Protokoll der Sitzung vom 28.01.2005

Aber offenkundig gab es doch einen Schulabschluss in der DDR, bei dem man sagen kann, es scheint ja ein bestimmtes Bildungsniveau gegeben zu haben, das man als positiv bewerten muss. Damit meine ich nicht die Ideologie von Margot Honecker, sondern ich meine das gegliederte Schulsystem der DDR, über das man insoweit reden sollte, dass man sagt, welche Elemente davon wären denn diskussionswürdig, und nicht nur, wenn die Industrie- und Handelskammer von Südthüringen sagt, Polytechnik fehlt heute unseren Schülerinnen und Schülern. Dann lassen Sie uns doch mal in ganz Deutschland über Polytechnik reden und bei der Gesundheitsreform lassen Sie uns doch mal über Polikliniken reden. Das sind doch Lebenserfahrungen aus der DDR. Das ist doch nicht die ostalgische Verklärung einer rückwärts gewandten Blickrichtung. An der Stelle sage ich, ja, die PDS-Wähler haben es entsprechend hoch honoriert, aber an der Stelle steht auch unsere Verantwortung, diese Wählerinnen und Wähler mitzunehmen in die Demokratie und sie nicht links am Wegesrand liegen zu lassen oder möglicherweise rechts am Wegesrand. Denn manches, was die Nazis ausnutzen, ist eben auch eine Begriffsverwirrung zwischen dem, bei dem wir aufpassen müssen, dass nicht die eine Diktatur mit der anderen Diktatur verwechselt, vermengt und damit gleichgemacht wird, weil dazwischen auch die Leichenberge von Auschwitz liegen und die fabrikmäßige Ermordung von anders Denkenden oder einem anderen Leben angehörige Menschen.

Deswegen, meine Damen und Herren, würde ich gern genauer über das reden, was in dem Monitor ist. Ich würde gern genauer darüber reden, was wir mit Freiheit und Gleichheit meinen und wo wir Freiheit, Gleichheit und Sicherheit im positiven Sinne prägen können. Aber die Begriffe sind eben nicht und da widerspreche ich Ihnen, Herr Ministerpräsident - gegeneinander auskürzbar, wegkürzbar, also

mehr Freiheit bei weniger Gleichheit. Das funktioniert nicht, wie auch weniger Freiheit nicht mit mehr Sicherheit einhergeht. Wenn wir Sicherheit definieren als Polizeistaat, als ein Hochrüsten eines Staates gegen die gesamte Bevölkerung, dann geben wir Freiheit auf. Die aktuelle Diskussion um das Hoheitsrecht von DNA lässt mich zumindest alarmiert darüber nachdenken. Wenn dann die Frage beim Vaterschaftstest so herum definiert wird, aber bei Verbrechensbekämpfung auf einmal gesagt wird, das können wir hemmungslos ausweiten, dann habe ich meine Ängste, weil ich sage, da wird dann die Freiheit tatsächlich abgegeben, weil wir nicht mehr über gemeinsame gesellschaftliche Gegenwehr in all diesen Fragen reden.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb sage ich, für mich sind die Begriffe "Freiheit", "Gleichheit" und "Sicherheit" eng verbunden mit dem Begriff "Gerechtigkeit". Und über den Begriff "Gerechtigkeit" müssen wir, denke ich und finde ich, politisch zusammen reden. An der Stelle sage ich, ich bin geprägt von den Begriffen "Emanzipation" und "Partizipation" und das heißt emanzipierte Menschen, selbstbewusste Menschen, Menschen, die aus sich heraus handeln und ihr Leben planen können und die Rahmenbedingungen dafür hat die Politik zu schaffen. Das heißt aber auch, ihnen Sicherheit zu geben, dass sie ihr Leben wirklich planen können und nicht anschließend, wenn sie ihr Leben geplant haben, ihnen die Grundlagen wieder zu entziehen. Für mich ist es ein eklatanter Fall zurzeit, dass die 58er Leute - Menschen bei Hartz IV jetzt einfach ab 1. Januar ins Abseits gestellt worden sind. Das ist für mich eine Stück weit Verfassungsbruch.

(Beifall bei der PDS)

An der Stelle sage ich, das hat mit Planungssicherheit für Menschen nichts zu tun, das ist eine Fehlleistung des Gesetzgebers, über die man reden und worüber man nachdenken muss und den man, wenn man merkt, dass es ein Fehler ist, korrigieren muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es eben erwähnt, es wäre ungeheuer positiv und wichtig, Thüringen nicht nur über das Markenzeichen "Rennsteig" und "Bratwurst" zu definieren, sondern über gelebte direktdemokratische Elemente.

(Beifall bei der PDS)

Wenn mehr Demokratie von über 90 Prozent unserer Bevölkerung positiv bewertet wird, dann ist das ein Zustimmungswert, der sich enorm gesteigert hat. Mit diesem Pfund sollten wir gemeinsam wuchern, weil es das erfolgreichste Volksbegehren, das es in

Deutschland gegeben hat, in Thüringen gegeben hat, und das hieß "Mehr direkte Demokratie". Letztendlich haben wir es gemeinsam umgesetzt, alle zusammen. Deswegen lassen Sie uns mit diesem Pfund gemeinsam wuchern. Ich glaube, an dieser Stelle sind wir auch gezwungen, die Vitalisierung der Demokratie in den Vordergrund unserer Betrachtungen zu stellen. Die Vitalisierung der Demokratie heißt für mich "Transparenz". Das heißt für mich, dann wirklich einmal auch eine Debatte zuzulassen, die sonst immer unter dem Begriff "Doppelverdiener" abgetan wird. Das meinte sonst immer gesellschaftlich eine diskriminierende Formulierung gegen Ehegatten. Ich meine die Doppelverdiener mit Abgeordnetenmandaten, bei denen ich sage, das muss in Zukunft mit einem höheren Maß an Transparenz unterbunden werden.

(Beifall bei der PDS)

Der Wähler und die Wählerinnen sollten wissen, wer von wem auf welcher Lohnliste steht. Ich meine, Transparenzgestaltung und Transparenzverbesserung sind wichtige Elemente, damit die Verdächtigungen gegen Politiker aufhören. Lassen Sie uns doch gemeinsam aushalten, dass wir unseren Status als Parlamentarier so gestalten, dass wir nicht ständig in irgendwelche Verdächtigungen hineingetrieben werden. Eine zweite Stellschraube zur Vitalisierung der Demokratie ist für mich ein Informationsfreiheitsgesetz, denn wenn wir Emanzipation und Partizipation der Menschen wollen, dann müssen die Menschen auch wissen, was der Staat oder staatliche Institutionen von ihnen hat, über sie hat, mit ihnen veranstaltet und in ihren Büchern ist. In den nordischen Staaten ist das ein ganz normaler Vorgang und bei uns wird es immer noch in die Ecke gestellt. Lassen Sie uns deswegen ein Informationsfreiheitsgesetz auch als Teil einer Demokratieentwicklung akzeptieren und nicht als Misstrauen gegen die Verwaltung, sondern als Vertrauen auf die Bevölkerung. Wir werden als PDS hier einen entsprechenden Antrag auch einbringen, damit direktdemokratische Elemente von der Bevölkerung dann wahrgenommen werden können, wenn sie weiß, um was es geht.

Damit komme ich zum dritten Element, der Vitalisierung: Das ist eine lebendige Demokratie. Eine lebendige Demokratie kann nur dann wehrhaft sein, wenn man die Demokraten in dieser Gesellschaft in die Lage versetzt, eigene Entscheidungen zu treffen, zu beeinflussen und damit auch Gesellschaft im positiven Sinne nach vorn weiterzuentwickeln.

(Beifall bei der PDS)

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, fordere ich mehr Mut zur Bevölkerung, mehr Mut in Rich

tung unserer Bevölkerung. Ich denke, zu beklagen, dass dieses die Bundesregierung nicht macht und jenes die Landesregierung nicht macht, das reicht am heutigen Tag nicht aus. Das sollten wir in der Haushaltsdebatte noch einmal ausstreiten, Herr Ministerpräsident, denn die Jugendlichen, die gestern vor dem Landtag gestanden haben, haben große Sorgen, dass ihre Institutionen, bei denen sie sich treffen oder bei denen sie Kultur, Sport oder sonstige Dinge machen, möglicherweise gefährdet sind. Wir sollten ihnen diese Angst nehmen, dass ihre Grundlagen nicht in dieser Gesellschaft weggenommen werden, das wäre Mut auch für junge Menschen und Mut auch für Kinder in der Gesellschaft.

(Beifall bei der PDS)

Aber wir sollten die Angst derer, die da draußen stehen, ernst nehmen und nicht sagen, die sind nur von den bösen Funktionären geschürt worden. Damit entäußern wir den jungen Leuten auch das Recht, überhaupt Demonstration als positives Recht zu erleben. Lassen Sie das bitte nicht auf das Niveau kommen. Ich meine, wir sollten die Sorgen und die Ängste aller in dieser Gesellschaft aufnehmen. In Thüringen gibt es große Sorgen, was die aktuelle Haushaltsdebatte angeht. Sie haben in Abweichung zu dem Manuskript, das Sie uns gestern Abend gegeben haben, ja einige tagesaktuelle Aussagen zur Haushaltspolitik getroffen. Das sage ich, Herr Ministerpräsident, in aller Deutlichkeit. Die Art der Haushaltsdebatte finde ich fahrlässig und nicht in Ordnung. Die Art, die Kommunen in vorläufige Haushaltsführung zu zwingen, ohne dass sie derzeit selber eigene Sparentscheidungen aus eigener Kraft treffen können,

(Beifall bei der PDS)

heißt, die Kommunen von der eigenen Verantwortung zu entmächtigen und damit die Kommunen von Opfern zu Tätern zu machen, weil die Menschen draußen denken, es ist ihre Kommune, die ihnen ihr Geld wegnimmt. In Wirklichkeit ist es ein Teil der Haushaltsdebatte und der Verantwortungslosigkeit, wie man diese Haushaltsdebatte zurzeit angelegt hat. Ja, das Land muss sich verändern. Da gebe ich Ihnen Recht. Ja, das geht mit den Schulden nicht so weiter. Aber ein Schuldenabbau muss eben auch einhergehen mit Steuereinnahmen und nicht nur mit Steuerfreistellungstatbeständen für die in der Gesellschaft, die genügend Kohle haben. Das hat eben auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun. An der Stelle sage ich, wenn wir Thüringen umsteuern wollen, dann müssen Sie den Mut haben, mit uns gemeinsam hier im hohen Haus auch über die Veränderungen - von Verwaltungsreform, Gebietsreform, Kommunalreform - gemeinsam zu reden und nicht sagen, das eine Thema ist jetzt tabu, darüber reden

wir 2009 und bis dahin können die alle mal vor Ort machen, was sie wollen. Wer Strukturen verändern will - und sie müssen dringend verändert werden -, der muss jetzt den Mut haben, auch mit diesem Parlament über die Veränderungen nachhaltig und wirkungsvoll zu reden. Das Ganze noch begleitet mit mehr kommunaler direkter Demokratie, das wäre ein mutiger Schritt hin zu den Bürgern. Die Bürger sind veränderungsbereit, da gebe ich Ihnen Recht. Aber wir sollten sie nicht benutzen und draußen vor der Tür stehen lassen. Wir sollten sie einladen zu dem Veränderungsprozess. Wir sollten die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes einladen zu dem Veränderungsprozess. Wir sollten überall dort deutlich machen, dass Verändungen mit Sorgen einhergehen. Die Sorgen sollten wir ernst nehmen. Aber wir sollten gemeinsam sagen, Rattenfängern und Brandstiftern in der Gesellschaft, denen geben wir gemeinsam keinen Platz. Deswegen lassen Sie uns wie in Leinefelde, wie in Weimar, überall zusammenstehen, wo dieses braune Netzwerk wächst, und lassen Sie uns gemeinsam klare Formulierungen finden, damit die Worte von Herrn Cramer mit Taten untersetzt werden. Ein Niewieder aus Deutschland, ein Niewieder an Genoziden, ein Niewieder von Holocaust heißt, dass wir die Lehren aus der Zeit gemeinsam treffen und ziehen müssen und leben müssen. Leben heißt, Demokratie wahrzunehmen und demokratische Rechte von uns gemeinsam auszuleben, auszugestalten, aber die Bürgerinnen und Bürger auch vor Ort und in der Kommune einzuladen, um dem braunen Netzwerk den Boden zu entziehen. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Matschie, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen, werte Kollegen, es ist ganz klar, es kann auch gar nicht anders sein, die heutige Debatte über politische Kultur, über Extremismus steht unter dem Eindruck unseres gemeinsamen Gedenkens gestern hier in diesem Raum. Dafür stehen nicht nur die Blumen, die hier noch vor dem Pult stehen. Mich jedenfalls hat dieser gestrige Tag, diese Gedenkstunde sehr tief bewegt. Ich muss noch an den Satz denken, den Ernst Cramer gesagt hat: "Das Wissen, was war und vielleicht auch wie es dazu kam, stärkt uns für die Zukunft." Ich denke, wenn wir heute über politische Kultur in Thüringen, wenn wir über die Entwicklung von Extremismus diskutieren, dann sollten wir bei genau diesem Satz, bei dieser Aufgabe, um genauer zu sein, beginnen. Das ist eine Aufgabe für alle De

mokraten und ich bin Ernst Cramer sehr dankbar, dass er uns so eindringlich an diese Aufgabe erinnert hat und dass er noch einmal deutlich gemacht hat, solche Entwicklungen beginnen langsam, sie beginnen schleichend. Aber Rechtsextremismus kann an Kraft gewinnen, ja, er kann sogar eine ganze Gesellschaft überwältigen, wenn wir nicht, wenn die Demokraten nicht entschieden solchen Entwicklungen widersprechen. Er hat gestern hier Pastor Martin Niemöller zitiert, ich will das noch einmal aufgreifen, der gesagt hat: "Als sie die Kommunisten abholten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten abholten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Juden abholten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich abholten, war niemand mehr da, der protestieren konnte." Ich denke, eindringlicher und eindrücklicher kann man kaum formulieren, worum es geht. Also, die erste Aufgabe, der wir uns zu stellen haben als Demokraten, ist, die Erinnerung zu stärken an das, was da passiert ist und warum es passiert ist. Das wird schwerer werden in der Zukunft, denn wir haben immer weniger Zeitzeugen, die uns so eindringlich wie Ernst Cramer an das Geschehen erinnern können.

Ich denke, diese gemeinsame Veranstaltung gestern war für uns alle ein wichtiger Moment und ich bin froh, dass wir uns auch verabredet haben, zum Gedenken an 60 Jahre Befreiung Buchenwalds hier eine gemeinsame Resolution der Fraktionen zu verabschieden. Ich hoffe, dass es uns gelingt, uns hier auf eine solche gemeinsame Resolution zu verständigen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Aber die Aufgabe reicht weiter, sie reicht über dieses Parlament hinaus. Natürlich geht es um politische Bildung innerhalb und außerhalb von Schule. Es geht um Schülerwettbewerbe. Es geht um Gedenkstättenarbeit. Wir sollten uns sehr genau ansehen, welche Impulse wir in diesen Bereichen setzen können. Ich zitiere noch mal diesen Satz von Ernst Cramer: "Das Wissen, was war und vielleicht auch wie es dazu kam, stärkt uns für die Zukunft."

Die zweite wichtige Aufgabe ist aus meiner Sicht: Genau hinsehen, was heute geschieht. Und da gibt uns sicher auch der Thüringen-Monitor einen Einblick. Wir sehen auf der einen Seite, dass die Zustimmung zur Demokratie deutlich gestiegen ist. Das ist ein gutes Zeichen. Das ist auch Grund zur Zuversicht. Aber - und auch das steht sehr klar in diesem Bericht - jeder fünfte Thüringer äußert rechtsextreme Einstellungen und unter den Jugendlichen, das heißt hier genau unter den 18- bis 24-Jährigen, hat sich in den letzen Jahren dieses Potenzial verdoppelt. Das ist ein Potenzial, was uns wirklich ernste

Sorgen machen muss und wo wir gemeinsam auch die nächsten Wochen nutzen sollten, vielleicht noch ein bisschen genauer in die Studie zu schauen. Denn bisher ist uns nur eine erste, zugegebenermaßen auch etwas oberflächliche Bewertung all der Daten in der Kürze der Zeit möglich.

Herr Althaus, dass Sie hier das Anwachsen nationalistischer Einstellungen in Verbindung gebracht haben mit der Haltung der Bundesregierung zum Irak-Krieg, da glaube ich allerdings, Herr Althaus, haben Sie sich deutlich vergaloppiert.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Über solche Zusammenhänge sollten Sie mit Sicherheit noch einmal etwas gründlicher nachdenken. Nicht Deutschland ist einen Sonderweg gegangen in dieser Frage, viele Staaten in Europa, in der UN, in den Vereinten Nationen waren genau derselben Auffassung wie Gerhard Schröder, wie die deutsche Bundesregierung.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich bin auch im Nachhinein überzeugt, dass es richtig war, hier eine solche konsequente Haltung einzunehmen, überzeugter denn je, will ich auch an dieser Stelle sagen.

(Beifall bei der SPD)

Auf der einen Seite, auch im Thüringen-Monitor sehen wir, welches rechtsradikale Einstellungspotenzial es in Thüringen gibt - und das sind immerhin rund 20 Prozent der Menschen, die hier leben. Auf der anderen Seite haben rechtsextreme Parteien und Gruppen begonnen, ihre Aktivitäten zu koordinieren. Da geht es nicht nur um den Einzug in die Parlamente in Sachsen und Brandenburg. Das ist schlimm genug, insbesondere das Auftreten der NPD im Sächsischen Landtag, ich brauche das, was hier dazu gesagt worden ist, nicht noch einmal zu wiederholen. Dazu gehören aber weitere Entwicklungen: Leinefelde - der Versuch rechtsradikaler Parteien und Gruppen, sich stärker zusammenzuschließen, Kräfte zu bündeln, gemeinsam zu agieren, die Integration rechtsextremer Kameradschaften in die politischen Parteien voranzutreiben. Das ist eine Entwicklung, die wir sehr genau unter die Lupe nehmen müssen.

Es gibt auf der anderen Seite, das haben Sie gesagt, Herr Althaus, einen Rückgang offener Gewalt, rechtsextremer Straftaten. Das ist gut. Aber ich sage genauso deutlich, wir müssen auch in Zukunft dieser rechtsextremen Gewalt mit allen Mitteln des Staats - mit Polizei, mit Justiz, mit der ganzen Macht des Staats - entgegentreten. Aber verbunden mit diesem Rückgang offener Gewalt ist eben, ich erwäh

ne das noch einmal, der Ausbau von Strukturen. Hauskäufe, wie in Pößneck oder an anderen Stellen - Bodo Ramelow hat hier eine ganze Liste vorgetragen, deshalb spare ich es mir, das zu wiederholen -, deuten darauf hin, dass Rechtsextreme versuchen, Schritt für Schritt sehr koordiniert Fuß zu fassen, nicht nur in Sachsen, auch in Thüringen, auch in anderen Bundesländern. Daneben gibt es konzertierte Aktionen wie in Schleusingen, das gerade vom so genannten Nationalen Widerstand zur Frontstadt erklärt worden ist und wo es heißt, dass man seinen agitatorischen und propagandistischen Schwerpunkt auf die Kleinstadt am Rande des Thüringer Waldes legen wolle in den nächsten drei Monaten. Ich bin froh, dass die Bürger von Schleusingen morgen sehr deutlich zeigen werden, in unserer Stadt ist kein Platz für Rechtsextreme; in unserer Stadt geben wir diesen Entwicklungen keinen Raum.

(Beifall im Hause)

Ich will es an dieser Stelle auch sagen, die Bürger von Schleusingen haben unsere Unterstützung für dieses aktive Eintreten verdient. Ich werde morgen Nachmittag dort sein und ich bin sicher, die Schleusinger freuen sich auch auf andere Mitglieder des hohen Hauses, wenn sie dort vor Ort in Schleusingen zeigen, wir lassen nicht zu, dass rechtsextreme Entwicklungen in Thüringen Platz greifen.

(Beifall im Hause)

Herr Althaus, Sie haben weitere Beispiele genannt, auch zu dem Versuch der Einflussnahme an Schulen, Verteilung von rechtsextremer Rockmusik und Propaganda an Schulen, in Jugendbegegnungsstätten. All das kann man beobachten. Jeder, der es sehen will, kann diese neuen Entwicklungen sehen, die sich hier abspielen. Ich sage es noch einmal, das Auftreten der NPD im Sächsischen Landtag ist hier nur die Spitze des Eisbergs. Allerdings - das will ich hier auch ganz deutlich sagen -, dass es der NPD im Sächsischen Landtag gelingt, sogar Abgeordnete anderer Parteien auf ihre Seite zu ziehen, das ist allerdings ein schrilles Alarmsignal, das wir nicht überhören dürfen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Die Demokratie, die wir verteidigen, ist eine offene Gesellschaft. Aber die Demokratie darf nicht wehrlos sein. Für mich ist ganz klar und ich glaube, das muss auch der Konsens der Demokraten bleiben: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit! Hier muss man klare Stoppsignale setzen. Demokratie und Freiheit und auch Menschlichkeit sind nichts, was einer Gesellschaft ein für alle Mal gegeben ist, sondern Demokratie und Freiheit müssen immer wieder verteidigt werden. Das zeigt die Entwicklung, das hat

die Vergangenheit gezeigt. Demokratie und Freiheit können nur verteidigt werden durch diejenigen, die Demokraten sind, die dafür eintreten, nicht irgendjemand wird das für uns tun. Wir sind hier gefragt, alle gemeinsam, nicht nur in diesem hohen Haus, überall: in den Städten, in den Dörfern, in der Feuerwehr, in den Vereinen, solchen Entwicklungen entgegenzutreten und deutlich zu machen, wir stehen ein für demokratische Kultur, für Freiheit und für Toleranz.

Herr Althaus, ich habe aufmerksam zugehört, Sie haben aufgezählt, was die Landesregierung, aber auch andere Initiativen tun. Ich will das nicht gering schätzen. Es ist gut, dass es diese Aktivitäten gibt, aber ich habe keine neuen Antworten gehört auf die neuen Entwicklungen, die sich im Bereich des Rechtsextremismus abspielen. Sie tun das, was Sie auch in den letzten Jahren getan haben. Ich frage mich aber, reicht das aus, weiter das zu tun, was wir in den letzten Jahren getan haben? Ich weiß, dass viele so fragen, nicht nur in der jüdischen Gemeinde, auch an anderen Stellen. Ich erwarte, dass der Thüringer Ministerpräsident angesichts dieser neuen Entwicklungen die Initiative ergreift, um auf diese neue veränderte Entwicklung auch zu reagieren, ein Netzwerk zu schaffen zwischen Landesregierung, Kommunen, Initiativen, Verbänden. Dafür zu sorgen, dass es schnelle Informationen gibt über Entwicklungen, die stattfinden, dass es rechtliche Beratung und Beistand gibt, dass es Kontakt gibt in die anderen Bundesländer, insbesondere nach Sachsen, um zu sehen, welche Entwicklungen spielen sich in den anderen Bundesländern ab, wie wird versucht, solche Entwicklungen auch nach Thüringen hineinzutragen. Vielleicht kann man nachdenken über eine neue Initiative an den Schulen, um auf diese Entwicklungen aufmerksam zu machen, um Gegenwehr zu verstärken, um demokratische Kultur zu stärken. Ich finde, wir müssen dem strukturierten Vorgehen von Rechtsextremen in Thüringen und den anderen Bundesländern ein klar strukturiertes Vorgehen der Demokraten entgegensetzen.

Dann will ich auch noch einmal einen Satz zum NPD-Verbot sagen. Sie haben hier vor übereilten Schritten gewarnt. Ich sehe im Moment niemanden, der übereilte Schritte gehen will in dieser Frage, stelle aber doch noch einmal die Frage: Was wollen Sie? Wollen Sie gar keinen neuen Anlauf für ein Verbot? Sie wollen keinen neuen Anlauf für ein Verbot. Ich bin der Überzeugung, dass wir alle Mittel des Rechtsstaats einsetzen müssen bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Ich finde es kaum erträglich, dass Parteien, wie die NPD mit Steuermitteln ihre rechtsradikale Propaganda und Hetze in Deutschland verteilen können.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das wäre nur durch ein Verbot dieser Partei zu verhindern. Ich weiß, auch ein Verbot ist natürlich kein Allheilmittel. Aber es kann ein Baustein in einer Strategie im Umgang mit rechtsextremen Parteien sein. Es gab damals gute Gründe, dass Bundestag und Bundesrat ein solches Verbotsverfahren angestrebt haben. Natürlich müssen wir noch einmal genau darüber reden, warum dieses Verfahren gescheitert ist und welchen Beitrag wir zu diesem Scheitern auch hier in Thüringer geliefert haben. Aber ich glaube schon, dass wir sorgfältig überlegen müssen, ob uns dieses Instrument nicht auch in Zukunft zur Verfügung stehen sollte und ob wir dieses Instrument, Verbot einer Partei, nicht auch einsetzen sollten.