Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

Auf jahrelangen guten Erfahrungen beruht auch der Vorschlag zur Einführung des regulären Fremdsprachenunterrichts ab Klassenstufe 3. Dieser begegnungsorientierte Unterricht ist ein wesentlicher Baustein eines ganzheitlichen Fremdsprachenkonzepts für die Thüringer Schule einschließlich eines europäischen Portfolios für Fremdsprachen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Neuregelung im Schulgesetz erwähnen, dass zukünftig Kinder mit Aufenthaltserlaubnis nach Asylverfahrensgesetz, mit Aufenthaltsbefugnis oder -duldung nach Ausländergesetz der Schulpflicht unterliegen sollen. Obwohl bisher nach meiner Kenntnis jedem Elternwunsch nach Beschulung nachgekommen wurde, schafft diese Regelung Rechtssicherheit vor allem im Interesse der betroffenen Kinder.

Meine Damen und Herren, für die Regelschule hat sich hinsichtlich der Organisationsformen der Haupt- und Realschulzweige kein gesetzlicher Änderungsbedarf ergeben, was deren Weiterentwicklung im Sinne laufender Schulversuche nicht im Wege steht. Allerdings erfordern die reguläre Einführung der erfolgreich erprobten Praxisklassen in den Klassenstufen 7 und 8 sowie des freiwilligen 10. Schuljahres im Hauptschulzweig entsprechende Ergänzungen des Schulgesetzes, und diese wurden auch vorgenommen.

Praxisklassen haben sich als spezielle Integrationsmaßnahme bewährt, welche die Anzahl der Schulverweigerer spürbar senkt und ihre Wiedereingliederung in die Klasse 9 des Hauptschulzweiges fördert. Die freiwillige 10. Klasse ist ein zusätzliches Angebot zur individuellen Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit von Hauptschülern im gewohnten sozialen Umfeld der allgemein bildenden Schule. Sie ersetzt nicht die anderen berufsvorbereitenden Möglichkeiten, wie Berufsvorbereitungsjahr oder einjährige Berufsfachschule, an den berufsbildenden Schulen. Letztere - also die einjährige Berufsfachschule - wurde neu in das Schulgesetz aufgenommen und erhöht mit ihrem

wirtschaftsnahen Konzept die Chancen von Hauptschülern erheblich. Bessere Chancen für Realschüler an den berufsbildenden Schulen bieten die neuen doppelt qualifizierenden Bildungsgänge an beruflichen Gymnasien oder das verstärkte Angebot an Ausbildungsgängen mit Fachhochschulreife. Auch hier gilt der gute Thüringer Grundsatz: Kein Abschluss ohne Anschluss.

(Beifall bei der CDU)

So stehen Regelschülern nach dem Absolvieren der berufsbildenden Schule alle Berufslaufbahnen offen. Es ist eine zentrale Aufgabe der Schullaufbahnberatung dies auch gegenüber Eltern zu verdeutlichen, die aus falsch verstandenem Ehrgeiz ihre Kinder trotz anders gelagerter Begabungen auf das Gymnasium schicken wollen.

(Beifall bei der CDU)

Diese Beratung wird aber nur dann Erfolg haben können, wenn auch die Wirtschaft bei der Auswahl ihrer Auszubildenden die spezifischen Stärken der Regelschulbildung anerkennt und angemessen berücksichtigt.

(Beifall bei der SPD)

Mit mittelfristig zurückgehender Absolventenzahl wird dies ohnehin zwingend notwendig werden.

Meine Damen und Herren, die Wahl der Schullaufbahn darf aber auch nicht durch die Existenz vermeintlicher oder tatsächlicher Schleichwege zu einem qualifizierenden Abschluss beeinflusst werden. Der ebenso gute Thüringer Grundsatz - kein qualifizierender Abschluss ohne Prüfung - soll auch in Zukunft gelten.

(Beifall bei der CDU)

Für Gymnasiasten mit dem Wunsch nach einem mittleren Abschluss ab Klassenstufe 10 bedeutete dies bisher die externe Realschulprüfung. In Zukunft soll entsprechend vorliegender Schulgesetznovelle der mittlere Abschluss durch Versetzung in Klassenstufe 11 unter Einrechnung eines der Realschulprüfung vergleichbaren zentralen internen Leistungsnachweises in Klassenstufe 10 erreicht werden können. Die Entwicklung des entsprechenden Konzepts wurde im Thüringer Kultusministerium nicht erst mit und wegen dem 26. April begonnen und bewusst erst nach Vorliegen der Ergebnisse von PISA-E abgeschlossen. Wegen dieser Ergebnisse, aber auch unter Beachtung der jüngsten KMK-Beschlüsse zu bundesweiten Bildungsstandards scheint es geboten, alle Gymnasiasten der Klassenstufe 10 diesem Leistungsnachweis zu unterziehen.

Damit wird die Thüringer Eingangsstufe der gymnasialen Oberstufe im Sinne der Allgemeinbildung qualifiziert. Das hebt auch die Qualität der danach anschließenden spezialisierenden Kursstufe. Die gesetzlichen Vorschriften für die Kursstufe selbst wurden nicht geändert. Dies ist für

die beabsichtigte Weiterentwicklung der Thüringer Kursstufe im Sinne einer Profilierung der wählbaren Kurskombinationen, die mit der Studie der Universität Erfurt zum Kurswahlverhalten angestoßen wurde, auch nicht notwendig.

Meine Damen und Herren, die auch neu in das Schulgesetz aufgenommene Zuerkennung des Hauptschulabschlusses an alle von Klassenstufe 9 nach Klassenstufe 10 versetzten Schüler widerspricht nicht der dargestellten Konzeption zur Neuregelung von Abschlüssen. Sie berührt auch nicht den Wert des qualifizierenden Hauptschulabschlusses und entspricht überdies den Gegebenheiten der anderen Länder.

Meine Damen und Herren, eine die Schularten übergreifende Erfahrung ist die Notwendigkeit, die Stellung der Schulleiter zu stärken.

(Beifall bei der CDU)

Dies soll insbesondere durch Beteiligung des Schulleiters bei der Auswahl und Entscheidung vor Einstellung von pädagogischem Personal geschehen. Aber, meine Damen und Herren, wer eine vollständige Übertragung des Einstellungsverfahrens auf die staatlichen Schulen wünscht, verkennt den Aufwand und den Auftrag einer auf das ganze Land zu orientierenden Personalbewirtschaftung. Weiterhin soll die Fortbildungspflicht aller Lehrer, Erzieher und sonderpädagogischen Fachkräfte sowie eine entsprechende Aufsichtspflicht des Schulleiters im Schulgesetz verankert werden.

(Beifall bei der CDU)

PISA und zunehmend auch eigene Kompetenztests geben Aufschluss über die notwendigen Fortbildungsfelder. In diesem Sinne wurde bereits im Jahre 2001 das Unterstützungssystem zur Schulentwicklung mit den Fachberatern als zentralen Akteuren neu strukturiert und die schulbezogene Budgetierung von Fortbildungsmitteln durch das ThILLM eingeführt.

Schließlich haben noch zwei neue Regelungen zu den Gastschulverhältnissen und zu den Schulbezirken der Grundund Regelschulen Eingang in das novellierte Schulgesetz gefunden. Zum einen sollen Gastschulverhältnisse jetzt auch aus besonderen pädagogischen und sozialen Gründen gewährt werden können. Der Besuch einer anderen Schule kann zum Beispiel auch dann gestattet werden, wenn die Betreuung eines Kindes nach dem Unterricht besser zu gewährleisten ist oder wenn der Schulwechsel bei Umzug unzumutbar erscheint. Zudem sollen Schulträger mehrere Schulbezirke von Grund- oder Regelschulen jeweils zusammenfassen können.

Obgleich mir die unterschiedlichen Interessen von Landkreisen und kreisfreien Städten dabei sehr wohl bewusst sind, kann ich mir im Lichte der zurückgehenden Schülerzahlen auf dieser Basis doch günstige Schulnetzkonzepte

vorstellen. So könnten z.B. Regelschulen trotz einer zeitweisen Unterbelegung den Schülern des gemeinsamen Schulbezirkes das volle Spektrum der Wahlpflichtfächer anbieten. Im Übrigen entspricht diese Schulwahlmöglichkeit zumindest für den Realschulzweig dem Standard anderer Länder.

Ich würde es begrüßen, wenn sich die Schulträger dieser Option bedienen würden, da in vielen Fällen ein gemeinsames Interesse vorliegen dürfte. Eventuell auftretende Probleme zu den Kosten der Schülerbeförderung werden im Sinne des Schulträgers durch das novellierte Schulfinanzierungsgesetz gelöst.

Meine Damen und Herren, damit sind die wesentlichen Änderungen des Schulgesetzes beschrieben. Ich hoffe, dass ich Ihnen das politische Gesamtbild der vielen über den Gesetzestext verstreuten Änderungen vermitteln konnte. Dieses Gesamtbild gilt grundsätzlich auch für das Förderschulgesetz, das seinerseits um die allgemein gültigen Bestimmungen bereinigt werden konnte, die es wegen seiner Inkraftsetzung im Jahre 1992 noch vor dem Schulgesetz enthalten musste. Jetzt konzentriert sich das Förderschulgesetz auf die spezifischen Abweichungen bzw. Ergänzungen dieses Bereichs. Wesentlich ist, dass dieses Gesetz nun ausdrücklich sowohl für Förderschulen als auch für den Förderunterricht an allgemein bildenden Schulen gilt.

(Beifall bei der CDU)

Förderschulen werden durch die Novellierung zu sonderpädagogischen Zentren für Unterricht, Förderung und Beratung in enger Zusammenarbeit mit den anderen Schulen der Region weiterentwickelt. Diese Kooperation wird dadurch verstärkt, dass als vorrangige Aufgabe des mobilen sonderpädagogischen Dienstes festgelegt wird, durch Beratung und Förderung ein weiteres Verbleiben der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf am angestammten Lernort zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU)

Auch die präzisierten Regelungen zur Sicherstellung der Ausstattung für notwendige medizinisch-therapeutische und pflegerische Leistungen an der jeweiligen Schule dienen diesem Ziel. Förderschulen erhalten darüber hinaus durch die Novelle eine neue Ausprägung als entwicklungsfähige regionale oder überregionale Förderzentren, die programmatisch bis in die Bezeichnung hinein ihren Schwerpunkt von den Defiziten hin zu den jeweiligen Förderschwerpunkten verlagern. Unter Wahrung aller Rechte der Eltern wird das Verfahren zur Aufnahme in eine Förderschule wesentlich vereinfacht, nur bei Widerspruch der Eltern soll zukünftig eine Aufnahmekommission bemüht werden. Einige neue Detailregelungen, z.B. zur Schulpflicht, zu Bildungsgängen, zu Gruppen für Kinder mit besonderen Lernschwierigkeiten oder zu Abschlüssen an Förderzentren schließen die Novelle zum Förderschulgesetz ab.

Im Schulfinanzierungsgesetz werden im Interesse der Eltern einige bisher komplizierte Finanzierungsverfahren einfacher geregelt. So übernimmt das Land durch das für Soziales zuständige Ministerium sowohl die Finanzierung für eine notwendige Heimunterbringung als auch eine pauschale Finanzhilfe für die notwendige pflegerische Betreuung von Förderschülern an Schulen.

(Beifall bei der CDU)

Neu ist die Umstellung der Beförderungs- und Erstattungspflicht bei der Schülerbeförderung auf die für den Wohnsitz des Schülers zuständige Gebietskörperschaft. Das gilt für alle Schulen, außer für überregionale Förderschulen, sowie Spezialschulen und -klassen, deren Träger ohnehin vom Land refinanziert werden. Weiterhin erfolgen einige Klarstellungen zur Beförderungs- und Erstattungspflicht, die manchen offenen Streit in den Kommunen lösen werden. Das gilt sicher ebenso für die nun einvernehmlich mit den kommunalen Spitzenverbänden pauschalierten Gastschülerbeiträge und hoffentlich für die Öffnung des Verfahrens bei der Übertragung von Schulgrundstücken.

Die genannte Regelung zum Pflegebudget wird sinngemäß in das Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft übertragen. Schließlich wird hier die sehr spezielle Regelung zur Finanzhilfe zu den Kosten des Schulaufwands aus dem Gesetz herausgelöst und - wie in solchen Fällen üblich - durch eine Verordnungsermächtigung ersetzt. Weitere Änderungen des Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft sind von uns nicht vorgeschlagen worden, da sich die spezifischen Bestimmungen für diesen Bereich bewährt haben.

Damit habe ich Ihnen das politische Bild der vorliegenden Novelle komplettiert. Sie ist Ergebnis und Ausgangspunkt einer intensiven bildungspolitischen Debatte. Zugleich waren neben der formalen Anhörung hunderte Briefe und Gespräche auszuwerten. Nicht alle Wünsche konnten berücksichtigt werden, sie waren auch nicht immer widerspruchsfrei. Insbesondere Lehrerinnen und Lehrer aus allen Schularten wurden von uns direkt in die Vorbereitung des Gesetzentwurfs einbezogen. Die Medien haben schnell und teilweise sehr prononciert berichtet. Schnell und ausführlich konnte und kann sich jedermann aber auch über die Homepage des Thüringer Kultusministeriums informieren. Wir werden auch weiterhin Transparenz und Dialog zur Richtschnur unseres Handelns machen.

Die von staatlichen Schulämtern angebotenen Regionalkonferenzen sind Dienstleistungen in diesem Sinne.

(Beifall bei der CDU)

Dort kann nicht nur über den vorliegenden Gesetzentwurf, dessen parlamentarische Debatte ja gerade beginnt, diskutiert werden, auch die noch ausstehenden Präzisierungen der Schulordnung stehen zur Diskussion oder Themen von der Stundentafel über Arbeitszeitmodelle bis zur Verantwortung der Kultusministerkonferenz. Wir werden jeden

falls sehr genau hinhören.

Manche Fragen in der aktuellen Debatte gehen aber - wie die frühkindliche Bildung oder die Lehrerausbildung - auch über den Zuständigkeitsbereich des Thüringer Kultusministeriums hinaus, das ist natürlich legitim. Dafür ist durch dieses hohe Haus auch schon eine Gesprächsplattform geschaffen worden, die Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen".

(Beifall bei der CDU)

Schließlich, meine Damen und Herren, fördert eine solche Diskussion auch die Erkenntnis, dass viele Probleme ganz ohne Gesetze und Verordnungen zu lösen sind, nämlich durch Besinnung auf die eigene Verantwortung und die eigene Kraft, auf Kooperation und gegenseitiges Verständnis. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Minister für die Begründung des Gesetzentwurfs, die aber zugleich wohl schon ein Beitrag auch zur Aussprache war. Habe ich das so richtig verstanden? Gut, ich sage das nur noch einmal, damit es keine Irritationen gibt, weil wir normalerweise Begründung und grundlegende Reden trennen. Aber bei der Landesregierung sind wir da regelmäßig auch großzügiger, dass sie Begründung und Rede zusammenzieht. Nichtsdestotrotz, wenn 25 Minuten überschritten sind, was die Landesregierung natürlich darf, schlägt das dann bei den Fraktionen zu Buche mit in diesem Fall jeweils sechs Minuten, also dann mehr Redezeit auf die normale Redezeit. Gut, damit komme ich jetzt zur Aussprache und ich gebe das Wort an Frau Abgeordnete Stangner, PDS-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, uns liegt der Entwurf eines Artikelgesetzes vor, der die Rechtsgrundlagen für die Thüringer Schulen in ihrer Gesamtheit und deren Finanzierung betrifft. In Ihrem historischen Abriss, Herr Minister, zu Beginn Ihrer Rede haben Sie darauf hingewiesen, dass es Absicht der Landesregierung war, keine Änderungen auf Kosten von Schülern vorzunehmen. Das sehen wir auch so, aber wir sehen auch, wenn notwendige, wirklich notwendige Änderungen nicht vorgenommen werden, geht das auch auf Kosten von Schülern.

(Beifall bei der PDS; Abg. Döring, SPD)

Als Anlass für die Novellierung oder - vielleicht sollte ich besser sagen - als Anlässe für diese werden unter Punkt A des Entwurfs des Artikelgesetzes "Problem und Regelungsbedürfnis" und in Pressemitteilungen benannt: gewonnene Erfahrungen in den vergangenen Jahren, die Ergebnis

se der Schulleistungsstudie PISA und auch die furchtbaren Ereignisse am Gutenberg-Gymnasium. Diese Anlässe haben sich ja auch durch die Rede des Ministers hindurchgezogen. Angekündigt war die Novellierung bereits für das Frühjahr 2002. Der sich seit etwa November 2001 in der Diskussion befindliche Referentenentwurf - darauf bezogen sich zum großen Teil auch die Anhörungen, von denen Sie, Herr Minister Krapp, gesprochen haben - beanspruchte für sich bereits, gesellschaftlichen Veränderungen und Erfahrungen Rechnung tragen zu wollen. Hinter diesem Anspruch blieb er aber noch weiter zurück als der jetzige Entwurf, weil er auf die tatsächlichen Probleme und Kritiken, z.B. die vielen Schülerinnen und Schüler, die seit Jahren die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, und zwar in allen Schularten, oder die Kritiken von Eltern an nicht ausreichender individueller Förderung in der Schule oder die Kritiken der Wirtschaft an den Schulleistungen, allenfalls punktuell, aber keinesfalls ausreichend reagierte,

(Beifall bei der PDS; Abg. Schemmel, SPD)

ganz zu schweigen von einer Reaktion auf die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA. Da der heute vorliegende Gesetzentwurf und der Referentenentwurf in großen Teilen übereinstimmen, erhebt sich schon die Frage nach den Gründen dieser Verfahrensweise.