Protokoll der Sitzung vom 13.09.2002

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

Auch wir stehen in der Familienpolitik vor großen Herausforderungen und es gibt eine ganze Menge dabei zu tun. Nicht alles kann die Politik lösen, insbesondere bei der Bevölkerungsentwicklung, aber auch bei der Entwicklung zu immer mehr Einelternfamilien oder allein Erziehenden können wir nur schwerlich gegensteuern. Die Probleme, die sich aber aus diesen Entwicklungen ergeben, müssen wir sehr ernst nehmen. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage geht an zahlreichen Punkten genau darauf ein.

Wenn wir die grundlegenden Daten betrachten, werden viele bundesweite Trends der letzten Jahre bestätigt, aber auch Unterschiede in Thüringen deutlich, deshalb eingangs einige Zahlen dazu. Die deutliche Zunahme von allein Erziehenden - das wurde bereits mehrfach gesagt - ist ein Beispiel hierfür. In ganz Deutschland ist eine Zunahme auf nunmehr 22 Prozent zu beobachten; in Thüringen sind es sogar 29 Prozent, wobei allerdings in beiden Statistiken auch Lebensgemeinschaften als allein Erziehende gezählt werden. Die Geburtenrate steigt in Thüringen erfreulicherweise seit 1994 wieder an, aber sie hat immer noch nicht das Niveau von 1990 erreicht. Mit 47 Prozent werden mehr als doppelt so viele Kinder in Thüringen außerehelich geboren als im Bundesdurchschnitt.

Das Thüringer Landeserziehungsgeld - im Jahr 2001 waren es immerhin insgesamt 39 Mio. DM - ist für die Familien eine wichtige Ergänzung im Anschluss an das Bundeserziehungsgeld.

(Beifall bei der CDU)

85 Prozent der Leistungsempfänger erhalten den Höchstsatz von 300          >+ und Berlin ihr Landeserziehungsgeld wieder abgeschafft haben. Neben Thüringen gibt es ein ähnliches Modell nur in den unionsgeführten Ländern Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen. Angesichts der schwierigen finanziellen Situation, in der wir uns auch in Thüringen befinden, ist die Zusage zur Fortführung des Landeserziehungs

gelds ein ganz wichtiges familienpolitisches Signal.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe bereits auf die steigende Zahl der allein Erziehenden verwiesen. Sorge muss uns dabei bereiten, dass bei ihnen ein stetiger Anstieg in der Sozialhilfestatistik zu erkennen ist. 7.584 allein Erziehende erhielten 2001 Hilfen zum Lebensunterhalt. Dies ist fast ein Drittel aller Haushalte mit Hilfen zum Lebensunterhalt in Thüringen. Die Reduzierung bzw. Streichung des Haushaltsfreibetrags durch die Bundesregierung hat die Situation der allein Erziehenden weiter verschlechtert. Der Verband der allein erziehenden Mütter und Väter beklagt sich zu Recht und auch wir haben uns hier bereits mehrfach damit auseinander gesetzt.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Antworten auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion gewinnen an zusätzlicher Aktualität, wenn man sie vor dem Hintergrund der soeben in der Öffentlichkeit vorgestellten 14. Shell-Jugendstudie betrachtet. Die Shell-Studie stellt fest, dass bei Jugendlichen, selbst denen, die an Politik mitwirken wollen, eine Faszination an der großen Politik nicht erkennbar ist. Das Phänomen der Parteienverdrossenheit, wie es bereits anderenorts in diversen Studien festgestellt wurde, auch dies ist zusätzlich noch einmal bestätigt worden. Allerdings, und damit sind wir bei unserem heutigen Thema, bedeutet das nicht, dass Jugendliche keine Werte anerkennen würden oder sich gesellschaftlich nicht engagieren wollten. Gefragt nach den wichtigsten gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben, nennen Jugendliche die Bereiche Arbeitsmarkt und Bildung, aber vor allem auch Kinder und Familie. Speziell Familie steht bei den Jugendlichen in hohem Ansehen. Dies wird verdeutlicht durch folgende fünf Punkte:

1. Die 14. Shell-Studie stellt fest, ich zitiere: "Dass unabhängig vom Geschlecht, regionaler Herkunft oder Schulform das Verhältnis zu den Eltern bei neun von zehn Jugendlichen recht gut ist und sich mit zunehmendem Alter der Nachkommen noch verbessert."

2. 70 Prozent der Jugendlichen glauben, dass man eine Familie zum Glücklichsein braucht.

3. Das Heiraten machen die Jugendlichen abhängig von den jeweiligen Umständen, schließen es aber ihrer ganz überwältigenden Mehrheit nicht aus.

4. 67 Prozent der Jugendlichen im Alter von 16 bis 25 Jahren geben an, später eigene Kinder haben zu wollen. 28 Prozent wissen es noch nicht. Nur ganze 5 Prozent verneinen, einen Wunsch nach eigenen Kindern zu haben. Weibliche Jugendliche und Jugendliche aus den neuen Bundesländern bejahen häufiger die Frage nach dem Kinderwunsch, als dies männliche Jugendliche bzw. solche aus den alten Bundesländern tun.

5. 71 Prozent der Jugendlichen wollten ihre Kinder genauso oder ungefähr so erziehen, wie es die eigenen Eltern getan haben.

Die 14. Shell-Jugendstudie stellt mit Blick auf ihre Vorläufer fest: "Damit wird deutlich, dass in der Beziehung zwischen den Eltern und der heute nachwachsenden Generation mehrheitlich wenig Konfliktpotenzial auszumachen ist." Die Shell-Jugendstudie hebt den Pragmatismus der Jugendlichen hervor, aber auch die Hochschätzung traditioneller Werte. Karriere machen, ist beispielsweise ein Lebensziel für 82 Prozent der Jugendlichen, dahinter kommt jedoch mit Treue bei 78 Prozent der Jugendlichen ein Punkt ganz oben in der Skala, den Jugendliche heute als "in" bezeichnen. Wieder wird auch von dieser Untersuchung festgestellt, dass Kinderwunsch und Kinder haben zwei ganz verschiedene Dinge sind und sich nicht entsprechen. Wir müssen uns also fragen, warum ausgerechnet eine sowohl pragmatische als auch an familiären Werten orientierte Generation so politikfern ist. Die Erklärung kann eigentlich nur lauten, dass "Familie" heute viel zu wenig handfest thematisiert wird. Offenbar erwarten gerade junge Menschen in Deutschland und auch hier in Thüringen, dass Politik ihre konkreten Lebensvorstellungen zur Kenntnis nimmt und dazu gehört, wie ich es gesagt habe, auf der Werteskala hoch oben die Familie. Die Beantwortung der Großen Anfrage zeigt deutlich die Probleme, die Familien heute in Thüringen haben. Sie liegen weniger im Betreuungsbereich. Mit dem vorbildlichen Thüringer Modell der Kinderbetreuung gehören wir zu den Vorreitern in Deutschland. Vielmehr zeigen vor allem die Daten zur sozialen Situation von allein Erziehenden und zeigt auch der Vergleich von Familien zu Kinderlosen, dass der Familienleistungsausgleich ganz oben auf der politischen Tagesordnung stehen muss. Nur dann, wenn wir die tatsächlichen Themen junger Menschen in unserem Land, vor allem die Familie, auch wirklich politisch energisch wahrnehmen, können wir Politikverdrossenheit und Politikferne überwinden. Es muss Schluss sein mit der Situation, dass junge Menschen offenbar annehmen, ihre Lebenswirklichkeit sei meilenweit entfernt von dem, was Politiker diskutieren. Dies ist ein Appell an alle politischen Kräfte, aber kein Appell für billigen Populismus. Wir müssen aufhören, falsche Alternativen zu entwickeln. Die Antworten auf die Große Anfrage zeigen es ganz deutlich, junge Familien brauchen sowohl Betreuungsmöglichkeiten als auch ein besseres Transfereinkommen.

(Beifall bei der CDU)

Die 14. Shell-Jugendstudie kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund der stärker sozial geprägten Umgangsweise von Familien beide Geschlechter unterschiedliche Konfliktbewältigungsstrategien haben. Die Familie ist, wie insbesondere die Ergebnisse der Studie zu den Erziehungsstilen zeigen, sozusagen das Trainingscamp für soziales Verhalten. Dies ist ein ganz klarer Appell, endlich den Wert von Familienbindung für die Zukunft unserer Gesellschaft

höher zu schätzen. Es ist im Übrigen, ich habe es gesagt, eine falsche Diskussion, die Ehe gegen die Familie ausspielen zu wollen.

(Beifall bei der CDU)

Den Zustand der Gesellschaft, in der es vorgeschriebene Lebensläufe gab, haben wir glücklicherweise längst hinter uns gelassen.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt gilt es, den klaren Erwartungen junger Menschen an die Qualität menschlicher Beziehungen auch durch eine Ermutigung und Unterstützung partnerschaftlicher Beziehungen in der Ehe und familiärer Bindungen zu entsprechen. Familienbildung, als Bildung auf Familie hin, spielt gerade für junge Menschen eine erhebliche Rolle. Wir sollten überlegen, ob wir wirklich im Schulunterricht genügend dafür tun, dass der Zusammenhang zwischen verantwortlich gelebter Sexualität, Partnerschaft, Ehe und Familie ausreichend dargestellt wird und den Jugendlichen der notwendige Optimismus vermittelt wird, der nun einmal zweifellos notwendig ist, wenn sie Verantwortung für sich und andere übernehmen wollen. Dass sie es wollen, steht nach der 14. Shell-Jugendstudie außer Frage. Neben dem Familienleistungsausgleich müssen wir auf Landesebene überlegen, inwieweit wir Familienbildung in all ihren Aspekten noch stärker als kontinuierliche Leistung des Landes verankern können.

Sehr geehrte Damen und Herren, 1 Mio. Kinder sind in Deutschland auf Sozialhilfe angewiesen. Der 11. Kinderund Jugendbericht der Bundesregierung bestätigt, dass besonders Familien mit Kindern von Armut betroffen sind. "Arm dran in einer reichen Gesellschaft" ist dieses Kapitel in diesem Bericht überschrieben. Zu lesen ist darin, ich zitiere: "Kinder sichern nicht die Existenz, sie gefährden sie. Mit steigender Kinderzahl nehmen auch die Armutsquoten der entsprechenden Familien zu." Von Armut betroffen sind vor allem Einelternhaushalte mit Armutsraten von ca. 42 Prozent in den westlichen und 36 Prozent in den östlichen Bundesländern sowie Familien mit drei und mehr Kindern.

Sehr geehrte Damen und Herren, von Gerhard Schröder stammt aus seiner Zeit als Mitglied des Deutschen Bundestages, bevor er Ministerpräsident von Niedersachsen war, das Zitat, ich zitiere: "Topfblumen und Kinder gehören in keinen anständigen Haushalt."

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Pfui.)

Ob das Heim der Familie Schröder mit Strohblumen und Plastikpflanzen wohnlicher wirkt, sei des Kanzlers Geschmack überlassen. In jedem Fall braucht aber dieser Pflanzenersatz keine Pflege und Zuwendung. Kinder brauchen hingegen sehr viel Liebe, Zuwendung und Pflege, und dies in jedem anständigen Haushalt.

(Beifall bei der CDU)

Das peinliche Zitat von Schröder scheint aber nicht nur einer seiner zahlreichen sprachlichen Ausrutscher zu sein. Genau in diesem Kontext stellt sich die Familienpolitik von Rotgrün seit 1998 dar. Seit der Regierungsübernahme von Rotgrün mussten Familien per Saldo und pro Kopf gegenüber Kinderlosen erhebliche finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Sie kennen die Gründe hierfür, auch hier im Thüringer Landtag haben wir mehrfach darüber gesprochen. Die negativen Effekte der Steuerreform, die Ökosteuer zur Rentenfinanzierung und die verunglückte Rentenreform belegen dies ganz klar. Bei denen von rotgrünen Politikern immer wieder ins Feld geführten einzelnen Leistungen für Familien wird stets verschwiegen, dass dabei nur Mindestvorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. Nach dem aktuellen Rückzug von Clement und Schröder zum Thema "Kindergelderhöhung" am letzten Wochenende hat sich für mich erneut bestätigt, Familien mit Kindern bleiben bei Schröder die Verlierer. Dass die bisher vorgesehene Kindergelderhöhung nun für die Finanzierung von Ganztagsbetreuungsangeboten herhalten soll, belegt, wie wenig durchdacht die Familienpolitik dieser Bundesregierung ist. Die letzten Kindergelderhöhungen auf nun 154 ren gemessen am Bedarf völlig unzulänglich, denn der größte Teil der Erhöhung wurde den Familien durch Ökosteuer und gestiegene Sozialabgaben wieder aus der Tasche gezogen. Zu Gunsten des Ausbaus von Ganztagsbetreuungsangeboten soll nun nach Meinung der SPD auf notwendige weitere Erhöhungen des Kindergeldes verzichtet werden. Die Situation von Thüringer Familien wird sich damit nicht verbessern, denn ein Programm zum Ausbau von Betreuungsangeboten ist ein Programm für die alten Bundesländer. Es ist hinlänglich bekannt, dass gerade die SPDregierten Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein bundesweit Schlusslichter bei der Kinderbetreuung sind.

(Beifall bei der CDU)

Das Thüringer Modell der Kinderbetreuung mit dem Landeserziehungsgeld, dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab zweieinhalb Jahren und dem Angebot der Hortbetreuung bis zum 4. Schuljahr beinhaltet demgegenüber Leistungen für Familien, von denen viele Bundesländer weit entfernt sind. Frau Wolf, Sie haben vorhin von einem halbwegs zufrieden stellenden Betreuungsangebot gesprochen. Ich empfehle Ihnen dringend, informieren Sie sich einmal bei Ihren Kollegen in MecklenburgVorpommern, wie es dort unter Verantwortung der PDS mit der Kinderbetreuung aussieht. Ich verkenne dabei nicht, dass im Alter unterhalb des Rechtsanspruchs von zweieinhalb Jahren in Thüringen eine steigende Nachfrage besteht. Im Interesse der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden wir dies auch bei zukünftigen Planungen berücksichtigen müssen. In Thüringen, das ist bereits gesagt worden, besuchen gegenwärtig weit über 90 Prozent aller Kinder mit Rechtsanspruch eine Kindertagesstätte. In den alten Bundesländern liegt diese Zahl durchschnittlich unter

60 Prozent, oftmals sogar nur mit Halbtagsbetreuung. Dort, nicht hier, besteht ein akuter Handlungsbedarf, dieser aber doch wohl nicht zulasten von Kindergelderhöhungen. Den vorhin bereits erwähnten erschreckend hohen Quoten von Familien, die von Armut betroffen sind, kann nur mit einer neuen Familienpolitik begegnet werden. Wir wollen dazu, das ist bekannt, ein einheitliches Familiengeld. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD, Frau Schmidt, meinte vor Monaten, Familien in Deutschland brauchen kein Familiengeld, sondern Kita- und Ganztagsplätze. Das ist nicht ganz richtig. Familien brauchen nämlich beides. Vernünftige Betreuungsangebote und das Familiengeld.

(Beifall bei der CDU)

Dieses Modell in den nächsten Jahren umzusetzen, ist ein gewaltiger Kraftakt. Aber wir bieten damit ein Modell, welches allen Familien mit Kindern wirklich helfen kann. Gute Betreuungsangebote haben wir bereits in Thüringen und das Familiengeld werden wir hoffentlich in ganz Deutschland bekommen.

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

Zusammengefasst noch einmal die drei Punkte unserer familienpolitischen Zielstellung: Wir wollen erstens die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, zweitens mit dem Familiengeld finanzielle Gerechtigkeit für Eltern und Kinder und drittens die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stärken. Am 22. September, am nächsten Sonntag, wird der Wahlkampf beendet sein. Die Familienpolitik hier in Thüringen muss aber erst recht fortgesetzt werden. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Dittes, bitte schön.

Herr Panse, dank Ihres freundlichen Hinweises vorhin saß ich jetzt die ganze Zeit. Inzwischen habe ich mehrere Fragen. Erstens:

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Die Frage bitte.)

Der Reihe nach. Eine erst einmal.

Sind Sie der Meinung, dass die meisten hier im Saal befindlichen Menschen schon wissen, was sie am 22. September wählen?

Ich gehe davon aus, dass alle hier im Saal das wissen.

Dann habe ich Ihren Aufruf gerade nicht verstanden.

Vielleicht haben Sie auch nicht verstanden, welche Rolle wir hier als Parlament haben. Wir reden nicht, damit wir uns hier gegenseitig unterhalten können, sondern wir reden, damit es in diesem Land auch wahrgenommen wird.

Das ist richtig.

Herr Panse, worin liegt Ihres Erachtens die Motivation für ein Werbeplakat der Lottogesellschaft mit einer Familie mit drei Kindern, wo darüber steht: "Jetzt bräuchte ich einen Lottogewinn!"?

Wie wäre es, wenn Sie die Lottogesellschaft danach fragen? Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten, denn sie hat das Plakat sicherlich in Auftrag gegeben.

(Beifall bei der CDU)