Meine Damen und Herren, die Verschiebung der Gesetzesnovellierung auf den jetzigen Zeitpunkt wurde vor allem damit begründet, die Ergebnisse des nationalen Leistungsvergleichs, also PISA-E, abwarten und diese ebenfalls berücksichtigen zu wollen. Neue Regelungsentwürfe - ich spreche immer im Vergleich von Referentenentwurf und jetzigem Entwurf - betreffen Leistungstests und Leistungsfeststellungen, die vorgenommen werden sollen, sie betreffen die Informationspflicht der Schule gegenüber Eltern volljähriger Schülerinnen und Schüler, sie betreffen gestufte Abschlussregelungen, die Möglichkeit, Bewertungen zur Mitarbeit und zum Verhalten der Schülerinnen und Schüler in den Zeugnissen aufzunehmen, sie betreffen Regelungen der Schulpflicht für Flüchtlingskinder, was wir übrigens sehr begrüßen - ich möchte das an dieser Stelle einflechten -, und sie betreffen Verpflichtungen der Thüringer Lehrerinnen und Lehrer zur Fortbildung, was es allerdings in der Lehrerdienstordnung bislang auch schon so gab. Das aber alles sind Regelungen, die es vor PISA-E und vor dem schrecklichen Massaker am Gutenberg-Gymnasium schon hätte geben können. Auch erhebt sich die Frage nach der damit tatsächlich möglichen Qualitätsveränderung, von der ja immer gesprochen wird, die wir uns auch wünschen. Tests und Prüfungen allein zum Beispiel werden nichts verändern, wenn Schülerinnen und Schüler im davor liegenden Bildungs- und Erziehungsprozess nicht entsprechend gefordert und gefördert werden und mit den Ergebnissen dieser Tests und Prüfungen nicht entwicklungsfördernd gearbeitet wird. Dies wird von Rahmenbedingungen bestimmt, z.B. ganz wesentlich von der Zeit, die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Pädagogen mitein
ander zur Verfügung haben, aber dazu erkenne ich im vorliegenden Gesetzentwurf keine positiven Entwicklungen.
Meine Damen und Herren, teilweise wurden die Themen, die den genannten Regelungsentwürfen zugrunde liegen, seit längerem diskutiert bzw. Regelungen dazu vehement gefordert. Sie wurden aber von der CDU-Fraktion bzw. - ich muss das weiter fassen - von der CDU bislang blockiert, weil die Ideen eben nicht von ihr kamen oder sie nicht mit den konservativen Vorstellungen der CDU übereinstimmen. Als Stichwort nur noch einmal die gestuften Abschlüsse. Ich hoffe aber, dass nun die Ungleichbehandlung Thüringer Schülerinnen und Schüler ihr Ende findet, wenn der Abwägungsprozess, dem wir natürlich folgen müssen, zugunsten der Schüler ausgeht.
Was also ist das Motiv für das Handeln der CDU, wie wir es erleben? Änderungen soll es geben. Sie sind zum größten Teil auf massive öffentliche Forderungen zurückzuführen. Hier konnte man also gar nicht anders. Aber grundsätzliche Änderungen, so z.B. auch die Forderung vom Kreisschülersprecher gestern Abend in Jena auf der Regionalkonferenz oder die IHK Südthüringens sprach vor kurzem von einem tiefen chirurgischen Eingriff
dann haben Sie wohl nicht zugehört, Herr Seela -, werden abgeblockt. Abblocken, nicht um mögliche Schnellschüsse zu verhindern, nein, auch diese werden von uns entschieden abgelehnt. Unter anderem haben wir uns deshalb auch so für die Enquetekommission engagiert, damit langfristig etwas passieren kann. Nein, nein, darum geht es nicht. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Althaus, hat in seiner Rede zur Enquetekommission im August auf das Motiv hingewiesen, das Sie bewegt, denn er stellte fest - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin: "Wir haben keinen Grund zu einer generellen Schulreform."
Der Minister hat das heute untersetzt. Übersetzt heißt das: Die Diskussionsspitzen, die es nach PISA, dem 26. April und auch den Ereignissen in Weimar gegeben hat, sollen durch Aussitzen abgebrochen werden.
Alles wird sich mit der Zeit wieder beruhigen und die Leute sind ja auch vergesslich; manches gerät dann in Vergessenheit und dann novellieren wir nach unseren, den CDU-Vorstellungen.
Meine Damen und Herren, auf diese Strategie deuten auch die Regionalkonferenzen hin. Warum beginnen sie denn einen Tag nach dem Kabinettsbeschluss zur Gesetzes
novelle? Warum wird in dieser Art und Weise - also mit Regionalkonferenzen, das ist für mich schon noch eine andere Ebene, als wenn sich Betroffene und Beteiligte im Internet informieren können - mit den Betroffenen nicht vorher geredet? Warum haben die Teilnehmer der Konferenzen den Gesetzentwurf der Landesregierung in seiner Gesamtheit nicht wenigstens in der Hand und müssen sich mit Auszügen begnügen, die dann auch noch zu Irritationen führen, weil dort nämlich manches nicht so deutlich gesagt wird?
Warum gibt es nicht solche öffentlichen Ankündigungen der Regionalkonferenzen, die es auch Uneingeladenen möglich machen daran teilzunehmen?
Das sind Fragen von Schülerinnen und Schülern, von Eltern und Pädagogen und sie sind ernst zu nehmen, meinen wir. Um mit Carl Friedrich von Weizsäcker zu sprechen: "Demokratie heißt: Entscheidung durch die Betroffenen." Sie müssen sich in den Entscheidungen wiederfinden können. Das heißt nicht, dass jede Vorstellung umgesetzt werden kann. Dazu sind sie in Abhängigkeit vom jeweiligen Erfahrungshorizont auch zu sehr unterschiedlich und es ist abzuwägen, was zukunftsweisend ist. Dafür ist dann Akzeptanz zu gewinnen. Ich kann nur hoffen, dass die Regionalkonferenzen dies im Ergebnis doch bringen und mehr als Alibiveranstaltungen sind.
Aber meine Hoffnung ist nicht sehr groß, auch nicht nach der heutigen Rede des Ministers. Da geht es mir wie einem Elternsprecher, der gestern Abend deutlich zum Ausdruck brachte, dass er nur wenig Hoffnung habe, dass die Ergebnisse der Regionalkonferenzen
noch in das Gesetz einfließen. Sie haben es ja in der Hand, das zu ändern, Herr Seela. Aber Sie haben ja gestern Abend schon bewiesen, dass es Ihnen schwer fällt zuzuhören, wenn jemand was sagt, deshalb haben Sie immer das nachgefragt, was ohnehin schon vorgetragen worden ist. Das muss man hier auch mal feststellen.
Meine Damen und Herren, diese Sorge - Alibiveranstaltungen - bewegt mich im Übrigen auch im Hinblick auf die Enquetekommission. Ihre Arbeit darf durch die anstehende Novellierung nicht ausgehebelt werden bzw. auch nur als Alibi dienen. Herr Althaus, Sie haben zwar im August öffentlich verkündet, nicht von vornherein Denkstrukturen
vorprägen zu wollen, aber das, was Sie verkünden und was der Minister heute gesagt hat und was ich teilweise auch in den Regionalkonferenzen von Ministeriumsvertretern höre, befördert meine Sorge um die Alibifunktion der Regionalkonferenzen und der Enquetekommission. Heute haben bei mir regelrecht die Alarmglocken geläutet.
Ich will das auch untersetzen. Ich habe persönlich bislang an drei Regionalkonferenzen teilgenommen. Herr Minister, in allen drei Konferenzen ist das Problem mit dem länger gemeinsamen Lernen vorgetragen worden. Da, meine ich, ist es geboten und fair, nicht nur auf die Thüringer Rangplätze in der PISA-E-Studie zu sehen. Schauen Sie doch einmal auf die Spitzenländer und sehen Sie, was die für Strukturen haben.
In allen diesen Regionalkonferenzen, an denen ich teilgenommen habe, stand das Thema Klassenleiterstunde oder wie auch immer dieses Konstrukt genannt wird, das ist mir eigentlich egal -, aber bislang höre ich dazu nur Abweisungen. Abgewiesen werden auch personelle und finanzielle Fragen. Peinlicher kann es dann in Regionalkonferenzen schon nicht mehr zugehen, wenn auf eine sachliche Frage eines anwesenden Teilnehmers, die Rede eines Ministeriumsvertreters mit der Aussage endet: Schauen wir mal. Das hat zu Recht
Meine Damen und Herren, im Komplex betrachtet kann mit den neuen Regelungen durchaus auf Veränderungsnotwendigkeiten reagiert werden, können durchaus Schritte, aber sie sind sehr klein, in die richtige Richtung gegangen werden. Solche Regelungen können sein: die veränderte Schuleingangsphase, die gestuften Abschlüsse, die Praxisklassen und auch die Schulpflicht für Flüchtlingskinder. Ihre Wirksamkeit ist aber von der konkreten Ausgestaltung abhängig, die zum Teil, Herr Minister hat es gesagt, in Rechtsverordnungen geregelt werden sollen und diese Rechtsverordnungen kennen wir nicht. Für die Beurteilung des Gesetzes insgesamt wäre diese Kenntnis aber notwendig.
Herr Minister, ich appeliere deshalb an Sie, uns im Verständigungsprozess zur Gesetzesnovelle auch die Änderungen so rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, dass wir in die Lage versetzt werden, Gesetz und Rechtsverordnungen
in ihrer Einheit beurteilen und uns dann ein fundiertes Bild machen zu können. Es wäre also gut, wenn die Entwürfe demnächst - ich sage mal vor der zweiten Lesung - vorliegen würden. Für effektive Regelungen sind aber auch Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Da gibt es schon erhebliche Zweifel bei uns.
Meine Damen und Herren, gemessen an den eigenen Ansprüchen der Landesregierung auf gesellschaftliche Entwicklungen, auf PISA reagieren zu wollen und auch eine breite öffentliche Debatte ernsthaft haben zu wollen, kann der Landesregierung aus unserer Sicht nur gesagt werden: Schwach angefangen und stark nachgelassen!
Denn, meine Damen und Herren, eine wichtige Erkenntnis aus PISA heißt: Handlungs- und anwendungsorientierte Kompetenzen sind bei Thüringer Schülerinnen und Schülern in viel größerer Breite in den oberen Kompetenzstufen zu entwickeln, dies insbesondere in der Basiskompetenz Lesen, wenn man sich nicht auf den nationalen Plätzen "sonnt", sondern wenn man sich am internationalen Spitzenmaßstab orientiert.
Da aber sind die vorgesehenen Änderungen in unseren Augen nur Feigenblätter oder wie es in einem Brief an meine Fraktion aus einer Regelschule heißt - ich zitiere wieder mit Ihrer Genehmigung: "Zahlreiche der angestrebten Änderungen sind aus unserer Sicht nur Stückwerk."
Meine Damen und Herren, kleine Schritte in die richtige Richtung dürfen nicht grundlegende Reformen ersetzen. Weit reichendere zukunftsweisende Debatten und Veränderungen aus unserer Sicht betreffen die Qualität und die Struktur von Bildung und Erziehung, betreffen die Vernetzung mit tangierenden Bereichen. Ich verweise hier ausdrücklich auf den Bereich der Familie. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir Familien auch Hilfen anbieten können, an der Bildung und Erziehung ihrer Kinder besser beteiligt zu sein, als das manchen Familien in manchen Situationen gelingt. Wir brauchen Debatten zu den Aufgaben von Schule, eingeschlossen die Schuljugendarbeit oder die Ganztagsangebote. Ich bin Ihnen für die Klarstellung, Herr Minister, die Sie heute zu den Ganztagsangeboten vorgenommen haben, dankbar, das ist aus dem Gesetzentwurf nur sehr schwer herauszulesen. Wir brauchen auch Debatten zum Berufsbild der Pädagogen und zur Aus- und Weiterbildung der Lehrer. Wir brauchen auch Debatten zur Personal- und Finanzpolitik im Bildungsbereich.
Zu Letzerem noch zwei Bemerkungen: Die meisten Veränderungen, die die Landesregierung jetzt vorschlägt, tangieren die Pädagogen, übertragen ihnen weitere zusätzliche Aufgaben. Statt die Lehrenden zu stärken, um die Lernenden zu stärken, sie zu fördern und zu fordern, hält die Lan
desregierung aber bislang am Personalabbau fest, stellt Floating nicht auf den Prüfstand, verweigert immer noch und immer wieder die Klassenleiterstunde, die längst überfällig ist. Ich habe es vorhin schon einmal gesagt: Mir ist es egal, wie man dieses Konstrukt bezeichnet, ob man vielleicht einen Pool im Schulamtsbereich bildet oder in der Schule, der dann auch dazu dient, den Pädagogen Zeit einzuräumen für die Kommunikation mit ihren Schülern, nur passieren muss an dieser Stelle etwas. Ein breiteres bedarfsorientiertes, verlässliches, kontinuierliches Unterstützungssystem für Schüler und Lehrer, z.B. durch Sozialarbeiter und Psychologen, ist auch nicht erkennbar. Das alles kostet Geld - natürlich. Beim Geld hört aber bekanntlich die Freundschaft auf. Mehr Geld für Schule, für Bildung und Erziehung gibt es nicht, scheint die Ausgangsthese dieses Gesetzentwurfs zu sein, und wenn es die Zukunft unserer Kinder kostet.
In diesem Sinn folgt meine zweite Bemerkung. Der Erlass des Artikelgesetzes soll, das ist im Abschnitt D - Kosten - nachzulesen, weitgehend kostenneutral sein. Das heißt, die Landesregierung schlägt nur solche Veränderungen vor, die keine oder nur unumgängliche Kosten verursachen und manchmal soll offenbar das Sankt-Florians-Prinzip wirken, wenn es z.B. um die Stärkung der Zusammenarbeit mit den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe geht, die vollmundig versprochen wird, die aber, so wie jetzt geplant, zum Scheitern verurteilt sein wird. Das ist eine gefährliche, kurzsichtige Politik, die hier betrieben wird. So geht es nicht.
Was wir heute nicht in Bildung und Erziehung investieren, fällt uns langfristig auf die Füße. Deshalb brauchen wir auch eine langfristige Betrachtung und ausreichende Investitionen in diesem Bereich. Meine Fraktion weist nachdrücklich darauf hin, dass diese Art von Prävention endlich in die Vorschläge zu den gesetzlichen Regelungen aufgenommen werden muss. Wir haben Verantwortung. Wir haben die Verantwortung zu handeln und nicht nur aufzuschreien, wenn das sprichwörtliche Kind in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist kein Meilenstein, wie die Landesregierung und die CDU-Fraktion glauben machen wollen. Er ist auch nicht aus einem Guss, Herr Ministerpräsident, wie Sie der Auffassung sind.
Meilensteine werden nur dann möglich sein, wenn sich die CDU von ihrer Strukturstarre und ihren konservativen Auffassungen löst, wissenschaftliche Erkenntnisse, Kritik an der Schule und den Bürgerwillen ernsthaft diskutiert und zu entsprechenden Veränderungen bereit ist.