Protokoll der Sitzung vom 03.04.2003

1. Herr Minister Pietzsch beschreibt als Hauptursache von vielen Schwierigkeiten die lang anhaltende Arbeitslosigkeit. Da stimmen wir zu. Er verschweigt aber die dramatische Kürzung der Arbeitsmarktförderung dieser Landesregierung von mehr als 170 Mio. 0#! &777! nunmehr gerade noch 52,5 Mio. cherlich hat das auch

etwas mit dem Bund zu tun. Und er verschweigt im eigenen Zuständigkeitsbereich auch die Kürzung der Jugendberufshilfe um 75 Prozent. Selbst wenn es nach heftiger Intervention der Opposition gelungen ist einen Teil dieser Arbeit durch ESF-Mittel zu retten, so verändert sich dennoch der Arbeitsauftrag. Die gesamte Aufgabenstellung der Jugendberufshilfe als wesentliches Instrument zur Überwindung von Armut durch Verhinderung von Jugendarbeitslosigkeit steht spätestens 2006 zur Disposition.

2. Die Teilnahme an Bildung, möglichst gute Bildungschancen während der Schulzeit sind ein wesentlicher Beitrag zur späteren Erwerbssicherung. Bildung und Ausbildung ist mehr denn je der Schlüssel, um im Leben die eigene Existenz abzusichern. Kein Wort im Sozialbericht darüber, dass Thüringen im Vergleich zu den anderen Bundesländern anteilmäßig die meisten Schüler ohne Hauptschulabschluss aufweist. Wir alle wissen doch genau, dass dies in der Zukunft die potenziell von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Zielgruppen sind. Kein Wort auch über den seit Jahren zu verzeichnenden dramatischen Rückgang betrieblicher Ausbildungsstellen, der eben nicht allein mit wirtschaftlicher Entwicklung zu begründen ist.

3. Während wichtige Angelegenheiten, wie die Arbeitsmarktförderung und die Schulbildung, die in eigener Zuständigkeit der Landesregierung liegen, beschönigt beschrieben und tatsächliche Entwicklungen verschwiegen werden, nimmt der imaginäre Themenbereich "Familiengeld" innerhalb des Berichts und des Vorworts einen ausgesprochen großen Stellenwert ein. Nun, dafür gibt es zwar keine originäre Zuständigkeit, es gibt auch keinen Ist-Zustand zu beschreiben, es gibt selbst nach Einschätzung Ihres Parteifreundes in Hessen, des Ministerpräsidenten Koch, kürzlich im "Spiegel" keinerlei absehbare Finanzierbarkeit. Aber es gibt immerhin eine Bundesregierung, auf die man hinweisen kann. Es gibt offensichtlich ein bayowarisch angehauchtes und zwischenzeitlich überholtes CDU-Bundestagswahlprogramm. Was diese parteiprogrammatische Forderung ohne jeden Realitätsbezug im Dritten Thüringer Sozialbericht zu suchen hat, bleibt schleierhaft.

(Beifall bei der PDS)

Ich muss sagen, Sie wissen selbst, in Auswertung des Bundestagswahlkampfes haben gerade auch wirklich Frauen aus Ihrer Partei gesagt, es war ein Fehler, das Familiengeld den Thüringern irgendwie als das darzustellen. Die Thüringerinnen und Thüringer sind misstrauisch und sie fallen nicht auf so was herein. Sie haben das in den Wahlen ja auch gesehen.

4. Minister Pietzsch behauptet in seinem Vorwort, dass dem Bericht erstmals eine wissenschaftliche Untersuchung zugrunde liegt. Das ist falsch. Auch in den früheren Berichten erfolgte die Zuarbeit durch beauftragte Wissenschaftler. Ich weiß genau, am Zweiten Thüringer Sozial

bericht war die Fachhochschule Erfurt beteiligt. Es ist aber vor allen Dingen deswegen falsch, weil dem Bericht keine wissenschaftliche Untersuchung zugrunde liegt, sondern bestenfalls als Materialband beigefügt ist. Dem Bericht selbst liegt allerdings eine ausgeprägte Lobhudelei der Landesregierung zugrunde. Als Familienpolitikerin ärgert mich dann schon, wenn ich diese Arten von Beschreibung von Familienpolitik lese, die so allgemein gehalten sind. Ich möchte Ihnen nur zu dem Punkt 5, da geht es um Beratung und Hilfe für Familien und ihre Förderung, etwas sagen. Zur Frage 6 in der Kleinen Anfrage von Frau Nitzpon zur Familienförderung in Thüringen wurde sehr ausführlich zu den Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen Stellung genommen. Ein Unterpunkt ist hier auch 5.1, der ist so allgemein gehalten, dass kann doch eigentlich nicht wahr sein, habe ich mir gesagt. Da hätte doch zumindest diese Dramatik aufgezeigt werden müssen, in den ganzen Studien im vorigen Jahr. Wir haben uns damit schon sehr ausführlich beschäftigt auch in der Enquetekommission "Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen", es setzt sich fort in der Enquetekommission 3 "Erziehung und Bildung in Thüringen", Partnerschaft und Elternschaft als die Grundlage für Familie. Da spielt die Beratung zu Partnerschaft und Elternschaft die entscheidende Rolle, auch dass hier Schlussfolgerungen gefordert werden, wenn gesagt wird, Frau Präsidentin, dass in den Sachberichten der Beratungsstellen - und wir erleben das ja jedes Jahr wieder, wenn wir eingeladen werden von der Landesarbeitsgemeinschaft - festgestellt wird, dass wie in den Vorjahren ein hoher Beratungsbedarf besteht. Aufgrund der Problemlagen wird wesentlich mehr Zeitaufwand an Beratung und Begleitung pro Beratungsfall beansprucht als noch vor einiger Zeit. Die Situation resultiert vor allem aus dem gestiegenen qualitativen Beratungsanspruch und einer Zunahme der Anzahl von Kindern bzw. Jugendlichen, welche die Beratung in Anspruch nehmen. Es werden auch die Gründe des Aufsuchens genannt. Wir können ja froh sein, dass die Leute kommen. Ganz entscheidend wird hier hervorgehoben, bei Fragen zu Trennung und Scheidung sind die größten Zuwächse zu verzeichnen. Da muss ich doch in einem Sozialbericht darauf hinweisen, was für die Zukunft zu tun ist.

Zu 5. möchte ich hier noch sagen, im Bereich der Behindertenpolitik und der Verbesserung der Rechtsstellung behinderter Menschen wird erstaunlich positiv über das Bundesgesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen berichtet; wirklich ungewöhnlich für diesen Bericht. Ein entsprechendes Landesgesetz zur Verbesserung der Integration behinderter Menschen wird angekündigt. Das wäre also eine der wenigen Handlungsempfehlungen für dieses Parlament gewesen - gewesen, wohlgemerkt, denn zwischenzeitlich haben Sie selbst Ihr angekündigtes Vorhaben eingestampft.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes feststellen: Vor wenigen Tagen haben Vertreter der Länderparlamente mehr Kompetenzen ein

gefordert. Minister Pietzsch ruft in dem Vorwort dazu auf, dass dieser Bericht zur Auseinandersetzung mit sozialpolitischen Themen in unserer Gesellschaft beitragen soll. Der sozialpolitischen Diskussion sollen durch den Bericht neue Impulse gegeben werden, meint Herr Minister Pietzsch. Wenn aber, wie in diesem Bericht, die Aktivität der Landesregierung bejubelt, bestenfalls verhaltene Kritik im Materialband versteckt wird, wenn ansonsten in eigener Untätigkeit verharrend auf die ach so böse Bundesregierung verwiesen wird, dann, meine Damen und Herren, ist das eben kein Beitrag zur sozialpolitischen Diskussion und zur Stärkung parlamentarischer Kompetenzen. Ich hab mich furchtbar geärgert, als ich Ihr Vorwort gelesen hatte. Es ist ja nur gut, dass es diese Bundesregierung gibt, auf die man alles schieben kann. Das ist einfach unwürdig, muss ich sagen. Also eine derartige Berichterstattung verdient das Urteil: Thema verfehlt. Das bringt uns nichts. Weil sich diese Hofberichterstattung wie ein roter Faden durch die Arbeit des Parlaments in dieser Legislaturperiode zieht, ich denke gerade an die Themen, die wir hatten - Situation von Frauen, von Familien in Thüringen, ob das Gesundheit ist es ist immer die gleiche Richtung. So möchten wir Ihnen deshalb auch eine Handlungsempfehlung geben. Folgen Sie den Prinzipien des Bundesjugendberichts. Sie haben uns damals beschimpft, ich weiß noch, Herr Panse, weil die so ehrlich waren und auch zugegeben haben, woran es hapert. Aber es bringt doch nichts, wenn ich immer alles beschönige. Beauftragen Sie eine unabhängige Kommission aus Experten verschiedener Bereiche mit der Berichterstattung. Ergänzen Sie so einen entstandenen Bericht und so entstandene Handlungsempfehlungen durch eine Bewertung der Landesregierung. So könnten Sie Objektivität herstellen, einen Bericht vorlegen, der den Namen verdient und dem Parlament Entscheidungsgrundlagen liefern. Das wäre auch ein Beitrag zu einer verbesserten politischen Kultur. Die Fürstentümer sind nämlich wirklich Geschichte.

Frau Arenhövel, Sie haben Recht, es geht darum, über die Zeit nach dem Bericht hinaus zu schauen. Ich befürworte auch die Weiterberatung dieses Berichts im Ausschuss. Sie wissen, es ist doch nicht immer unbedingt die Sache des Geldes. Es wird ja viel Geld aufgewandt. Es fehlt, es mangelt an der Vernetzung, der Verbesserung der Informationspolitik, die finanziellen Mittel effektiv einzusetzen. Wenn wir das schaffen und sagen mit den Mitteln, da sind wir doch auch alle bereit mitzuziehen, aber sich so hinzustellen - es ist so alles paletti bei uns, es ist wunderbar -, das ärgert doch jeden Menschen. Ich muss sagen, das haben wir eigentlich auch nicht mehr nötig. Wir sind stolz auf das, was wir geschaffen haben. Unser Kindertagesstättengesetz haben wir alle gelobt, auch in der Enquetekommission. Man muss dann auch sagen, was muss noch verbessert werden. Wir sind schon ein Stückchen weiter als nur mit der Aufzählung. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Für die PDS-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Thierbach zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr interessant, als beantragende Fraktion zur Aussprache zum Sozialbericht einfach erst mal Revue passieren zu lassen, was die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen dazu bringen. Eines weiß ich, Frau Arenhövel, Respekt, was wir ins Internet gestellt haben und das, was ich in Pressemitteilungen gemacht habe, offensichtlich haben Sie es wahrgenommen, und Respekt, Sie haben es auch gelesen, sonst hätten Sie nämlich punktgenau nicht an manche Dinge anknüpfen können. Ich finde es auch gut, dass Rosi Bechthum den Versuch macht, nicht alles nach Berlin zu schieben, was es an Problemen hier im Lande Thüringen gibt. Ich möchte aber einen ganz anderen Ansatz wählen. Ich glaube, wer Illusionen über diesen Sozialbericht hatte oder geglaubt hat, dass er all denen, was hier an wissenschaftlichen Anforderungen genannt wurde, stellen konnte, der hat am ersten Tag geirrt. Denn in der Soziologie gibt es ein Grundprinzip, es kann nur erhoben werden, was beauftragt wurde. Bei aller Kritik am Sozialbericht, einen kritisiere ich nicht und das ist Empirica Berlin, die nämlich genau entsprechend einer Ausschreibung Aufgabenstellungen durch das Sozialministerium hatten, an die sie sich natürlich gehalten haben.

Das Phänomen ist doch eine ganz andere Konstruktion. Ich wiederhole nicht, was alles ein Sozialbericht erfüllen soll, dass wir hier eine Methodentrennung hatten. Es gab bisher keinen Sozialbericht im Lande Thüringen, der tatsächlich der Bericht im Range einer Regierungserklärung des Sozialministeriums war, auf der Grundlage eines Materialbandes einer Datenerhebung. Dies ist eine andere Methodik, die nehme ich zur Kenntnis, geäußert, dass der Sozialbericht im Range einer Regierungserklärung steht durch Staatssekretär Maaßen in der Parität. Keinen Zweifel braucht man daran lassen, dass die Daten, die durch Empirica erhoben wurden, unterschiedlich interpretiert werden können. Und genau daraus entsteht nämlich das, was man dann wirklich als Hofberichterstattung bezeichnen kann. Die Daten hätten anders verwertet werden können. Man kann die Tendenzen, Folgeprobleme ableiten und man hätte tatsächlich zu unterschiedlichen Ansatzpunkten im Sozialbericht der Landesregierung dann kommen können, wie man bestimmte Probleme angehen kann. Dazu möchte ich in einigen Punkten auch Ausführungen machen. Vorab, es ist aber tatsächlich so, das möchte ich wiederholen, weil das eine Leistungsbewertung ist, die sachlich, fachlich einfach falsch ist, dass dieser Sozialbericht das erste Mal auf einer wissenschaftlichen Grundlage basieren würde. Wer das behauptet, der entwürdigt die Arbeit der Fachhochschule und der Wissenschaftler, die an einem Lebenslagenkonzept für Sozialberichterstattung beteiligt waren, in dem eben nicht

getrennt wurde in Materialsammlung und Bewertung, sondern eine wissenschaftliche Arbeit, die sogar sich den Mut auf die Fahnen geschrieben hatte, auch noch Handlungsempfehlungen an eine Landesregierung zu erarbeiten. Inwieweit die dann politisch aufgenommen worden sind, steht auf einem ganz anderen Papier, aber diese Dreigliedrigkeit ist genau in der Soziologie wissenschaftliche Methodik. Die sollte man dem des Ersten Sozialberichts auf keinen Fall absprechen.

Nun zu einzelnen Details: Ich würde davon ausgehen, dass eine ganze Menge in diesem Bericht der Landesregierung tatsächlich nichts anderes ist als die Darstellung, was wir bisher getan haben, ist richtig, was wir bisher getan haben, ist die Tatsache, die Probleme können bewältigt werden, keinerlei Tendenzen, dass andere Alternativen nur mit erwähnt wurden. Es erfolgt keine ausführliche Würdigung z.B. von Kinder- und Familienarmut. Es wird viel über Kinder- und Familienpolitik geschrieben. Es wird keine ausführliche Aussage entsprechend dem Datenmaterial getroffen, wenn man es liest, was man dann im Bericht hätte aufnehmen können, wie die Situation von allein Erziehenden untersetzt werden muss in der analytischen Arbeit, damit man auch deren unterschiedliche Situation darstellen kann. Wenn ich dieses sage, heißt das nicht, der Minister hätte zu diesen Schwerpunkten nicht etwa irgendetwas gesagt, aber genau die Interpretation der Daten ist dann eine parteiische im Sinne des Erfolgs von CDU-Politik.

Was vollkommen unzureichend ist, ist die Beleuchtung der Situation im Bericht, also in Auswertung der Datenmaterialien zur Situation von Frauen, Behinderten und Jugendlichen. Dieses kann man aus den Untersuchungen entschieden mehr an Problemlagen modellieren bzw. aufzeigen, als es in der Regierungserklärung, wie es Staatssekretär Maaßen sagte, dann tatsächlich gemacht wird. Die Sozialhilfedaten sind sogar überaltert, die hier verwandt werden. Es ist nicht in der Fortschreibung die Methodik gewählt worden, sondern die Methodik ist geändert worden. Wenn wir die Verfasser des Materialbandes analysieren, so hatten sie den Anspruch, dass alle Daten erhoben werden, die letztendlich für eine Lebenslagenkonzeptbewertung ausreichen. Dann finden wir folgendes Phänomen: Nach EU-Definition von Armut - übrigens findet man den Begriff im Regierungsbericht genau zweimal, einmal im Vorwort und einmal in der Bewertung bei Kinderarmut -, da findet man eben in der Methodik dann das Phänomen, dass, wenn man die EU-Definition für Armut anwendet, was man im Vergleich zum Ersten und Zweiten Sozialbericht hätte tun können, was sogar die Vergleichbarkeit mit dem Bundesarmuts- und Reichtumsbericht zugelassen hätte, dass spätestens im Materialband in der Aufgabenstellung nämlich die Methodik gewechselt wurde und wir nun im Prinzip Medianäquivalenzeinkommensmethoden haben, die überhaupt nicht von vornherein für jeden vergleichbar sind in den bisherigen Berichten. Also Methodenwechsel kann auch bedeuten, ich mache es demjenigen, der es liest, schwerer oder ich verschleiere,

was ich der Regierung nicht unterstellen will. Aber der Wechsel der Untersuchungsmethoden ist genau das, was immer zu kritisieren ist, und das kritisiere ich auch nicht an Empirica, sondern an der Aufgabenstellung, die eben genau war.

Wenn nämlich dann auch noch gemacht wird, dass diese Äquivalenzeinkommen aus dem Jahr 1993 berücksichtigt werden, dann weiß jeder, dass ich die Äquivalenzeinkommen im Verhältnis zu 1993 in einer vollkommen verzerrenden Aussage bis zum Jahr 2002 habe. Noch nicht einmal in dieser Vergleichsäquivalenz hält der Bericht der Landesregierung dann durch, denn der basiert auf Zahlen bis 1998. Also hier ist ein Loch drin, wo ich glaube, das parteiliche Bewerten von Regierungspolitik ist hier vollkommen fehl am Platz.

Ich möchte auch zu einigen Problemen etwas sagen, die letztendlich mit der Entwicklung von Haushaltseinkommen zusammenhängen. Haushaltsnettoeinkommensentwicklungen zeigen ja letztendlich nur eine pekuniäre Situation im Verhältnis zwischen Armut und Reichtum oder zur sozialen Situation. Wenn man aber dann liest und vergleicht, dass für das Jahr 2001 - nicht zu finden in der Auftragsstellung, aber beim Landesamt für Statistik sehr schnell errechenbar - 4 Prozent der Thüringer mit weniger als 511 !    ! !   . testens bei dieser Aussage hätte bei demjenigen, der den Bericht der Landesregierung als Verfasser, als Vorarbeiter vielleicht erstellt hat, ein Alarmsignal angehen müssen und er hätte diese Tendenz vergleichen müssen und dann wäre ihm aufgefallen, dass das mit den Untersuchungsmethoden, die er ja in Auftrag gegeben hat, sehr kompliziert ist. Er wäre auf die Idee gekommen, das Landesamt für Statistik zu benutzen in den Jahrbüchern für die Statistik, dann hätte er gesehen, dass sich diese Form von Armut - nämlich 15 Prozent haben 511 bis 920   2!  Thüringen -, dass er dann verglichen hätte, wie ist diese Tendenz entstanden. Das wäre dann tatsächlich eine Aussage, wenn man daraus Schlussfolgerungen zieht, dass in Thüringen eine Art von Schulden entstanden ist, wo jeder siebente Haushalt vermögenslos ist und Schulden hat, dass man dann nämlich auch sagt, wir können uns nicht zufrieden geben mit Kürzungen bei Schuldnerberatungsstellen oder gar bei der Reduzierung, dass wir das Phänomen haben, nur noch Insolvenz ist möglich und Schuldnerberatung im Prinzip kaum in der Beratungstätigkeit.

Oder eine andere Zahl - die Entwicklung der Sozialhilfeempfänger: Schaut man in den Sozialbericht und sieht man in die Datenlage, dann könnte man glauben, die Sozialhilfe hat sich nicht verstetigt, hat sich nicht verfestigt, sondern sie wäre abgebaut. Warum? Weil nicht beachtet wird, dass wir im Jahr 2002 ein Anwachsen der Sozialhilfe um 6,5 Prozent hatten. 6,5 Prozent Sozialhilfeanstieg ist aber keine Zahl, die man in einem Sozialbericht, den man im Jahr 2003 herausgibt, vernachlässigen kann. Den Mitarbeitern des Ministeriums sei gesagt, diese Zahl ist aus dem Statistischen Jahrbuch des Landesamts für Statistik.

Dies kann man nachlesen. Ich habe den fragenden Blick gesehen, wo diese Zahlen her sind. Das sind eben die Monatsberichte, die man dort erhalten kann.

Diese Entwicklung der Sozialhilfeempfänger sind alles Entwicklungen von Menschen, die außerhalb von Heimen leben. Das sind also Leute, die tagtäglich ihr Leben selbst organisieren wollen. Vorhin hat mich eine Kollegin gefragt, ob man nicht einmal vorschlagen könnte, dass man Sozialhilfeempfänger bei denen, die besser verdienen, für einen Monat unterbringen könnte, die immer von Missbrauch in der Sozialhilfe reden. Ich habe gesagt, das würde ich nicht tun. Den Sozialhilfeempfängern würde es dort sehr schlecht gehen, weil sie letztendlich verrückt werden könnten, wie andere leben. Aber ich schlage vor, dass diejenigen, die solche Tendenzen nicht beachten, einfach den Modellversuch mitmachen, den die Diakonie schon öfter unternommen hat, und einmal einen Monat von Sozialhilfe leben und all ihre Bedürfnisse regeln. Vielleicht kriegen wir dann eine Tendenz, dass wir auch bei der Auftragstellung für Sozialberichte so viele Leute haben, die an der Auftragstellung arbeiten, die wissen, wie hart Sozialhilfe ist. Diesen Vorschlag sollte sich der Landtag einmal überlegen und probieren, wie dann diskutiert wird.

Ich möchte jetzt noch einige Anmerkungen zur Arbeitsmarktsituation machen. Es ist ja einiges geschrieben in diesem Sozialbericht als Bewertung durch die Landesregierung, aber an vielen Stellen bleiben alle Ausführungen inkonsequent, lückenhaft, widersprüchlich oder sogar falsch. So wird tatsächlich einleitend angemerkt, die Arbeitsmarktpolitik in Thüringen ziele auf das Entstehen zusätzlicher Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt ab. Aber daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, dass angesichts der seit Jahren sinkenden Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, dass diese Politik, die diesen Satz sagt, nun darauf mal reagiert, genau das wird nicht mal versucht, das wird auch nicht erwähnt, sondern es wird nur festgestellt. Parallel zu einer als negativen Trend bewerteten Prognose eines perspektivischen Anstiegs des Sozialhilfebezugs und einer ansteigenden Altersarmut wird eine stärkere Lohnspreizung eingefordert. Ist das die Konsequenz aus dem sozialen Ist in Bezug auf die Situation des Arbeitsmarkts, dass wir nun möglicherweise nicht nur das Land mit den niedrigsten Einkommen sind, sondern vielleicht auch noch das Land für die Vorturner bei Niedriglohn? Einfach das Fragezeichen dahinter gesetzt, denn dazu gibt der Bericht keine Auskunft. Ich könnte Ihnen immer die Bezüge nennen, das war in Bezug Materialband Seite 139 zu Seite 54 im Bericht der Landesregierung bzw. zu Seite 139 und Seite 27, weil, solche Behauptungen sollte man auch belegen im Vergleich.

Ein weiteres Problem: Frau Arenhövel sagte so relativ locker, uns würde nicht gefallen, dass möglicherweise die Probleme bei der Ausbildung geringer werden, und solche Tendenzen würden wir verschweigen. Ich möchte Ihnen andersherum antworten: Das Problem der Abwanderung wird im Bericht relativiert und damit klar unter

bewertet, und zwar indem gesagt wird, Abwanderung ist in Thüringen ein geringeres Problem als in den anderen neuen Ländern. Das steht im Materialband Seite 25. Wenn dieser Satz aber nicht interpretiert wird, dann ist er genauso viel wert wie der Spruch, dass der Bach 70 cm im Durchschnitt tief war und die Kuh trotzdem ertrunken ist. Ich sage das deswegen, weil damit in Bezug nämlich zum Materialband Seite 137 nicht aufgezeigt wird, wie können wir junge Leute zurückholen, wie können wir die Abwanderung stoppen. Dann von demographischer Entwicklung zu reden, Frau Arenhövel, das zeigt ein bisschen eine Alternativlosigkeit, wie Sie es eben getan haben. Man kann nicht einfach die demographische Entwicklung nehmen und sagen, sie ist so und deswegen müsst ihr Älteren vielleicht den Gürtel enger ziehen.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Das habe ich nicht gesagt.)

So abstrakt haben Sie es nicht gesagt, aber die Tendenz in dieser Zeit ist da.

Weiteres relevantes Thema, wenn man bei Einkommen, Arbeit und der Tatsache, möglicherweise Entwicklungsland Niedriglohn ist, ist der Begriff der Überstunden im Arbeitsmarktbereich. Kann nicht sein, hat man nicht in Auftrag gegeben, wäre doch aber eine Überlegung wert, bevor ich einen Bericht in Auftrag gebe, dass ich sehe, wie kann ich denn Arbeit überhaupt besser verteilen. Die Untersuchungen haben nicht stattgefunden, sind auch nicht gewollt. Zum Arbeitsmarkt werden wir uns sicher noch sehr oft unterhalten müssen, gerade zu den Problemen, wie wir Alternativen finden, dass die Situation sich verändert.

Ich möchte auch als zweites Beispiel noch darauf eingehen, wie sich die CDU-Regierung letztendlich aus der Situation sozialer Probleme von Familien rausmogelt

(Zwischenruf aus der CDU-Fraktion: Was ist das für ein Begriff: "rausmogelt"?)

"rausmogelt" ist ein ganz normaler Begriff -, und zwar die ganzen Interpretationen zum Familiengeld...

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für So- ziales, Familie und Gesundheit: Gott sei Dank interpretieren Sie ja.)

Das ist ja auch das Recht des Soziologen, die Daten zu interpretieren, und der Politiker sollte es auch versuchen. Er sollte es so versuchen, nicht parteiisch und nicht einseitig in der Lösung.

Und jetzt bin ich bei der Mogelpackung "Familiengeld". Das Familiengeld, das Sie in dem Sozialbericht als Lösung sozialer Probleme von Familien mit Kindern darstellen, ist einseitig dargestellt und sogar an mancher Stelle falsch bzw. es wird falsch durch Weglassen von Aussagen, und zwar indem Sie nicht sagen, dass Ihr Modell, von der CDU,

des Familiengeldes eben einkommensabhängig ist, das Kindergeld in die Berechnung einbezogen werden soll, die Kinderfreibeträge, das Erziehungsgeld und all dieses soll mit der Gegenfinanzierung des Familiengelds im Prinzip in Verbindung gebracht werden. Ich akzeptiere, es ist Ihre Überlegung, bitte schön, aber dann nehme ich auch zur Kenntnis, dass Herr Koch ja ganz laut in Hessen gesagt hat: Hallo, hallo, so war das nicht gemeint. Denn das Familiengeld könnte ja viel zu teuer werden und er hat ja selbst diese Lösung schon wieder zurückgenommen. Nun muss das nichts Gutes sein, was Herr Koch macht. Was ich kritisiere, ist die Tatsache, dass Sie als Nonplusultra Ihre Auffassung zum Familiengeld, zur Lösung sozialer Probleme von Familien nicht überlegen, über Angebote anderer, wie z.B. existenzsichernde Kindergelder, nicht überlegen oder einbeziehen - vielleicht überlegen Sie, aber nennen sie nicht -, Modelle der Parität bundesweit über die Kindergrundsicherung, Sie nicht einbeziehen Modelle, wie im Prinzip Familien besser gestellt werden können. Sie gehen noch nicht mal auf so ein kleines µ, was Sie könnten im Land, überhaupt ein, dass Sie nämlich die Kindergelderhöhung als allerersten Schritt mal nicht auf die Sozialhilfe anrechnen lassen.

(Beifall bei der PDS)

Noch nicht mal zu diesen kleinen Schritten kommen Sie. Da, denke ich schon, wird eben dieses Familiengeld zu einer wirklichen Mogelpackung, wenn Sie es darstellen, wie Sie es im Sozialbericht getan haben.

Ich möchte ein paar Schlussbemerkungen machen: Es ist gut, es ist in Ordnung, dass Frau Arenhövel auch schon die Weiterdiskussion im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit beantragt hat. Das finde ich in Ordnung und dem werden wir uns auch nicht verschließen.

(Zwischenruf Abg. Stauch, CDU: So sind wir halt!)

Ja, ist in Ordnung, Herr Stauch, ich hätte Ihnen auch zugetraut, dass Sie die Aussprache zum Bericht beantragen.

Was ich Ihnen aber jetzt schon ankündige oder auch hiermit tue, ist das Stellen eines Antrags auf die Anhörung, auf eine strukturierte Anhörung von Vereinen, Verbänden, die genau in dieser Situation mit den Notlagen von Familien, von Kindern, von Älteren, von Behinderten konfrontiert sind und die tatsächlich Auskunft geben können. Dass wir uns diese anhören, aber auch die Kritik von Wissenschaftlern, die im Prinzip darauf eingehen könnten diese Aufträge könnten wir alle formulieren -, wie die Vergleichbarkeit von Sozialdaten wieder hergestellt wird. Und wir sollten auch Betroffene anhören, Betroffene, wie leben die. Denn ein Lebenslagenkonzept, Interviewmodelle sind genau in diesem Sozialbericht nicht vorhanden. Deswegen ist es, glaube ich, sehr notwendig, dass wir von großen Vereinen, ob Diakonie, Caritas, ALI, Arbeitslosenverband oder anderen hören, wie leben, wie empfinden

diejenigen, über die in diesen Berichten geschrieben wird. Solche Beschreibungen ihrer Lebenssituationen und welche Wünsche haben diese. Also, der Weiterberatung im Ausschuss werden wir uns auf keinen Fall verweigern, die Anhörung werden wir beantragen und das höchste des Parlamentarismus für mich wäre, wenn es tatsächlich am Ende eines öffentlichen Diskussionsprozesses mit dem Ausschuss tatsächlich Handlungsempfehlungen an die Landesregierung gäbe, die vielleicht in Form von Anträgen aus dem Ausschuss heraus, bestimmte Korrekturen in der Landespolitik vorzunehmen, zustande kämen. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ich bin kein Illusionist. Sollten sie im Ausschuss nicht zustande kommen, glaube ich, werden sie trotzdem den Landtag beschäftigen. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Für die Landesregierung hat sich Minister Dr. Pietzsch zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ich kann nur sagen, der Antrag der PDS ist verständlich und es wird durchaus von mir begrüßt, dass wir uns darüber unterhalten. Ich denke, der Sozialbericht gibt genügend her, dass man auch im Ausschuss sich darüber unterhält. Frau Bechthum, ich habe Sie sicherlich missverstanden, aber ich sage trotzdem, was ich missverstanden habe. Wenn Sie erwarten, dass der Sozialbericht Empfehlungen für die Abgeordneten gibt, was die Abgeordneten zu tun haben - so ungefähr haben Sie es formuliert -, das will der Sozialbericht eben gerade nicht, der analysiert, und welche Konsequenzen die Abgeordneten dann in Diskussionen im Ausschuss möglicherweise ziehen, das ist Angelegenheit der Abgeordneten.

Meine Damen von der Opposition, Sie haben mich keineswegs enttäuscht, Sie haben genau mit stereotypen Vorwürfen das gebracht, was ich erwartet habe.

(Beifall bei der CDU)