Protokoll der Sitzung vom 13.08.2009

friedlichen Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989 und 1990 rückt uns dabei wieder in besonderer Weise nahe. Wir denken an die Momente dieses wohl aufregendsten Monats unseres Lebens, in dem die zarte Pflanze der Freiheit und der Demokratie durch die Betondecke brach, die das SED-Regime über alle eigenständigen politischen Regungen gelegt hatte.

Erinnern wir uns: Kern dieses Herrschaftsapparates war die kommunistische Staatspartei SED, die ihren Macht- und Wahrheitsanspruch in die Landesverfassung geschrieben hatte, sie exekutierte ihre Klassen- und Parteiherrschaft bis hinunter in den letzten Weiher, bis in jeden Betrieb und bis in jedes Klassenzimmer. Sie versuchte in Massen, Akte der politischen Bestätigung zu organisieren, wie die regelmäßigen Scheinwahlen es dokumentierten. Sie zielte auf maximale Kontrolle durch maximale Einbindung in Staat, in Wirtschaft und auch insgesamt in die Gesellschaft. Die amerikanische Historikerin Mary Fulbrook hat in diesem Zusammenhang den Begriff „partizipatorische Diktatur“ geprägt. Doch die Menschen - und am Ende immer mehr Menschen - wollten das nicht, denn die Grenzen, Formen und Inhalte der Partizipation bestimmte die SED. An ihren abstrusen Führungsanspruch klammerte sie sich noch bis in den November 1989 hinein. Aber weil sich nicht alle damit begnügten, in den Nischen der Gesellschaft zu überwintern und mit nötigen Lippenbekenntnissen die vielen aufgestellten ideologischen Gesslerhüte zu grüßen, deshalb gab es Repressions- und Spitzelapparate. Die schärfste Waffe im Arsenal, Schild und Schwert der Partei, war das Ministerium für Staatssicherheit. Diese Gruppe war auf all jene angesetzt, die nicht nach der Pfeife der SED tanzen wollten, sich nicht nur eine eigene Meinung leisteten, sondern sie sogar gelegentlich aussprachen. Dieser Apparat verbreitete schlicht eines: Angst; man kann es noch mal unterstreichen - Angst. Kein Spitzel wusste, was aus dem wird, was er zu Papier brachte. Am Ende konnten Gorbi-Rufe einen vor den Kadi bringen. Zehntausende politisch Verfolgte und inzwischen Rehabilitierte sprechen eine eigene Sprache.

Meine verehrten Damen und Herren, es fiel mir bereits damals schwer und es fällt mir bis heute schwer, diejenigen zu verstehen, die sich für den Aufbau des SED-Regimes und sein politsches Überleben als einen von der SED gelenkten Staat eingesetzt haben. Diesem Sozialismusexperiment auf deutschem Boden hat die historische Legitimität von Anfang an gefehlt. Ich sehe bis heute nicht, welcher Zweck das Mittel der Diktatur heilen sollte. Doch war in den letzten 20 Jahren für viele viel Zeit, sich mit ihrem Part in diesem System auseinanderzusetzen, sich von Blendung und Verblendung freizumachen. Auch die CDU Thüringens hat sich in ihrem Grundsatzprogramm noch einmal zu ihrer Mitverantwortung bekannt und damit an das Schuldbekenntnis der Ost

CDU im Dezember 1989 angeknüpft. Es wäre unmenschlich in des Wortes doppelter Bedeutung, Trägern des alten Regimes, die Mitarbeit im demokratischen Verfassungsstaat zu verweigern, natürlich von den Fällen, in denen jemand schwere persönliche Schuld auf sich geladen hat, einmal abgesehen. Spitzeldienste, verehrte Kolleginnen und Kollegen, gehen darüber jedoch weit hinaus. Wer andere bespitzelt, der hintergeht sie, er verrät sie und betrügt sie,

(Beifall CDU)

und zwar mit unabsehbaren, für den Spitzel nicht absehbaren Konsequenzen mit einer Einschränkung, dass mit dieser Spitzelei Argumente für einen Repressionsapparat geliefert wurden; das dürfte diesen Spitzeln in aller Regel bekannt gewesen sein. Aus diesem Grunde ist es auch nicht falsch, auf diese Personengruppe noch einmal einen gesonderten Blick zu werfen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Wiefelspütz - Herr Höhn, merken Sie bitte mal mit auf - hat im ersten gesamtdeutschen Bundestag klipp und klar erklärt, dass solche Leute nicht in demokratisch gewählte Parlamente gehören. Der Gedanke, dass Spitzel des MfS und der Kripoabteilung K 1 in Parlamenten sitzen, ist für viele Menschen immer noch und bis heute unerträglich.

(Beifall CDU)

Denn zu den Diensten für eine Diktatur im Allgemeinen kommt hier als weiterer Aspekt noch hinzu, was mit einem klaren Wort als Niedertracht bezeichnet werden kann.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, trotzdem gelten nun auch für diesen Bereich menschliche Maßstäbe, die immer relative und vorläufige Maßstäbe sind. Das Leben wäre sonst schwer erträglich. Wie bei jeder anderen Untat spielt, wenn sie eingeräumt und bereut ist, der Zeitablauf auch eine Rolle. Doch wann soll man dieses Thema ruhen lassen? Es gibt dafür keinen objektiven Maßstab.

Wir möchten unser Abgeordnetenüberprüfungsgesetz vor allem aus folgenden Gründen verlängern. Zum einen tauchen noch immer neue Akten auf und noch immer sind nicht alle vorhandenen Akten ausgewertet. Zum anderen gibt es eine Verklärung der DDR und des SED-Regimes. Es wird viel an Lebensweltliches erinnert, die politische Seite aber weitgehend ausgeblendet. Systemträger von einst versuchen sich daran, Herrschaftssystem und Herrschaftspraxis in rosigen Farben zu zeichnen. Das tut der politischen Kultur der Demokratie nicht gut. Deshalb bleibt es für ein demokratisches Parlament wichtig, sich mit früheren Spitzeln in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen; und schließlich sind die Opfer mit diesem Regime noch lange nicht fertig. Welche

Emotionen damit verbunden sind, das hat sich in jüngster Zeit wieder in Erfurt an den Debatten um die Andreasstraße gezeigt. Die ungebrochene Zahl der Anträge auf Akteneinsicht ist ein Beleg für das anhaltende Interesse an umfassender Aufklärung.

Unser CDU-Fraktionsvorsitzender Mike Mohring brachte es auf einen Nenner: So lange die Opfer mit dem Kapitel SED-Diktatur und Stasi nicht fertig sind, darf es der Landtag auch nicht sein.

(Beifall CDU)

Ich meine dazu ergänzend: So lange haben wir nicht das Recht, das Ende der Debatte zu erklären.

Ich möchte keine Aussagen treffen über die juristische Seite des vorliegenden Gesetzes und mich auch nicht zum Verfassungsgerichtsurteil näher äußern, trotzdem Ihnen aber meine persönliche Meinung begründen, warum wir heute eine Verlängerung der Gültigkeit des Gesetzes anstreben.

Ausgehend von meiner Rede anlässlich der Konstituierung des 4. Thüringer Landtags, in der ich alle Mitglieder des Landtags ansprach, ich möchte mehrfach zitieren, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, die Sie sich als Vertreter Ihrer Parteien erfolgreich um ein Mandat im Landesparlament beworben haben und durch die Wahl Vertreter aller Bürger des Landes geworden sind, haben die Geschicke des Landes zu lenken. Diese Aufgaben erfüllen die Abgeordneten der Mehrheitsfraktion wie die der Oppositionsfraktionen gleichermaßen; denn beide sind grundlegende Bestandteile der parlamentarischen Demokratie. Vertreter aller Bürger des Landes zu sein, heißt nicht zuletzt für uns alle jedoch, einen Dienst zu leisten, einen Dienst für das Land und seine Menschen. Was Friedrich der Große für sich und seine Zeit gesagt hat, der Fürst ist der erste Diener seines Staates, das gilt erst recht und viel unmittelbarer für die gewählten Vertreter eines demokratischen Parlaments. Ich wünschte mir zum Zeitpunkt meiner Rede vor fünf Jahren sehr, dass dieser Geist unsere Arbeit beseelt. Wir wussten aber auch, dass der 4. Thüringer Landtag auf der Basis einer bestürzend niedrigen Wahlbeteiligung zustande gekommen ist und ich verwies darauf, dass wir darüber nachzudenken haben, ob und gegebenenfalls was wir durch unsere Arbeit dazu beitragen können, dass sich das wieder ändert. Ich zitiere erneut: „Dazu können wir durch eine an der Sache orientierte politische Arbeit beitragen, die jedem im Hause zubilligt, dass er ‚der Stadt Bestes’ sucht, wie es beim Propheten Jeremia im Alten Testament heißt.“ Einen Beitrag gegen den Überdruss nicht weniger Bürger an Parteien und Parlamenten sehe ich aber auch in der Integrität dieses Hohen Hauses. Die Integrität des Parlaments ergibt sich unmittelbar

aus der Integrität von uns Abgeordneten. Sie zeigt sich unter anderem im kollegialen Umgang miteinander, der bei allem Streit aus dem Wissen lebt, dass niemand den Stein des Weisen besitzt und der andere auch recht haben könnte, wenigstens ein bisschen. Sie zeigt sich in der Gabe und Bereitschaft, die Sorgen und Nöte unserer Wählerinnen und Wähler zu teilen, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Einen Beitrag zur Integrität des Thüringer Landtags leistet aber auch gerade das Abgeordnetenüberprüfungsgesetz.

Meine Damen und Herren, gemäß diesem Gesetz ist unwürdig dem Landtag anzugehören, wer wissentlich hauptamtlich oder inoffiziell mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat. Ich wiederhole: Danach ist unwürdig dem Landtag anzugehören, wer wissentlich hauptamtlich oder inoffiziell mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir es noch einmal verlängern wollen. Die Verlängerung dieses Gesetzes wäre ein deutliches Signal, dass der Thüringer Landtag seine Wiederentstehung aus der friedlichen Revolution als Verpflichtung ernst nimmt und keinen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED-Diktatur will.

(Beifall CDU)

Bei dieser Aussage will ich auch bleiben, auch, obwohl das Thüringer Verfassungsgericht hierbei im juristischen Sinne sich erklärt. Das mag so sein und wurde bereits besprochen. So gibt es in diesem Gesetz auch eine ethisch-moralische Kategorie, der allein Folge leistend sollte eigentlich jede Partei zumindest eines ostdeutschen Parlaments willens sein, ihre Abgeordneten einer Prüfung zu unterziehen und entsprechend dem Ergebnis die Verantwortung tragen und handeln; ja, ich sage, danach handeln.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einige Missverständnisse klarstellen. In den letzten Tagen hat die Debatte einen Zungenschlag bekommen, der falsch ist. Da hieß es sinngemäß, die CDU will sich ein Instrument verschaffen, um kraft eigener Wassersuppe die Abgeordneten Kuschel und Leukefeld zu stigmatisieren und damit der LINKEN eines auszuwischen. Das weise ich von uns. Es bedarf keiner Stasi-Debatte, um den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes klarzumachen, dass die LINKE in der rechtlichen, der personellen und der politischen Tradition der SED steht. Aber das ist hier und heute nicht unser Thema,

(Zwischenruf Abg. Hausold, DIE LINKE: Offensichtlich doch.)

das tragen wir dieser Tage auf den Straßen und Plätzen unseres Freistaats aus, man spricht von Wahlkampf. Es gibt für alle von uns den Fixpunkt

30.08.2009.

Zur Verlängerung des Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes will ich Folgendes klarstellen: Gegen ein verlängertes und hinsichtlich der K 1 präzisiertes Abgeordnetenüberprüfungsgesetz gibt es keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. In der Anhörung ist aber auch deutlich geworden, dass das Gesetz jetzt verlängert werden muss, da eine Verabschiedung zu Beginn der neuen Legislatur einen Eingriff in ein laufendes Mandat darstellen würde. Diese Novelle jetzt und heute schafft jedoch die Möglichkeit, in der nächsten Legislaturperiode alle Abgeordneten dieses Hauses nochmals zu überprüfen. Auf die Bedeutung der Zeit in diesem Zusammenhang habe ich bereits hingewiesen. Ein Sachverhalt muss im Jahr 2010 nicht zwingend genauso bewertet werden, wie im Jahr 2000 oder im Jahr 1990. Wer das Gesetz in Gänze zur Kenntnis nimmt, der sieht überdies, dass ein mehrstufiges und differenziertes Verfahren abläuft, dass den Betroffenen weitgehende Äußerungsrechte einräumt. Auch in der Vergangenheit hat nicht jede Einzelfallprüfung zum gleichen Ergebnis geführt. Sodann sollte jedem klar sein, dass die CDU in diesem Punkt allein gar nichts vermag. Die für Kolleginnen und Kollegen belastenden Beschlüsse können nicht mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Dieses Überprüfungsverfahren ist deshalb keine politische Waffe für eine einzelne Fraktion. Das kann es schon nach seiner Konstruktion gar nicht sein.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, deshalb appelliere ich eindringlich an Sie, insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese Gesetzesänderung mitzutragen. Die Erinnerung an die friedliche Revolution vor 20 Jahren wird und muss der Beschäftigung mit dem SED-Regime und dem Nachdenken über die Elemente totalitärer Herrschaft in der DDR einen kräftigen Schub geben. Es wäre fatal, wenn der Thüringer Landtag ausgerechnet in diesem Jahr sagt, wir breiten den Mantel des Vergessens über dieses Thema und schrauben die Ansprüche an unsere Abgeordneten herunter.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Nun sind Sie dran, sich zu entscheiden und zu handeln.

(Beifall CDU)

Das Wort hat Abgeordneter Blechschmidt, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, die Debatte - und das hat ja auch die erste Lesung deutlich gezeigt - hat auch

einen Bezug auf das Verfahren, was innerhalb des Hohen Hauses zum Gesetzentwurf und der damit verbundenen Diskussion geführt hat. Das Verfahren, die Einbringung und - ich will es so beschreiben - die erste Phase der Ausschussarbeit einschließlich und ausdrücklich der Anhörung waren kein Höhepunkt der parlamentarischen Arbeit dieser Legislaturperiode.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Bleibt nur zu hoffen, dass dem Thüringer Landtag in der nächsten Wahlperiode solche seltsamen Experimentalversuche einer Anhörung buchstäblich von heute auf morgen erspart bleiben. Solche Farce hat die parlamentarische Demokratie nicht verdient, auch nicht in Thüringen. Angesichts dieser jüngsten Vorfälle ist nach Ansicht der LINKEN ernsthaft zu prüfen, ob in die Geschäftsordnung entsprechende Fristen aufgenommen werden müssen, die gerade der Opposition genügend Zeit zur Benennung von Anzuhörenden und den Anzuhörenden genügend Zeit zur Vorbereitung geben.

(Beifall DIE LINKE)

Gerade und auch mit Blick auf die Gewichtigkeit dieses Themas: Der vorliegende Beratungsgegenstand ist aber nicht nur mit Blick auf die Verfahrensvorgänge hoch problematisch, auch inhaltliche Änderungen - gerade die beabsichtigten Änderungen des Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes - sind brisant. Eine Verfassungswidrigkeit ergibt sich aus Sicht meiner Fraktion aus mehreren Aspekten. Sowohl der Sachverständige Bartl als auch der Sachverständige Herr Ziehm, der in Vertretung der Bundesbeauftragten Frau Birthler an der Anhörung teilgenommen hat, haben unmissverständlich darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion ab dem Jahre 2011 nicht mehr anwendbar sei, denn zum 31.12. - und das hat der Ausschussvorsitzende vorhin in seiner Berichterstattung deutlich gemacht - läuft das Stasi-Unterlagen-Gesetz aus. Der Wille allein, dass es gegebenenfalls eine Verlängerung geben könnte, ist dabei mit Blick auf den Rechtszustand unerheblich. Der Sachverständige Bartl kritisierte das Vorgehen der CDU als sogenannte Vorratsgesetzgebung, die verfassungsrechtlich unzulässig ist. Die Hoffnung der CDU auf eine Verlängerung des StasiUnterlagen-Gesetzes ist zwar aus deren politischen Horizonten nachzuvollziehen, aber - das habe ich eben schon betont - für die rechtliche Bewertung zum momentanen Zeitpunkt völlig irrelevant, weil Zukunftsmusik. Es wirft aber ein bezeichnendes Licht auf das Weltbild und das politische Verständnis der CDU. Diese ideologische Keule, so wie es mein Fraktionsvorsitzender beschrieben hat, soll noch so lange nachwirken, wie es möglich ist. Dabei übersieht die CDU völlig, dass selbst das Bundesverfassungsge

richt in mehreren Urteilen, auch weitere Gerichte in ihren Entscheidungen immer wieder darauf verwiesen haben, dass Regelungen wie die zum Umgang mit den Stasi-Unterlagen, zur Überprüfung im öffentlichen Dienst, zur Überprüfung von Abgeordneten nur deshalb gerechtfertigt sind, weil sie in einer Übergangsphase nach der Wende 1989 ihre Funktion haben und hatten. Nach nun 20 Jahren immer noch von einer solchen Übergangsphase zu sprechen, scheint unsererseits sehr problematisch zu sein.

(Zwischenruf Abg. Bornkessel, CDU: Wir wollen aber heute keine Spitzel mehr!)

Es stellt sich die Frage, nach wie viel Generationen der CDU diese Übergangsphase endlich abgeschlossen ist; der Bundestag sagt aktuell 2011. Da durch § 2 Abs. 1 des Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes eine enge Verklammerung mit den Regelungen und Auskunftsverfahren des Stasi-Unterlagen-Gesetzes stattgefunden hat, ist die von Frau Neubert vertretene Position einfach nicht haltbar. Das Thüringer Überprüfungsgesetz könnte auch ohne Fortgeltung des Bundesgesetzes wirksam bleiben und in der Praxis umgesetzt werden. Wenn kein Zugriff auf Informationen und Daten der Bundesbeauftragten zum Zwecke der Überprüfung mehr eröffnet ist, wie soll dann in Thüringen das Überprüfungsverfahren noch praktisch umgesetzt werden?

Das von der CDU eingebrachte Änderungsgesetz ist auch unter dem Gesichtspunkt des Einzelfallgesetzes verfassungsrechtlich hoch problematisch. Man kann es auch mit Blick auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Juli 2009 eine „Lex Leukefeld“ bezeichnen. Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil herausgearbeitet, dass der Thüringer Gesetzgeber, sprich der Landtag, in der Vergangenheit bewusst darauf verzichtet hat - ich wiederhole -, bewusst darauf verzichtet hat, die Personengruppe K 1 in das Gesetz aufzunehmen, und das in Zeiten, in denen der Rechtfertigungsgrund „Übergangsphase“ noch viel näher gelegen hat.

Kollege Carius sprach in seiner Berichterstattung des Ausschusses von vereinzelten Aussagen, die dem sozusagen fürsprechen. Ich möchte ausdrücklich aus der Stellungnahme des Rechtsanwalts Bartl zitieren, die deutlich macht, welche Gewichtigkeit auch solche gegebenenfalls Einzelaussagen haben. Frau Präsidentin, ich zitiere: In einer durch die seinerzeitige Dienststelle des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR auf Bitten des damaligen Staatsministers des Innern des Freistaats Sachsen, Heinz Eggert, gefertigten Einschätzung bzw. Recherche zum Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei und deren Zusammenwirken mit dem MfS schätzt der entsprechende Sachverständige Dr. Geiger von der Behörde der Bundes

beauftragten für Stasiunterlagen, späterer Staatssekretär des Bundesjustizministeriums, zusammenfassend ein: Das Arbeitsgebiet 1 der K war eine Struktureinheit des MdI und wurde auf der Grundlage von Befehlen und Weisungen des MdI tätig. Es war ein Sicherungsgegenstand des MfS und demzufolge ebenso wenig Teil des MfS wie die Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR, die ebenfalls vom MfS gesichert wurde. Das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei gestaltete die Arbeit mit seinen IM nach weitgehend gleichen Regeln, wie sie auch im MfS Anwendung fanden. Die IKM unterscheiden sich aber vom IM des MfS in Qualität, Funktion der einzelnen Kategorien, Quantität und Einsatzrichtung. Die Verpflichtung von IKM und KK des Arbeitsgebietes 1 zur inoffiziellen Mitarbeit war ausdrücklich auf die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei zum Zwecke der Verhinderung, Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten abgestellt. Die IM der K 1 wussten also, dass sie mit der Kriminalpolizei inoffiziell zusammenarbeiten werden. Die Erhöhung eigener Schutzbedürfnisse durch Unterstützung der Polizei galt im Prinzip als politisch wertfrei und genoss im Allgemeinen gesellschaftliche Akzeptanz. Die Gleichstellung des AG 1 mit dem MfS ist nur in Bezug auf die Anwendung von Mitteln und Methoden der inoffiziellen Arbeit möglich. Eine generelle Gleichsetzung, so der Sachverständige Dr. Geiger, verwischt die tatsächlichen Machtstrukturen der DDR, vernachlässigt den Unterschied der kriminalpolizeilichen bzw. dem politisch operativen Ziel und der Aufgabenstellung, die beide Organe hatten.

Ich glaube, meine Damen und Herren, es macht deutlich, dass es nicht ganz so einfach ist, hier eine entsprechende Erweiterung des aktuellen Gesetzes vorzunehmen. Eine Gesetzverschärfung, praktisch 20 Jahre nach den Ereignissen, die diesen Eingriff in das verfassungsrechtlich abgesicherte freie Mandat der Abgeordneten überhaupt rechtfertigen, ist unserer Meinung nach verfassungsrechtlich nicht tragbar.

Ein letzter Gesichtspunkt, der eindeutig dafür spricht, dass die CDU ihren Gesetzentwurf nicht verabschieden sollte. Der Sachverständige Bartl hat sehr ausführlich und klar herausgearbeitet, dass ein solcher Gesetzentwurf zum jetzigen Zeitpunkt verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, weil in einer laufenden Wahlvorbereitung bzw. mehr noch in einer laufender Wahlhandlung - seit Montag finden die Briefwahlen statt - die Bedingungen für die Ausübung des späteren Mandats an entscheidenden Punkten verändert werden. So konnten sich weder die Kandidaten noch alle Wählerinnen und Wähler vor ihrer Stimmabgabe mit diesen veränderten Aspekten auseinandersetzen, von denen auch die CDU zugibt, dass sie für die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger

von Bedeutung sein können. Als vermeintlicher Ausweg, den Verzicht auf die Übernahme des Mandats in den Raum zu stellen, wie es die CDU vorschlägt, ist nach Ansicht der LINKEN ein unzulässiger Eingriff in den Wählerwillen. Die LINKEN bleiben im Übrigen auch bei ihrer weitgehenden Kritik am geltenden Abgeordnetenüberprüfungsverfahren. Diese Kritik wird auch durch die Ausführungen des Sachverständigen in der Anhörung gestützt. Sie finden sich auch in vier Sondervoten zum Urteil des Normenkontrollverfahrens der Fraktion DIE LINKE zum Thüringer Abgeordnetengesetz wieder. Es verstößt gegen demokratische Legitimationsprinzipien, dass ein fünfköpfiges Geheimgremium über die Parlamentsunwürdigkeit von Abgeordneten oder Parlamentswürdigkeit von Abgeordneten entscheidet. Die Beratung und Entscheidung gehört in den Thüringer Landtag. Doch das Problem ist noch fundamentaler. Dass sich eine Mehrheit von Abgeordneten das Urteil darüber anmaßt, wer es verdient im Thüringer Landtag zu sitzen, stellt für uns eine Arroganz der Macht in höchster Potenz dar.

(Beifall DIE LINKE)

Mit diesen anmaßenden Urteilen wird der Wählerwille gröblichst missachtet und damit der Wille des demokratischen Souveräns, der Bürgerinnen und Bürger. Das umso mehr, wenn die betroffenen Abgeordneten auch noch mit einem Direktmandat im Thüringer Landtag sitzen. DIE LINKE wird auch weiterhin für einen offenen und transparenten Umgang mit Abgeordneten- und Kandidatenbiografien streiten und wird einen solchen Umgang auch selbst praktizieren, damit die Bürgerinnen und Bürger auf einer fundierten und umfassenden Informationsgrundlage sich ihre Meinung bilden und eigenverantwortlich entscheiden können. Aber die bestehende gesetzliche Regelung, wie auch die vorliegenden Änderungsanträge, tragen zu eben diesem Ziel unserer Meinung nach nicht bei. Die offensichtlich verfassungsrechtlichen Mängel rufen geradezu nach einer weiteren gerichtlichen Überprüfung.

Sehr geehrter Kollege Jaschke, drei Punkte Ihres Beitrags würde ich gern aufgreifen wollen in Achtung auch ihrer Alterspräsidentschaft. Ich glaube schon, dass nach dem Zweiten Weltkrieg es durchaus eine historische Legitimation gegeben hat, die Sie abstreiten, dass sich Menschen zusammengefunden haben und eine neue, eine andere, eine friedlichere Gesellschaft aufbauen wollten. Das sind gerade jene Lebensleistungen der Generation meiner Eltern, die es heute auch mit zu bewerten gilt. Die Frage danach, inwieweit diese historische Legitimation genutzt worden ist und welche Fehler innerhalb dieses Systems bestanden haben - da will ich nur auf einen grundsätzlichen Fehler hinweisen, es war nicht demokratisch -, die Diskussion müssen wir führen, aber

die historische Legitimation war allemal vorhanden.

(Beifall DIE LINKE)

Ein zweiter Punkt: Es wird uns immer wieder - und Kollege Hausold hat es eigentlich deutlich gemacht - unterstellt, dass wir eine Verantwortung zu dieser Entwicklung ablehnen. Ich bitte Sie nachdrücklich, zur Kenntnis zu nehmen, in den letzten 20 Jahren, seit 1990, seit dem Sonderparteitag der damaligen PDS, setzen wir uns mit dieser Geschichte, mit dieser Verantwortung, die wir an dieser Stelle haben, auseinander und haben auch die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus gezogen. Bitte nehmen Sie es zur Kenntnis.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Aber es ist nicht die Wahrheit, was Sie sagen!)