V-Leute oder V-Männer gibt, wie Sie hier im Parlament zu glauben vorgaben.

Ich will ein Beispiel auch Ihnen nicht vorenthalten, wie genau diese Strukturarbeit durch den Verfassungsschutz betrieben wird. Im November 1999 enttarnte sich Michael Grube aus Grevesmühlen als V-Mann des Landesamts für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern. Wie im Fall Thomas Dienel war auch er vorher einschlägig aufgefallen. Im Auftrag des Landesamts für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern hatte er sich zum Kreisvorsitzenden der NPD wählen lassen und trat 1998 als Kandidat auf der Landesliste der NPD zur Landtagswahl an. Im März 1999 beteiligte sich Grube an der Planung und Durchführung eines Brandanschlags auf eine Pizzeria. Vom Landesamt für Verfassungsschutz hatte Grube auch Listen mit Namen vermeintlich Linker aus Wismar und Umgebung erhalten.

Meine Damen und Herren, im Fall Brandt bleiben zahlreiche offene Fragen. Sollte Brandt gar mit Wissen seiner Strukturen für den Verfassungsschutz gearbeitet haben und eine Art Gegenspionage betrieben haben, um seine Leute mit Geld und Informationen über bevorstehende Verhaftungen und Hausdurchsuchungen etc. zu warnen? Er wäre auch hier in der Geschichte des Verfassungsschutzes nicht der Erste.

Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion wird sich nicht mit Geheimschutzerklärungen abspeisen lassen, vor allem aber auch nicht die Thüringer Medien und die Thüringer Öffentlichkeit. Wir werden weiter fragen und auf Konsequenzen drängen, wenn sich herausstellt, dass führende Rechtsextremisten zu den Informanten des Amts gehören, deren Strukturen gar entwickelt oder gestärkt wurden, und die Öffentlichkeit getäuscht wurde. Personelle Konsequenzen sollten diejenigen ziehen, die es betrifft. Und legt man den gleichen Maßstab an Herrn Sippel wie im vergangenen Jahr an Herrn Roewer, nämlich Führung eines rechtsextremistischen Spitzenfunktionärs und ungewollte Öffentlichkeit der Arbeit des Amts, dann ist eine Konsequenz die sofortige Versetzung von Herrn Sippel in den Ruhestand.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Sie ha- ben nicht zugehört. Das ist lange geregelt.)

Ich habe sehr wohl zugehört. Dasselbe, meine Damen und Herren, trifft auf den Stellvertreter des Präsidenten des Landesamts Nocken zu, der bereits in Hessen in Skandale verwickelt war und infolgedessen erst nach Thüringen gekommen ist. Im Rahmen seiner persönlichen Verantwortung im Amt ist die Anwerbung Dienels geschehen und auch offenkundig die des Rechtsextremisten Tino Brandt und vielleicht verantwortet er auch die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit Brandt nach dessen kurzzeitiger Abschaltung vielleicht mit Kenntnis des Thüringer Innenministers, vielleicht aber auch ohne Kenntnis des Thüringer Innenministers. Und in diesem Zusammenhang muss man eben auch über die Verantwortung des Thüringer Innenministers reden. Sollte auch nur in wesentlichen Teilen zutreffen - und daran habe ich eigentlich keinen Zweifel mehr -, was in den vergangenen Jahren in den Medien berichtet worden ist, gibt es nur eine klare Forderung: Herr Köckert, treten Sie zurück! Entweder täuschen Sie die Öffentlichkeit, oder aber auch Sie als Innenminister können Ihre Verantwortung als Dienstherr des Landesamts für Verfassungsschutz nicht gerecht werden und scheitern bereits bei der innenministeriellen Kontrolle. Aber genau wie die Medien, Herr Köckert, hatten Sie sogar noch einen besseren Zugang zu den Fakten, die nunmehr den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Sie dürften sehr viel besser wissen, wie genau der Zustand des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz derzeit ist. Unseres Erachtens ist der Zustand dieses Amts derselbe Zustand wie noch vor einem Jahr und das weckt für mich den Eindruck, Herr Köckert, dass der in Auftrag gegebene so genannte Gasser-Bericht wirkungslos gewesen ist, die Empfehlungen des Berichts durch Sie nicht umgesetzt wurden bzw. werden konnten. So erklärt sich vielleicht auch jetzt, warum mit diesem Bericht geheim umgegangen worden ist und man diesen nicht mal dem Thüringer Landtag zur Verfügung gestellt hat.

Meine Damen und Herren, jenseits von der Spitze des Eisbergs der Enthüllungen aus Verfassungsschutzämtern, die von Zeit zu Zeit als Skandale ans Licht kommen, sehen wir grundlegende und in der Struktur begründete Probleme.

Die Nähe von V-Mannführer und V-Mann birgt eine Verstrickungsgefahr, insbesondere dann, wenn Straffreiheit oder Strafnachlass eingeräumt wird. Geheimdienste, meine Damen und Herren, da kennen Sie die Auffassung der PDS, sind prinzipiell demokratisch nicht zu kontrollieren und, Herr Köckert, Ihr Vorgänger im Amt - Sie haben ihn heute mehrfach erwähnt - bestätigt das in einer heutigen dpaMeldung, indem er Ihnen rät, Sie sollen sich bei der desolaten Situation nicht auf Aussagen aus dem Amt verlassen und Ihr politisches Schicksal damit verknüpfen. Und, meine Damen und Herren, den Kreis der Geheimnisträger geringfügig um zwei oder drei schlecht informierte Parlamentarier zu erweitern, hilft auch da nicht weiter. Und ich kann mir gut vorstellen, wie man im Amt über die Zahnlosigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission lacht, wenn zutrifft, was öffentlich berichtet wird, dass auch intern einzelne Abteilungsleiter gegenüber dem Amtsleiter ein Eigenleben führen, dann kann auch das wohl kaum noch verwundern. Auch zum demokratischen Umgang mit dem Geheimdienst in Thüringen gehört es, missliebige Kritiker mundtot machen zu wollen, indem man ihnen unlautere Methoden unterstellt. Der Innenminister tat dies in seinem Bericht an den Thüringer Landtag, aber auch in der Pressekonferenz am Dienstag. Der Verweis nach links, wenn es rechts brennt, hat Tradition in Thüringen, das wissen wir, und auch Herr Nossen, der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde verweist auf diesen Mechanismus, spätestens seit dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge im vergangenen Jahr, als zunächst dieser Linken in die Schuhe geschoben werden sollte.

Meine Damen und Herren, wir fordern nicht einen besser und geheimer arbeitenden Verfassungsschutz im Kampf gegen Rechts, wir fordern die Abschaffung des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz und die Abschaffung aller Inlandsgeheimdienste und auf Thüringen bezogen möchte ich mit den Worten von Annelie Buntenbach reden, Abgeordnete im Bundestag von Bündnis 90/Die Grünen: "Damit wird es einen harten Schlag gegen den Neonazismus in Thüringen geben."

Wir meinen, meine Damen und Herren, eine konsequente politische Bekämpfung sollte an der Stelle geheimdienstlicher Infiltration stehen. Die Landesregierung versagt aber nicht nur bei Ersterer, beispielsweise finden sich im Verfassungsschutzbericht gerade mal 12 Zeilen zum Thüringer Heimatschutz, von den Antworten auf gestellte Kleine Anfragen ganz zu schweigen, sondern die Landesregierung versagt ganz offenbar auch bei der Infiltration. Hier werden Strukturen geschaffen oder gestützt, die dann verboten werden müssen. Wer allerdings an den Fakten des NPD-Verbots mitgearbeitet hat, meine Damen und Herren, das werden wir uns dann von höhnischen NPD-Anwälten vom Bundesverfassungsgericht anhören müssen.

(Unruhe bei der CDU)

Zum Abschluss, meine Damen und Herren, noch ein Kommentar aus der heutigen Ausgabe der Frankfurter Rund

schau: "Es nutzt wenig, dem Neonazi Geld dafür zu geben, dass er den Namen der Benzinsorte verrät, die er bei seinen Anschlägen benutzt, wenn es nicht gelingt, ihm den Kanister abzunehmen. Wer ihn bezahlt, verbrennt sich selbst die Finger. Die Mittel sind besser bei der Präventionsarbeit gegen Rechts aufgehoben als bei einem Verfassungsschutz, der sie mit leichtsinniger Beliebigkeit verteilt."

In diesem Sinne darf ich an die zahlreichen Akteure in der Zivilgesellschaft, aber auch an das von PDS und SPD im Thüringer Landtag immer wieder vorgeschlagene Landesprogramm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, für Demokratie erinnern und ich fordere Sie auf, verzichten Sie endlich auf bürgerrechtseinschränkende Maßnahmen, machen Sie sich frei für eine tatsächliche zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema "Rechtsextremismus". Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Gentzel zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich mit einer prinzipiellen Bemerkung beginnen. Ich halte das für wichtig, weil in der Frage um die Quelle oder den V-Mann Tino Brandt es teilweise eine identische Argumentation von Seiten der SPD und der PDS gegeben hat. Deshalb grundsätzlich zu Beginn, wir diskutieren diese Problematik, die heute ansteht, von einer anderen Plattform aus als die PDS und wir diskutieren sie mit einer anderen Zielrichtung. Wir sagten ausdrücklich Ja zu der Institution eines Verfassungsschutzes, eines Thüringer Verfassungsschutzes.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Ich glaube, zu einem Verfassungsschutz, der vernünftig und ordentlich arbeitet, gibt es im Augenblick noch keine Alternativen. Wir brauchen nach unserer Auffassung einen vernünftigen Verfassungsschutz, um extremistische Strukturen öffentlich zu machen und mit Hilfe des Verfassungsschutzes diese zu zerschlagen. Ich sage für die Thüringer Verhältnisse ausdrücklich, hauptsächlich sind das bei uns Rechtsradikale. Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der Wirtschaftsspionage erfolgreich eindämmt. Ich gehe sogar einen Schritt weiter. Nach unserer Auffassung brauchen wir einen Verfassungsschutz, der bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität hilft, aber wir brauchen unbedingt auch einen Verfassungsschutz, der seine Quellen schützt und der die Führungsleute der Quellen schützt. Und unsere Zielrichtung ist auch eine andere als bei der PDS. Wir wollen den Verfassungsschutz nicht zerschlagen, wir wollen diesen Verfassungsschutz, den ich eben beschrieben habe. Wer sich dazu bekennt - und an

dieser Stelle, aber nur an dieser Stelle, Herr Köckert, möchte ich Ihnen ausschließlich Recht geben -, wer sich zu diesem Verfassungsschutz bekennt, muss sich auch zu der Arbeit mit V-Leuten bekennen. Wie sollen denn sonst mitunter die Lagen entstehen, wie soll denn sonst mitunter bekannt sein, was an extremistischen Strukturen hier in Thüringen z.B. bei der NPD geplant wird? Sie haben rechtlich richtig erläutert, wer als V-Mann geführt werden darf. Sie selbst haben sich aber vor einem Jahr eingeschränkt. Sie haben die Verpflichtung und die Führung von dem Neonazi Dienel als nicht besonders klug tituliert. Und ich frage Sie: Wenn das nicht besonders klug war, wie steht es denn dann um die Quelle Tino Brandt? Sie haben gesagt, ich zitiere: "Bei der Auswahl von Informanten gibt es Grenzen und es gehört gehöriges Fingerspitzengefühl dazu." An diese Aussagen möchte ich Sie ausdrücklich erinnern und ich möchte Sie fragen: Hat die Führung des V-Mannes Tino Brandt etwas mit Fingerspitzengefühl zu tun, sind nicht gerade hier Grenzen überschritten worden?

Meine Damen und Herren, was die Informationen aus dem Amt für Verfassungsschutz betrifft, hat der Innenminister darauf hingewiesen, dass es wohl eine Quelle sei, die nicht mehr Mitglied des Verfassungsschutzes ist. Dies ist rein logisch in bestimmten Punkten nachvollziehbar, aber den Zeitpunkt eines Treffens zwischen einem V-Mann oder einem ehemaligen V-Mann mit seinem Führungsmann oder seinem ehemaligen Führungsmann, den kennt doch wohl keiner, der vor einem Jahr aus dem Verfassungsschutz ausgeschieden ist. Das kann doch nur von Leuten kommen, die aktuell in dieser Situation sind, und dieses, meine Damen und Herren, wissen Sie von der CDU ganz genau. Wer wie - und jetzt will ich einmal Ross und Reiter nennen, weil Sie es nicht getan haben - Herr Roewer seit einem Jahr nicht mehr Mitglied des Verfassungsschutzes ist, kann dieses Datum nicht gekannt haben. Dann frage ich mich, wo der Informant der "Thüringer Allgemeinen" gesessen hat.

Meine Damen und Herren, ich will im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutz und mit der Arbeitsfähigkeit des Verfassungsschutzes hier die Frage stellen: Ist die Frage VMann oder Quelle Tino Brandt eigentlich das, was im Augenblick den Kern der Sache trifft? Ich sage: Nein. Ich habe es schon gesagt, wir bekennen uns zu der Arbeit mit V-Leuten, mit Quellen. Ich will erwähnen, die gibt es nicht nur beim Verfassungsschutz, die gibt es auch bei der Polizei.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Beim Bundesnachrichtendienst auch.)

Meine Damen und Herren, dieses - das ist richtig, die gibt es auch beim Bund -, und das werden Sie mir, Herr Kretschmer, bestätigen können, ist Arbeit auf allerhöchster Vertrauensebene. Der V-Mann muss seiner Führungsperson und seinem Amt, er muss jederzeit wissen, dass sein Name und sein Bild nicht in die Öffentlichkeit kommt. Und derjenige, der den V-Mann führt, muss jederzeit die 100-prozentige Sicherheit haben, dass weder sein Name

noch sein Bild an die Öffentlichkeit kommen. Und das liegt in der Sache, und ich übertreibe hier nicht - ich will am Rande bemerken, dass ich fünf sehr interessante Jahre in der PKK hatte und das eine oder andere auch weiß -, sonst besteht bei der falschen Öffnung einer Quelle zum falschen Zeitpunkt mitunter für beide Personengruppen Gefahr für Leib und Leben. Sie wissen, wie Recht ich damit habe. Und jetzt schauen wir uns doch einmal den Zustand beim Thüringer Verfassungsschutz an. Kann dort jeder V-Mann das Gefühl haben, sicher zu sein, nicht enttarnt zu werden, sein Bild nicht in der Zeitung zu finden, seinen Namen nicht im Fernsehen zu hören - kann er das? Gilt das Gleiche für den Führungsmann? Ich sage Ihnen eindeutig: Nein. Und das ist die Crux, die wir im Augenblick beim Thüringer Verfassungsschutz haben. Dafür tragen Sie, Herr Köckert, die Verantwortung. Ich will es klar und deutlich sagen: Sie haben vorhin einen Rückblick gemacht und haben Schuld zugewiesen. Ich werde dazu noch zwei Sätze sagen.

Lassen Sie mich einen weiteren Rückblick machen, diesen Vergleich haben Sie nämlich gescheut. Sie sind der vierte Innenminister im Freistaat Thüringen und alle Innenminister vor Ihnen waren verantwortlich für den Verfassungsschutz. Weder beim Innenminister Böck noch beim Innenminister Schuster, noch beim Innenminister Dewes ist es zur Enttarnung von Quellen und von V-Männern gekommen. Unter diesen Innenministern ist es auch nicht zu einer Aufdeckung von Führungsleuten aus dem Landesamt für Verfassungsschutz gekommen. Dieses ist ein bemerkbarer Unterschied in der Qualität, der nicht, ausdrücklich nicht für Ihre Amtsführung spricht, sondern eher für die Amtsführungen Ihrer Vorgänger.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weil das so ist, weil das grundsätzliche Vertrauen, was dieses Amt unbedingt braucht, nach den Affären Dienel und Brandt grundsätzlich diskreditiert ist, es ist nicht mehr vorhanden, müssen wir uns fragen, wie ein Jahr nach dem Fall Dienel ein eventueller Neuaufbau aussehen kann. Wir müssen uns fragen - und ich bitte Sie, da in sich zu gehen und wirklich darüber ernsthaft nachzudenken -: Hat dieser massive Vertrauensverlust nicht ohne Zweifel etwas mit den Leuten zu tun, die dieses Amt führen, fachlich und politisch - also Sippel und Köckert und ist es mit diesen Personen, die dafür verantwortlich sind, dass das Vertrauen so vor die Hunde gegangen ist, möglich, einen neuen Verfassungsschutz aufzubauen, der eben auch dafür sorgt, dass Quellen und Führungsleute nicht preisgegeben werden? Ich bin mir sicher, wenn Sie mit dieser Frage ehrlich umgehen, müssen Sie diese Frage mit Nein beantworten. Und ich habe auch deshalb gesagt, dass ich der Meinung bin, dass deshalb hier an dieser Stelle auch personelle Konsequenzen zu ziehen sind. Im Sinne des Amts fände ich es wirklich für das Beste, wenn diese Konsequenzen von allein gezogen werden und nicht aufgrund von politischen Forderungen.

Ich will noch eine Bemerkung machen. Ich kann mich noch sehr gut an das erinnern, was hier in diesem Haus und in der Öffentlichkeit vor einem Jahr passiert ist. Ich will noch eine Bemerkung machen zum ehemaligen Chef des Landesamts für Verfassungsschutz, dem Herrn Roewer, und zu seiner Rolle. Herr Köckert, Sie haben das heute so dargestellt, als hätten Sie Probleme mit dem Herrn Roewer und dann haben Sie ihn entlassen. Ich erinnere mich, dass wir Sie hier zum Jagen getragen haben, was die Entlassung von Herrn Roewer betrifft. Ich werde nachher noch zitieren, wie Sie vor einem Jahr die Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz und die Arbeit des Herrn Roewer eingeschätzt haben. Glücklicherweise ist das alles verbürgt.

Was Ihren Bericht betrifft, ich habe ja schon einmal erwähnt, dass ich fünf Jahre in der PKK war, und ich will da ehrlicherweise sagen, ich habe von dem Bericht ein bisschen mehr schon erwartet. Aber es ist wahr, wenn wir uns zum Verfassungsschutz bekennen, der Innenminister kann ja nicht alles öffentlich austragen, das geht schlicht und einfach nicht und da gibt es Grenzen. Ich glaube, im Augenblick ziehen Sie die Grenzen zu eng, Herr Innenminister. Ich glaube, das hat ein Stückchen etwas mit Selbstschutz zu tun, aber wie bereits gesagt, es gibt ja auch andere Quellen. Andere Quellen sind z.B. ADN, dpa und die Medien und dann sage ich ausdrücklich, auch die Medien der vergangenen Jahre, für so etwas hat man ja ein Archiv.