Protokoll der Sitzung vom 28.01.2005

geben. Aber es stimmt auch, dass der Ausbau des Sozialstaats, die einseitige Betonung von Sicherheit und Gleichheitsaspekten, uns und folgende Generationen nicht nur ökonomisch und finanziell belastet, sondern auch mit einem Verlust an Freiheit erkauft worden ist.

Ich betrachte die Ergebnisse der Umfrage als Herausforderung an die Politik. Wir müssen noch stärker als bisher auf die Kraft der Freiheit setzen und den Menschen die Gestaltungsräume zurückgeben, die sie benötigen, um ihr eigenes Leben eigenverantwortlich führen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Das betrifft insbesondere den Kern der Gesellschaft, die Familie. Eine Grundaussage auch der sozialen Marktwirtschaft: Subsidiarität stärker wieder zu leben - die Familie, die Kommune, den Einzelnen, den Kleinraum der Gesellschaft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorstellung, der Staat könnte weiterhin den Eindruck vermitteln, er könnte für maximale Sicherheit ohne starke Eigenverantwortung sorgen, führt in die Sackgasse. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir in Thüringen alles dazu beitragen, unsere staatlichen Aufgaben auf das Wesentliche zu beschränken und damit die Eigenverantwortung des Einzelnen nicht nur zu stärken, sondern auch herauszufordern.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wesentlich für die Einschätzungen sind natürlich die spezifischen Erfahrungs- und Erwartungshorizonte und ich bin sehr froh und dankbar, dass die überwältigende Mehrheit, das heißt, drei Viertel der Thüringerinnen und Thüringer, die Vorteile der deutschen Einheit erkennen. Wir können stolz und selbstbewusst auf das blicken, was wir in den zurückliegenden Jahren erreicht haben und die Umfrageergebnisse bestätigen meine Überzeugung, dass wir den Vergleich mit anderen nicht zu scheuen brauchen. Aber klar ist auch, der Prozess der inneren Einheit Deutschlands ist noch lange nicht abgeschlossen. Es gibt noch viel Arbeit, um die teilungsbedingten Lasten zu bewältigen. Bei der Lösung der aktuellen Probleme helfen uns ostalgisch verklärte Rückblicke auf ein System, das die Lebensschancen vieler Menschen beeinträchtigt oder gar zerstört hat, nicht weiter.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nahe liegend, dass die Menschen, die gezwungen waren, in einem System der Unfreiheit zu leben, über spe

zifische Erfahrungs- und Erwartungshorizonte verfügen. Die Gerechtigkeitsvorstellungen orientieren sich bewusst oder unbewusst am Propagandabild der, wie in der Studie beschrieben, "sozialistischen Versorgungsdiktatur", die mit hohen Ansprüchen an die Absicherung von sozialen Risiken verbunden war. Noch immer glauben nach der Studie 56 Prozent, dass die DDR mehr gute als schlechte Seiten hatte. Immerhin noch 22 Prozent hegen den Wunsch, zur sozialistischen Ordnung zurückzukehren. Es ist keine Überraschung, dass bei dieser Frage die Zustimmungsquote unter den Anhängern der PDS mehr als doppelt so hoch liegt wie im Durchschnitt aller Befragten. Das heißt, je größer die Nähe zur DDR, desto weniger Befragte empfinden die bundesdeutsche Gesellschaftsordnung als gerecht. Nur 7 Prozent der Befragten mit einer großen DDR-Affinität schätzen die Gesellschaft als gerecht ein, bei denjenigen mit mehr Distanz zum alten Regime sind es 20 Prozent. Die Forscher kommen also zu dem Schluss, "dass in Thüringen wie in Ostdeutschland insgesamt durch die Sozialisation im Staatssozialismus ein spezifischer Erfahrungs- und Erwartungshorizont existiert". Wie wirkt sich dieser spezifische Erfahrungs- und Erwartungshorizont auf die Bewertung des Sozialstaats aus? Auch dieser Frage sind die Forscher nachgegangen. "Alles in allem hat sich unser Wohlfahrtsstaat bewährt" - dieser Aussage stimmen 47 Prozent der Thüringer zu. Dabei gibt es aber wiederum markante Unterschiede, je nachdem, ob man zu den Beitragszahlern oder zu den -empfängern gehört. 60 Prozent der Jüngeren bewerten den Sozialstaat sehr negativ. Es ist der immer kleiner werdende Kreis der Arbeitnehmer, der zahlen muss, aber nicht weiß, was er später einmal herausbekommt, eben die Jüngeren. Die Älteren, die jetzt schon Rente bekommen, aber auch die Beamten und Selbstständigen haben eine sehr positive Einschätzung des Sozialstaats. Hier deuten sich vielschichtige Konflikte an, denen wir durch einen lastengerechten Umbau des Sozialstaats und eine wachstumsfördernde Politik in Deutschland begegnen müssen. Die Jenaer Studie macht deutlich, dass zu viele Ansprüche an staatliches Handeln gestellt werden und immer noch eine ausgeprägte Vollkaskomentalität bei der Absicherung von Lebensrisiken vorliegt. Deutliche Mehrheiten jenseits der 50 Prozent-Marke sehen zuerst den Staat in der Pflicht, wenn es um Behandlungskosten im Krankheitsfall, um die Stabilität der Renten oder Bildungsfragen geht und wenn nach der Verantwortlichkeit für die Pflege alter Menschen gefragt wird. Und selbst bei der Schaffung von Arbeitsplätzen meinen 68 Prozent der Befragten, hier sei besonders der Staat verantwortlich, eine Auffassung, die von einigen Parteien leider auch immer noch offensiv gefördert wird. Die Grundidee der Sozialstrukturen, durch die Sozialversicherungen der Beteiligten Vorsorge zu treffen, ist also über die Jahrzehnte in Deutsch

land, aber auch in den letzten 16 Jahren hier bei uns vollständig aus dem Blick geraten. Das heißt, der Staat hat zu lange interveniert. Er hat zu lange die volle Verantwortung - unabhängig von der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft - übernommen. Diese Verantwortungsübernahme bringt ihn nun in ein Dilemma. Er muss umsteuern, wieder die Versicherung derer, die Leistungen erwarten, in den Blick nehmen und dafür sorgen, dass Deutschland wieder durch Wirtschaftswachstum Beschäftigung aufbaut, mehr Beschäftigung sichert und damit die Sozialstaatsfunktion auch als Gemeinschaftsfunktion zukunftsfähig erhält.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, den Sozialstaat ohne wirtschaftliches Wachstum, ohne zunehmende Beschäftigung zu sichern, würde die Schieflage in Deutschland weiter negativ beeinflussen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zwar einen starken leistungsfähigen Sozialstaat präferieren, aber als Politik auch deutlich machen, dass dieser Sozialstaat unabänderlich verbunden ist mit einer starken leistungsfähigen Wirtschaft, die Arbeitsplätze zukunftsfähig sichert und immer neue aufbaut.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es so interessant, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie die Thüringerinnen und Thüringer Reformbereitschaft sehen und ihre eigene Reformbereitschaft einschätzen. Natürlich, es zeigt sich zum Teil ein sehr widersprüchliches Bild. In Zeiten angespannter Haushaltslage müssen wir die richtigen Schwerpunkte setzen und stärker als bisher berücksichtigen, man kann nur das ausgeben, was vorher erwirtschaftet wird. Deshalb ist es nach meiner Auffassung eine gute Nachricht, dass nur eine kleine Minderheit glaubt, es könne mehr verteilt werden, als erwirtschaftet wird. Problematisch ist allerdings, dass 40 Prozent der Befragten nicht bereit sind, die Sozialleistungen zu kürzen, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Und hier liegt ein besonderes Problem, denn selbstverständlich ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands die Voraussetzung für die soziale Leistungsfähigkeit. Aber eine interessante weitere Feststellung in der Studie: Eine deutliche Mehrheit von 60 Prozent der Befragten glaubt, dass viele Menschen in Deutschland Sozialleistungen beziehen, die ihnen nicht zustehen,

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Was glauben Sie?)

ein Alarmsignal, das wir nicht übersehen dürfen. Das heißt, wir müssen die Sozialsysteme reformieren, die wirtschaftliche Leistungskraft der Gesellschaft wieder deutlich erhöhen, die Verantwortung jedes Einzelnen und der Generationen füreinander stärken

und die Anbindung an die ökonomische Entwicklung aller Sozialstaatssysteme in Zukunft sichern und auch stärker als in der Vergangenheit kontrollieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Thüringerinnen und Thüringer stehen, und das ist wichtig, insgesamt aufgeschlossen den Reformen gegenüber. Je besser die Befragten ihre wirtschaftliche Lage und gesellschaftliche Stellung einschätzen, desto - das ist verständlich - größer ist auch die Reformbereitschaft, so die Forscher. Die Zustimmung zu konkreten Einzelreformen hängt allerdings auch davon ab, inwieweit man selbst davon betroffen ist und sich als Gewinner und Verlierer sieht. Einige Reformvorschläge aus einer Rangliste, die die Thüringer im September 2004 gemacht haben: Mit Hartz IV, der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, kann sich die Hälfte der Thüringer anfreunden. Leistungsbeschränkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung stimmen 45 Prozent der Befragten zu. Nur 24 Prozent wollen das Rentenniveau absenken. 36 Prozent aller Befragten stimmen mindestens zwei der genannten Reformvorschläge zu. Sie gelten damit nach den Kriterien der Wissenschaftler als - so wörtlich - "in größerem Umfang" reformbereit. Ich meine, ein positives Signal, das mich darin bestärkt, unsere Verantwortung hier in Thüringen umfassend wahrzunehmen, um mehr Zukunftsfähigkeit durch Wirtschaftswachstum zu erreichen, aber auch meine Verantwortung auf Bundesebene dafür zu nutzen, endlich zu den notwendigen Reformen zu kommen, damit Deutschland nicht länger nur von der Substanz lebt, sondern wieder Substanz schafft.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet allerdings auch, dass wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen, um die Skeptiker im Land, die sich derzeit zu den potenziellen Verlierern zählen, für den Reformkurs zu gewinnen. Ich bin überzeugt, nur wenn wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ganz Deutschland verbessern, können wir auch insgesamt gewinnen. Prof. Pohl, der ehemalige Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, hat es auf dem letzten Jahresempfang der IHK Ostthüringen noch einmal sehr deutlich und sehr markant ausgedrückt.

Es besteht kein Zweifel, dass gespart werden muss, auch im Sozialbereich. Vor die Wahl gestellt, ob zur Zukunftssicherung der Sozialsysteme die Leistungen eingeschränkt oder die Sozialbeiträge angehoben werden sollen, erkennen die Forscher grundsätzlich eine Tendenz in Richtung Leistungseinschränkung. Allerdings können sich - ähnlich wie im Vorjahr - gut 20 Prozent der Befragten nicht entscheiden. Dass Kürzungen insgesamt nicht sehr populär sind, wie die Wissenschaftler schreiben, kann

nicht überraschen. Aber es ist natürlich interessant zu erfahren, welche Prioritäten die Bevölkerung setzt. Angesichts der Umfrageergebnisse fühlen wir uns, fühle ich mich in meiner Politik bestätigt.

Für die überwältigende Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer stehen Ausgaben für den Bildungssektor nicht zur Disposition. 95 Prozent der Befragten lehnen Ausgaben und Kürzungen im Bereich Schule/Hochschule ab - eine, wie ich finde, zukunftsweise Entscheidung, denn Bildung ist der Schlüssel für Entwicklung und Innovation in unserem Land. 82 Prozent der Befragten meinen, dass der Staat auch hier eine besondere Verantwortung trägt. Gleichwohl können wir als Staat die ökonomische Entwicklung und insbesondere die demographische Entwicklung nicht einfach ignorieren. Sinkende Schüler- und Studentenzahlen erfordern auch neue Antworten, ebenfalls die stärkere Wettbewerbsbezogenheit von Schule und Hochschule durch die europäische und globale Entwicklung.

Auch der Bereich der inneren Sicherheit genießt einen sehr hohen Stellenwert. Die Polizei, die dazu beiträgt, dass wir alle sicher leben können, sollte also von Einsparungen ausgenommen werden, meinen fünf von sechs Befragten.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Zukunft des Landes ist die Kinderfreundlichkeit, die Aufgeschlossenheit für Kinder, das kinderfreundliche Klima ganz entscheidend. Ich habe wiederholt gesagt, die Ausgaben für den Sozialbereich sind in der bisherigen Höhe nicht mehr finanzierbar, weil wir derzeit zu wenig erwirtschaften, um allen Ansprüchen gerecht zu werden, weil die Lebenserwartung der Menschen dank medizinischer Fortschritte glücklicherweise steigt, weil zum Teil die Systeme in ihrer Detailausgestaltung nicht dem Subsidiaritätsprinzip gerecht werden und die Wirtschaftsentwicklung hemmen und weil es, und das ist ganz offensichtlich, zu wenig Kinder gibt. Die Statistiker haben ausgerechnet, dass die derzeitige Geburtenrate bei 1,29 liegt zu wenig, um die Bevölkerungszahl zu halten. Drei von vier Befragten fordern mehr staatliche Unterstützung für ein Leben mit Kindern. Dass die Leute keine Verantwortung mehr für Kinder übernehmen wollen, meint aber nur eine Minderheit von 15 Prozent. Das heißt, die Auffassung, dass Kinder wichtig sind und dass die Verantwortung für Kinder wahrzunehmen entscheidend ist, wird von einer übergroßen Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer geteilt. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, das demographische Problem ist nicht in erster Linie mit mehr Geld zu lösen. Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat im vergangenen Jahr nach Einflussfaktoren auf die Ge

burtenrate in Deutschland gefragt, die ja, wie Sie wissen, zu den niedrigsten der Welt gehört. Nach dieser Studie sind 63 Prozent der Kinderlosen überzeugt, dass man auch ohne Kinder glücklich sein kann. Ich sage sehr deutlich, solange Kinder in unserer Zeit überwiegend als Belastung, nicht aber als Bereicherung empfunden werden, solange wir kein kinderfreundliches Klima in Deutschland schaffen und das geht jede Gruppe an, die Wirtschaft, die Medien, die Kommunen, natürlich auch im Besonderen die Politik, aber auch jeden Einzelnen - solange wir dieses Klima und die individuellen Einstellungen nicht deutlich verbessern, haben wir keine Zukunft.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb müssen wir die Leistungen, die Familien mit Kindern für die gesamte Gesellschaft erbringen, auch stärker anerkennen. Dass Eltern gegenüber kinderlosen Paaren oder Singles besser gestellt werden sollten, diese Forderung von drei Vierteln der Befragten mit Kindern im Haushalt, ist berechtigt und verdient auch Unterstützung.

(Beifall bei der CDU)

Das Verfassungsgerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts zur stärkeren Berücksichtigung der Kinder in den sozialen Sicherungssystemen, z.B. bei Pflege, ist immer noch unzureichend umgesetzt. Diese Konstruktionsfehler in den sozialen Sicherungssystemen Deutschlands haben sich über die Jahre, schon über die Jahrzehnte fatal ausgewirkt. Deshalb - auch wenn wir diese Regeln aus Thüringer Sicht nicht ändern können, sondern nur beitragen können, dass sie geändert werden - ist es wichtig, dass wir unser Landesbündnis für Familie fortsetzen, viele Interessierte mit versammeln und dass wir auch über unser Familienfördergesetz einen wichtigen Impuls für die Familie in Thüringen und damit für die Zukunft Thüringens setzen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat gesagt: "Das einzelne Kuchenstück wird nicht nur dann größer, wenn es zulasten der anderen zunimmt, sondern auch dann, wenn es gelingt, den Kuchen als Ganzes zu vergrößern." Ich stimme ihm ausdrücklich zu: Eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik, eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik, verbunden mit einer wettbewerbsfähigen Steuerpolitik und einer die Wirtschaft unterstützenden Sozialpolitik kann den Kuchen größer machen und ist nach wie vor die beste Sozialpolitik. Es bleibt dabei: Arbeitsplätze schaffen kann nur die Wirtschaft und Aufgabe des Staates ist es, die Weichen in Richtung Wachstum und Beschäfti

gung zu stellen. Deshalb geht an alle in der politischen Diskussion, aber auch ganz besonders an die Tarifpartner der Appell, ihrer Verantwortung für das Ganze mit einer maßvollen Lohnpolitik und zeitgemäßen Forderungen an den Arbeitsmarkt gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Studie ergibt eine ganze Reihe von Informationen, die uns als Politikerinnen und Politiker motivieren kann, Reformen in Deutschland und natürlich Veränderungen in Thüringen zu erreichen. Wir haben eine gute Grundlage, die es uns erlaubt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, nicht ohne zu diskutieren und auch zu korrigieren, aber wohl in dem Ziel, die Eigenverantwortung zu stärken, die staatliche Verantwortung auf das Notwendigste zu begrenzen, um die Freiräume in einer freiheitlichen Gesellschaft hier in Thüringen dazu zu nutzen, dass dieser Standort weiter in seiner Standortattraktivität wächst und damit unser mittelständisches Wachstum dazu führt, dass in den nächsten Jahren die notwendigen Gestaltungsaufgaben in Thüringen noch besser wahrgenommen werden können. Positive Beispiele, wie die Ansiedlung von 28 Unternehmen im letzten Jahr, unser starkes Industriewachstum, der Beschäftigungszuwachs in diesem Bereich, die starke Zunahme des Auslandsumsatzes, die gute Stellung unserer Universitäten und Hochschulen im deutschlandweiten Konzert, die leistungsfähigen Schulen und beispielhaften Ergebnisse im Bereich der Bildung und auch das Bemühen von Wirtschaft und Politik, für Familien den Rahmen noch besser zu stellen, zeigen, dass wir die Weichen richtig gestellt haben.

Deutschland, so wie Thüringen, muss aber insgesamt die globale Wettbewerbsfähigkeit im Blick haben. Die Entwicklungen in unseren Nachbarregionen, ob Osteuropa, Südosteuropa oder auch Westeuropa zeigen: Diejenigen, die sich schneller auf die Marktbedingungen einstellen, sind auch ökonomisch fortschrittlicher und am Ende sozial prägender. Länder wie Österreich, die im letzten Jahr ihre Reformen zielstrebig vorangebracht haben, zeigen genauso wie Länder in Osteuropa, wie die baltischen Staaten, die Slowakei, Tschechien, Polen, Ungarn, dass es Sinn macht, Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Wirtschaft auf den Weg zu bringen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Thüringen hat aufgrund seiner Lage hier in der Mitte Deutschlands, in der Mitte Europas, vorzügliche Voraussetzungen, weil qualifizierte junge Menschen, qualifizierte Menschen insgesamt eines der entscheidenden Pfunde für die Entwicklung unserer Thüringer Wirt

schaft sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Verantwortung für Familie, Mittelstand, umfassende Bildung auch weiter nutzen. Um dafür mehr Kraft zu bekommen, ist es auch wichtig, den Umbauprozess im Land Thüringen weiter voranzubringen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir die Behördenstrukturen verändern, wenn wir Personal abbauen, die Regeln verändern, dann nicht, um einfach nur den Staat zu verschlanken, sondern um durch weniger staatliche Aufgaben die Handlungsfähigkeit im Land für den Einzelnen und für wirtschaftliche Entwicklungen zu stärken. Es sind die Regeln und die Bedingungen, die zukünftig darüber entscheiden, ob eine Region eine positive oder auch eine negative Entwicklung vor sich hat. Wir haben als Land, als Politik hier im Freistaat Thüringen darauf zu achten, dass wir unsere guten Voraussetzungen aus der Lage, aus der Natur, aus der Kultur, durch die Menschen noch besser nutzen. Hier hat Thüringen keinen Einzelweg zu gehen, diesen Weg gehen viele mit uns.

Allein im letzten Jahr haben acht deutsche Länder verfassungswidrige Haushalte verabschiedet und am Ende des Jahres auch absolviert. Auch in diesem Jahr haben schon wieder fünf Länder in Deutschland verfassungswidrige Haushalte verabschiedet. Wir sehen also, dass diese finanzielle Notlage überall gleich ist. Deshalb hilft es nichts, für die Zukunft durch noch mehr Schulden die Zukunftschancen einzuschränken, sondern umgekehrt: Wir müssen durch eine zukunftsfähige Politik die Schulden begrenzen und später auch zügig abbauen, damit die Handlungsfähigkeit zukünftiger Politik auch gegeben ist und deshalb müssen wir natürlich auf das Jahr 2005 schauen, auf die Handlungsfähigkeit von Kommunen und Land, auf die Struktur des Landes, aber genauso auch darauf, wie es in drei, in fünf oder in zehn Jahren in diesem Land aussehen soll. Zukunftsfähige Politik macht sich nicht nur an einem Haushalt fest, sondern in dem Blick auf die nächsten Jahre und auch Jahrzehnte.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Nationalhymne in Deutschland beginnt, wie Sie alle wissen, mit den Worten: "Einigkeit und Recht und Freiheit...". Wenn man allerdings das Verhältnis von Bruttosozialprodukt auf der einen Seite und sozialen Ausgaben in Deutschland auf der anderen Seite vergleicht, dann könnte es heute wohl treffender heißen: Einigkeit und Recht und Gleichheit, so hat es das "Hamburger Abendblatt" kürzlich getitelt. Wörtlich von Hans-Werner Sinn, dem Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München: "Wir haben die Umverteilung von den

Arbeitenden zu den Empfängern sozialer Leistungen übertrieben. 40 Prozent der deutschen Wähler beziehen Sozialleistungen und Renten vom Staat, und der Staat absorbiert 57 Prozent des Volkseinkommens für seine Zwecke. Das ist tatsächlich schon ´DDR light`", so Prof. Hans-Werner Sinn. Hinzuzufügen wäre, dass wir auf einem Tiefststand der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen sind mit gerade einmal noch 26 Millionen bei einem 82-Millionen-Volk, dass Tag für Tag - nicht in Thüringen, sondern in Deutschland - über 1.100 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen verloren gehen und dass dieser Abwärtstrend bisher nicht gestoppt wurde. Deshalb bin ich überzeugt, dass Gleichmacherei, also das Ziel, immer mehr Gleichheit zu organisieren, für eine Gesellschaft, die in Freiheit lebt, eine Sackgasse ist.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Historiker Paul Nolte hat in seinem vielbeachteten Werk "Generation Reform" geschrieben: "Wir brauchen eine neue bürgerliche Gesellschaft, in der die Einzelnen, getragen von der Gemeinschaft, Verantwortung übernehmen und zu einer selbständigen Lebensführung befähigt werden." Dabei macht er deutlich, mehr Verantwortung meint nicht nur Verantwortung für die eigene Lebensführung, sie schließt auch die Bereitschaft mit ein, Verantwortung für andere zu übernehmen. Ich stimme Paul Nolte ausdrücklich zu und bin sehr dankbar, dass wir hier in Thüringen durch das besondere Engagement vieler im Ehrenamt, das im Besonderen im letzten Jahr bei der Unterstützung nach der Brandkatastrophe der Anna-Amalia-Bibliothek deutlich geworden ist, das aber gerade auch in jüngster Vergangenheit, als es darum ging, die besonderen Probleme und die dramatischen Folgen der Naturkatastrophe in Südostasien zu beheben, deutlich geworden ist. Gerade in Zeiten solcher sozialen Nöte, solcher menschlichen Nöte wird deutlich, dass wir ein hohes Maß an individueller Verantwortung für die Gemeinschaft haben. Das ist, so meine ich, auch der Schlüssel; Verantwortung ist der Schlüssel zu mehr Gerechtigkeit. Der Sozialstaat alter Prägung, davon bin ich auch überzeugt, hat nicht mehr Gerechtigkeit geschaffen, sondern, das müssen wir heute ganz eindeutig sehen, seine Starrheit, auch seine Konstruktionsfehler haben neue Ungerechtigkeiten produziert.

Verantwortung für das eigene Leben setzt Freiheit voraus. Es ist die Freiheit, die sich die Menschen, die wir uns in den jungen Ländern im Herbst 1989, im Frühjahr 1990 mutig erkämpft haben. Dass ein Leben in Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist, wissen vor allem die Deutschen nur zu gut, die in Unfreiheit gelebt haben. Dass Freiheit verteidigt wer

den muss gegen Terroristen, gegen Extremisten, ob von rechts oder links, ist eine Grundsatzauffassung, aus der wir leben müssen.

Aber auch gegen Reglementierungswahn und Gleichheitsideologie müssen wir deutlich Politik machen. Es widerspricht meinem Freiheitsverständnis, dass vieles - nicht nur in Thüringen - zu stark reglementiert ist. Ich sage es noch einmal sehr deutlich: Auch wenn wir nicht sparen müssten, wären zahlreiche der in den nächsten Jahren zu gestaltenden Umstrukturierungsmaßnahmen zwingend erforderlich,

(Beifall bei der CDU)