Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

aus der Parlamentarischen Kontrollkommission gar nichts verraten, Herr Pohl? Nein, Herr Pohl, an Ansehen hätten Sie bei mir gewonnen und auch an Ansehen bei meiner Fraktion,

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Darauf lege ich keinen Wert.)

hätten Sie gesagt, wir können es politisch nicht mehr verantworten, die erhaltenen Informationen in der Parlamentarischen Kontrollkommission der Öffentlichkeit vorzuenthalten.

(Heiterkeit bei der CDU)

Nein, das machen Sie nicht, stattdessen rufen Sie erneut und sehr lautstark: Wir, die Mitglieder der SPD in der Parlamentarischen Kontrollkommission, haben uns doch an die Spielregeln gehalten derer, die das eigentliche Schmierentheater in Thüringen aufführen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wollen Sie den Herrn Pohl zum Rechtsbruch missbrau- chen? Das ist doch unerhört!)

2. Meine Damen und Herren, der Verfassungsschutz schränkt Bürgerrechte und Grundrechte massiv ein. Ereignisunabhängig können Spitzel und V-Leute, ob staatlich angestellt oder nur staatlich finanziert, zum Einsatz gebracht werden. Telefongespräche können abgehört werden, Briefe gelesen werden, Lauschangriffe gegen private Wohnräume gestartet werden, Personenobservationen durchgeführt werden. Und das, meine Damen und Herren, obwohl es dafür nicht einmal eine bundesrechtliche Vorgabe gibt, denn das Bundesverfassungsschutzgesetz sieht eben nicht vor, dass bei den zu bildenden Landesämtern für Verfassungsschutz, die die Zusammenarbeit mit den anderen Behörden garantieren sollen, nachrichtendienstliche Mittel mit grundrechtseinschränkendem Charakter vorzuhalten sind. Das heißt, es gibt auch diese Notwendigkeit nicht. Verfassungsschutz heißt nach unserem Verständnis, Bürgerschaft zum demokratischen Widerstand gegen alle menschenfeindlichen Bestrebungen zu befähigen. Dies erfordert politische Bildung und dafür haben wir eine Landeszentrale, die dieser Aufgabe sehr viel mehr gerecht geworden ist als das Landesamt für Verfassungsschutz. Wir brauchen dazu nicht einen mit nachrichtendienstlichen Befugnissen ausgestatteten Geheimdienst.

Vor dem Hintergrund, meine Damen und Herren, der Aktivitäten, insbesondere des Thüringer Landesamts bei der Diffamierung und Ausspionage von Gewerkschaften, Linken, antifaschistischen und ökologischen Initiativen, von Flüchtlingsinitiativen stellt sich hier auch noch die Frage, ob die eigene bereits von uns kritisierte und abzulehnende Eingriffsermächtigung im Thüringer Verfassungsschutzgesetz selbst eingehalten wird. Auch diese Frage müssen Sie sich durch uns, die wir den Verfassungsschutz abschaffen wollen, gefallen lassen. Ich ver

zichte an dieser Stelle tatsächlich, Ihnen noch einmal die Befugnis und die Eingriffsschwellen hier darzulegen, aber wir können darüber gern weiter diskutieren. Sie werden merken, eine Reihe von Publikationen des Verfassungsschutzes, eine Reihe von Veröffentlichungen von Initiativen, von Organisationen und von Einzelpersonen im monatlich erscheinenden Nachrichtendienst oder im jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht hätten bei rechtlicher Prüfung der Befugnisse des Verfassungsschutzes überhaupt keinen Bestand.

3. Der Verfassungsschutz leistet keinerlei Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Woher wollen Sie das wissen?)

Herr Vogel hat in der vergangenen Woche oder vor zwei Wochen in der Öffentlichkeit gesagt, die Spitzel, die der Thüringer Verfassungsschutz für sich hat arbeiten lassen, waren ihr Geld wert und sie haben Erfolge verbucht. Ich gehöre nicht zu denen, das wissen Sie, die andauernd abheben auf Straftatstatistiken und immer wieder darauf verweisen, hier zeigt sich doch eine Entwicklung im Rechtsextremismus, weil das eben nur eine Kontrollstatistik ist. Aber ich will Ihnen zwei andere Punkte nennen, wo es ja angeblich die großen Erfolge gegeben hat und - ich habe es ja heute Nachmittag schon gesagt - wo auch maßgeblich Spitzel des Verfassungsschutzes beteiligt sind. Der Thüringer Heimatschutz nimmt seit Jahren kontinuierlich mehr Mitglieder auf und wächst und wächst und verbreitet sich tatsächlich in Thüringen und verfestigt seine Strukturen. Das ist das eine, das gilt auch für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands. Das andere ist aber, und das dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass die Mobilisierungsfähigkeit dieser beiden Organisationen in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, so dass es ihnen möglich war und ist, innerhalb kürzester Zeit eine Teilnehmerzahl an Veranstaltungen zu mobilisieren, die weit über den eigentlichen Mitgliederstand hinausreicht. Das, denke ich, sind die angeblichen Erfolge der Arbeit des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz. Man muss doch schon fragen, wann hat denn jemals das Landesamt für Verfassungsschutz die Thüringer Öffentlichkeit über die Entwicklung im Rechtsextremismus informiert? Mir ist selbst kein Fall bekannt und die Verfassungsschutzberichte wollen Sie doch wohl nicht ernsthaft als Teil einer tatsächlich fundierten Information der Öffentlichkeit bezeichnen. Man muss sogar in einzelnen Fragen, in einzelnen Beispielen noch weitergehen. Es gibt doch auch und es ist Ihnen doch auch bekannt, dass es Beschwerden aus Behörden gab, dass über bevorstehende Aktivitäten von rechtsextremistischen Strukturen informiert waren. Da muss man eben nachfragen, wo erfolgte da die Berücksichtigung des Auftrags, den Herr Wolf heute zitiert hat, Information von Behörden am Beispiel des Skinheadkonzerts in Schorba oder am Beispiel des Landesparteitags der NPD in Moosbach im vergangenen Jahr. Es ist ja wohl klar - und ich denke, das ist auch eindeutig -, dass zivilgesellschaftliche Initia

tiven, die Wissenschaft viel besser vermochten über ideologische Hintergründe, über Erscheinungsformen, über das tatsächliche Ausmaß der Verbreitung und auch im Vorfeld über Veranstaltungen die Öffentlichkeit zu informieren.

4. Das zog sich auch durch die Rede des Ministerpräsidenten Vogel, der Verfassungsschutz schafft sich selbst ein Verfassungsideal, die so genannte politische Mitte. Die neue Rechte, der Rechtskonservatismus und Nationalkonservatismus werden aufgrund ihrer Verstrickung mit der politischen Mitte vollständig der Auseinandersetzung entzogen. Sie finden ebenso wenig in den Berichten statt wie z.B. der alltägliche Rassismus, der alltägliche Antisemitismus, der sich in dieser Gesellschaft verankern konnte und damit werden natürlich auch ein ganz gehöriger Teil der Ursachen für das Erstarken rechtsextremistischer Strukturen verdunkelt. Aber genau diejenigen, die diese Mitverantwortung der politischen Mitte thematisieren und politisch strukturell bedingte Ursachen für das Erstarken des Rechtsextremismus benennen, sich damit gleichzeitig außerhalb des selbst definierten Verfassungsideals positionieren, werden zum Feind der Demokratie erklärt, werden als Extremisten abgestempelt, ganz im Stile der Totalitarismustheorie. Die Extreme sind das Problem ganz gleich, aus welcher Richtung - und die mit der Gleichsetzung von links und rechts verbundenen Folgen sind bekannt, Verharmlosung von rechts, Kriminalisierung von antifaschistischem Widerstand und einer demokratischen Linken bei gleichzeitiger Selbstentschuldung und der Entzug der eigenen Verantwortung, die für die inhaltliche Stärkung der Rechten bei der politischen Mitte schwer wiegt und beim Verfassungsschutz auch für die strukturelle Stärkung des Rechtsextremismus nicht unbedeutend ist.

Und damit komme ich zu 5. und letztens.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Es zieht sich durch die Debatte um den Verfassungsschutz seit Anbeginn, nicht der Thüringer Debatte, sondern der bundesrepublikanischen Debatte, ein roter Faden, der des Einflusses der Verfassungsschutzämter auf Straftaten, weil diese eben nicht dem Legalitätsprinzip unterworfen sind und weil aus geheimdienstlicher Logik Straftaten auch vor Enttarnung von V-Leuten schützen sollen und nachgewiesen ist, dass der Verfassungsschutz auch Einfluss auf die Bildung von Strukturen genommen hat - zum Thüringer Problem hatte ich ja heute Nachmittag dann auch schon gesprochen -,

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: So ein Mist, was der erzählt.)

die er dann selbst zum Beobachtungsgegenstand genommen hat. Weitere Gefahren sind zwangsläufig die der Gegenspionage und natürlich der Finanzierung der Strukturen von rechtsextremistischen Organisationen. Das können Sie nicht einfach ausschließen, Herr Vogel und Herr Köckert. Ihre Behauptung, dass dies nicht passiert, ist auch vom

Charakter her keine andere Schutzbehauptung als die von Rechtsextremisten, die Spitzel gewesen sind,

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Nun ist es aber gut!)

die behaupten, sie haben das Geld für ihre Struktur verwendet. Es besteht natürlich auch die Gefahr, dass sich tatsächlich V-Mann und Spitzel gegeneinander in die Abhängigkeit bewegen und danach tatsächlich in dieser Verstrickungssituation gemeinsam tätig werden.

Meine Damen und Herren, der Verfassungsschutz verhindert die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, der aber tatsächlich nur eingedämmt werden kann, wenn sich eine Bürgerschaft ihm entgegenstellt und nicht eine Institution, die Öffentlichkeit von vornherein ausschließt. Insofern, meine Damen und Herren der SPD, leisten Sie mit Ihrem Ruf nach einem besseren, nach einem geheimeren, nach einem loyaleren Geheimdienst Ihrer Forderung, die auch die Forderung vieler anderer Initiativen ist, nach einem zivilgesellschaftlichen Konzept zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus einen Bärendienst. Mit Ihrer Forderung nach einem Neuaufbau delegieren Sie Verantwortung von sich weg, Sie reden Geheimdiensten zur Überwachung der eigenen Bevölkerung, Sie reden der Anstiftung zur Spitzelei und Denunziation, Sie reden dem staatlichen Einbruch

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Zieht den Stecker raus!)

in Privatsphäre und letztendlich auch der politischen Instrumentalisierung von Geheimdiensten das Wort. Wir werden Ihren Antrag ablehnen, weil nicht dieses Amt ein Problem hat, sondern weil die strukturelle rechtliche Grundlage der Landesämter für Verfassungsschutz das eigentliche Problem ist. Wir fordern - und das ist Ihnen bekannt - die ersatzlose und sofortige Abschaffung des Landesamts. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter Gentzel, Sie haben als Nächster das Wort.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Frau Präsi- dentin, hat Ihnen das gefallen?)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe es ja gerne zu, Zustimmung tut gut. Herr Dittes, der Widerspruch von Ihnen ist immer wieder erfrischend. Aber ich sage Ihnen, ich werde den Optimismus nicht verlieren, auch Sie werden irgendwann von einem Quentchen Weisheit überkommen werden und dann werden Sie sich

sicherlich für das bitter schämen, was Sie hier in diesem Hause - ja, - verbrochen haben. Bis dahin bleibt mir nur, der PDS-Fraktion zu gratulieren für einen grandiosen innenpolitischen Sprecher, der es immer wieder in unnachahmlicher Art und Weise schafft, aus jeder innenpolitischen Diskussion den Dampf herauszunehmen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wir haben ihn aber nicht bestellt.)

Also, Herr Fiedler, das traue ich nicht mal Ihnen zu.

(Heiterkeit im Hause)

Meine Damen und Herren, die deutsche Sprache ist so einfach - Geheimdienst. Geheim muss keinem erklärt werden und Dienst kommt von Dienen. Es wird Zeit, Herr Köckert, dass Sie diese ganz einfache Weisheit irgendwann mal den Mitarbeitern in Ihrem Verfassungsschutz zumindest ein bisschen nahe bringen. Was soll man eigentlich noch sagen zu dem Zustand des Thüringer Verfassungsschutzes, zu diesen Indiskretionen, den Fehlleistungen und den Peinlichkeiten der letzten Wochen und Monate. Ich behaupte, selbst die gesamte Debattenredezeit von 71 Stunden und 52 Minuten würde nicht reichen, das alles bis ins Kleinste aufzuschlüsseln.

Nur eine Entwicklung will ich erwähnen, weil ich sie für bemerkenswert halte. Mittlerweile gehen einzelne Journalisten dazu über, ihre Veröffentlichung gleich mit dem Aktenzeichen der entsprechenden geheimen Drucksache zu versehen, damit dann die Jungs und Mädels im Verfassungsschutz die Möglichkeit haben zu überprüfen, wo das Schriftstück fehlt. Alles in allem, und dieser Erkenntnis kann sich keiner entziehen, der sich mit diesem Thema beschäftigt hat, das Thüringer Amt für Verfassungsschutz ist ein einziger Trümmerhaufen.

(Beifall bei der SPD)

Dass Sie, Herr Ministerpräsident, eben auf die Probleme der letzten Wochen und Monate nicht eingegangen sind, ist symptomatisch. Nichts zu den Indiskretionen, nichts zu den Fehlleistungen, nichts zu den Peinlichkeiten, nichts zu dem Thema, dass die Journalisten mittlerweile den Verfassungsschutz abschöpfen. Vielmehr erwecken Sie den Eindruck, als gäbe es hier im Haus, zumindest zwischen denen, die den Verfassungsschutz befürworten, einen Streit um den Einsatz von V-Leuten. Niemals, niemals ist von unserer Seite bestritten worden, dass der Verfassungsschutz selbstverständlich V-Leute einsetzen muss, um optimal zu arbeiten. Aber wir sagen, es gibt Grenzen. Und was bei Dienel richtig war, muss auch für Brandt gelten.

(Beifall bei der SPD)

Erkannt hat das auch der Fraktionsvorsitzende der CDULandtagsfraktion. Seine erste Reaktion, seine richtige, auf die Bekanntwerdung des Falles Brandt war: "Wenn die

ses stimmt, muss es Konsequenzen haben."

(Beifall bei der SPD)

Ich wünsche Ihnen, Herr Althaus, zukünftig mehr Rückgrat, um auch Ihre erste Bemerkung, und nicht die zweite und die dritte, die dann die erste wieder korrigiert, umzusetzen.

Herr Ministerpräsident, ich möchte Sie auch noch auf etwas in Ihrer Rede aufmerksam machen, was einfach nicht stimmen kann. Sie sagen, wenn V-Männer behaupten, dass sie den Lohn verwenden um die Strukturen von rechtsorientierten Vereinigungen oder Parteien zu stärken, so ist das eine Schutzbehauptung, so ist das eine Lüge.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Schutz- behauptung.)

Den gleichen Leuten haben Sie aber vorher im Verfassungsschutz geglaubt. Denn umsonst hätten Sie sie doch nicht angestellt. Also, wenn Sie sich negativ äußern, ist das eine Schutzbehauptung, und wenn Sie für den Verfassungsschutz arbeiten, sind es vertrauenswürdige Leute, mit denen man umgehen kann. Hier an dieser Stelle haben Sie was geschaffen, was Sie nicht auflösen können.

(Beifall bei der SPD)

(Unruhe bei der CDU)

Ich mache Sie zum zweiten Mal auf etwas aufmerksam: Wir sprechen hier über die Verantwortung des Innenministers Köckert in seiner Amtszeit. Diese Amtszeit hat nicht mit dem Präsidenten Sippel beim Verfassungsschutz begonnen. In der Verantwortung des Innenministers Köckert liegt auch die Amtszeit des amtierenden Präsidenten Nocken. Und dazu schweigen Sie und Sie wissen, warum Sie das tun.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es muss weitergehen beim Landesamt für Verfassungsschutz. Wir haben uns die Frage gestellt: Wie schaffen wir das? Wie schaffen wir hier einen Neuanfang? Sie sagen Reorganisation, in der befinden Sie sich ein Dreivierteljahr. Sie sagen weiter so. Wir sagen, lasst uns das Landesamt auflösen und neu gründen. Ich weiß, dass dieses spektakulär klingt, aber das ist nicht das erste Mal in Deutschland, dass so etwas in Angriff genommen wird. Wir sagen, unser Vorschlag ist derjenige, der am schnellsten zum Ziel führt.