Protokoll der Sitzung vom 28.01.2000

Erster Punkt: Es ist unstrittig, dass die bislang vernachlässigte Bestandssicherung in der Verkehrsinfrastruktur mit einem Anlagevermögen von 560 Mrd. DM, bisher wenig ausgeprägt, deutlich stärker ausgeprägt werden muss. Darunter haben ja gerade wir zu leiden gehabt, hier in der ehemaligen DDR und in den neuen Bundesländern.

Zweiter Punkt: Es ist unstrittig, dass die fatale Disproportionalität zwischen der Entwicklung im Personen- und Güterverkehr, auf der Straße und auf der Schiene, berücksichtigt werden muss. Das wird gelegentlich vergessen.

Dritter Punkt: Es ist unstrittig, dass bei Güter- und Personenverkehr noch nicht ausgeschöpfte Potenziale bei der Vernetzung liegen. Das wird der Wirtschaftsminister sicherlich auch so sehen. Das trifft in Sonderheit auf den ÖPNV zu.

Vierter Punkt: Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, dass alle Maßnahmen des Investitionsprogramms, Herr Kallenbach, in Absprache mit den Bundesländern getroffen worden sind. Das heißt, Thüringen hat seine Prioritäten im Einvernehmen mit dem Bund abgestimmt. Das ist so gewesen.

Fünfter und wesentlichster Punkt: Es ist unstrittig, dass an der absoluten Priorität für den Aufbau Ost festgehalten wird. Niemals war der prozentuale Anteil über einen bestimmten Zeitraum der eingesetzten Mittel für die neuen Bundesländer größer als in diesem Zeitraum. Und es ist hier unvermeidlich, eine Reihe von Zahlen zu nennen, das gehört ganz einfach dazu.

Das Gesamtvolumen des Investitionsprogramms liegt bei 67,4 Mrd. DM für den Zeitraum 1999 bis 2002. Für die neuen Bundesländer stehen 32,1 Mrd. DM, das sind 48 Prozent des gesamten Mittelansatzes, zur Verfügung. Bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit fließen 59 Prozent der 17,4 Mrd. DM in die neuen Bundesländer. 68 Prozent der Mittel für den Neubau von Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen gehen in den Osten; im Bereich der Schienenwege sind es 45 Prozent. Ich sage das ausdrücklich

für die Damen und Herren der CDU, die je nach politischer Großwetterlage - früher in Bonn, heute in Berlin einmal "hosianna" und einmal "kreuzigt ihn" rufen. Das geht so nicht. Und - verehrter Herr Wunderlich, Sie sind jetzt gerade da

(Zuruf Abg. Wunderlich, CDU: Ja.)

Herr Wunderlich hat, bei allem Respekt vor seinen landund forstwirtschaftlichen Kompetenzen, kürzlich einen Leserbrief bei uns in der regionalen Presse veröffentlichen lassen, worin geschrieben stand, dass er zu dem Schluss kam, dass der Verkehrsbau praktisch zum Erliegen käme. Der Verkehrsbau kommt praktisch zum Erliegen - Herr Wunderlich, nun geben Sie es aber doch auch einmal vor den 66 Mann, die wir noch sind, zu: Das war doch ein bisschen übertrieben, oder?

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Sie kennen doch selber Gorndorf, Herr Lipp- mann.)

Praktisch zum Erliegen kommt der Verkehrsbau.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Ja, das ist doch praktisch zum Erliegen.)

Herr Wunderlich, auf den Freistaat Thüringen entfallen gemäß Investitionsprogramm 1999 bis 2002 6,3 Mrd. DM, also genauso viel Geld wie für Sachsen und SachsenAnhalt zusammen. Kein einziges Bundesland, weder Altnoch Neubundesland, erhält von 1999 bis 2002 und auch danach im Bereich der hochprioritären Maßnahmen beim Straßenbau so viel Geld aus dem Investitionsprogramm wie der Freistaat Thüringen, nämlich knapp 3,9 Mrd. DM.

(Beifall bei der SPD)

Wer bisher auf der Mitte-Deutschland-Bahn 71 Mio. DM verkleckert hat, der muss sich jetzt nicht beschweren, dass 665 Mio. DM zur Verfügung stehen dafür. Das verstehe ich ja überhaupt nicht. Und wer bisher die A 71 in Erfurt enden lassen wollte, der darf sich nicht aufregen, wenn heute die Verbindung nach Norden zur A 38 für 211 Mio. DM gebaut wird. Das ist doch ein Widerspruch in sich.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Aber das alles wird vom Finanzminister des Freistaats als Berliner Giftmischung für Thüringen bezeichnet, einem Mann, von dem ich etwa glaubte, dass er seine fünf Sinne bisher noch beisammen hat.

Natürlich sind die Finanzmittel eingeschränkt. Auch der Thüringer Haushalt hat sich an diese Sparbemühungen

gehalten oder hat sich zumindest bemüht. Und vor allen Dingen bei Eichel und bei Klimmt, meine Damen und Herren, da werden keine Geldkoffer mit Barem aus Liechtenstein abgegeben und deshalb müssen wir sehen, wie wir da zurechtkommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lippmann. Als Nächster hat sich zu Wort gemeldet der Abgeordnete Herr Heym.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Auswirkungen des Verkehrswegeinvestitionsprogramms der neuen Bundesregierung und insbesondere, was das für Thüringer Straßenbauprojekte zu bedeuten hat, dazu noch einmal ein paar Sätze. Ich habe immer das Glück, Herr Lippmann, nach Ihnen zu sprechen und da ist immer schon etwas Dynamik im Saal, aber ich will es gern machen.

(Beifall bei der CDU)

Der Bundesverkehrswegeplan, das ist richtig, ist mit seinen bewährten Projekten die Grundlage für den vom Bundestag durch Gesetz verabschiedeten Bedarfsplan. Er spiegelt also ganz klar die verkehrspolitischen Ziele der Bundesregierung wider. Und es ist sicherlich unstrittig, was Sie gesagt haben, dass eine fortlaufende Überarbeitung des Bedarfsplans notwendig ist, da Verkehrsaufkommen und Kosten-Nutzen-Verhältnisse analysiert und immer wieder neu bewertet werden müssen. Es ist aber eben genauso unsachlich, beim Verkehrswegeplan der alten Bundesregierung, wie von Ihrer Partei immer behauptet, von Unterfinanzierung oder von Luftschlössern zu sprechen,

(Zwischenruf Abg. Lippmann, SPD: Das habe ich überhaupt nicht gesagt.)

denn dieser Verkehrswegeplan ist ein Rahmenplan und kein Finanzplan. Tatsache ist, dass die Fortschreibung der Planungen, die die jetzige Bundesregierung vorgenommen hat, ein einziges Streichkonzert darstellt,

(Beifall bei der CDU)

denn es ist kaum noch ein neues Projekt in diesen Planungen vorhanden, es werden nur bereits begonnene Projekte weitergeführt. Alle neuen Projekte sollen im Rahmen der Bedarfsplanung permanent auf den Prüfstand, und das vor dem Hintergrund, dass wegen Globaler Minderausgaben bis 2003 fast 3 Mrd. DM weniger als bisher für die Straßenbauprojekte ausgegeben werden sollen. Und durch den Druck von den Grünen soll die Schiene weitgehend von den Kürzungen verschont werden. Dem könnte man eigentlich vom Grundsatz her folgen, wenn es in Thüringen nicht

dazu geführt hätte, dass man die ICE-Trasse gestoppt hätte.

(Beifall bei der CDU)

Wir erleben also auf der einen Seite einen Akt von moderner Wegelagerei, denn durch permanente Mineralölsteuererhöhungen werden bis 2003 rund 47 Mio. DM zusätzlich aus dem Straßenverkehr geschöpft, und auf der anderen Seite werden die Straßenbauinvestitionen durch die Bundesregierung in den Keller gefahren.

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: 22 Pfen- nige haben wir noch nicht erreicht.)

Ja. Man muss noch nicht einmal parteipolitisch argumentieren...

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: 94 - das wart ihr.)

Haben Sie sich beruhigt - kann ich weitermachen?

Man muss eben noch nicht einmal parteipolitisch argumentieren, dass diese Art von Politik zeigt, wie diese Bundesregierung bemüht ist, die verkehrsinfrastrukturellen Unterschiede und damit auch unterschiedlichen Standortfaktoren zwischen den alten und neuen Ländern abzubauen. Der Bundesverkehrswegeplan der alten Bundesregierung sah für Thüringen 57 Ortsumgehungen im vordringlichen Bedarf vor, dazu wären noch einmal 43 im weiteren Bedarf gekommen. Das wäre insgesamt ein Investitionsvolumen von ungefähr 2,5 Mrd. DM gewesen. Das sind gerade einmal gut 5 Prozent von dem, was die Bundesregierung durch ihre Mineralölsteuerabzocke bis 2003 zusätzlich einnimmt.

(Beifall bei der CDU)

Allein in Südthüringen sind dringend notwendige Ortsumfahrungen, und ich nenne hier nur einmal ein paar Beispiele: Hildburghausen, Themar, Merkers oder Dorndorf, nicht mehr in den Planungen berücksichtigt. Und ich muss an der Stelle als Südthüringer auch sagen, es gibt in Thüringen eigentlich Regionen, die noch viel schlechter infrastrukturell und verkehrsinfrastrukturell zurzeit dran sind.

(Beifall bei der CDU)

Und es kann uns heute kein Mensch sagen, wann Planungen...

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Da vorn sitzt er doch.)

(Unruhe bei der SPD)

Ich will sie sich doch erst mal abreagieren lassen, die Genossen.

Ja, das geht aber alles von Ihrer Zeit ab - leider. Fahren Sie fort, bitte.

Und es kann uns eben heute kein Mensch sagen, wann Planungen begonnen werden oder wann gar mit einem Baubeginn zu rechnen wäre. Anstatt herzugehen und sich ernsthaft um den Abbau dieser Defizite zu bemühen, um erstens verbesserte Lebensverhältnisse zu schaffen, aber vor allen Dingen wirtschaftsbegünstigende und investorenfreundlichere Infrastrukturen zu schaffen, streiten wir uns über kaum noch leistbare Sozialausgaben, die genau die logische Konsequenz aus solchen Strukturnachteilen sind.

(Beifall bei der CDU)

Um es noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass Bundesverkehrswegebeschleunigungsgesetz ist dank der Initiativen der neuen Länder im Bundesrat bis 2004 verlängert worden. Je weniger wir unter - ich sage es mal - diesen erleichteten Bedingungen umsetzen können, je weniger Projekte, desto langfristiger werden die Planungen werden und die Bauvorhaben werden sich verteuern. Das heißt, die Chancen für die Straßenbauprojekte für Thüringen werden geringer, je länger sie hinausgeschoben werden.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Ich komme zum Ende. Die Verantwortung für den Missstand den tragen, liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, Ihre Genossen im Bundestag,

(Beifall bei der CDU)

denn die haben nämlich für die Kürzungen im Einzelplan 12 des Bundeshaushalts und damit gegen die Interessen von Thüringen gestimmt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das der Auftrag war, der Ihnen von den Wählern gegeben worden ist.