Protokoll der Sitzung vom 22.08.2002

Deshalb wird es Anweisungen des Innenministeriums an diese Kommunen, wenn sie sich rechtens verhalten, nicht geben. Die Landesregierung sieht daher auch zum jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung, die räumliche Beschränkung der Asylbewerber durch eine Rechtsverordnung nach § 58 Abs. 6 Asylverfahrensgesetz generell zu erweitern. Es kann sicher im Ausschuss besprochen werden, ob man sich mit den betreffenden Kommunen noch einmal selbst ins Benehmen setzt, um diese Gründe näher zu erfahren.

Die unter Ziffer 2 aufgestellte Forderung, meine Damen und Herren, geltendes Recht in Thüringen dahin gehend zu ändern, dass für Kinder und Jugendliche, die als Asylbewerber oder Flüchtlinge in Thüringen leben, der pflichtgemäße Besuch einer Schule ermöglicht wird, der suggeriert beim Lesen des Antrags, dass es für Kinder von Asylbewerbern und anderen ausländischen Flüchtlingen in Thüringen bisher nicht möglich sei, eine Schule zu besuchen. Das ist grundlegend falsch, aber Ihre Äußerungen, Herr Dittes, haben ja deutlich gemacht, dass Sie es selbst doch etwas differenzierter sehen. Zwar unterliegen Kinder von Asylbewerbern nicht der Schulpflicht, in den Fällen, in denen die Eltern der Kinder dies jedoch wünschen, wird grundsätzlich in Abstimmung mit dem zuständigen Schulträger ein Schulbesuch ermöglicht. Die im Antrag der Fraktion der PDS vertretene Auffassung allerdings, wonach Kinder von Asylbewerbern in Thüringen ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätten und deshalb der Schulpflicht unterlägen, ist unzutreffend.

Der Aufenthalt von Asylbewerbern dient zunächst lediglich dem Zweck, die Durchführung des Asylverfahrens entsprechend abzuwarten und dieser Aufenthalt ist deshalb nicht auf Dauer angelegt. Ebenso wenig lässt sich die Dauer des Aufenthalts von vornherein als längerfristig beurteilen. Aber hier kommen wir, wie bei so vielen Fragen des Asylund Ausländerrechts in Thüringen wie in der gesamten Bundesrepublik, auf die eigentliche Crux - der sehr lange Zeitraum, den manche Asylverfahren benötigen, um abgeschlossen zu werden, nicht zuletzt deshalb, weil den Asylbewerbern sämtliche Rechtszüge zur Verfügung stehen und manche Verfahren deshalb über Jahre hinweg gehen, weil immer wieder Widerspruch eingelegt wird. Dieses sehr lange Verfahren birgt die Gefahr in sich, dass wir vor Problemen mit den an sich der Schule zuzuführenden Kindern stehen. Wenn wir aber dennoch eine Schulpflicht begründen würden, dann bedürfte es wahrscheinlich der Ergänzung der derzeitigen schulgesetzlichen Bestimmung, nicht einer Änderung der Asylgesetzgebung. Diese Möglichkeit wird durch die Landesregierung zum jetzigen Zeitpunkt verantwortungsvoll geprüft. Der in Thüringen bisher ge

wählte Weg, einen Schulbesuch für Kinder von Asylbewerbern zu ermöglichen, wenn die Eltern der betreffenden Kinder dies wünschen, wahrt aber schon heute nicht nur die Grundrechte von Asylbewerbern, sondern stellt insofern auch unter pragmatischen und humanen Gesichtspunkten einen vernünftigen Mittelweg dar.

Meine Damen und Herren, unter Ziffer 3 des Antrags der Fraktion der PDS wird gefordert, auf die Landkreise und kreisfreien Städte dahin gehend einzuwirken, dass Gemeinschaftsunterkünfte mit mehr als 100 Plätzen zum Jahresende geschlossen werden. Sie wissen aber sehr genau, die Kommunalisierung der Flüchtlingsunterbringung wurde durch den Ausländerbeauftragten in seiner Kommentierung des Flüchtlingsberichts Thüringens 2001 grundsätzlich positiv bewertet. Eine kurzfristige Schließung aller Gemeinschaftsunterkünfte mit mehr als 100 Plätzen scheidet schon deswegen aus, weil Betreiberverträge mit unterschiedlichen Laufzeiten bestehen und eine vorzeitige Kündigung dieser Verträge nicht ohne beträchtliche Vertragsstrafen möglich wäre, die die Kommunen, sprich hier die Landkreise und die kreisfreien Städte, dann zu tragen hätten. Insgesamt ist aber im Vergleich mit der ersten Hälfte der 90er-Jahre eine deutliche Tendenz zu kleineren Gemeinschaftsunterkünften mit einer Kapazität von bis zu 100 Plätzen zu erkennen. Dem Ausländerbeauftragten ist grundsätzlich darin zuzustimmen, dass kleinere Gemeinschaftsunterkünfte sozial verträglicher sind. Die Zuständigkeit hierfür liegt jedoch bei den kommunalen Gebietskörperschaften und nicht bei der Landesregierung, meine Damen und Herren.

Weiterhin fordert die PDS ein Einwirken auf die kommunalen Gebietskörperschaften dahin gehend, dass für Flüchtlinge, die die Kriterien nach § 2 Abs. 3 Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz erfüllen, Einzelunterkünfte bereitgestellt werden. Zu diesem ganzen Problemkomplex Einzelunterkünfte ist zu sagen, dass nach § 53 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen. Ausnahmen hiervon regelt nach § 2 Abs. 3 das Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz. Dort steht, dass insbesondere für Familien und allein Stehende mit Kindern eine Einzelunterbringung erfolgen kann. Derzeit liegt der Anteil der in Thüringen aufgenommenen und untergebrachten Asylbewerber in Einzelunterkünften bei 14,7 Prozent. Allerdings - das wissen Sie - kommt es nicht allein darauf an, ob ein Asylbewerber bereits länger als 12 Monate in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht worden ist, sondern es dürfen hierdurch im Falle einer Einzelunterbringung der öffentlichen Hand keine Mehrkosten entstehen und entsprechende Unterkünfte müssen insbesondere überhaupt erst einmal vorhanden und entsprechend nutzbar sein. Der Begründung der PDS-Fraktion, dass sich Unterkünfte mit einer Kapazität von mehr als 100 Plätzen laut Flüchtlingsbericht und Kommentar des Ausländerbeauftragten als sozial unverträglich erwiesen hätten, dieser pauschalen

Begründung vermag ich nicht zu folgen. Vielmehr führt der Ausländerbeauftragte in seiner Kommentierung ausdrücklich aus, dass aufgrund des Berichts keine hinreichenden Aussagen möglich sind, inwieweit ein Zusammenhang zwischen der Kapazität einer Gemeinschaftsunterkunft und ihrer nach innen und außen wirkenden Sozialverträglichkeit besteht, denn im Flüchtlingsbericht sind nur einzelne Gemeinschaftsunterkünfte als Fallbeispiele genauer dargestellt.

Schließlich die Forderung nach einer Abschaffung der Gemeinschaftsverpflegung: Diese Forderung ist aus unserer Sicht entbehrlich, da nach Schließung der Gemeinschaftsunterkunft Mühlhausen lediglich in der Erstaufnahmeeinrichtung Jena eine Gemeinschaftsverpflegung erfolgt. Hier ist diese durchaus sinnvoll, da die neu ankommenden Personen vielfach zunächst lernen müssen, sich mit den hier üblichen Bedingungen zurechtzufinden. Zudem bilden die häufig sehr geringen Sprachkenntnisse auch für die eigene Versorgung mit Lebensmitteln eine große Barriere. Deshalb, meine Damen und Herren, stehen wir dem Antrag der PDS-Fraktion kritisch gegenüber. Er enthält keine neuen Fakten, alte Klischees werden bedient, es soll der Eindruck entstehen, als würden die Asylbewerber in Thüringen schlecht behandelt. Ich glaube, das ist keine vernünftige Strategie, die Frage der Asylbewerber und der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Freistaat zu diskutieren. Wir sagen dagegen, in Thüringen werden die bundesweiten Standards, die wahrlich nicht niedrig sind, eingehalten und den Asylbewerbern wird selbstverständlich eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung ermöglicht. Wo Verbesserungsbedarf besteht, sind wir gesprächsbereit.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Dittes, eine Redemeldung.

Herr Köckert, Sie mögen es Strategie nennen, ich erachte es als eine Notwendigkeit, wenn ein Beauftragter für Ausländerfragen in Thüringen einen Bericht vorlegt, dass der Landtag genau darüber diskutiert und sich als Erstes die Teile daraus nimmt, die genau hier auch in diesem Raum entschieden werden können, weil sie schon Jahre als Probleme auf dem Tisch liegen und weil sie auch oft genug hier im Landtag diskutiert worden sind, auch entscheidbar sind, und weil auch die Argumente auf dem Tisch liegen, die hier jetzt ein Vertreter Ihrer Landesregierung nochmals mit seinem Bericht untermauert hat. Das ist keine Strategie, sondern das ist die verantwortliche Kenntnisnahme eines Berichts eines Landesbeauftragten, der sich für seine Klientel, wenn man es so nennen darf, mit diesem Bericht öffentlich wahrnehmbar eingesetzt hat.

(Beifall bei der PDS)

Herr Köckert, ich muss doch in einigen Punkten auf Ihre Ausführungen eingehen. Als Erstes zur Residenzpflicht: Es ist wahr, wir haben im Januar 2000 hier im Landtag einen Antrag der PDS-Fraktion diskutiert, den Sie abgelehnt haben. Damals bestand keinerlei Möglichkeit, den in den Ausschüssen zu diskutieren. Sie haben, wie auch im Oktober 2000, im Innenausschuss den Parteien im Thüringer Landtag angekündigt, dass Sie sich höchstpersönlich dafür einsetzen, dass die Probleme in Markersdorf, Landkreis Greiz/Gera und die Probleme in Zella-Mehlis/Suhl gelöst werden, dass Sie auf die Kommunen zugehen und eine entsprechende Lösung dort in diesen Einzelfällen mit auf den Weg bringen wollen. Das war Ihre Zusage hier im Landtag, aber auch im Oktober des Jahres 2000. Wir haben nunmehr August 2002 und wir müssen feststellen, dass nichts dergleichen eine Umsetzung gefunden hat, gerade auch was die konkrete Situation in diesen zwei Gemeinschaftsunterkünften betrifft.

(Beifall bei der PDS)

Da muss ich Ihnen sagen, Herr Köckert, da können Sie sich nicht Ihrer Verantwortung entziehen, in § 58 Abs. 6 Asylverfahrensgesetz steht nicht, dass, um örtlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, der Innenminister einmal moderierend zwischen den beteiligten Kommunen eingreift, sondern da steht ganz eindeutig: Um örtlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen, können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung bestimmen, dass sich Ausländer ohne Erlaubnis vorübergehend in einem die Bezirke mehrerer Ausländerbehörden umfassenden Gebiet aufhalten können.

Herr Köckert, wenn Sie heute feststellen, dass der von Ihnen gegangene Weg nach zweieinhalb Jahren nicht realisierbar ist, dann nehmen Sie Ihre Verantwortung, die Ihnen das Bundesgesetz in diesem Punkt gibt, endlich ernst und bringen Sie die Rechtsverordnung auf den Weg.

(Beifall bei der PDS)

Wenn Sie an dieser Stelle auch noch deutlich machen wollen, dass der Ausländerbeauftragte in seinen Empfehlungen überhaupt nicht von Rechtsverordnung gesprochen hat, dann irren Sie, denn er sagt ganz eindeutig, hier wären sachgerechte Lösungen erforderlich, etwa die grundsätzliche Genehmigung, den Nachbarkreis zu betreten. "Trotz mehrmaligen Vorbringens der Angelegenheit hat sich der Thüringer Innenminister" - ich nehme an, das sind Sie "bisher nicht zu einem entsprechenden Erlass, der sich auf § 58 Abs. 6 Asylverfahrensgesetz stützen könnte, entschlossen." Es ist nicht so, dass der Beauftragte der Landesregierung

(Beifall bei der PDS)

von dieser Rechtsverordnung nicht gesprochen hat, nein, wir müssen dem Bericht entnehmen, er hat sich in der Vergangenheit sogar mehrfach an Sie gewandt, um endlich

diese Rechtsverordnung auf den Weg gebracht wissen zu wollen.

Zur Schulpflicht noch einige Anmerkungen: Herr Köckert, es ist richtig, wenn Sie unterstellen, dass im Asylverfahren noch nicht klar ist, dass der Aufenthalt für Asylbewerber und deren Kinder auf Dauer, also lebenslang, angelegt ist. Aber, meine Damen und Herren, im Interesse des Kindes ist es doch gerade notwendig, auch in Kenntnis der langen Verfahren zu unterstellen, dass das begonnene Asylverfahren positiv endet und

(Beifall bei der PDS)

ihm dann auch die entsprechende Möglichkeit mit auf den Weg geben. Selbst wenn wir annehmen würden, dass dieses Asylverfahren negativ endet, haben wir doch heute schon zu verfolgen, dass die Aufenthaltszeit in der Regel die gegenwärtige Schulpflichtzeit in Thüringen oftmals für die Kinder überschreitet und damit auch bei Rückführung in die Heimatländer oder bei freiwilliger Ausreise dort die Startchancen aufgrund der Engstirnigkeit in der Thüringer Landesregierung nochmals verschlechtert sind. Ich glaube, hier muss auch keine Schulpflicht begründet werden, hier ist einzig und allein die Auffassung der Landesregierung zu ändern, dass sich ein langjähriger Aufenthalt, der auch angenommen werden kann, im Vorfeld in einer Gemeinschaftsunterkunft wirklich einen Aufenthalt hier in Thüringen begründet und damit die Regelung im Schulgesetz zur Schulpflicht greift.

(Beifall bei der PDS)

Ich bin, meine Damen und Herren, vorhin nicht auf den Teil "Schließung von Gemeinschaftsunterkünften mit über 100 Plätzen Kapazität" eingegangen. Auch hier, Herr Köckert, wollen Sie dem Landtag weismachen, dass der Landesbeauftragte für Ausländerfragen nur einmal so einige Fallbeispiele angesprochen hat. Nein, es ist ganz anders. Ganz explizit hat Herr Peters in seinen Empfehlungen am Ende seines Berichts gefordert oder ausgesprochen, dass Gemeinschaftsunterkünfte mit einer Kapazität von mehr als 100 Plätzen geschlossen werden sollen. Das ist eine konkrete Forderung und dann sollten Sie hier nicht den Landtag im Dunkeln darüber lassen, denn ich gehe davon aus, nicht alle haben die Empfehlungen des Landesbeauftragten gelesen.

Meine Damen und Herren, hier ist oft vom Vertragsrecht die Rede. Richtig, das müssen wir berücksichtigen, das wollten wir gar nicht bestreiten. Von den 43 Gemeinschaftsunterkünften in Thüringen haben 28 Gemeinschaftsunterkünfte eine Kapazität von über 100 Plätzen. Für zehn von diesen Gemeinschaftsunterkünften enden die Verträge mit den Betreibern zum 31.12.2002 oder vorher und von den verbleibenden 18 der übergroße Teil im ersten Halbjahr 2003. Das zeigt doch gerade, dass, wenn jetzt tatsächlich von Landesseite Einfluss in diese Richtung - aufgreifend der Empfehlung des Landesbeauftragten - auf die Kom

munen genommen werden soll, wir jetzt auch aktiv werden müssen, damit eben auch die Kommunen in die Lage versetzt werden, ihre Argumente bei eventuellen Verhandlungen zur Verlängerung von Verträgen ins Spiel zu bringen und eben davon letztendlich absehen, neue Gemeinschaftsunterkünfte in dieser Größenordnung zu begründen oder bestehende Verträge zu verlängern, sondern entsprechend unseres Antrags die Einzelunterbringung zu forcieren, so wie es einst auch 1997 das eigentliche Anliegen des Thüringer Landtags mit der Verabschiedung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes gewesen ist.

(Beifall bei der PDS)

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Überweisungsanträgen. Es ist beantragt worden, den Antrag an den Innenausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Das ist die Mehrheit. Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Stimmenthaltungen? Das ist auch nicht der Fall. Damit ist auch einstimmig überwiesen.

Dann ist der Antrag gestellt worden, an den Ausschuss für Bildung und Medien zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Das ist eine Mehrheit von Gegenstimmen. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Stimmenthaltungen gibt es nicht. Die Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Bildung und Medien ist abgelehnt.

Damit schließe ich den Tagesordnungspunkt 14 und komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 15

Umsetzung des Gender Mainstreaming in der Jugendhilfe - Abbau von Benachteiligungen Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/2633

Frau Abgeordnete Wolf, PDS-Fraktion, übernimmt die Begründung.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ein Junge weint nicht, ein Junge beißt sich auf die Zunge, auch wenn das Herz reißt. Das musst du wohl noch lernen. Einige haben vielleicht den Wiedererkennungseffekt. Ich finde, ein wunderbares Lied von Gerhard Schöne. Ja, meine Damen und Herren, Jungen sind anders, Mädchen auch. Es ist eine Forderung des KJHG, die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und Gleichberechtigung zu fördern. Ich finde, ein ungemein wichtiger Anspruch.

(Beifall bei der PDS)

Im Bereich der Jugendhilfe finden sich gravierende Ungerechtigkeiten in Bezug auf die Geschlechter. Spezifische Arbeit für Jungen oder Angebote, die auf geschlechtsspezifische Unterschiede bewusst eingehen, finden sich in Thüringen zumindest nicht. Es ist eine Tatsache, dass in vielen Bereichen der Jugendhilfe, der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit oftmals unbewusst Jungs die primäre Zielgruppe darstellen. Aber gerade deshalb ist es so wichtig für die Praktikerinnen, Fachwissen über männliche Identität und Sozialisationsbedingungen zu haben. Benachteiligungen von Jungen im Bereich Erziehung entstehen durch unzureichende Angebote. Erziehungswissenschaftler haben bereits vor Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass es Problembereiche eben unter anderem in der Schule gibt, die vorrangig Jungenprobleme darstellen. Amerikanische Männerforscher sprechen davon, dass es in unserer Gesellschaft abhanden gekommen ist, Jungenidentität zu schaffen und auch auszuhalten. Wir glauben, dass bewusste geschlechterbezogene Pädagogik für Kinder und Jugendliche notwendig ist. Die Geschlechterperspektive muss Eingang finden in sämtliche Formen der Arbeit mit diesen. Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion ist der Meinung nur so können wir den Jungen in der Arbeit in der Jugendhilfe gerecht werden. Wir können vorhandene Ressourcen ausbauen, Probleme aufgreifen, deshalb unser Antrag. Ergebnis, das möchte ich schon im Voraus vielleicht vorwegnehmen, könnte möglicherweise sein, dass eben auch erwachsene Männer besser über Gefühle reden können, dass später einfach auch weniger geschieden wird, Entwicklungspsychologen sprechen davon inzwischen, oder eben auch, dass Frauen in Zukunft weniger geschlagen werden. Ich danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Antrag, Als erster Redner hat sich der Abgeordnete Panse, CDU-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, in den vergangenen Monaten war Gender Mainstreaming mehrmals Bestandteil von Tagesordnungspunkten hier im Plenum und in den Ausschüssen im Thüringer Landtag. Aber - so haben es ja, glaube ich, die meisten von uns in der Schule gelernt - Wiederholung erhöht die Anschaulichkeit. Deshalb, bitte schön. Wenn ich mir den Antrag anschaue, scheint es allerdings auch notwendig zu sein, denn ich glaube, der vorliegende Antrag der PDS ist ein deutlicher Beleg dafür, dass wohl einige der Kollegen hier im Hause noch nicht so genau verstanden haben, was Gender Mainstreaming eigentlich erreichen kann und erreichen soll. Die Überschrift des Antrags "Umsetzung des Gender Mainstreaming in der Jugendhilfe, Abbau von Benachteiligungen" soll uns glauben lassen, es ginge tatsächlich um den Abbau von Benachteiligungen, die doch

wohl ganz zweifelsfrei für Mädchen bestehen. Jedoch, wie wir bereits schon vor einigen Tagen einer Pressemitteilung vom Kollegen Nothnagel entnehmen konnten, meinte er, durch den Vergleich der Summen von Projekten der Mädchenarbeit mit denen der Jungenarbeit in Thüringen ein Defizit und damit eine Benachteiligung von Jungen zu erkennen. Frau Wolf, auch Sie haben eben in dem, was Sie gesagt haben, auf Gerhard Schöne verwiesen, auf amerikanische Männerforscher, die das wohl belegen sollen. Ich erkenne da noch nicht diese wirkliche Benachteiligung, vielleicht können Sie uns dann nachher entsprechende Aufhellung noch verschaffen. Nach Meinung der PDSFraktion soll diese Benachteiligung nun natürlich am besten durch Jugendhilfeangebote, die sich nur an Jungen richten, abgebaut werden. Ich denke, Sie, werte Kollegen von der PDS, haben ganz offensichtlich gar nicht verstanden, worum es beim Gender Mainstreaming geht.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Das un- terstelle ich Ihnen.)

Gender Mainstreaming meint keinesfalls, dass Benachteiligungen durch geschlechtsspezifische Angebote für Mädchen oder Jungen und Frauen oder Männer abgebaut werden könnten. Gender Mainstreaming meint, die geschlechterbezogene Sichtweise auf politische Konzepte auf allen Ebenen.

(Beifall bei der PDS)

Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe geht davon aus, dass sich die Lebenswirklichkeit von Mädchen und Jungen in vielen Bereichen unterscheidet.

(Beifall Abg. K. Wolf, PDS)

Wenn diese Unterschiede nicht erkannt werden, besteht die Gefahr, dass neue Maßnahmen Mädchen und Jungen in verschiedener Weise beeinflussen und die Unterschiede noch verstärken. Chancengleichheit als Ziel für Mädchen und Jungen darf aber nicht zu Gleichmacherei führen.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. K. Wolf, PDS: Auch richtig.)

Mädchenförderpolitik und Gender Mainstreaming ist nicht das Gleiche, es sind zwei unterschiedliche Strategien. Deshalb sagt die Anzahl von speziellen Mädchenprojekten im Vergleich zu Jungenprojekten natürlich nichts darüber aus, wie es um die tatsächliche Chancengleichheit bestellt ist. Mit Mädchenförderprojekten wird zielorientiert zu einzelnen Problemstellungen gehandelt, bei Jungenprojekten im Übrigen auch. Gender Mainstreaming soll aber grundlegender bereits im Vorfeld von Entscheidungsprozessen ansetzen. Nicht alles, was mit der geschlechtsspezifischen Situation von Mädchen/Jungen und Frauen oder Männern zu tun hat, ist Gender Mainstreaming.