Protokoll der Sitzung vom 21.11.2002

zu demokratisch denkenden, kritischen Menschen.

(Beifall bei der PDS)

Für die individuelle Förderung der Schülerschaft fehlen sowohl ausreichende materielle wie personelle Voraussetzungen; Unterrichtsausfälle in skandalöser Größenordnung, besonders an Förderschulen und an den staatlichen Berufsschulen, sind nicht mehr entschuldbar.

(Beifall bei der PDS)

So weit unsere Diagnose als Fazit der Zurkenntnisnahme unzähliger Zuschriften. Der vorliegende Gesetzentwurf sei das Ergebnis der landesweiten Diskussion, gipfelnd in klug inszenierten Regionalkonferenzen.

Ich möchte mit dem Positiven beginnen: Wirklich hervorzuheben sind z.B. die Öffnung und Variabilität der Schuleingangsphase, früherer Beginn der Fremdsprachenaneignung, die Möglichkeit einer Erweiterung der außerunterrichtlichen Arbeit, die Abschlussregelungen für Regelschüler und Gymnasiasten, die Möglichkeit der Information von Eltern auch volljähriger Schüler oder auch die Verkürzung des Förderschulgesetzes zugunsten weitgehender gemeinsamer Regelungen.

(Beifall bei der PDS)

Damit wurden aufgrund des großen öffentlichen Drucks Forderungen aufgegriffen, die vehement von Schülern, Eltern und Lehrern vertreten wurden. Nun gestatten Sie mir an dieser Stelle zu erwähnen, dass die PDS-Fraktion schon seit Verabschiedung des Ersten Schulgesetzes Anfang der 90er-Jahre die Abschlussregelungen kritisiert und mehrfach Änderungen eingebracht hatte oder immer wieder ein gemeinsames Schulgesetz für alle Heranwachsenden forderte und fordert.

(Beifall bei der PDS)

Unseres Erachtens ist es nicht zu vertreten, dass Menschen mit Behinderungen allein schon durch das Vorhandensein einer getrennten Gesetzgebung diskriminiert werden. Die Absicht der Landesregierung, Schuljugendarbeit verbindlich in das Schulgesetz aufzunehmen, ist sicher zu begrüßen. Allein die ausreichende Umsetzung wird an der Finanzmisere der Schulträger scheitern. Die Alternative aus unserer Sicht ist in unserem Änderungsantrag im 3. Punkt zu § 11 zu sehen. Nicht umsonst ist in Thüringen die Schullandschaft vielfältig. Ganztagsangebote, eingebettet in ein pädagogisches Konzept, erhalten beispielsweise gerade bei freien Schulen bzw. den Gesamtschulen nach wie vor deutliche Zustimmung, so dass sogar Interessenten nicht aufgenommen werden können. Eine andere Atmosphäre und das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Lehrenden, Lernenden und Eltern ist unseres Erachtens der Schlüssel zum Erfolg. Pädagogen in diesen Schulen finden auch deutlich größere Akzeptanz, eine Motivation, die sich auf alle Bildungsbeteiligten positiv auswirkt und zu erkennbar weniger sozialer Benachteiligung führt. Diese Vielfalt ist zu erhalten und auszubauen und nicht durch finanzielle Benachteiligung Entwicklung zu verhindern.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ein ganz trauriges Kapitel ist die Streichung der Schulpflicht für ausländische Kinder durch Ihre, die CDU-Fraktion.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Sie haben es nicht begriffen.)

Gegen das Votum des Flüchtlingsrats und beider Kirchen haben Sie Ihren Minister rechts überholt. Tatsächliche Integration wollen Sie nicht. Kaschieren Sie dies doch nicht mit der Ausrede der polizeilichen Zuführungspflicht. Wenigstens Ihre Frauenrechtlerrinnen sollte es doch auf den Plan rufen, da oft weibliche Heranwachsende in den Augen ihrer Eltern Schulbildung nicht benötigen würden.

(Beifall bei der PDS)

Darüber hinaus beinhaltet die derzeitige Regelung vielfältige Benachteiligungen. Oftmals werden mangels ausreichender Sprachkenntnisse die Kinder nicht altersgerecht eingestuft, erhalten keine spezifische Sprachförderung und oftmals wird der Besuch weiterführender Schulen trotz hervorragender Leistungen verweigert. Eine Schulpflicht würde Gleichbehandlung und den Abbau von Diskriminierung bedeuten.

(Beifall bei der PDS)

Die ursprünglich durch das Ministerium vorgeschlagene Regelung wäre wirklich Hilfe zur Selbsthilfe gewesen, ein Beitrag zu Völkerverständigung und Erziehung von Toleranz fremder Kulturen. Ich erinnere an die Worte der beiden Bischöfe, von Herrn Wanke am Dienstag und von Herrn Kähler beim gestrigen Bußtagsgespräch. Er ermahnte eindringlich - ich zitiere sinngemäß: Lasst uns dieses Fenster öffnen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Ich habe mit Bischof Kähler geredet, er sieht das jetzt etwas anders.)

(Beifall bei der PDS)

Wir bringen diesen Vorschlag wieder in das hohe Haus ein und fordern Sie nachdrücklich auf zuzustimmen, meine Damen und Herren Abgeordneten von der CDU.

(Beifall bei der PDS)

Nehmen Sie die skandalöse Streichung der Schulpflicht für die Asylbewerberkinder aus dem Gesetzentwurf zurück. Die PDS-Fraktion beantragt namentliche Abstimmung zu Punkt 4 unseres Änderungsantrags.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Das unterstütze ich ausdrücklich.)

Die PDS-Fraktion hat Änderungsanträge in die Ausschussberatungen eingebracht. Diese zielten in folgende Richtungen: mehr Chancengleichheit, mehr Demokratie, mehr Qualität, mehr Integration und Abbau von Bildungsbenachteiligungen. Alle Anträge wurden im federführenden Ausschuss für Bildung und Medien abgelehnt, manche sogar diskussionslos. Eine tatsächliche Beratung im eigentlichen

Wortsinne habe ich in diesem hohen Hause noch nie erlebt (Beifall bei der PDS)

eine Arroganz der Macht, welche mich sehr an frühere Zeiten erinnert.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Frau Sojka, Sie wussten manchmal nicht, was Ihre eige- nen Anträge sind.)

(Heiterkeit bei der CDU)

Das können Sie aber...

Es können sich alle Fraktionsvertreter noch mit ihrer Meinung zu Wort melden. Wir sind jetzt erst bei der Ersten.

Der vorliegende Gesetzentwurf jedenfalls entspricht unseres Erachtens den genannten Grundsätzen in keinster Weise. Er setzt weiter auf frühe Auslese, Diskriminierung und Leistungsdruck und weitet die sozialen Benachteiligungen aus. Vom Geist des neuen Jahrhunderts ist jedenfalls nichts zu spüren. Gehören die Thüringer Schulen denn nicht zu der selbst ernannten "Denkfabrik"? Der Weg in die Wissensgesellschaft stellt in vielerlei Hinsicht grundsätzlich neue Anforderungen an den Erwerb und die Anwendung von Wissen, andere als die bisherige Industriegesellschaft. Wissenschaft, Technik und Information führen zu dynamischen Veränderungen in der Arbeitswelt. Diese qualitativen Veränderungen müssen sich im Bildungsprozess widerspiegeln. Wir vertreten die Auffassung, Bildung eben nicht nur unter dem Blick der Verwertung von Bildungsergebnissen auf dem Arbeitsmarkt zu betrachten. Ich zitiere Bischof Wanke: "Kinder sind mehr als künftige Ingenieure."

(Unruhe bei der CDU)

Das ist die einzige Chance, Sie zu überzeugen, aber wahrscheinlich auch nicht.

(Unruhe bei der CDU)

Wir sollten Bildung und Lernen als Teil menschlicher Kultur begreifen. Darum sehen wir den Erwerb von Wissen nicht als Ware, sondern als Menschenrecht und öffentliches Gut. Wir meinen, dass der chancengleiche, barrierefreie und gerechte Zugang zu lebensbegleitender Bildung zu einer der wichtigsten sozialen und Menschenrechtsfragen im 21. Jahrhundert wird.

(Beifall bei der PDS)

Stichwort "gemeinsamer Auftrag für die Thüringer Schulen", § 2: In diesem ist die Befähigung der Schülerinnen und Schüler zum selbstorientierten Lernen als Grundlage für lebensbegleitendes Lernen zu verankern, um sicherzustellen, dass die Entfaltung der Persönlichkeit und die Selbständigkeit ihrer Entscheidungen und Handlungen so gefördert wird, dass die Schüler in der Lage sind, aktiv und verantwortungsvoll am sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben der Gesellschaft und des demokratischen Gemeinwesens teilzunehmen. Der Kompetenzbegriff, der in den Thüringer Lehrplänen verankert ist, gehört dort hinein. Die Notwendigkeit polytechnischer Bildung wird längst auch von den Wirtschaftsverbänden anerkannt und eingefordert.

(Beifall bei der PDS)

Die Wahl der Schulart, der Schulform und des Bildungsganges sollten nicht länger vom sonderpädagogischen Förderbedarf des Kindes abhängig gemacht werden. Grundsätzlich sollten Integration und frühe Förderung vor Aussortierung stehen. Die Eltern müssen das Wahlrecht haben. Wir sind überzeugt davon, dass das sowohl für die bisher aussortierten Kinder als auch für die "normalen" nicht behinderten Kinder einen positiven Einfluss auf die Entwicklung sozialer Kompetenz hat und Toleranz gegenüber dem Anderssein fördert. Gleichzeitig kommt das Zusatzangebot unbürokratisch, wenn nötig, auch anderen Kindern zeitnah zur Hilfe. Für die PDS-Fraktion bedeutet dies die gesetzliche Festschreibung von Integrationsschulen, in denen wohnortnah alle Heranwachsenden unterrichtet werden können, in denen sonderpädagogische Förderung unabhängig vom Bildungsgang angeboten wird, die barrierefrei sind und die die erforderlichen räumlichen, sächlichen und personellen Voraussetzungen zur Verfügung haben. Die Förderschulen bleiben Angebotsschulen, solange dazu Bedarf besteht, da die Entwicklung solcher Integrationsschulen natürlich einen Prozess darstellt.

Meine Damen und Herren, auch wenn Sie es nicht wollen und den Kopf in den Sand stecken wie der berühmte Vogel Strauß, die Gesamtschulen sind Bestandteil des Thüringer Schulsystems.

(Beifall bei der PDS)

Sie verhindern die weitere Entwicklung nicht, wenn Sie sich weigern, diese Schulform unter § 4 regulär in das Spektrum aufzunehmen. Diese Schulen atmen bereits jetzt schon mehr als andere Schulen den neuen Geist. Das spricht sich unter den Schülern und zukünftigen Eltern herum, so dass Sie deren Entwicklung nicht wirklich aufhalten werden.

(Beifall bei der PDS)

Sie haben lediglich Angst vor dem Nachweis, dass das längere gemeinsame Lernen durch Gewährleistung von Chancengleichheit letztlich zu besseren Ergebnissen führt.

Hätten Sie Mut, würden Sie einen Volksentscheid zum längeren gemeinsamen Lernen nicht scheuen.

(Beifall bei der PDS)

Knackpunkt ist und bleibt für unsere Ablehnung das differenzierte Schulsystem. Somit kritisieren wir auch die weitere Differenzierung durch Praxisklassen. Die praxisorientierte Ausrichtung des Unterrichts wirkt, wie Sie in Ihren Versuchsklassen selbst festgestellt haben, dem Lernfrust entgegen. Warum soll das nur die Ausnahme für lernunwillige Schüler bleiben? Die mangelnde Verbindung von Unterricht und Praxis wird nicht erst seit PISA und nicht nur seitens der Wirtschaft als Defizit kritisiert. Unterricht im Sinne des polytechnischen Prinzips muss unseres Erachtens Bestandteil aller Schularten sein.

(Beifall bei der PDS)