Jetzt sind wir beim Thema Bildung. Erste Anmerkung: Sie werfen Frau Sojka vor, sie würde wissen, wie die Wahlentscheidung am 30. August ausgeht. Auf dem gleichen Ross sind Sie natürlich jetzt auch hier eingeritten, das kann ich Ihnen nur so sagen. Aber wahrscheinlich kennen Sie auch die eine oder andere Wahlumfrage. Die Wahlumfragen sehen Sie nicht unbedingt als die Sieger dieser Wahl am 30. August. Wir sind angetreten mit einem Regierungsprogramm und - das sage ich Ihnen sehr deutlich - wir haben lange dazu gebraucht, wir haben lange in dieser Richtung gelernt. Wir sagen, wir wollen die Verantwortung übernehmen und wir sind dazu bereit. Ja, es ist so.
Alles, was wir den Wählerinnen und Wählern vorlegen, haben wir in eben jenem Regierungsprogramm zusammengefasst. Ich weiß noch nicht, ob Sie das schon gelesen haben. Aber ich bedanke mich ausdrücklich bei Herrn Emde und auch bei Ihnen, dass Sie wenigstens unserern alternativen Schulgesetzentwurf gelesen haben. Wir trauten uns ja gar nicht, ihn ins Parlament einzubringen, so eine interessante Debatte hätten wir nie bekommen, wenn wir es nicht über diese Form versucht hätten, herzlichen Dank dafür.
Ach, Mike Mohring, meinetwegen können Sie hier vorn noch mal reden. Sie haben gestern Abend zum parlamentarischen Abend sicher auch sehr wohl wahrgenommen, wie die Handwerkerschaft an der Frage des Bildungssystems in Thüringen angezweifelt hat, ob das, was aus diesem Schulsystem he
(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Aber nicht über die PDS-Bildungspolitik. Sie reden sich die Welt schön.)
Ich wollte zu dieser Frage der Bildungspolitik als Ganzes sprechen. 70 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer sind der Meinung, dass man bis zur Klasse 8 gemeinsam lernen sollte. Das sind die neuesten Umfragen. Das wird auch immer wieder betont.
Wenn diese Aussage getroffen wird und sie übrigens sich auch in bundesdeutschen Befragungen wiederfindet, dann scheint etwas dran zu sein, dass an dem gemeinsamen Lernen bis zur Klasse 8 oder mindestens bis zur Klasse 8, man kann auch andere Modelle wählen, sachliche Gründe vorhanden sind, die Bürgerinnen und Bürger zu dieser Entscheidung führen. Da möchte ich Ihnen jetzt das, was wir im Schul- und Bildungssystem vor uns haben, mal an einigen Stellen noch erläutern.
Erste Etappe - Kindertagesstätte: Sie haben zum Schluss von frühkinderlicher Bildung gesprochen und so sinngemäß gesagt, dass der Bildungsplan natürlich garantiert, dass in der frühkindlichen Bildung Bedeutsames geleistet wird. Das sagen wir auch. Sie haben zwar lange gebraucht, um diesen Zusammenhang zwischen Bildung und Erziehung für sich überhaupt zu realisieren, aber als dann der Bildungsplan erarbeitet und vorgelegt worden ist, war genau die Situation eingetreten, dass mit Ihrer Offensive auf die Familie die Kindertagesstätten weniger Erzieherinnen hatten, und dieser Bildungsplan fordert eben auch das notwendige pädagogische Personal, welches in der Lage ist, diesen Bildungsplan umzusetzen. Wir reden seit zwei Tagen an den unterschiedlichsten Stellen zu diesem Thema. Der Bedarf in Thüringen, um diesen Bildungsplan und diesen Anspruch umzusetzen, liegt bei 2.000 Erzieherinnen und Erziehern.
Das ist nicht falsch, das ist mehrfach aufgeschrieben, vorgetragen und festgestellt worden. Nun kann ich jeden Schritt in die Richtung würdigen, 1.000 Erzieherinnen einzustellen. Ich kann auch einem nackten Mann sagen, ich kaufe dir entweder eine Hose oder eine Jacke, angezogen ist der dann hinterher nicht. Vor diesem Hintergrund haben wir es mit ei
nem nächsten Problem zu tun. Wenn wir es ernst nehmen mit der Bildungsverantwortung in den Kindertagesstätten, wenn Sie es ernst nehmen wollen mit der Umsetzung des Bildungsplans, dann müssen Sie endlich auch darauf eingehen, dass in der ErzieherInnenausbildung - „Erzieherinnen“, für das Protokoll, mit großem „I“ - ein qualitativer Fortschritt erreicht werden muss. Wir hatten in der DDR-Zeit eine Ausbildung für Kindergärtnerinnen, wir hatten eine Ausbildung für Heim- und Horterzieherinnen und wir hatten unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen, wenn man in eine Hochschulausbildung eingetreten ist. Nun möchte ich nicht genau die Widerspiegelung dieser Ausbildung, aber die Kindergärtnerinnen, die wir heute in den Einrichtungen haben, sind in hohem Maße befähigt, diese frühkindliche Ausbildung zu leisten. Was wir jetzt in der ErzieherInnenausbildung haben, nämlich diesen „Breitbanderzieher“ von 0 bis 27 nach KJHG, der sich auf alle möglichen Altersklassen und Problemgruppen in diesem Altersspektrum einlassen muss, der kann diese Aufgabe nur mit zusätzlicher Aufwendung und Ausbildung erfüllen. Mein Dank gilt all denen, die das tun und dann unter den Bedingungen in den Kindereinrichtungen arbeiten, die Frau Sojka vorhin beschrieben hat, nämlich eigentlich mit unter 1.000 € zum großen Teil nach Hause gehen. Also wenn Sie sagen, Wahrnahme der Realität, dann lassen Sie sich bitte nicht in einer Kindereinrichtung den roten Teppich ausrollen, weil der Kultusminister kommt, sondern gehen Sie dann ganz einfach und ganz schlicht als Bürger Müller mal in so eine Einrichtung. Bringen Sie Ihr, weiß ich jetzt nicht, Enkelkind dorthin oder jemanden aus der Nachbarschaft und versuchen Sie genau in die Rolle zu kommen, in der sich jeder andere Bürger oder jede andere Bürgerin befindet, die mit diesem Thema auf der Ebene der Kommune umgehen muss. Dann kommen Sie auch zu einem anderen Blick. Dann fangen Sie auch nicht an, uns irgendwelche ideologischen Scheuklappen anzupappen, sondern dann legen Sie Ihre eigenen ab.
Das Thema Grundschule: Ich finde es immer wieder beeindruckend, wenn Sie sagen und würdigen, zwei Drittel aller Schüler besuchen den Grundschulhort. Schön. Haben Sie sich mal in die Rolle der Kinder und Eltern versetzt, die diesen Grundschulhort nutzen? Es sind eben eine ganze Reihe von Eltern, die dann ihr Kind in der 5. Klasse ins Gymnasium schicken? Wissen Sie, was diese Eltern dann machen? Die fahren ihr Kind zur Musikschule, die fahren ihr Kind zum Sportverein, wenn sie etwas außerhalb der Städte wohnen. Sie sind auf den Schülerverkehr angewiesen, dieser Bus fährt zu einer bestimmten Zeit, der Freund oder die Freundin wohnt noch an einem anderen Ort. Das heißt, auch fami
lienpolitisch bedeutet der Eintritt in diese Schulstufe, dass sich ein Elternteil - es ist allerdings meistens die Mutter - um die Betreuung der Kinder kümmern muss, oft mehr als in Kindergarten- und Grundschulzeit. Familienpolitisch könnte ich eigentlich nur auf den Schluss kommen, dass ich an dieser Stelle, also ab der Klasse 5, mit ganz starken Mitteln gegensteuern muss.
Übrigens, Frau Sojka ist Mitglied der Fraktion DIE LINKE und die Fraktion DIE LINKE hat diesen Gesetzentwurf sehr wohl gelesen und ihn sehr kritisch begleitet. Der zweite Entwurf, der jetzt vorliegt ist ein Ergebnis der Arbeit einer ganzen Fraktion. Also machen Sie bitte nicht immer einzelne Personen dafür madig.
Aber wir kommen dann auf die Idee - und diese Idee ist nicht so neu, die hätten Sie sich in Finnland mit anschauen können -, dass man eben bis zur Klasse 8 gemeinsam lernt. Das heißt nicht, dass man einem „Schulkombinat“ gleichend große bauliche Anlagen schafft, in die dann die Kinder aus den gesamten umliegenden Ortschaften vielleicht in die großen Mittelzentren gebracht werden, sondern dass Kinder in der Klassenstufe gemeinsam lernen und dass weder die Eltern noch die Kinder noch irgendjemand anders an der Schwelle zwischen der 4. und 5. Klasse entscheidet, welcher Schultyp besucht werden soll. Das ist eine ganz simple Form, die in zahlreichen Ländern Europas und der Welt praktiziert wird - gemeinsames Lernen, wir sagen, bis zur Klasse 8.
Wir wissen übrigens auch, dass aufgrund des Bildungsföderalismus selbst die Mitglieder unserer eigenen Partei in anderen Bundesländern zu anderen Auffassungen kommen, aber wir sind zur Auffassung gekommen bis mindestens zur Klasse 8. Frau Sojka hat Ihnen vorhin noch mal sehr deutlich erklärt, dass man da auch Schulteile unter einer Leitung zusammenfassen kann. Die können sogar räumlich an unterschiedlichen Orten sein. Schwierig könnte es sein, dass der Lehrer dann mal hin- und herfahren muss, aber wesentlich weniger, als er heute in den Schulamtsbereichen unterwegs ist.
Dann zum Thema Gymnasium: Das Gymnasium, das ist richtig, setzt nach unserer Lesart ab der Klasse 9 ein und umfasst in der Regel die Klassenstufen 9, 10, 11 und 12. Soweit man diesen Bildungsgang von Stufe 1 bis zum Abitur gemeinsam realisieren will, dann ist das mit der heutigen Gesamtschule vergleichbar, dann sind das 13 Jahre, weil das Bildungsprofil dann ein anderes ist. Ich glaube, Frau Sojka,
Sie haben vorhin auch von Jenaplan gesprochen. Dort haben wir dieses Modell und, ich glaube, Sie wissen, dass das auch ein reformpädagogisches Modell ist, auf welches Sie hingewiesen haben. Wir haben uns gestattet, genau solche reformpädagogischen Modelle auch für uns in Anspruch zu nehmen und weder ein tradiertes Bildungsmodell der früheren Bundesrepublik Deutschland oder ein tradiertes Bildungsmodell der DDR neu aufleben zu lassen, sondern im 21. Jahrhundert einmal zu fragen: Wie muss Schule eigentlich vom Kind aus gedacht aussehen?
Jetzt noch ein Wort zu dieser „Kuschelpädagogik“: Stellen Sie sich einmal vor, Herr Kultusminister, Sie würden irgendwann ein Zeugnis bekommen und darauf würde stehen: Tätigkeit als Kultusminister - 4. Was würde das aussagen? Nichts.
Es gibt zahlreiche Untersuchungen - und wir haben uns nämlich auch noch eins gestattet in der Erarbeitung unseres Schulgesetzes, wir haben dazu noch wissenschaftliche Konferenzen stattfinden lassen. Wir haben uns Fachleute eingeladen, damit sie mit uns darüber beraten, wie so ein Schulmodell aussehen soll. Offensichtlich haben Sie dann auch irgendwann mal in der Zeitung gelesen, die LINKE will alle in die Hängematte legen und die hat keine Leistungsorientierung für die Schülerinnen und Schüler. In der OTZ stand dann auch noch, dann setzen sie noch einen Schulpsychologen dazu und dann setzen sie noch einen Sozialpädagogen dazu und hinten kommt das faule „Hängemattenwesen“ dieses Sozialstaats heraus. So ein Blödsinn, kann ich nur sagen, so ein Blödsinn.
Mir hat vorhin ein Mitarbeiter gerade eine neueste Untersuchung noch mal zugereicht, weil in Österreich gerade eine Expertenkommission - man muss auch seine Mitarbeiter mal würdigen
folgendes Ergebnis formuliert, genau auf die Frage von Leistungsbewertung in der heutigen Zeit: „Ziffernnoten sind, das ist wissenschaftlich sehr gut untersucht, kein geeignetes Mittel, um Schülerinnen detailliert und präzise Rückmeldungen über ihre Leistungen zu geben, vor allem aber sagen sie nichts aus über Lernfortschritte. Dagegen wird mit der Vergabe von Ziffernnoten regelmäßig die Rangfolge in
einer Lerngruppe abgebildet, wodurch genauso regelmäßig gute Schülerinnen belohnt und leistungsschwache bloßgestellt und entmutigt werden. Deshalb sollte mit der Einführung einer anderen Lernkultur in den Modellversuchen NMS von der ersten bis zur dritten Klasse auf Ziffernnoten verzichtet werden. An ihre Stelle sollten Eingangsdiagnosen, Förderpläne, Lernpläne, die Aufteilung des Lernstoffs in Kompetenzraster und -module und die sorgfältige Dokumentation des Leistungsstandards der Schülerinnen die Grundlage für regelmäßige Rückmeldungen an die Schülerinnen und ihre Eltern bilden.“
Das ist also die Empfehlung, wir sprechen über Leistungsbewertung und über Leistungsmotivation. Und auch die Schule, die wir uns visionär vorstellen, ist eine Schule, in der Leistung erbracht wird, und zwar die höchstmögliche Leistung, die ein Kind in der jeweiligen Altersstufe tatsächlich auch erbringen kann. Deswegen, sagen wir auch, ist unsere Schule eine Schule der Inklusion. Die Regelschule in Thüringen soll nach unserem Modell eine Schule der Inklusion sein, die diejenigen einschließt, um es mal in der deutschen Übersetzung zu sagen, die einen Förderbedarf haben und genau mit den richtigen Mitteln mit diesen Kindern arbeitet und die auch mit den Hoch- und Höchstbegabten so arbeitet, dass im Sozialverband „Klasse“ eine höhere Leistung entwickelt werden kann und dass dann - da schauen Sie sich bitte auch mal Studien an - in diesem inhomogenen Verband zwischen Spitzenkönnern auf der einen Seite und Kindern, die etwas Nachholbedarf auf der anderen Seite haben, sich eine Dynamik entwickelt, weil nämlich jeder etwas kann, was er dem anderen beibringt. Damit gibt es keine Selektion, sondern aus diesem Grund heraus erwächst sozialer Zusammenhalt in der Gruppe der Kinder und übrigens auch in der Gesellschaft.
Vor diesem Hintergrund wünschte ich mir, Sie hätten manche unserer Debatten hier aufgenommen, auch Sie, Herr Emde, und hätten nicht einfach in einer Beratung, in der wir überhaupt nicht erwartet haben, dass es um unser alternatives Schulgesetz geht, mit rückwärts gewandter Kritik und Einprügeln auf die Fraktion DIE LINKE und Diffamierung derer Ideen ein Modell abqualifiziert, über welches wir seit mindestens zwei Jahren landauf, landab diskutieren, und übrigens ohne, dass man uns den roten Teppich ausrollt und dass uns viele Probleme, die in Schulen, auf Schulhöfen, in Klassenzimmern oder eben in Lehrerzimmern stattfinden, erzählt werden. Ich würde Ihnen auch raten, das so zu tun. Da sage ich wiederum, Bildungspolitik verdient tatsächlich kein ideologisches Getöse.
Bildungspolitik ist etwas, das über Generationen hinweg wirkt, wo man Veränderungen, die man in diesem Bereich vornimmt, mindestens über 20 Jahre bis über eine Generation bewerten muss. Vor diesem Hintergrund komme ich noch einmal auf die Frage der Wahlentscheidung zurück. Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt, Sie sagen, Ihr Modell ist Spitze. Am 30. August werden Wählerinnen und Wähler auch darüber entscheiden, welches Modell sie wollen und welches dann Spitze ist.
Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten liegen mir nicht vor. Dann hat noch einmal der Minister das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Frau Klaubert, ich will zuerst zu Ihren letzten Ausführungen etwas sagen. Wenn Sie die Auseinandersetzung über politische Vorstellungen, eigentlich das Wesen von Demokratie und die Aufgabe dieses Parlaments, als politische Diffamierung bezeichnen,
Wir brauchen die Auseinandersetzung. Zu hinterfragen, was in Konzepten steckt und was dahinter steckt, ist nicht nur Aufgabe der Opposition, sondern ist besonders in Vorwahlzeiten auch die Aufgabe aller politisch Verantwortlichen - und das machen wir. Wir wollen Klarheit, was Sie hinter neuem oder altem Vokabular verstecken.
Das Zweite zur DDR-Schule: Wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist lächerlich, was hier gesagt wird. Es geht doch nicht darum, dass man etwas gelernt hat oder nichts gelernt hat. Das
ist doch nicht das Wesen der DDR-Schule. Natürlich hat man etwas gelernt, natürlich hat man berufliche Karrieren machen können. Da gibt es doch keine Fragen. Die einen haben es gemacht durch Fleiß, die anderen haben es gemacht durch Parteizugehörigkeit, es kommt ganz darauf an, welche berufliche Karriere man einschlagen wollte. Das werden Sie doch wohl nicht abstreiten? Aber es geht doch um etwas völlig anderes, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es gab in der DDR überhaupt keinen Vergleich verschiedener Schularten. Die DDR-Schule hat für sich selbst die Differenzierung organisiert an den Stellen, wo sie sich international vergleichen musste und wollte. Die Spezialschulen für Mathematik und Naturwissenschaften, die Spezialschulen für Sprachen, die Spezialschulen für Sport und dergleichen mehr. Sie hat es für sich selbst organisiert, weil sie wusste, nur mit Differenzierung werden wir erfolgreich und werden die internationalen Vergleiche bestehen können. Es ist in der Tat so gewesen, dass bei internationalen Vergleichen kein POS-ler und kein EOS-ler erste Plätze belegt hat, sondern ich gehe von meinem Kenntnisstand aus, was die Mathematik angeht, immer die Absolventen oder die Schüler an den Spezialschulen. Das ist die Wahrheit und das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.