Protokoll der Sitzung vom 11.11.2005

ihren westdeutschen Landsleuten haben, glaubt dies nur eine - wenn auch starke - Minderheit von 43 Prozent. Dort, wo es überhaupt keine Verbindungen zu Menschen aus den alten Ländern gibt, fühlen sich erstaunlicherweise über 70 Prozent diskriminiert.

Ich bin überzeugt: Wer Arbeit hat, wer offen ist für Kontakte zu Menschen aus allen Ländern im beruflichen wie im privaten Bereich, der verliert auch schrittweise das Gefühl der wirtschaftlichen Benachteiligung, der fühlt sich auch weniger als Ostdeutscher diskriminiert oder ungerecht behandelt, der findet wieder Halt und Orientierung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, „Wer über Freiheit reden, aber über Geld schweigen will, sollte lieber gleich ganz den Mund halten.“ Dieses Zitat las ich kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“. Ich meine, diese Aussage lässt sich mit einiger Berechtigung auch umdrehen. Wer über Geld und Konsum redet, aber über Freiheit und andere Werte schweigen will, der vergisst, dass Werteverständnis und Wertepräferenz auch die Wahrnehmung der deutschen Einheit beeinflussen - und die Beantwortung der Frage, wie wir die zweite Halbzeit beim Aufbau Ost gewinnen. Genau darum geht es aber bei der weiteren Gestaltung Deutschlands, sie wird auch durch diese Wertepräferenzen mit beeinflusst. Auch in diesem Jahr gibt der Thüringen-Monitor darüber Aufschluss, welchen grundlegenden Werten sich die Thüringerinnen und Thüringer verpflichtet fühlen. Dabei ist festzustellen, dass die im Vorjahr im Vergleich zu den anderen jungen Ländern hohe Wertschätzung der Freiheit stark abgenommen hat und sich nur noch knapp vor den Gleichheitsidealen behaupten kann. Für 48 Prozent der Befragten ist die Freiheit wichtiger als die Gleichheit, für die sich 46 Prozent aussprechen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr betrug das Verhältnis 60 zu 36 Prozent. Bei der Alternative Freiheit oder soziale Sicherheit konstatieren die Forscher ebenfalls eine weitere Verschiebung zulasten der Freiheit. Nur noch ein Fünftel der Thüringerinnen und Thüringer entscheidet sich für die Freiheit, fünf Prozentpunkte weniger als 2004. Befragte, die in beiden Kombinationen der Freiheit den Vorzug geben, sind in Thüringen eine Minderheit von 15 Prozent. Eine, wie ich meine, bedenkliche Entwicklung, die andeutet, dass der freiheitliche Staat - im Gegensatz zum Versuch oder dem Wunsch nach staatlicher Vollversorgung - gerade in einer schwierigen Wirtschaftslage, in der wesentliche Strukturreformen zwingend sind, an Unterstützung verliert. Aber immerhin unterstützt noch eine Mehrheit von 52 Prozent den Staat, der seinen Bürgern maximale Freiheit gewähren will.

Zweifellos stellt neben der Freiheit die Gerechtigkeit eine übergeordnete Zielvorstellung dar, der sich Politik und Gesellschaft verpflichtet fühlen. Aber die

Frage, was gerecht, was angemessen und fair ist, birgt natürlich Konfliktpotenzial. Es gibt, so meine ich und das wird in der Studie deutlich, verschiedene Gerechtigkeitsbergriffe, die miteinander konkurrieren und die von den Menschen je nach Interessenslage und individuellen Fähigkeiten unterschiedlich akzentuiert werden. Nur ein Beispiel: Wer unter Gerechtigkeit vor allem Leistungsgerechtigkeit versteht, der möchte auch leistungsgerecht bezahlt werden und mehr verdienen als diejenigen, die weniger leisten wollen oder können. Wenn aber eine Gesellschaft über gigantische Umverteilungsapparate jedem möglichst das Gleiche zukommen lässt, wenn sie Ungleiches gleich behandelt, dann bleibt der Leistungsgedanke auf der Strecke. Schließlich stehen immer weniger Mittel für den notwendigen sozialen Ausgleich zur Verfügung. Worauf es mir also ankommt, ist, die Anreize für individuelle Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft wieder zu stärken und deutlich zu machen, dass der notwendige soziale Ausgleich differenziert, maßvoll und effizient gestaltet werden muss.

Beim Thema Gerechtigkeit, das auch im letzten Bundestagswahlkampf eine große Rolle gespielt hat, gibt es in der Wahrnehmung der Thüringerinnen und Thüringer keine Veränderung. Nach wie vor bewerten drei von vier Befragten die erlebte Gesellschaft als ungerecht. Sogar viele Thüringer, die sich persönlich fair behandelt fühlen, sind dieser Meinung. Die Forscher sprechen von einer - wörtlich - "schweren Hypothek", die mit diesem Gerechtigkeitsempfinden verbunden ist. Aber was ist gerecht, was verstehen die Menschen unter sozialer Gerechtigkeit? Ist es gerecht, wenn ich meine persönliche Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit weitgehend verliere, weil der Staat meint, vieles bis ins kleinste Detail regeln und damit die Eigeninitiative im Keim ersticken zu dürfen? Ist es gerecht, dass der ausufernde und längst unfinanzierbare Umverteilungsstaat die Ressourcen aufsaugt, die der Einzelne viel besser und effektiver einsetzen könnte? Ist es gerecht, dass wir über Gebühr auf Kosten der nachfolgenden Generation leben, nur weil wir unwillig sind, mit dem auszukommen, was wir selbst erarbeiten? Ist es gerecht, dass in Deutschland seit Jahren Millionen von Menschen arbeitslos sind, auch weil wir nicht alles tun, um die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt endlich aufzubrechen? Es lohnt sich, über diese Fragen nachzudenken. Europa ist an dieser Stelle eine Hilfe und eine Herausforderung.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen neue Antworten: Was ist sozial gerecht? Wir dürfen diese Antwort nicht denjenigen in der Gesellschaft überlassen, die sich so gern als soziales Gewissen darstellen und die Deutungshoheit über den zentralen Begriff der sozialen Gerechtig

keit beanspruchen. Fest steht, solange mit sozialer Gerechtigkeit vor allem Gleichheit und damit Umverteilung und Nivellierung assoziiert wird, lassen wir die Chancen der Freiheit ungenutzt. Es geht um die „Ordnung der Freiheit", wie Bundespräsident Köhler in seiner Rede am 15. März 2005 sagte, wenn wir Deutschland zukunftsfähig machen wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, inwieweit gibt es Zusammenhänge zwischen der Bewertung der Einheit und den Einstellungen der Thüringer zur Demokratie? Auch dieser Frage sind die Wissenschaftler nachgegangen. Sie vermuten, dass sich die beiden Bewertungsmuster gegenseitig beeinflussen. Mit anderen Worten, wer von der Idee der Demokratie überzeugt ist, der bewertet auch die Einheit positiv. Umgekehrt wirkt eine negative Bewertung des Transformationsprozesses auch auf die Beurteilung der Demokratie zurück.

Zunächst fällt das ausgeprägte politische Interesse der Thüringerinnen und Thüringer auf. Mit knapp 41 Prozent liegt dieser Wert um etwa zehn Prozentpunkte über dem Ergebnis der anderen jungen Länder; ein, wie ich finde, bemerkenswertes und auch erfreuliches Resultat. Gleichwohl konnten vier von zehn Thüringern, die sich selbst als politisch interessiert bezeichnen und damit auch eine höhere Eigenkompetenz zuschreiben, den Tag der Wiedervereinigung nicht korrekt terminieren; ein nicht minder bemerkenswertes Ergebnis. Entweder haben die Befragten bei der Selbstauskunft über ihr politisches Interesse übertrieben oder das historisch einschneidende Ereignis der Wiedervereinigung spielt in der aktuellen Befindlichkeitslage der direkt Betroffenen nicht die Rolle, die man eigentlich erwarten könnte.

Nach wie vor unterstützen vier von fünf Thüringern die Demokratie als Staatsidee, demokratische Werte und Verfassungsordnung werden hoch bewertet. Allerdings hat die Unzufriedenheit mit der Demokratie, so wie sie in der Praxis funktioniert, um rund zehn Prozentpunkte zugenommen und liegt damit wieder auf dem Niveau des Jahres 2003. Wir müssen ernst nehmen, dass es mehr unzufriedene als zufriedene Demokraten gibt. Die im vergangenen Jahr erhoffte Trendumkehr ist leider nicht eingetreten.

Von dem Vertrauensverlust, der die politiknahen Institutionen erfasst, ist die Landesregierung geringfügig, vor allem aber die abgewählte Regierung von Bundeskanzler Schröder betroffen. Ihr vertrauten nach Umfrage nur noch 15 Prozent der Thüringer, während 34 Prozent der Landesregierung ihr Vertrauen schenkten.

Politische Teilhabe findet statt - am häufigsten als Teilnehmer einer genehmigten Demonstration.

32 Prozent haben das schon mal getan und 47 Prozent würden es tun. Die Bereitschaft, in einer politischen Partei mitzuarbeiten, ist aber begrenzt. Es käme für 21 Prozent in Frage und nur 12 Prozent haben es tatsächlich getan. Das Bewusstsein, dass es in einer Demokratie auf die Beteiligung jedes Einzelnen ankommt, ist erfreulicherweise aber gestiegen. Aber für eine Mehrheit der Befragten zählt nach wie vor nur das Ergebnis, d. h., sie sind output-orientiert.

Fehlendes politisches Engagement erklären die Forscher mit drei auffälligen Persönlichkeitsmerkmalen: autoritäre Einstellungen, das Gefühl sozialer Desorientierung sowie die Geringschätzung der Kritikfähigkeit. Hier müssen wir ansetzen, und zwar schon bei der Erziehung. Dabei sind die Eltern besonders gefordert, aber auch die Schule.

Wenn es darüber hinaus stimmt, dass in Deutschland und besonders in den jungen Ländern die Akzeptanz des politischen Systems stark von seiner ökonomischen Effizienz abhängt, dann kann man diesen Aspekt der politischen Kultur zu Recht beklagen, aber man darf ihn nicht ignorieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Einstellungen zur Demokratie beleuchtet, der muss sich auch mit der Problematik von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit auseinander setzen. Der Innenminister wird in der anschließenden Debatte ausführlich zu diesem Themenkomplex Stellung nehmen, auch zu dem repressiven und präventiven Instrumentarium, das bei der Auseinandersetzung mit Extremisten zur Verfügung steht. Deshalb beschränke ich mich auf wenige wesentliche Bemerkungen.

Die Stimmenzuwächse für die Protestparteien sind alarmierend. Mehr als ein Viertel der Wähler hat am 18. September ihre Stimme der Linkspartei.PDS gegeben und die NPD hat ihre Zweitstimmenanteile in Thüringen im Vergleich zu 2002 vervierfacht und liegt bei 3,7 Prozent. Zweifellos steckt hinter diesen Stimmen nicht automatisch eine extremistische Gesinnung.

(Beifall Abg. Kuschel)

Aber wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die Zahl der Menschen wächst, die für extremistische Propaganda, gleich welcher Couleur, empfänglich sind; übrigens auch in den alten Ländern. Die Frage ist, warum entwickelt sich eine solche Einstellung? Eine Studie, die Wissenschaftler der Universität Bonn, des Institutes zur Zukunft der Arbeit und der Universität Zürich im März dieses Jahres herausgegeben haben, belegt einen ebenso komplexen wie signifikanten Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Arbeitslosigkeit. Da

nach gab es in den letzten Jahren in den jungen Ländern rund dreimal so viele rechtsextremistische Straftaten pro Einwohner wie in Westdeutschland. 80 Prozent dieser Diskrepanz führen die Forscher auf unterschiedlich hohe Arbeitslosenzahlen in Ost und West zurück. Demnach gelte ab einer kritischen Mindestarbeitslosigkeit folgende Faustregel: Je höher die Arbeitslosenquote, desto mehr rechtsextreme Straftaten werden verübt. Das bedeutet aber nicht, dass rechtsextreme Straftaten vor allem von Arbeitslosen begangen werden, und das ist auch wichtig und als wesentlich zu benennen. Vielmehr entsteht ein Klima, in dem die Bereitschaft steigt, politische Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Gleichzeitig wächst die Angst vor dem und den Fremden. 60 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer haben, so wörtlich: „ausgeprägte Überfremdungsängste“, obwohl der Ausländeranteil nur etwa 2 Prozent beträgt. Ich meine, wir müssen diese Entwicklung ernst nehmen, das Kennenlernen von Ausländern, die Begegnung mit dem Fremden fördern. Andererseits erwarten die Thüringerinnen und Thüringer zu Recht, dass sich Ausländer, die bei uns wohnen, auch integrieren. Thüringen ist ein weltoffenes Land, das seine Zukunft im zusammenwachsenden Europa findet und wir müssen die Bevölkerung auf diesem Weg mitnehmen, auch damit sie die Chancen für sich nutzen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der diesjährige Thüringen-Monitor zeigt aber auch darüber hinaus, dass es noch einen weiteren bedeutsamen Zusammenhang gibt zwischen Rechtsextremismus und dem Wunsch nach einer Rückkehr zur sozialistischen Ordnung. Wörtlich heißt es: „Entgegen dem antifaschistischen Selbstverständnis des einstigen Arbeiter-und-Bauern-Staats ist dieser Zusammenhang positiv“. Antidemokraten, das heißt, diejenigen, die im „nationalen Interesse unter bestimmten Umständen auch eine Diktatur für die bessere Staatsform“ halten, fallen - so die Studie - „durch eine größere Neigung zur Idee des Sozialismus auf“. Nicht jeder Extremist wendet Gewalt an, um seine politischen Ziele zu erreichen, aber wer Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung ansieht, steht mit einem Fuß bereits im extremistischen Lager. Auch deshalb ist es problematisch, dass mehr als 20 Prozent der 18- bis 24-Jährigen bereit sind, ihre politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Deshalb muss friedliche Konfliktlösung elementarer Bestandteil der Erziehung sein. Das muss eingeübt werden in den Familien, die eine wesentliche Integrationsleistung für die gesamte Gesellschaft erbringen. Weitere wichtige Impulse zur friedlichen Konfliktlösung leisten die Schulen und die in der Jugendarbeit tätigen Vereine und Initiativen. Aber auch jeder von uns muss ein Vorbild sein. Die sich anbahnende große Koalition in Berlin zum Beispiel zeigt, dass - trotz ganz unterschiedlicher politischer Orientierungen - Ziele und Kompro

misse unter Beachtung demokratischer Spielregeln selbstverständlich vereinbart werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Thüringerinnen und Thüringer können stolz sein auf das, was wir in den zurückliegenden 15 Jahren gemeinsam aufgebaut und geleistet haben. Ich bin allen dankbar, die geholfen haben, unsere Heimat voranzubringen, denen, die im Land zugepackt und die Chancen des Neuanfangs genutzt haben, aber auch denen, die uns dabei mit Geld, pfiffigen Ideen und ehrlichem Engagement unterstützt haben.

(Beifall bei der CDU)

„Wenn man die Menschen für das Bootbauen begeistern will, muss man ihnen die Sehnsucht nach dem Meer vermitteln“, hat der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry gesagt. Die Menschen in Thüringen haben gezeigt, dass sie begeisterte Bootsbauer sind. Sie wollen in ihrer Mehrheit frei leben und arbeiten; sie wollen ihre persönlichen Wünsche verwirklichen; sie schätzen eine bunte Medienlandschaft höher als den früheren SED-Parteijargon und sie wissen um den Wert des Austauschs von Wissenschaft und Kultur, die Begegnung von Menschen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt geht es darum, die Sehnsucht nach dem Zielhafen zu vermitteln, damit die Menschen den Kurs fortsetzen, auch in der gegenwärtigen Wirtschaftsflaute. Mit anderen Worten: Jedes Besatzungsmitglied, um im Bild zu bleiben - und damit meine ich jede Thüringerin und jeden Thüringer -, muss nach vorn rudern, eine Rückkehr zu alten Ufern ist ausgeschlossen.

„Die Kultur der Freiheit lebt von hohen Erwartungen an jeden einzelnen Menschen“, sagt Udo di Fabio, Richter am Bundesverfassungsgericht. Und er macht deutlich: „Der freie Mensch soll etwas leisten, soll etwas geben, bevor er etwas von anderen verlangt.“ Ohne Zweifel, das wird Kraft kosten. Aber weil wir für Thüringen und seine Menschen eine positive Zukunftsperspektive wollen, lohnt sich dieser Einsatz.

Wie stelle ich mir das Land im Jahr 2020, also nach Ablauf des so genannten Solidarpakts II, vor?

- Als ein modernes Land, das sich seiner Verantwortung für die kommenden Generationen bewusst ist und deshalb nicht mehr ausgibt, als es einnimmt;

- als ein kinder- und familienfreundliches Land, das sich über steigende Geburtenraten freuen kann, weil Kinder als Bereicherung empfunden werden, weil sie in einem Klima aufwachsen, um das uns andere Länder beneiden, ein Klima, zu dem jeder Einzelne etwas Positives beisteuert;

- als einen innovativen Wirtschaftsstandort mit moderner Infrastruktur - ich hoffe, der ICE fährt dann auf der Hochgeschwindigkeitstrasse von Erfurt nach Berlin -, und als einen Wirtschaftsstandort,

(Beifall bei der CDU)

der einen selbsttragenden Aufschwung vorweisen kann und nicht nur unter den jungen Ländern, sondern bundesweit eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten verzeichnet und über ein ausreichend qualifiziertes Fachkräftepotenzial verfügt;

- als die dynamische Region Mitteldeutschlands, in der es mehr Ein- als Auspendler, mehr Zu- als Abwanderer gibt und

- als ein weltoffenes Land, in der die politischen Ränder marginalisiert sind und Extremisten, gleich welcher Couleur, keine Chance haben;

(Beifall bei der CDU)

- als ein Land mit einer aktiven Bürgerkultur, in der Demokratie und Freiheit als Werte an sich erkannt, geschätzt und verteidigt werden;

- als ein Land, das die Chancen der Freiheit in den zurückliegenden 30 Jahren konsequent genutzt hat.

Ich bin kein Prophet und kann Ihnen nicht sagen, ob diese Zukunft am Ende sich auch einstellt, aber eines kann ich sagen und bei einem bin ich sicher: Jede demokratische Partei, jede Thüringerin und jeder Thüringer kann dazu beitragen, dass wir diese Ziele erreichen. Dafür müssen auch die bundespolitischen Rahmenbedingungen stimmen. Die Aufgaben, vor die unser Land - nicht nur Thüringen - gestellt ist, sind gewaltig. Bundespräsident Köhler hat es noch einmal deutlich gesagt: „Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder und wir werden immer älter und wir müssen uns im weltweiten scharfen Wettbewerb behaupten.“

Deshalb bin ich auch froh, dass wir - aller Voraussicht nach noch heute - mit Blick auf die große Koalition einen wichtigen Verhandlungsschritt vorankommen. Denn wir brauchen - auch gerade nach dem, was der Bundespräsident ausgedrückt hat - endlich Klarheit und eine handlungsfähige Bundesregierung. Die Föderalismusreform muss verabschiedet werden. Der Staatshaushalt muss konsolidiert werden. Für Familien muss mehr getan werden. Für den Wirtschaftsstandort und neue Arbeitsplätze brauchen wir Schritte einer Steuerreform, mehr Engagement für

Forschung und Entwicklung, Impulse und Entlastungen für den Mittelstand, Planungsbeschleunigung und Entbürokratisierung, Flexibilität am Arbeitsmarkt, Reformschritte bei den sozialen Sicherungssystemen und Kontinuität beim Aufbau Ost.

Ich bin optimistisch, dass wir vorankommen mit dieser neuen Politik. Das ist für Thüringen und die anderen Länder ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Dabei ist es wichtig, dass wir der Wirtschaftsentwicklung besondere Bedeutung beimessen. Ich zitiere Ludwig Erhard, den Vater der Sozialen Marktwirtschaft: „Erst auf dem Boden einer gesunden Wirtschaft kann die Gesellschaft ihre eigentlichen Ziele erfüllen.“ Das heißt, es muss darum gehen, die Regionen Ostdeutschlands, Thüringen, weiter zu einem zukunftsfähigen Lebensraum zu entwickeln, zu einer lebens- und liebenswerten Heimat, die auf einem soliden wirtschaftlichen und sozialen Fundament steht.

Thüringen muss deshalb den eingeschlagenen Reformweg fortsetzen. Die Landesregierung vertritt eine nachhaltige und glaubwürdige Politik, die über den zeitlichen Rahmen einer Legislaturperiode hinausgeht. Wir müssen uns etwas zutrauen, weil wir für die Thüringerinnen und Thüringer eine gute Zukunft wollen.

In meiner Regierungserklärung am 9. September 2004 habe ich angekündigt, dass diese Politik auch Zumutungen und individuelle Härten bedeutet. Wie der Bundespräsident es für ganz Deutschland formuliert hat, bin ich aber der festen Überzeugung, dass dieser Weg für den Freistaat ohne Alternative ist. Wir sagen, was wir tun und wir tun, was wir sagen. Die Verwaltungsstrukturreform ist eingeleitet, das Haushaltsbegleitgesetz mit vielen Gesetzesnovellen liegt dem hohen Hause vor und wir betreiben konsequent die nötige Haushaltskonsolidierung. Weitere Schritte werden folgen.

Jeder weiß, dass die Kassen leer sind. Die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit verursacht nicht nur hohe Kosten im Sozialbereich, sondern verringert auch Steuereinnahmen. Die demografische Entwicklung wird zu weiteren Einnahmeverlusten führen. Gleichzeitig werden die Sonderleistungen zur Bewältigung der Teilung unseres Vaterlandes 2019 auslaufen. Das heißt, wir müssen sparen, aber wir sparen mit Augenmaß. Das bedeutet, vor allem die konsumtiven Ausgaben zu kürzen, um den Spielraum für Investitionen so weit wie möglich zu erhalten.

Es geht um den schlanken Staat; das heißt, Deregulierung und Entbürokratisierung, auch verbunden mit Personalabbau. Auf Dauer müssen wir uns an den Personalausstattungsquoten der alten Länder orientieren, die derzeit bei rund 19,5 Beschäftigten

im öffentlichen Dienst pro 1.000 Einwohner liegen - Tendenz sinkend. Deshalb habe ich in der Regierungserklärung angekündigt, dass etwa 7.400 Stellen bis zum Jahr 2009 in der Landesverwaltung abgebaut werden. Und da ist der demografische Wandel in Thüringen, in Deutschland und in weiten Teilen Europas.

Es wird deshalb von der Politik erwartet, dass sie Antworten gibt. Die Gesamtattraktivität des Landes ist für diese Entwicklungsperspektive entscheidend. Wir müssen Wachstums- und Schrumpfungsentwicklungen im Auge behalten und die Attraktivität Thüringens wird darüber entscheiden, wie wir in den nächsten Jahren auf diesem Weg vorankommen.

Da sind die Kinder unsere Zukunft und deshalb stärken wir mit der Thüringer Familienoffensive die Familien. Nur ein Beispiel: Künftig haben alle Kinder bereits ab zwei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz - ein Novum in ganz Deutschland.