Deswegen habe ich überhaupt keine Last damit, sondern es ist mir wichtig zu sagen: Wer Steine schmeißt, der besorgt das Geschäft von den Nazis. Wer besoffen rumrandaliert ist keiner, der wirklich Widerstand leisten will. Bei denjenigen müssen wir gemeinsam als diejenigen, die dann die Bündnisse verabreden, auch dafür Sorge tragen, dass für solche kein Platz ist. Dass man auch mit eigenen Mitteln einwirkt, dazu brauchen wir aber nicht die Polizei, dazu brauchen wir ein gutes Bündnis, das miteinander funktioniert und auch nach vorn den Wunsch stellt, gegen braunen Ungeist zivilgesellschaftliches Engagement zu stellen. Deswegen, Herr Gasser, kann ich Ihnen sagen, in Leinefelde haben wir einen anderen Polizeieinsatz erlebt, einen Polizeieinsatz, der sehr wohl mit den Demonstran
ten, die den Nazis Paroli geboten haben, das Signal gegeben hat, dass die Polizei nicht gegen die Demonstranten steht, sondern dass die Polizei sehr wohl bereit ist, zivilgesellschaftliches Engagement mit ihren Mitteln und Möglichkeiten zu begleiten. Da gibt es einen Unterschied, ob Sie sagen, die Polizei sei einfach nur neutral, oder ob Sie sagen, die Polizei sei auch Garant dafür, dass Feinde der Demokratie auch gezeigt bekommen, dass sie ins Abseits gestellt werden. Und die Feinde der Demokratie waren nicht die Gegendemonstranten in Erfurt.
Das martialische Erscheinungsbild scheint mir eines der Probleme zu sein. Und was ich sehr bedauere, Herr Gasser, ich habe Sie in der letzten Legislatur als Justizminister sehr schätzen gelernt und ich achte Ihre rechtsstaatlichen Prinzipien, die wir immer wieder in Gesprächen und in Diskussionen hatten, aber das, was ich seit Samstag erlebe in Ihrer Rolle als Innenminister, das wirkt auf mich, als wenn Sie kalt Law and Order administrieren und in einem falsch verstandenen Korpsgeist sich vor eine Polizeieinsatzleitung stellen, die in einer Form Wasserwerfer hat auffahren lassen, wo allein durch das Auffahrenlassen schon ein gewisser Eindruck entsteht, bei dem Menschen rückwärts gehen. Ich habe auch mit Parteimitgliedern Ihrer Partei geredet, die gesagt haben, als sie die Wasserwerfer gesehen haben, sind sie gegangen. Das heißt, man schwächt geradezu zivilgesellschaftliches Engagement, wenn man meint, man müsste mit den großen Polizeiketten dort aufmarschieren, den Wasserwerfer einsetzen. Und es klingt ein bisschen höhnisch bei mir in den Ohren, wenn ich höre: Wenn das Wetter gut gewesen ist und man Badehosen angehabt hätte, wäre das mit dem Wasser ja gar nicht so schlimm gewesen. Entschuldigung, dass ich an der Stelle sage, das ist höhnisch, das kann ich nicht akzeptieren.
Meine Damen und Herren, wir haben bei den Polizeieinsätzen, das ist das Tagesordnungsthema, erlebt, dass offenkundig sehr problematische Reaktionen in den Ablaufketten eingetreten sind. Da muss man mal über die Frage der Situation in der Polizei reden. Also, ich neige nicht dazu, pauschal die Polizei als solche zu verurteilen und zu kritisieren, aber in der Polizei scheint es Stimmungslagen zu geben, die etwas nicht nur mit der Bezahlung zu tun haben,
sondern auch damit, dass man sie in falsche Tarifgruppen eingruppiert, dass man sie auf niedrigen Eingruppierungslevels hält, dass man ihnen Vorgesetzte vorgesetzt hat, die offenkundig nicht mit den Polizistinnen und Polizisten darüber gemeinsam reden, wie man sich engagiert in den Staats
dienst stellen, sondern wie man nur kalt seine Karriere machen kann. Und, ich glaube, da sind auch falsche Akzente in der Thüringer Polizei festzustellen. Es gab mal ein Gutachten über die Stimmungslage im LKA. Das ist nie öffentlich diskutiert worden. Das habe ich dann mal irgendwann in die Finger bekommen und das war sehr bedenklich, was da Psychologen festgestellt haben, wie der gefühlte Zustand im LKA in Thüringen ist. Ich glaube, nachdem das alles aufgeschrieben war, hat man kein zweites Gutachten mehr über den gefühlten Zustand in der Thüringer Polizei erstellt. Und ich glaube, unsere Polizistinnen und Polizisten hätten es verdient, wenn darüber endlich auch ernsthaft geredet werden würde, wenn man sie ernst nehmen würde und sie nicht einfach nur zwischen die Reihen stellen würde. Aber, meine Damen und Herren, ich rede noch ausdrücklich von Samstag. Und Samstag hat es auch Überreaktionen, da hat es nicht nur Steine und Eier gegeben, da hat es auch Überreaktionen von Polizistinnen und Polizisten gegeben, die sich offenkundig zwischen den Reihen nicht mehr orientieren konnten. An der Stelle frage ich, Herr Minister Gasser, in Ihrem Vortrag haben Sie eben gesagt, in Pößneck war die normative Kraft des Faktischen entscheidend, dass die Polizei nicht eingesetzt wurde. Jetzt kritisiere ich nicht den Ablauf, der dann von Ihnen beschrieben worden ist, sondern ich hinterfrage Ihre Aussage. Wenn in Pößneck angesichts von 1.000 Skinheads, Nazis und gewaltbereiten Besoffenen und Alkoholisierten eine unterzählige Polizei nicht eingesetzt wird, dann orientiert sich die Polizei oder die Polizeieinsatzplanung an der normativen Kraft des Faktischen. Wenn das die Grundlage ist, dann frage ich mich, warum man angesichts der vielen Gegendemonstranten in Erfurt nicht den Nazis gesagt hat: Geht auf den Willi-Brandt-Platz oder geht an eine andere Stelle nach Erfurt. Das frage ich Sie.
Verwaltungsgericht - in Pößneck hat überhaupt kein Verwaltungsgericht getagt, das heißt, wenn kein Gericht damit beschäftigt wird, dann sagen Sie, eine überzählige Anzahl von Demonstranten entscheidet darüber, wer bleiben darf und wer nicht. Oder muss man umgekehrt die Frage stellen und der Eindruck - ich rede von dem Eindruck - steht im Raum, wenn es Nazis sind und es sind viele, dann passiert weniger; wenn es Gegendemonstranten sind, dann stellt man viele Polizisten hin und setzt sie zwischen die Reihen. Diesen Eindruck, den haben Sie zu vertreten, und an der Stelle würde ich wirklich darum werben, dass wir die nächsten Aktionen - und da gebe ich dem Kollegen Fiedler Recht - dann gemeinsam vorbereiten, dass wir uns zusammensetzen und über Spielregeln reden, dass wir es aber schaffen viele Menschen mitzunehmen, um zu sagen, was ist eigentlich unser Hauptproblem, über das wir reden. Wir reden über das braune Netzwerk, das sich in Deutschland ausbreitet und seine Netzwerkknoten
hier in Thüringen ganz konkret an jeder Ecke knüpft. Das Haus in Pößneck ist hier mehrfach am Rednerpult angesprochen worden und da haben Behörden im Ablauf miteinander versagt. Da hat man vom Vorkaufsrecht nicht Gebrauch gemacht, weil der, der davon Gebrauch hätte machen können, nicht wusste, dass es Nazis sind, die das Haus kaufen. Und als die Schule versteigert worden ist, also Staatseigentum, haben die Beteiligten nicht gewusst, wer das kauft. Da sage ich, an den Stellen funktioniert das Zusammenwirken des Apparats, des staatlichen Apparats nicht. Da sagt der Bürgermeister dann in dem Dorf, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich natürlich das Geld für die Steigerung geboten. Jetzt haben die im nächsten Ort eine Schule, die möglicherweise ein Nazisammeltreff wird, und dann reden wir über den Polizeieinsatz vielleicht in ein paar Monaten dort, wenn sich die braune Brut dort breit macht. Deswegen, Kollege Fiedler, ich nehme Sie beim Wort: Lassen Sie uns gemeinschaftlich vorbereiten, wie wir zwei Dinge tun.
Erstens: Zivilgesellschaftliches Engagement zusammen bündeln - und da würde ich mir wünschen, Herr Ministerpräsident, wenn Sie bei der nächsten großen Aktion selber persönlich Flagge zeigen und damit deutlich machen, Sie, Ihre Minister und alle hier im hohen Haus stehen in der ersten Reihe, dann brauchen wir keine Polizei, dann sind wir an der Stelle und sagen, Nazis und braunes Gedankengut raus.
Zweitens: Lassen Sie uns endlich ein Landesprogramm gegen diesen braunen Ungeist verabreden, bei dem wir darüber reden, welche staatlichen Eingriffsmöglichkeiten wir haben und wie wir organisieren, dass sie besser funktionieren; wie organisieren wir, dass ein Bürgermeister eine Hotline hat, wo er anrufen kann, wo er nachfragen kann. Das ist nicht die Frage der Koordinierung mit der KOSTG, das ist die Frage eines Zusammenwirkens aller staatlichen Gliederungen vom Landesverwaltungsamt über Landesverfassungsschutz, von der Polizeibehörde bis zur Feuerwehr, vom Katastrophenschutz bis zum Landratsamt; alle zusammen müssen doch ein Interesse daran haben, dass wir braunem Ungeist in diesem Land keinen Platz geben. Dann müssen die Behörden auch aufeinander abgestimmte Maßnahmepläne entwickeln. Deswegen wäre es dringend notwendig, zum Beispiel die mobilen Beratungsteams in Thüringen zu stärken, zum Beispiel diese Netzwerkstellen, wo ziviler Widerstand, Zivilcourage gegen braunen Ungeist gesetzt wird, zu stärken. Wir brauchen aber auch ein offensives Dokumentationszentrum für das, was mittlerweile an Zeichen getragen wird. Das ist eben nicht mehr die Marke „Lonsdale“, die Nazis haben sich längst eine neue Marke selber gemacht. Dann tragen auf
einmal junge Leute solche T-Shirts und die Umgebung weiß nicht, was es bedeutet. Da müssen wir den Lehrer ermutigen, da müssen wir den Nachbarn ermutigen, da müssen wir den Sportverein ermutigen. Das wäre aber die Aufgabe von uns, gemeinsam als Landtag mit der Landesregierung ein solches Informations- und Dokumentationszentrum aufzubauen und mit Wirkung zu untersetzen. Da gibt es ein paar gute Ansätze in der Landeszentrale für politische Bildung. Das reicht aber nicht aus, wir brauchen einen Zugriff auf Datenmengen und Datensituationen, bei denen man erkennt, wie weit das braune Netzwerk in Thüringen schon gewachsen ist und wie es weiter wächst, und das, was wir brauchen, ist eine Investition in die Jugend- und Erwachsenenbildung, dass tatsächlich Menschen auch ermuntert werden, zivilgesellschaftliches Engagement auf den Weg zu bringen. Der 11. Juni 2005, Tag der offenen Tür, da werden wir alle zusammen hier im Landtag uns präsentieren und am gleichen Tag versuchen die Nazis in Jena einen europaweiten Aufmarsch zu organisieren. Jetzt weiß ich, dass die Stadträte angefangen haben, sehr gut eigene Akzente zu setzen. Lasst uns das unterstützen! Lasst uns zum Tag der offenen Tür ein Zeichen setzen, dass Nazis in Thüringen unerwünscht sind, egal ob sie aus Thüringen kommen oder ob sie aus ganz Europa kommen! Wir müssen ihnen zeigen, dass wir ihnen die kalte Schulter zeigen. Das ist keine Frage des Polizeieinsatzes, das ist eine Frage, die wir beantworten können und beantworten müssen. Deswegen, Herr Gasser, an einer Stelle bin ich mit Ihnen nicht einverstanden. Als Sie in der Auswertung vom Samstag zum ersten Mal davon geredet haben, der Einsatz der Wasserwerfer sei polizeitaktisch gerechtfertigt, da geht es bei mir los, dass ich sage, ich habe hier z.B. - und ich sage es ganz konkret - Einsatzsituationen mit der PI Süd erlebt, wo es ganz komplizierte Situationen gab. Und da gab es rechtzeitig und frühzeitig Alarmsignale in beide Richtungen. Man hat angefangen zu deeskalieren, also nicht nur die Polizei zu deeskalieren, sondern auch diejenigen, die auf eine andere Szene einwirken können, indem man noch in der Gesprächsfähigkeit ist. Das Wissen von solchen Einsätzen ist in der Polizei vorhanden. Wenn man aber zum Schluss nur nach Law and Order entscheidet - und ein bisschen habe ich bei dem Erfurter Polizeichef das Gefühl, dass er in seiner Unsicherheit dann etwas mehr zu der anderen Seite der Entscheidung neigt. Auch in Saalfeld kann ich mich gut erinnern, als es nach der Ermordung von Jana eine sehr kritische Situation in Saalfeld gab, da hat ein erfahrener Polizeiführer - und ich nenne ihn namentlich, Schnaubert, - einen Einsatz geleitet, von dem ich tief beeindruckt war, weil es auf allen Seiten funktioniert hat und wir die Deeskalation gemeinsam betrieben haben. An der Stelle hätte ich mir mehr Engagement gewünscht, dass wir als Landtagsabgeordnete gemeinsam ge
sagt hätten: Ja, auch Steineschmeißern und Betrunkenen zeigen wir die kalte Schulter. Aber dazu brauchen wir nicht die Polizei. Deswegen zu argumentieren, dass am Ende der Wasserwerfereinsatz ergänzt worden wäre oder ersetzt worden wäre durch den Polizeiknüppeleinsatz, da kann ich nur sagen, eine Woche nach Buchenwald, da ist uns allen ins Stammbuch geschrieben worden, dass der Staffelstab der Geschichte weitergegeben werden muss. Und, Herr Gasser, dieser Staffelstab ist kein Polizeiknüppel. Dieser Staffelstab lebt von uns, der lebt davon, ob wir den Staffelstab aufnehmen. Wir alle, die wir Verantwortung in diesem Land tragen und die wir dann das Gegennetzwerk gegen braunen Ungeist auch knüpfen und weiterentwickeln, so dass niemand in diesem Land allein gelassen wird, wenn eine solche Situation der national befreiten Zone um ihn langsam wächst. Wenn in einer Schule die Kinder anfangen zu schweigen, weil bestimmte Großmäuler das Kommando übernommen haben oder weil Lehrer mittlerweile in der Situation wegschauen, da müssen wir Mut machen. Und wenn in einem Feuerwehrverein oder in einem Sportverein - ist in Thüringen ja passiert in einem Sportverein - ein Lied gesungen worden ist: „Wir bauen eine Eisenbahn nach Auschwitz“, da muss man auch sagen, das ist keine Frage nur noch von Jugendlichen, das ist eine Frage von Dummheit, von Wegschauen, von Augenzumachen und da müssen wir sagen: Augen auf machen! Da müssen wir etwas gegensetzen. Deswegen, Herr Gasser, wer das Demonstrationsrecht kalt administriert, der ist verantwortlich dafür, dass rechtsstaatlich geforderte und notwendige Befriedung ersetzt wird durch obrigkeitsstaatliche Friedhofsruhe und vor der habe ich Angst, weil, dann gehen die Demokraten weg, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn keine Demokraten mehr da sind. Dann überlassen wir alles dem starken Staat und der starke Staat ist dann in der Tendenz auf dem Weg Richtung Obrigkeitsstaat und Polizeistaat. Ich glaube, an der Stelle jubeln dann die Nazis erst richtig, weil sie genau diesen Staat wollen. Ich glaube, deswegen ist es am schlimmsten, dass die Nazis noch am Samstag gehöhnt haben, als die Wasserwerfer angemacht worden sind. Das Gejohle der Nazis war das Schlimmste, was die Menschen hören konnten, die es noch mitgekriegt haben. Ich glaube, dafür sind die Polizeiwasserwerfer nicht geeignet, um sich noch kommentierend, johlend und applaudierend von den Nazis begleiten zu lassen. Deswegen meine Bitte an uns alle: Es ist nicht die Frage, wer der bessere Antifaschist ist. Die Zeit, in der wir heute stehen, heißt: Nach 60 Jahren Buchenwald. Herr Minister Goebel, Sie sollten wenigstens zuhören, Sie sind für die Bildung unserer Jugend zuständig, Sie sollten wenigstens hinhören, dass es ein Aufruf ist, dass wir zusammenhalten und uns nicht auseinander dividieren lassen.
Das, was ich heute morgen hier gehört habe, ich wollte es nicht sagen, aber als Dr. Hahnemann hier gestanden hat und gesagt hat, am 8. Mai will keiner, auch wir nicht, dass am Holocaust-Mahnmal in Berlin Nazis aufmarschieren, hat der Kollege Kretschmer aus der CDU dazwischengerufen: „und keine Kommunisten!“ Da muss ich Ihnen sagen: Wer nach dem 60. Jahrestag dieses Dr. Hahnemann antwortet, der für etwas anderes hier gesprochen hat, nämlich für zivilgesellschaftliches Engagement, und dann verkennt, dass die Kommunisten mit vergast worden sind, mit umgebracht worden sind - und damit sind wir nicht bei der DDR-Diskussion, wir sind bei dem Fakt, dass Kommunisten auch in den Lagern gewesen sind. Das Holocaust-Mahnmal hat etwas damit zu tun, dass aus Rassenwahn eine Gruppe, eine ethnische Gruppe, ein Volk vernichtet worden ist und Kommunisten diejenigen waren, die mit in der Vernichtung drin waren. Wenn so etwas hier leichtfertig reingerufen wird in Richtung PDS, dann meint man einfach nur, uns in die linke Ecke zu stellen, uns bei den Demokraten auszusortieren und zu sagen: Na gut, also wenn sie dann auf dem Platz stehen, dann gehen wir nicht weg. Aber zu beklagen, wenn wir als PDSler da sind und Sie als CDUler selber nicht anwesend sind, aber dann die Polizei marschieren lassen, das wäre die Niederlage von uns allen. Deswegen rede ich von „uns“. Ich glaube, gegen das, was sich an braunem Ungeist in Thüringen breit macht, hilft nur zivilgesellschaftliches Engagement und eine besser motivierte Polizei, eine geschulte Polizei, aber vor allem ein Staatsapparat, bei dem die einzelnen staatlichen Stellen miteinander harmonieren, sich informieren. Und dazu eine persönliche Anmerkung: Dass das Landesamt für Verfassungsschutz überfordert ist, rechtzeitig auf solche Entwicklungen aufmerksam zu machen, wundert zumindest mich nicht. Offenkundig sind die mit anderen Dingen beschäftigt, mit Unsinn, der da eingearbeitet und archiviert wird, statt wirklich Gemeinden vorzuwarnen, statt wirklich Bürgermeistern das Signal zu geben: Da passiert etwas, wo es besser ist, wir halten vorher zusammen. Deswegen unser Appell für ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, für ein engagiertes Eintreten der Menschen in diesem Land, für zivilgesellschaftliches Engagement Zeichen zu setzen. Ich würde mich freuen, wenn der Thüringer Landtag in Gänze in Vorbereitung auf die nächsten Demonstrationen und angekündigten Maßnahmen der Nazis - wir gemeinsam - ein Zeichen setzt. Das wäre die richtige Antwort nach dem Samstag.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst über die vier konkret angesprochenen Polizeieinsätze einige Bemerkungen machen, bevor ich zu einer Gesamtwertung kommen möchte.
Zunächst zu Rudolstadt: Ich will die Vorgänge in Rudolstadt nicht nur nicht vorsichtig beurteilen, sondern ich will es im Augenblick überhaupt nicht bewerten. Wir wissen aus der Innenausschuss-Sitzung, dass die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft noch bei der Vernehmung von mindestens 30 Zeugen ist, und das sagt im Augenblick, wir haben noch kein klares Bild zu den Vorgängen in Rudolstadt. Ich erwarte, dass die Berichterstattung im Innenausschuss fortgesetzt wird und dass sich das Bild in den nächsten Wochen und Monaten, hoffentlich in Wochen, aufklärt. Es bleibt bei Rudolstadt - und das ist mir nicht unwichtig - zunächst den Polizisten die besten Genesungswünsche der SPD-Landtagsfraktion zu übersenden, genau wie der verletzten Frau. Wir begrüßen, dass die Oberstaatsanwaltschaft die Spuren an das BKA zur Auswertung weitergegeben hat, genauso, wie ich bemerken möchte, dass die Einleitung des von Ihnen, Herr Minister, angesprochenen Ermittlungsverfahrens korrekt ist.
Meine Damen und Herren, zu dem Fall Breitungen: Ich will den Ablauf nicht noch mal bis ins Detail auflisten. Er ist aus dem Bericht des Innenministers bekannt und aus dem Bericht der Medien. Der letzte Sachstand ist aber auch - und das schränkt das alles ein bisschen ein -, uns fehlen die letzten sieben Minuten. Der veranlassende Polizist stand bisher unter Schock und war somit nicht vernehmungsfähig. Und die letzten sieben Minuten sind sicherlich nicht die unwichtigsten in diesem gesamten Vorgang. Für mich bleiben zwei zentrale Fragen: Hätte die Amokfahrt in Immelborn an der Schranke, an der der Amokfahrer zwei bis drei Minuten stand, beendet werden können? Diese Frage müssen wir uns stellen. Im Nachhinein kommt man sicherlich zu der Erkenntnis - zu der Erkenntnis bin ich auch gekommen -, es hätte ein so genanntes Nagelbrett hinter dem Hinterreifen des Lkw-Fahrers eventuell dazu geführt, dass die Amokfahrt unmittelbar dort oder wenige Minuten später beendet worden wäre. Ich weiß, dass die Polizei dies nicht bei sich führte, ich will daraus auch keinen Vorwurf machen, aber es bleibt - ich habe es vorhin schon gebraucht - bei dem Sprichwort: „Wir wollen nach dem Schaden klüger sein.“
Es ist für mich auch ein großes Fragezeichen um den Schusswaffeneinsatz in Immelborn, aber vielleicht in einer anderen Richtung, als der eine oder andere jetzt vermutet. Wir wissen, dass die Thüringer Polizei mit neuer Munition ausgerüstet wor
den ist. Das heißt, diese Hartgeschossmunition wird so nicht mehr eingesetzt, sondern Munition mit einem weichen Kern. Das hat, wenn die Polizei dazu gezwungen ist, auch z.B. den finalen Rettungsschuss anzuwenden, den Vorteil, dass diese Munition nicht durch den Körper durchschlägt und eventuell andere Unbeteiligte verletzt. Kein Polizist und auch Sie, Herr Innenminister, im Ausschuss nicht, konnte mir konkret sagen, ob diese Munition überhaupt in der Lage ist, den Reifen eines Lkw zu durchschlagen. Ich habe die Antworten bekommen, wie „zu 100 Prozent ausgeschlossen“, „vielleicht, wenn der Lkw steht“, „wenn sich der Reifen dreht, über den sich ändernden Einschusswinkel sehr unwahrscheinlich“. Wenn das so ist - wir wollen zukünftig schlauer sein -, war das eine angemessene und eine richtige Handlungsweise dort an dieser Stelle? Diese Frage will ich ausdrücklich stellen.
Bei der zweiten Frage erlaube ich mir eine Antwort, das ist nicht neu, ich habe das auch schon den Medien zur Kenntnis gegeben. Ich bin der Überzeugung, dass die Inanspruchnahme eines Zivilisten in diesem Fall vom Polizeiaufgabengesetz (PAG) § 10 nicht gedeckt war. Ich will das auch begründen: Ich habe das Standardwerk für Innenpolitiker mitgebracht und möchte mal etwas aus dem Kommentar zum § 10 PAG vorlesen. Da gibt es nämlich noch den Absatz 4, der sinngemäß sagt: Die Polizei kann nicht nur einsetzen, sie muss auch vorher abwägen, ist Leib und Leben der entsprechenden Zivilperson in Gefahr. Und da heißt es in der Erläuterung zu diesem Absatz 4: „Der Nichtverantwortliche muss ohne erhebliche eigene Gefährdung in Anspruch genommen werden können. Unter eigener Gefährdung ist eine solche an Leben und Gesundheit zu verstehen; der Nichtstörer darf sozusagen nicht zum Heldentum gezwungen werden. Maßgebend ist die objektiv gegebene Gefährdung, nicht diejenige, die der Nichtverantwortliche subjektiv fürchtet. Die Beurteilung obliegt dem Polizeibeamten, nicht dem Inanspruchgenommenen.“ Selbst aus Ihren Ausführungen, Herr Innenminister, geht hervor, dass der Amokfahrer schneller da war, als man gerechnet hat. Dann war dieses eine subjektive Einschätzung, aber die objektive Einschätzung hat zu bewerten. Und zur objektiven Einschätzung gehört im Übrigen auch, dass aufgrund der Art und Weise, wie der Lkw-Fahrer gefahren ist, nämlich rücksichtslos vorneweg, die Wahrscheinlichkeit bestand, dass der auch ins Führerhaus reinknallt. Natürlich, auch dieses wäre abzuwägen gewesen. Ich will das ganz deutlich sagen, mir geht es gar nicht darum, dass jetzt irgendein Polizist verurteilt wird. Es geht darum, dass mit diesem Instrument zukünftig anders umgegangen wird. Ich habe mich maßlos geärgert, eine Stunde nach diesem tragischen Unglücksfall lief über allen Radiosendern und am nächsten Tag auch in der Zeitung: Erstens, die Polizei
hat alles richtig gemacht und zweitens, die Polizei darf das. Es wurde aber immer nur auf § 10 Abs. 1 hingewiesen. Es hat eine Woche gedauert, bevor auch in der Öffentlichkeit mal über die Einschränkungen geredet worden ist. Wer so in der Öffentlichkeit mit unserem Polizeiaufgabengesetz umgeht - das Gleiche gilt übrigens für den finalen Rettungsschuss, für den es nämlich auch Ausschlussmöglichkeiten gibt -, der braucht sich nicht zu wundern, wenn in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, ob bei der Thüringer Polizei die Pistole locker sitzt. Das gehört, meine Damen und Herren, zum gesamten Bild.
Kommen wir zu Pößneck: Das Schlimme an Pößneck ist, es hätte nie stattfinden müssen. Ich rede da ausdrücklich von diesem Skinhead-Konzert. Es hätte nicht stattfinden dürfen; es hätte nicht stattfinden müssen. Ich behaupte, das Landesamt für Verfassungsschutz hat in der Aufklärungsphase und insbesondere in der Auswertung komplett versagt. Das Landesamt für Verfassungsschutz hatte alle notwendigen Daten, um im Vorfeld eine andere Einschätzung zu treffen. Man wusste, dass diese Veranstaltung zumindest auch in sechs anderen Bundesländern umworben ist. Man wusste, dass nur die Band Lunikof - und es waren eigentlich noch ganz andere Größen aus der Szene angesagt - allein in Sachsen 1.000 Konzertbesucher gezogen hat, und man wusste, dass es ein besonderes Konzert von Lunikof ist, nämlich das Abschiedskonzert des Sängers. Trotz all dieses Wissens sind die Vertreter der Polizei in der Sicherheitslage im Innenministerium am Donnerstag im Unklaren gelassen worden über das, was dort passieren kann. Es sind im Nachhinein noch ein paar Nebelbomben gezündet worden. Das will ich ausdrücklich kritisieren. Es gab dann immer wieder die Aussage, wir hätten ja mit Nordhausen gerechnet. Meine Damen und Herren, bei der Lageeinschätzung vom Landesamt für Verfassungsschutz wäre auch Nordhausen zu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit voll in die Hose gegangen. Auf der anderen Seite, selbst wenn das Landesamt für Verfassungsschutz mit seiner Einschätzung Recht gehabt hätte - sie sind in der Lage, in Thüringen 350 Skinheads/Rechtsradikale auf die Beine zu bringen -, auch dann wären die Polizisten, die vor Ort waren, zu wenig gewesen. Denn wir wissen zumindest auszugsweise, die Skinhead-Richtlinie schreibt ein Verhältnis von 1 : 7 vor, das wären dann mindestens 700 Polizisten vor Ort. Aber auch die sind es ja bei weitem nicht gewesen. Das Ärgerliche ist, es war nicht nur so, dass in Bayern und in Sachsen andere Lagen waren und wir hätten keine Hilfen bekommen können; in Hessen standen zwei Hundertschaften. Und vom Bund wäre auch die Möglichkeit der Hilfe gewesen, wäre das Landesamt für Verfassungsschutz mit den Daten so umgegangen, wie ich es von ihm erwarte. Die Polizei war dann vor Ort vor
ein Problem gestellt, was sie nicht zu verantworten hatte, und aufgrund der vorhandenen Polizeistärke vor Ort hat sie richtig gehandelt. Sie hat dafür gesorgt, das ist vom Innenminister schon erwähnt worden, dass von diesem Skinhead-Konzert die Leute nicht in dieses Straßenfest oder in dieses Bierfest eingesickert sind, was da in Pößneck stattgefunden hat, und sie ist angemessen mit jeder Situation umgegangen, auch wenn sie die Aufnahme der Identität abgebrochen hat; dafür gab es Gründe, dieses zu diesem Zeitpunkt zu tun, ausdrücklich auch an den PD-Leiter Höhn. Die Polizei hat aufgrund der Lage, die sie vorfand, vor Ort absolut richtig gehandelt.
Meine Damen und Herren, kommen wir zu Erfurt. Dort muss ich zunächst, aber ich gebe gern zu, dass ich da auch ein ganzes Stückchen Wut in mir trage, diese Linie, die ich bisher gehalten habe, verlassen. Meine Damen und Herren, der vom Einsatzleiter Grube als gewaltbereit eingeschätzte Landtagsabgeordnete Schwäblein hatte noch nicht seine nasse Jacke ausgezogen, als - das kann ich nur so formulieren - der so genannte Generalsekretär der Thüringer CDU zu seinem Füller griff. Was er tat war ungeheuerlich. Er stellte in einer Presseerklärung eine Nähe unter anderem der Thüringer SPD zu diesen Linksradikalen, zu diesen Gewalttätern her. Er hat dieses ganz bewusst gemacht an dieser Stelle und ich sage Ihnen, Herr Mohring, ich erwarte, dass Sie sich für diese Unverschämtheit entschuldigen.
Ich kenne nicht Ihren verschlungenen Bildungsweg. Ich weiß, dass er noch nicht abgeschlossen ist. Ich weiß nicht, zu welchem Zeitpunkt Sie das Fach Geschichte genossen haben oder nicht, aber zu Ihrer Kenntnis: Die Geschichte Thüringens hat auch vor 1990 begonnen und die geistigen Väter dieser Brandstifter haben damals hier regiert und sie haben die SPD verboten. Das gibt uns auch eine historische Pflicht und der kommen wir nach. Herr Mohring, wenn Sie das immer noch nicht verstanden haben, Ihre Vorgänger haben in dieser Zeit auf offiziell genehmigten Parteitagen über die Führungsrolle der SED geredet und haben diese bestätigt.
Insofern möchte ich Sie bitten, schauen Sie vielleicht auch noch mal in das eine oder andere Buch und lassen Sie zukünftig diesen Unfug. Es gibt nichts, es gibt keine Gemeinsamkeit zwischen linken Autonomen, zwischen linken Gewalttätern, zwischen linken Randalierern und der SPD. Dies ein für alle Mal und ich hoffe, dass ich dazu nicht noch einmal das
Nur noch eine Bemerkung an Frau Lieberknecht und an Herrn Althaus: Ich unterstelle Ihnen das ausdrücklich nicht als Fraktionsvorsitzende und als Landesvorsitzender, aber wenn Sie die Gemeinsamkeit der Demokraten beschwören, ich nehme Ihnen das in vielen Fällen ab, dann müssen Sie aufpassen, dass solche Dinge nicht passieren. Das torpediert Ihr eigentliches Anliegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, ich habe Ihre Rede, Ihre Ausführungen zu Erfurt sehr aufmerksam verfolgt. Ich habe eine ganz andere Wertung als Sie, Herr Ramelow. Ihre Auswertung, Herr Gasser, war eine schallende Ohrfeige für den Einsatzleiter vor Ort. Ich will das auch begründen. Nicht nur in den Medien lautete die Auswertung nach dem Einsatz folgendermaßen: Die Polizei, der Einsatzleiter hat eingeschätzt, es gibt 300 gewaltbereite Demonstranten auf der Gegenseite. Das waren übrigens, wenn ich die Zahlen vergleiche mit den offiziellen Teilnehmerzahlen, alle Demonstranten.
Ja, ausdrücklich, das wird ja immer kurioser an der Stelle. Deshalb hat man so gehandelt, wie man handeln muss. Sie selbst differenzieren dieses seit mindestens drei Tagen Stück für Stück. Sie wollen den Bruch nicht so groß werden lassen, aber wer genau hinhört, merkt schon, die Unterschiede sind deutlich. Sie reden nicht mehr von 300 Gewaltbereiten, sondern von 100 bis 50. Sie wissen, dass die 50 näher an der Wahrheit liegen als die 100. Auch die Deeskalationskräfte waren vor Ort. Auch dieses weiß ich. Sie waren bei den Rechten und bei den Linken. Deren Einschätzung ist folgende gewesen, insbesondere die Einschätzung bei den Linksautonomen. Die haben sich in einer Art und Weise gebärdet, dass die Polizei einschätzen musste, dass, wenn sie eingreift und wenn sie sie herausholt, auch friedliche Demonstranten hätten verletzt werden können. Das wäre vielleicht gar nicht zu vermeiden gewesen. Wissen Sie, mit dieser Einschätzung von Ihnen, die ist ja so ähnlich und deckungsgleich, kann ich umgehen. Aber was der Herr Grube dort und danach noch gemacht hat, da muss man doch mal ehrlich sein, hat nichts mehr mit Vernunft zu tun, in der Handlung und in der Art und Weise, wie er später öffentlich damit umgegangen ist. Was mir bei Ihnen gefehlt hat, Herr Gasser, ist ein differenzierter Umgang mit den Rechten. Was haben die denn vor Ort gemacht, was haben die denn getan? Bei den Linken
sind Sie ausführlich gewesen, das ist richtig. Aber was war denn bei den Rechten, was ist denn dort passiert? Ich habe zwei ganz konkrete Fragen an Sie. Ich kenne die Skinhead-Richtlinie nicht, aber ich kenne Sie in Auszügen. Ich frage Sie: Ist folgender Passus Inhalt dieser Richtlinie: „Veranstaltungen rechtsextremistischer Gruppierungen sind grundsätzlich zu untersagen bzw. aufzulösen, wenn mit Folgendem gerechnet werden kann: … Liedtexte oder Gesten, die den Nationalsozialismus verherrlichen oder verharmlosen, die den Eindruck hervorrufen, dieses System von damals wieder einführen zu wollen, die die Ausländerfeindlichkeit oder Rassismus verherrlichen.“? Was ist die erste Strophe des Deutschlandliedes und was ist das Lanzerlied? Herr Gasser, wenn es diese Richtlinie gibt, gab es vor Ort keinen Spielraum, als die rechte Versammlung aufzulösen, definitiv und ohne Frage. Und diese Frage stelle ich Ihnen: Gibt es diese Richtlinie?
Die zweite Frage ist nicht so spektakulär, aber polizeitaktisch hochinteressant. Hat Ihr Staatssekretär in die Befehlskette vor Ort eingegriffen bzw. hat er danach im Lagezentrum Anweisung gegeben oder Ähnliches? Sie wissen, dass es dieses nicht geben darf. Ich habe andere Informationen.
Meine Damen und Herren, ich will eine kurze Schlussfolgerung machen und zu dieser Schlussfolgerung gehört ehrlicherweise auch, auch Stadtrat und Oberbürgermeister haben Fehler gemacht. Man muss sich in Erfurt im Stadtrat damit auseinander setzen. Ich will da keine gezielte Schuldzuweisung machen, das muss dann im Stadtrat passieren, aber besser als die Schuldzuweisung ist eine Möglichkeit zu finden - eine große Bewährungsprobe kommt auf die Erfurter zu -, es dann besser zu machen. Die Einsatzleitung, der Einsatzleiter, meines Wissens war das der Herr Grube, ist vollkommen überfordert gewesen. Ich möchte nicht, dass dieser Mann wieder einen ähnlichen Einsatz in Thüringen leitet, um das klar und deutlich zu sagen.
Meine Damen und Herren, es gibt für mich noch eine andere Schlussfolgerung und ich komme bei dem Thema Ausbildung noch mal dazu. Es ist wirklich nicht nur Aufgabe - ich nenne das mal von Law and Order - der Thüringer Polizei. Nein, wenn die Thüringer Polizei einen Einsatz fährt und das gilt für alle vier Themen, muss sie auch ein Mindestverständnis dafür haben, dass es hinterher die Thüringer Bürger auch verstehen wollen, was dort passiert ist. Was erzähle ich denn bei aller Sympathie für Polizei und Polizeiführung und Ähnlichem einem 18-jährigen Mädchen, das aufgrund des Aufrufs des Oberbürgermeisters das erste Mal in Erfurt auf einer Demonstration war? Ist die für die Thüringer Polizei überhaupt noch zu gewinnen, für die Sympathien, die sie der Polizei entgegenbringen wollen? Und auch
das muss die Polizei sich bei Einsätzen fragen und hoffentlich positiv klären. Das scheint mir in Ausbildungsfragen immer wieder zu kurz zu kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine Regierungserklärung gewollt und dafür gibt es einen ganz besonderen Grund. Es ist kein Unglück über Thüringen hereingefallen mit diesen Abfolgen dieser Dinge innerhalb von vier Tagen, nein; wir haben nicht Pech gehabt, die Probleme sitzen viel tiefer. Wir haben eine schlecht motivierte Polizei in Thüringen. Wir haben ein strukturelles Problem. Wir haben ein Führungsproblem auch auf der mittleren Ebene. Die Öffentlichkeitsarbeit bei Polizei und beim Ministerium ähnelt teilweise einer Katastrophe. Nun bin ich für diese Beurteilung in der letzten Zeit immer wieder gescholten worden, das wäre doch alles noch viel zu früh und so weiter und so fort. Wer seit drei Tagen die Medien genauer studiert, fragt sich, was in den letzten drei Tagen Positives im Innenministerium passiert ist.
STZ vom 19.04.2005: Polizeieinsätze - Überschrift: „Fehler eingeräumt - Innenstaatssekretär Stefan Baldus hält nach umstrittenen Polizeieinsätzen Verbesserung in der Ausbildung für denkbar.“ Zu den 17 Schüssen, „die Zahl wirft Fragen auf“, und abschließend nach der tödlichen Straßensperre ließ Baldus offen, ob die Einbeziehung eines Zivilisten gegen das Polizeiaufgabengesetz verstoßen hat, es stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit. Zitat: „Polizeitaktisch habe es keine Alternative gegeben“; das ist natürlich auch wieder Öffentlichkeitsarbeit á la Ministerien, das heißt ja im Umkehrschluss, es kann sein, dass es juristisch falsch war, aber taktisch richtig. Das ist ja nun für den Nichtkenner der Materie natürlich auch ein ziemliches Rätsel, was sie einem da aufgeben.
Dann 18. April, „Frankfurter Allgemeine“ - Überschrift: „Der lockere Umgang mit Waffen“, es geht um eine verwaltungsinterne Untersuchung, um strukturelle Defizite der Polizeiarbeit zu ermitteln, so der Innenminister. Schließlich spricht der Innenminister Gasser offen von einem Problem der inneren Führung der Polizei. Vor 14 Tagen habe ich von Ihnen noch Prügel bekommen, als ich dieses behauptet habe, jetzt verbreiten Sie es selber über die Medien. Und anschließend: „Gasser korrigiert Bericht der Polizei“; das bezieht sich noch mal auf Erfurt, das ist die erste Stufe der Korrektur, die in Erfurt passiert ist.
Ich will, wenn es mir die Zeit erlaubt, auf einige dieser Dinge noch mal etwas im Detail eingehen, insbesondere was die Motivation der Polizei betrifft und vielleicht, auch wenn es ein ernstes Thema ist, versetzen Sie sich mal in folgende Situation: Sie kriegen jetzt in diesem Augenblick eine Polizeiuniform angezogen und dann geht’s vormittags raus.
Zunächst haben Sie sich mit Autofahrern, die die Geschwindigkeit nicht eingehalten haben, herumzuärgern. Dann gehen Sie in eine rechte Demonstration, halten die Neonazis auf und dann gehen wir gemeinsam zum Mittag und dann gehen wir zur Gehaltsstelle. Dann bekommen Sie Ihren Gehaltsbogen und wir legen einmal einen Älteren daneben und fragen einmal nach den Verhältnissen in den anderen neuen Bundesländern. Zunächst generelles Problem: Sie, Herr Althaus, haben in der letzten Haushaltsdebatte die Beamten so ein Stückchen als Sparschwein entdeckt. Ich behaupte, das ist auch eine taktische Maßnahme gewesen, weil die Beamten sind, ich behaupte einmal, außerhalb dieses Hauses nicht besonders beliebt, es gibt da viele Vorurteile. Das ist immer eine Aktion, die tut in der Öffentlichkeit nicht so weh. Mindestens 75 Prozent aller Thüringer Polizisten sind Beamte. Die hat das voll getroffen. Und das sind eben nicht die, wie der Volksmund sagt, die an den Schreibtischen sitzen und vielleicht einmal das eine oder andere verschlafen; das sind die, die jeden Morgen herausgehen und ihre Haut auch für uns hinhalten. Mit denen haben Sie das im letzten Haushalt gemacht. Sie bekommen sowieso nur 92,5 Prozent, das 13. Monatsgehalt, dieses Sondergeld, ist in den letzten zwei Jahren von 100 Prozent auf 40 Prozent, aktuell auf 20 Prozent gesunken. Sie sind im Augenblick konfrontiert mit der 42-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich, es sei denn, man hat Kinder unter 16. Sie haben in Thüringen, wenn sie verbeamtet werden, das niedrigste Eingangsamt in den neuen Bundesländern und das hat eine Auswirkung für die gesamte Karriere. Das Theater mit den Überstunden möchte ich nicht erwähnen, aber für mich ein kleiner Skandal ist, wie Sie, Herr Gasser, Sie, Herr Baldus, mit den Beförderungen umgehen. Zunächst der Staatssekretär: Es gibt keine Beförderungstermine mehr in Thüringen. Dann der Innenminister: Es ist falsch, es gibt noch einen Beförderungstermin, der ist aber noch nicht angelaufen. Und was erfahre ich? Die schillernde Persönlichkeit der Thüringer Polizei, der PD-Leiter Kissel, ist vor zwei oder drei Tagen befördert worden. Es gab zwar keinen Beförderungstermin, der Hintergrund ist für mich ein Skandal. Die offizielle, das ist auch schon eine Unverschämtheit, die offizielle Beurteilung ist: Es lief ja ein Ermittlungsverfahren gegen ihn, deshalb konnte man ihn damals nicht befördern. Jetzt haben wir ihn sofort, als das abgeschlossen war, befördert. Die Wahrheit ist, der gute Mann hat doch in zwei oder drei Tagen Geburtstag und um das bei dem Herrn PD-Leiter Kissel altersruhefähig zu machen, ist das zu diesem jetzigen Zeitpunkt passiert, sonst hätte es nämlich über die Dienstjahre nach seinem Geburtstag nicht mehr geklappt. Wenn Sie sich so um jeden Polizisten in Thüringen kümmern würden, hätte ich überhaupt gar keine Probleme damit. Aber Sie spalten die Polizei in die da unten, die auf der Straße sind