Protokoll der Sitzung vom 22.11.2002

(Beifall bei der CDU)

Wer das Vertrauen in die Politik im Freistaat stärken will, der muss Auseinandersetzungen sachlich führen, der muss sich mit den Problemen auseinander setzen, die die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wirklich haben. Diese Aufgabe ist uns allen gestellt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Weil die Thüringer zwar den demokratischen Institutionen vertrauen, aber dem Funktionieren der parlamentarischen repräsentativen Demokratie skeptisch gegenüberstehen, müssen wir nicht nur unseren Umgang miteinander ändern, wir müssen auch die Bereitschaft der Menschen zur Mitwirkung in unserem Lande stärken.

(Beifall bei der SPD)

Auch in diesem Jahr belegt die Studie deutliche Zusammenhänge zwischen den Antworten zur wirtschaftlichen Lage und zur politischen Einstellung. Die negative Einschätzung der wirtschaftlichen Lage hat sich gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt. Wie schon im Vorjahr hält aber eine deutliche Mehrheit die eigene wirtschaftliche Lage für gut oder sogar für sehr gut. 58 Prozent sagen, ihre Lage sei gut oder sehr gut, aber eine wachsende Mehrheit sagt, die wirtschaftliche Lage des Landes sei schlecht. 12 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Thüringen - im Übrigen in der Tat und nicht nur in unseren Aussagen kein ostdeutsches Land mehr. 46 Prozent der Befragten sehen sich zuerst als Thüringer,

(Beifall bei der CDU)

28 Prozent sehen sich zuerst als Deutsche, nur 15 Prozent zuerst als Ostdeutsche. Ich finde, eine gute Entwicklung. Insgesamt meint nach wie vor eine deutliche Mehrheit der Befragten, dass die Vorteile der deutschen Einheit überwögen, für sie persönlich überwögen, 68 Prozent. Nur 15 Prozent meinen, die Nachteile überwögen. Aber leider hat sich im Vergleich zum Vorjahr unter den wirtschaftlich schlecht Gestellten der Anteil der Einheitsskeptiker erheblich erhöht. Das zeigt, dass die Menschen reagieren, wenn sich die Schere zwischen Ost und West wieder öffnet. Und das zeigt, dass die Priorität für den Aufbau in den jungen Ländern nicht erst wiederentdeckt werden darf, wenn Flutkatastrophen über uns hereinbrechen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Nach dieser Aussage eine gute Nachricht: Stabil hohe Mehrheiten lehnen die Verharmlosung des Nationalsozialismus und antisemitischer Aussagen ab. Das ist erfreulich. Warum aber erhöht sich der Anteil extrem Eingestellter innerhalb eines Jahres immerhin um 2,2 Prozent? Was sind die Gründe dafür und warum ist die Haltung gegenüber Ausländern und Fremden wachsend bedenklich? Erheblich mehr Menschen unterstellen in diesem Jahr ihren ausländischen Mitbürgern eine Ausnutzung des Sozialstaats. Über 55 Prozent stimmen in diesem Jahr, erstmals mit Mehrheit also, einem ausländerfeindlichen Statement, das ihnen vorgelegt worden ist, zu. Eine deutliche Steigerung, die man ernst nehmen muss.

Aus dem Thüringen-Monitor 2001 wissen wir, dass vor allem Unkenntnis der Boden ist, auf dem diese Einstellung gedeiht. Deswegen müssen wir aufklären und deutlich machen, dass Ausländer nach unserer Überzeugung eine Bereicherung für unser Land sind. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass Menschen, die bei uns leben oder zu Gast sind, sich vor Diskriminierung, vor Beleidigung, vor Bedrohung und Gewalt sicher fühlen können. Menschen, meine Damen und Herren, dürfen keine Angst haben, verschieden zu sein. Sie müssen sich in unserem Land als Gäste oder auch für Daueraufenthalt aufgenommen fühlen. Für die Erziehung zur Achtung und Toleranz gegenüber ausländischen Mitbürgern leisten erfreulicherweise die Landeszentrale für politische Bildung und der Ausländerbeauftragte wichtige Beiträge. Sie tun das auch im Bewusstsein, dass der Bildungsstand und rechtsextreme Einstellungen in einem engen Zusammenhang stehen. Deswegen möchte ich der Landeszentrale und dem Ausländerbeauftragten für ihre Arbeit ausdrücklich danken.

(Beifall bei der CDU)

Ich freue mich, dass die Wissenschaftsministerin mit dem Wettbewerb "Miteinander studieren in Thüringen" die Integration von ausländischen Studentinnen und Studenten fördert.

Im Kontrast zu ausländerfeindlichen Einstellungen stehen erfreulicherweise die jüngsten Ergebnisse des Eurobarometers der Europäischen Kommission vom Frühjahr dieses Jahres. Demnach steigt in den neuen Ländern mittlerweile die Zustimmung zur Osterweiterung. Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, dass gerade die wirtschaftlichen Chancen die Risiken des Erweiterungsprozesses bei weitem übersteigen, und ich bin dankbar, dass das neu eingerichtete europäische Informationszentrum seine Veranstaltungen im Erfurter "Haus Vaterland" aufgenommen hat und eine breite Öffentlichkeit über Europa informiert. Wir sehen nach wie vor in der Osterweiterung die Chance, langfristig Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand in ganz Europa zu erreichen. Wir begrüßen die Erweiterung, meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn wir wollen, dass unsere Kinder, die nächste Generation, gute Chancen in einem geeinten und erweiterten Europa haben soll, wenn wir ausländerfeindliche und rechtsextreme Einstellungen verhindern wollen, dann müssen wir wissen, wie im Freistaat über die Rolle der Familie gedacht wird. Was sind eigentlich die Vorstellungen der Thüringerinnen und Thüringer über die Familie und über die Ehe als Keimzelle der Familie und wo liegt ihre besondere Bedeutung für den Kampf gegen den Extremismus und welche Unterstützung brauchen die Familien?

Jean-Jacques Rousseau hat in seinem Erziehungsroman "Emile" geschrieben: "Nur mittels des kleinen Vaterlandes, das die Familie ist, wendet sich das Herz dem Großen zu." Das "kleine Vaterland" meine Damen und Herren, die intakte Familie, ist die Voraussetzung dafür, dass sich unser Land gut entwickeln kann.

(Beifall bei der CDU)

Denn Familien sichern durch Kinder und ihre Erziehung den Fortbestand unserer Gemeinschaft. Sie schaffen die Voraussetzung dafür, dass wir in Frieden und Toleranz, ohne Gewalt und Fremdenhass miteinander leben können. Der Satz "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung", der sich wortgleich im Grundgesetz und in unserer Landesverfassung findet, ist der Ausgangspunkt unserer Familienpolitik. Ungeachtet aller notwendigen Differenzierungen, die Ehe ist nach wie vor die häufigste Form der Partnerschaft in Thüringen und die Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer gehen früher oder später eine Ehe ein. Die meisten Kinder wachsen in Thüringen in einer Ehe auf, nur etwa jedes sechste Kind unter 18 Jahren wächst im Haushalt eines allein lebenden Elternteils auf. Ein Trend, meine Damen und Herren, zur Singlegesellschaft, also die bewusste Ablehnung einer dauerhaften Partnerbeziehung, lässt sich gerade bei jungen Leuten nicht belegen. Damit im Einklang steht auch der hohe Stellenwert, den Jugendliche nach der aktuellen Shell-Studie, die sich alljährlich - wie Sie wissen - der Situation und der Einstellung junger Menschen in Deutschland widmet, der Familie einräumen. 70 Prozent der Befragten gehen dort davon aus, dass man eine Familie zum Glücklichsein brauche. Für 78 Prozent der befragten Jugendlichen war der Begriff "Treue" in und 65 Prozent bejahten dies auch für den Begriff "Verantwortung übernehmen".

(Beifall bei der CDU)

Richtig ist aber auch, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften in Thüringen nach der Wende zugenommen haben. Vielfach erscheinen sie vor allem bei den Jüngeren als Test- und Übergangsphase, um später in eine Ehe einzumünden. Die Ehe verfügt nach wie vor über eine beachtliche Attraktivität. Die Autoren der Studie warnen davor, sie für ein Auslaufmodell zu halten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weil erfolgreiche Familienpolitik eine gute und dauerhafte wissenschaftliche Grundlage benötigt, unterstützen wir die Stiftungsprofessur für Familienwissenschaft an der Universität Erfurt, die dank der Hilfe der Hertie-Stiftung im Juni dieses Jahres eingerichtet werden konnte. Mit dieser in Deutschland einmaligen Initiative, für die ich der Universität Erfurt danke, soll die zentrale Rolle der Familie im Hinblick auf eine Vielzahl gesellschaftspolitischer Fragen in den Vordergrund gerückt werden. Dazu gehört auch die Frage, welche Aufgabe die Familie bei der Bekämpfung von Extremismus und Radikalismus hat.

Wer eine erfolgreiche Familienpolitik machen will, der muss zunächst fragen, welche Rolle die Familie für die Thüringerinnen und Thüringer spielt. Die Studie enthält die bemerkenswerte Feststellung, "die Familie ist den Thüringern heilig". Die Thüringer verbinden mit der Familie vor allem Geborgenheit - 97 Prozent -, zugleich wird eine hohe Bereitschaft erkennbar, für die Familie Verantwortung zu übernehmen. 95 Prozent der Befragten messen der Förderung von Familie den gleichen Stellenwert zu wie der Schaffung von Ausbildungsplätzen und von Arbeitsplätzen, meine Damen und Herren, den gleichen Rang!

(Beifall bei der CDU)

Selbst unter den Arbeitslosen ist die Zustimmung nur geringfügig niedriger. Aber neun von zehn Befragten meinen auch, dass die Leistungen der Familie von der Gesellschaft zu wenig gewürdigt werden.

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

Um es klar zu sagen: Diesen Menschen geht es nicht ums Geld, es geht ihnen um Anerkennung. Ihnen geht es darum, dass sie nicht, weil sie Kinder haben und weil sie bereit sind Verantwortung zu übernehmen, schlechter behandelt werden wollen als andere.

(Beifall bei der CDU)

In die gleiche Richtung weist, dass eine überwältigende Mehrheit der Thüringer - 94 Prozent - den Wunsch nach Kindern hat, jedoch ist derzeit die Hälfte dieser Kinderwünsche nicht erfüllt. Nach den Gründen gefragt, führen jeweils zwei Drittel mangelnde Betreuungsmöglichkeiten, berufliche Nachteile, aber auch die unzureichende Anerkennung der Kindererziehung an. Mit deutlichem Abstand sagt noch gut die Hälfte der Befragten, finanzielle Einschränkungen hätten Auswirkungen auf die Realisierung des Kinderwunsches, während nur etwa jeder Vierte angibt, man habe für Kinder zu wenig Zeit.

Meine Damen und Herren, diese Umfrageergebnisse zeigen meines Erachtens, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine besondere Bedeutung hat, auch weil die Berufsorientierung oder auch Erwerbsneigung der Frauen in den jungen Ländern besonders hoch ist, dem entsprechen das steigende Alter der Mütter wie auch der durch die Shell-Studie belegte Wunsch, gerade von Mädchen und jungen Frauen, Karriere und Kinder unter einen Hut zu bringen. Gefragt, ob sie eine strukturelle oder eine finanzielle Entlastung bevorzugen würden, entscheiden sich zwei Drittel für die strukturelle Entlastung, ein Drittel für die finanzielle. Allerdings plädieren deutlich mehr Befragte, die tatsächlich Kinder im Hause haben, für eine finanzielle Entlastung, als es der Durchschnitt tut. Weil wir wissen, meine Damen und Herren, dass die Familie für die Erfüllung ihres Erziehungsauftrags sowohl finanzielle als auch strukturelle Entlastung benötigt, haben wir unsere Familienpolitik auf beide Bedürfnisse ausgerichtet. Deshalb gehen wir bei der Kinderbetreuung einen eigenen Thüringer Weg

(Beifall bei der CDU)

ein Gesamtkonzept, das sowohl die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als auch Betreuungsangebote zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien mit Kindern ermöglicht. Kein anderes deutsches Land verfügt in diesem Bereich über ein so lückenloses Angebot wie Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

Dazu gehört das Landeserziehungsgeld in Höhe von monatlich 307       schluss an das Bundeserziehungsgeld so lange gezahlt wird, bis das Kind zweieinhalb Jahre alt ist. Zugleich besteht für Kinder in direktem Anschluss an das Landeserziehungsgeld ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Was anderswo gefordert wird, ist bei uns verwirklicht.

(Beifall bei der CDU)

Es wird sehr intensiv genutzt. Rund 94 Prozent der Kinder besuchen bis zum Schuleintritt die Thüringer Kindertageseinrichtungen. Übrigens auch ein Kompliment an diese Einrichtungen und die Menschen, die dort ihre Aufgabe wahrnehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Darüber hinaus besteht für Kinder im Alter zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren ein bedarfsgerechtes Angebot an Kinderkrippen bzw. entsprechend gemeinschaftliche Einrichtungen. Diese Möglichkeit wird von rund 40 Prozent genutzt, ebenfalls ein bemerkenswert hoher Anteil.

Seit 1997 besteht bei uns ein Rechtsanspruch auf Hortbetreuung, der bis zum Abschluss der Grundschule gewährt wird. Er wird von etwa 65 Prozent der Kinder genutzt.

Alle Betreuungsangebote in Thüringen sind Ganztagsplätze. Die Eltern können selbst entscheiden, wie lange die Kinder täglich betreut werden sollen. Dennoch geben leider zahlreiche Menschen die Betreuungssituation als Grund dafür an, dass sie sich ihren Kinderwunsch nicht erfüllen. Ein Befund, der angesichts der guten Angebote bei uns, gerade im Vergleich zu anderen Ländern, überrascht und der mich sagen lässt: Für uns bedeutet das, dass wir den Thüringer Weg, dass wir unser familienpolitisches Angebot besser vermitteln und besser bekannt machen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Für schlechte Nachrichten ist ja unbegrenzt Platz. Wir können ja ein kleines bisschen davon abschneiden und für gute Nachrichten verwenden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die materiellen Grundlagen und die Betreuungssituation sind wichtig, aber die Hauptaufgabe liegt nicht bei den Betreuungseinrichtungen. Die Hauptaufgabe liegt bei den Eltern.

(Beifall bei der CDU)

Wer sich nicht seinen Kindern widmet, darf sich über Fehlentwicklungen, radikale Einstellungen und Gewaltbereitschaft Jugendlicher nicht wundern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

43 Prozent der Thüringer bezeichnen ihre eigenen familiären Bindungen als sehr oder ziemlich stark. Dem entspricht, dass in der Shell-Studie neun von zehn Jugendlichen ihr Verhältnis zu den Eltern als gut oder recht gut bezeichnen und dass 56 Prozent ihre eigenen Kinder ungefähr so erziehen wollen, wie sie selbst erzogen worden sind. Werte, die 1968 in der alten Bundesrepublik völlig unvorstellbar waren. Da wollten alle alles ganz anders machen. Heute wollen sie es in der Mehrheit so machen, wie es ihre Eltern gemacht haben.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, meine Damen und Herren, dass die Eltern ihren Erziehungsauftrag ernst nehmen, und deswegen wollen wir, dass die Lufthoheit über den Kinderbetten dort bleibt, wo sie hingehört, nämlich bei den Eltern.