Ich begrüße natürlich diese Einbringung des Gesetzes auch, wir sind von Anfang an damit beschäftigt. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es hier eine Pflicht geben muss. Deswegen wundere ich mich jetzt auch ein bisschen, dass man jetzt ein wenig mutiger vorgeht und sagt, sowohl beim Trägerwechsel, was ich nie verstanden habe, als auch beim Krebsregister eine Meldepflicht einzuführen. Umsonst habe ich vorhin nicht nachgefragt, ich sage nicht Impfpflichtgesetz, ich sage Impfschutzgesetz, und wenn das meinetwegen beim Krebsregister genauso gehandhabt werden soll, man hat sich ja immer gescheut, solche Sachen einzuführen. Ich denke, wenn die Gesamtbevölkerung betroffen ist, dann sollte man auch mutig genug sein und sagen, wir stehen hier zur Pflicht.
Weitere Redewünsche sehe ich nicht. Ich kann damit die Aussprache schließen. Wir kommen zur Abstimmung über die beantragte Ausschussüberweisung, und zwar an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit. Wer dieser Überweisung die Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Sehr einmütig. Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? Auch nicht. Dann einstimmig so beschlossen und ich kann den Tagesordnungspunkt 4 schließen.
Gesetz zur Änderung des Thüringer Schulgesetzes, des Förderschulgesetzes, des Thüringer Gesetzes über die Finanzierung der staatlichen Schulen und des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/2693 ERSTE BERATUNG
Wir dürfen zunächst die Begründung des Einreichers hören. Herr Minister Dr. Krapp, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr geehrte Gäste, insbesondere die Vertreter aus der Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft, die ich auf der Tribüne sehe.
Unmittelbar nach Wiedergründung des Landes hat die Thüringer Landesregierung noch im Jahr 1990 als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben die sozialistischen Zöpfe des zentralistischen Schulsystems abgeschnitten.
Der deutliche Ruf nach Demokratisierung der Schule auf den Straßen der Wendezeit erforderte aber weiter gehende gesetzliche Schritte. Diese wurden mit dem Vorläufigen Bildungsgesetz von 1991 eingeleitet und mit dem Schulgesetz von 1993 zunächst abgeschlossen. Meine Damen und Herren, das war eine große Leistung, wenn man bedenkt, dass sich im Vorfeld z.B. an den runden Tischen viele tausend Bürgerinnen und Bürger an der Diskussion um diese Gesetze beteiligt hatten, was in den verschiedenen Phasen der Gesetzgebung zu berücksichtigen war. Das bedeutete eine große Verantwortung, denn jeder Fehlversuch wäre vor allem auf Kosten der Schülerinnen und Schüler gegangen und damit auch auf Kosten der Zukunft des Landes. Inzwischen haben die ersten Jahrgänge von Thüringer Schülerinnen und Schülern dieses Schulsystem von Anfang an ohne weitere Strukturänderungen durchlaufen. Die meisten stehen im Beruf oder Studium inzwischen erfolgreich ihre Frau bzw. ihren Mann. Meine Damen und Herren, das Thüringer Schulsystem hat seinen Test bestanden!
Einen historisch einmaligen Test haben auch die Lehrerinnen und Lehrer bestanden, die diesen Strukturwandel mit viel Liebe zu ihren Schülern und viel Engagement bei der eigenen Fort- und Weiterbildung in die Tat umgesetzt haben.
Bedarf für einen speziellen PISA-Test für Thüringer Lehrer sehe ich deshalb zurzeit nicht. Noch ganz frisch sind die Ergebnisse des PISA-2000-Tests, den wir, einschließlich Ländervergleich, selbst mit auf den Weg gebracht haben. Auch diese Ergebnisse ermutigen uns, den Thüringer Weg weiterzugehen. Einen Weg, der dadurch gekennzeichnet ist, dass nicht für alle Schüler die gleiche Schule, sondern für jedes Kind die richtige Schule angeboten wird.
Die Regelschüler unter den in Pisa getesteten 15-jährigen Thüringern waren es übrigens, die den größten Anteil an der guten nationalen Platzierung erbracht haben. Nicht zuletzt deshalb sind Profilierung und Weiterentwicklung der Regelschule eine vorrangige und auch lohnenswerte Aufgabe.
Manche, meine Damen und Herren, schießen allerdings über das Ziel hinaus. Sie möchten die Regelschule mindestens bis zur Klasse 8 zur Pflichtschule machen. Diese Verfechter der Einheitsschule frage ich, warum sie den Kindern, die nachweislich am besten durch Fordern am Gymnasium gefördert werden können, diese Möglichkeit abschneiden wollen?
Warum wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass PISA der Einheitsschule in Deutschland das schlechteste Zeugnis ausgestellt hat und sehen Sie nicht, dass inzwischen betroffene Länder sehr intensiv nach Thüringen schauen?
Den Eltern, die sich am Ende der Klassenstufe 4 unsicher über die richtige Schullaufbahn ihres Kindes sind, sage ich, dass die Regelschule mit Haupt- und Realschullaufbahn voller Chancen für ihr Kind ist.
Sie ist es aufgrund praxisnaher Profilierung, die individuelle Interessen und Leistungsfähigkeit der Kinder gleichermaßen berücksichtigt. Sie ist es auch durch den möglichen Übertritt nach den Klassenstufen 5 und 6 oder 10 an das Gymnasium und sie ist es nicht zuletzt durch die schlüssige Fortsetzung der Schullaufbahn an der berufsbildenden Schule mit ihrem vielfältigen Angebot an Berufsabschlüssen, Berufsqualifikationen, Fachhochschulreife und Hochschulreife sowie Kombinationen davon.
Besondere Aufmerksamkeit genießt seit 1991 in Thüringen sowohl die schulische Förderung von begabten als auch endlich von allen benachteiligten Kindern.
Mit hohem Engagement bereiten in Förderschulen Lehrer und sonderpädagogische Fachkräfte behinderte Kinder je nach Fähigkeit auf ein möglichst selbstbestimmtes Leben vor. In einer ganzen Reihe von Spezialklassen und Spezialgymnasien, jüngstes Mitglied dieser Reihe ist das "Salzmann-Gymnasium" für Fremdssprachen in Schnepfenthal, werden systematisch die verschiedenen Begabungen zu hoher Meisterschaft entwickelt.
Meine Damen und Herren, schließlich bietet die Thüringer Grundschule als eigenständige Schulform allen Schülerinnen und Schülern eine solide Grundbildung und bei Bedarf eine Ganztagsbetreuung im Schulhort. Letzteres ist ein Vorzug der Thüringer Grundschule, um den uns insbesondere viele alte Länder nach wie vor beneiden.
Dieses gegliederte leistungsfähige und durchlässige Thüringer Schulsystem hat von Anfang an funktioniert und bedarf auch nach zehn Jahren keiner Strukturreform. Es hat sich bewährt und ist sogar zum Ideengeber für andere Länder geworden.
Gleichwohl hat sich nach zehn Jahren gesetzlicher Änderungsbedarf eingestellt. Dieser resultiert sowohl aus internen Erfahrungen mit Schulversuchen oder Schultests, als auch aus externen Faktoren einer sich rasch verändernden Gesellschaft einschließlich demografischer Entwicklungen.
Meine Damen und Herren, schließlich hinterlässt ein Einzelereignis wie das Massaker am Gutenberg-Gymnasium Spuren, die zu berücksichtigen sind.
Das Thüringer Kultusministerium hat im Jahre 2001 die Arbeit an der Novellierung des Schulgesetzes, des Förderschulgesetzes, des Schulfinanzierungsgesetzes und des Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft aufgenommen und am 9. Oktober 2001 dem Kabinett einen Gesetzentwurf zur Kenntnisnahme vorgelegt. Dazu wurde anschließend eine Anhörung durchgeführt, an der sich zahlreiche Verbände, Einrichtungen und Interessengruppen, darunter auch die Lehrer-, Eltern- und Schülervertretungen, beteiligt haben.
In die Auswertungsphase dieser Anhörung fielen die Veröffentlichungen der Ergebnisse der internationalen und der nationalen PISA-Studie und die Diskussion um das Gutenberg-Massaker. Am 3. September dieses Jahres hat das Kabinett dem Entwurf der Gesetzesnovelle zugestimmt. Diese beinhaltet folgende wesentliche Änderungen bzw. Ergänzungen:
Der Auftrag des Schulgesetzes an die Thüringer Schulen wurde insbesondere um erzieherische Ziele erweitert. Schüler sollen demnach insbesondere zu gesellschaftlicher Mitverantwortung, zur Mitgestaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie zum bewussten, selbstbestimmten und kritischen Umgang mit Medien befähigt werden. Diese Formulierungen sprechen grundsätzliche Werte an, die Schule neben der Wissensvermittlung erfahrbar machen muss. Damit ist die Aufgabe verbunden, Leistungsbereitschaft, Solidarität und Verantwortung als Grundlagen persönlicher Sinngebung und gesellschaftlicher Stabilität zu vermitteln. Das ist ohne eine Kultur der Anstrengung aller Beteiligten, also der Schüler, Lehrer und Eltern, nicht zu haben. Auch Konflikten kann man dabei nicht immer aus dem Wege gehen. Es kommt darauf an, diese zivilisiert aufzulösen.
Die entsprechenden Kompetenzen sind nicht nur über Didaktik und Methodik, sondern auch durch gezielte pädagogische Einflussnahme zu entwickeln und dazu gehören auch Bewerten und Beraten. Deshalb wollen wir, dass Bewertungen des Schülerverhaltens in die Zeugnisse aufgenommen werden. Unabhängig davon, ob man solche Bewertungen nun als Kopf- oder meinetwegen auch als Fußnoten bezeichnet, werden diese von der überwiegenden Mehrheit der Thüringer als Ausgangspunkt einer positiven erzieherischen Einflussnahme begrüßt. Darüber hinaus sollen ergänzend zum Zeugnis Einschätzungen zur Kompetenzentwicklung eingeführt werden. Diese Einschätzungen stellen ein Beratungsinstrument mit Prognosecharakter dar. Musterbögen dazu wurden in einer zweijährigen Projektphase entwickelt und Anfang dieses Jahres eingeführt. Sie erleichtern dem verantwortlichen Lehrer mit ihren standardisierten Einschätzungsvorschlägen seine Beratungsaufgabe. Der Einsatz von Einschätzungsbögen soll grundsätzlich von der Schulkonferenz entschieden werden. Wir möchten uns allerdings deren verbindliche Einführung jeweils zum Ende der Grundschule und der Orientierungsphase der Schulordnung vorbehalten. Sie sollen eine Grundlage der Schullaufbahnberatung der Lehrer mit den Eltern werden. Mit der Schulordnung sollen übrigens auch die konkreten Ausformungen und Ausnahmen von Kopfnoten geregelt werden. So bedürfen wohl reformpädagogische Projektschulen, berufsbildende Schulen, gymnasiale Oberstufen, Kollegs und Förderschulen entsprechender Ausnahmen.
Meine Damen und Herren, Bewerten und Beraten an der Schule sind wichtige Erziehungsfaktoren, die allerdings nur in einer guten Partnerschaft zwischen den Erziehungsträgern in- und außerhalb der Schule Früchte tragen. Hierzu gehören, um es mit Artikel 6 des Grundgesetzes zu sagen, "zuvörderst" die Eltern. Wie die Tragödie am GutenbergGymnasium gezeigt hat, wird diese Partnerschaft bisher unter Umständen formal durch das Volljährigkeitsrecht beeinträchtigt. Deshalb wird mit der vorliegenden Novelle die bereits in der Schulordnung vorgesehene Informationspflicht der Schule an die Eltern jetzt auch in das Schulgesetz aufgenommen. Darüber hinaus wird gesetzlich festgelegt, dass die Eltern auch volljähriger Schüler grundsätzlich über schwer wiegende Vorgänge an der Schule zu informieren sind. Wegen der grundgesetzlich garantierten informationellen Selbstbestimmung volljähriger Schüler kann diese Informationspflicht aber nur greifen, wenn der Schüler nicht im Einzelfall oder generell widersprochen hat. In diesem Fall schreibt der Gesetzentwurf die Information der Eltern über diesen Widerspruch vor. Diese letzte Möglichkeit garantiert ein Minimum an Rückkopplung. Sie kann nur die allerletzte Aufforderung zur im wahrsten Sinne des Wortes notwendigen Kommunikation zwischen Eltern und Kindern sein. Zu den Erziehungspartnern der Schule gehören aber infolge gesellschaftlicher Wandlungsprozesse zunehmend auch Träger der Jugendarbeit und andere externe Partner, um sinnvolle Ganztagsangebote der Schuljugendarbeit bereitstellen zu können.
Deshalb soll die Aufforderung zur verbindlichen Zusammenarbeit mit diesen Partnern, übrigens symmetrisch zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, neu in das Schulgesetz aufgenommen werden. Dabei wird die Schule nicht aus der Pflicht entlassen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch selbst außerunterrichtliche Angebote vorzuhalten. Gute Beispiele dazu gibt es im ganzen Lande und den hierbei engagierten Lehrerinnen und Lehrern ist dafür ganz besonders zu danken.
Aber ausreichende Angebote einer solchen Schuljugendarbeit sind nur unter Einbeziehung von Trägern der Jugendhilfe und anderer außerschulischer Partner zuverlässig zu realisieren. Gute Beispiele gibt es im Freistaat Thüringen auch dafür schon heute. Es ist unser Ziel, möglichst viele Schulen in die Lage zu versetzen, solche Partnerschaften einzugehen. An einer Kooperationsvereinbarung "SchuleJugendhilfe" wird gemeinsam mit dem Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit und den kommunalen Spitzenverbänden gearbeitet. Das Thüringer Kultusministerium wird sein Konzept der Schuljugendarbeit in diese Kooperation einbringen.
An dieser Stelle will ich noch einmal daran erinnern, dass in die wertorientierende Ergänzung des Schulgesetzes auch der bewusste, selbstbestimmte und kritische Umgang mit Medien aufgenommen wurde. Als mehr oder weniger bewussten Konsumenten von klassischen und modernen Medien sind den Schülerinnen und Schülern die komplexen Zusammenhänge der Meinungs- und Wertebildung über Medien rechtzeitig und altersgerecht zu vermitteln. Mit den Materialien zum Kurs "Medienkunde" stehen den Lehrerinnen und Lehrern bereits seit Beginn dieses Schuljahres entsprechende Anregungen zur Verfügung, die vorrangig in den normalen Unterricht integriert werden sollen.
Die im Gesetz neu vorgesehene Möglichkeit im Rahmen der Lernmittelfreiheit alternativ auch Lernsoftware anschaffen zu können, wird dieses Anliegen fördern. Folgerichtig wird durch die Novelle den Schülerinnen und Schülern, die sich als Redakteure von Schülerzeitungen betätigen wollen, auch der aktive, selbstbestimmte und kritische Umgang mit Medien ermöglicht. Die Herstellung solcher Zeitungen wird nunmehr dem allgemeinen Presserecht unterworfen. Das bedeutet für uns, die ältere Generation, gegenüber der Jugend mehr Vertrauen zu wagen und das bedeutet für die Jugend, mehr Verantwortung zu tragen. Dass das der richtige Weg ist, bestätigen meines Erachtens auch die Ergebnisse der neuesten Shell-Jugendstudie.
Neben diesen grundsätzlichen Ergänzungen zur Erziehung und Wertevermittlung sollen aber auch Erfahrungen und Hinweise zur Organisation von Schule und Qualitätsentwicklung von Unterricht in die Novelle des Schulgesetzes
eingehen. Grundlage dazu sind vor allem die positiven Ergebnisse entsprechender Schulversuche, aber auch Vorschläge aus Elternvertretungen, Wirtschaft und Gesellschaft.
So kann zukünftig nach Schulgesetz die Verweildauer in der Eingangsphase der Grundschule, die mit den Klassenstufen 1 und 2 eine inhaltliche Einheit bildet, im Regelfall natürlich zwei Jahre, je nach Entwicklungsstand des Schülers aber auch drei oder nur ein Jahr betragen. In diese flexible Eingangsphase gehen also die Erfahrungen der Diagnoseförderklassen ein. Aber auch das Überspringen einer Klassenstufe kommt als Möglichkeit individueller Förderung in Betracht. Einzelheiten zu Voraussetzungen, Organisation und Verweildauer sind in einer Rechtsverordnung zu regeln. In Verbindung mit einem flexiblen Einschulungsalter sollen Eltern damit ermutigt werden, auf Rückstellungen Sechsjähriger zu verzichten oder sogar gegebenenfalls Einschulungen vor Vollendung des sechsten Lebensjahres zu beantragen.