Meine Damen und Herren, der Thüringen-Monitor 2006 dokumentiert, und zwar im Durchschnitt der zehn wesentlichsten Aussagen zum Rechtsextremismus, eine vorsichtige erfreuliche Tendenz. Es gibt - so steht es auch im Thüringen-Monitor - einen Rückgang der rechtsextremistischen Orientierung in Thüringen, ein Rückgang, aber leider auf hohem Ni
veau. Ich will es so formulieren: Es gibt eine erste erfreuliche Tendenz, aber nicht mehr. Diese Tabelle 10, die wir hier jedes Jahr diskutieren, viele meiner Vorredner sind auf sie schon richtigerweise eingegangen, ich will es deshalb nicht in der Tiefe tun, aber wichtig und richtig ist, insbesondere bei den Fragen der Ausländerfeindlichkeit und des Nationalismus haben wir große Schwierigkeiten und auch eine viel zu große Anhängerzahl, die zu rechtsextremen Parolen Ja sagt. „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet“, sagen dieses Jahr 53 Prozent, letztes Jahr waren es noch 60. Das ist diese vorsichtige Tendenz, von der ich gesprochen habe. Aber auch 53 Prozent sind eben zu viel. „Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ - 50 Prozent. „Was unser Land braucht, das ist ein hartes energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“ - 60 Prozent Zustimmung.
Meine Damen und Herren, tiefer will ich heute noch nicht in diese Tabelle hineingehen, aber eines muss auch deutlich gesagt werden: Wenn 50 Prozent der Thüringer sagen, die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen, Herr Ministerpräsident, was glauben Sie denn, wie das wirkt, wenn der Thüringer Innenminister durchs Land läuft und im Rahmen der Neuregelung des Bleiberechts für Ausländer immer wieder formuliert, er will die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme verhindern. Ist dieses nicht eine Formulierung, wo diese 50 Prozent am Ende nicht noch sagen, jetzt hat uns sogar noch der Thüringer Innenminister Recht gegeben.
(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit: Otto Schily hat das auch gesagt. Das sagt man auch Otto Schily nach.)
Ich bitte - das betrifft nicht nur das Kabinett -, da ein bisschen mit der Sprache aufzupassen. Ich will Ihnen ja nicht unterstellen, dass Sie es absichtlich tun, aber schlicht und einfach, solche Formulierungen gehören nicht hierher.
Vielleicht wäre es ja auch richtig, weil Sie sich als Sozialminister so echauffieren, Herr Minister, wenn Sie einmal klarstellen würden, dass die Ausländer in Deutschland mehr in das soziale System einzahlen als sie aus den Sozialsystemen wieder herausbekommen. Auch das ist eine Wahrheit, die deutlicher und öfter gesagt werden muss.
gendeiner Gemeinde noch in einem Landkreis und erst recht nicht im Freistaat eine Chance zu geben, ist noch sehr viel zu tun. Herr Althaus, Herr Ministerpräsident, ich habe es gerne gehört, dass Sie auch über einen anderen Umgang mit dieser Frage gesprochen haben. Es gehört zu den Wahrheiten in diesem Haus, zu diesem gemeinsamen Antrag mussten wir Sie tragen und wir sind das letzte neue Bundesland in der Bundesrepublik, das sich durchringt und MOBIT kofinanziert. Dass das eine positive Entwicklung ist, will ich überhaupt nicht infrage stellen, aber das hätte alles viel eher passieren müssen.
Meine Damen und Herren, es gibt für mich ein ganz deutliches Signal an alle Thüringer, und zwar an alle Thüringer, die in den letzten Monaten aktiv gegen diese braunen Lumpen in Thüringen gekämpft haben. Meine Damen und Herren, die Arbeit lohnt sich. Ich finde, es ist es wert, diese Botschaft nach außen zu tragen. Die Arbeit in den lokalen Bündnissen über Altenburg, Kyffhäuserkreis, Gotha-Eisenach, in den Vereinen und Verbänden, die wichtige Hilfe der politischen Stiftungen, die Bundesprogramme, ausdrücklich auch das Bundesprogramm - neu -, die Arbeit der demokratischen Parteien, aber auch der Kirchen und der Gewerkschaften tragen erste Früchte; Entwarnung können wir noch nicht geben. Natürlich steht auch die Frage an uns hier im Thüringer Landtag: Was kann Politik hier weiter tun, um diesen Trend zu stärken und zu stützen? Aber auch die Frage, was weniger hilfreich ist - ich habe leider ein Beispiel geben müssen - oder was besser oder noch anders werden muss.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem Positiven und Erfreulichen anfangen. Das ist ohne Zweifel unser gemeinsamer Antrag vom Frühjahr dieses Jahres. Ich halte ihn nach wie vor inhaltlich nicht für optimal, aber eins ist auch ganz deutlich, er war ein sehr positives Signal in die Regionen, was die gemeinsamen Bündnisse gegen Rechts betrifft. Ich bekomme von Nordhausen bis Eisenach die Rückmeldung, dass die im Landtag vertretenen Parteien überall in diesen Bündnissen gemeinsam vertreten sind und teilweise auch gemeinsam die Lokomotiven bilden. Ich halte das für eine sehr gute Entwicklung.
Meine Damen und Herren, ich hätte es ganz gerne heute auch einmal offiziell vom Ministerpräsidenten gehört, aber die Medien haben es berichtet, die finanzielle Unterstützung von MOBIT wird uns weiterhelfen. Ich sage an dieser Stelle auch, dass immer mehr auch mit Lottomitteln den lokalen Bündnissen vor Ort geholfen wird, das halte ich für eine sehr gute Tendenz.
Das neue Bundesprogramm gegen Rechts begrüßen wir. Ich werde dann noch ein bisschen ausführlicher darauf eingehen müssen. Wir begrüßen natürlich die Vielzahl von Veranstaltungen zur Erklärung und zur Beratung, was diese Problematik betrifft. Es sind eine Unzahl von Vereinen und Verbänden und auch die Parteien, die sich mit diesem Thema mittlerweile beschäftigen, erklären und beraten. Aber, meine Damen und Herren, ich sage auch, es gibt keine Zeit zum Innehalten. Sie, Herr Ministerpräsident, haben von einem Wettbewerb gesprochen. Ich hoffe, dass dieser Wettbewerb jetzt wirklich beginnt. Das heißt für mich auch, dass Vorschläge und Ideen nicht einfach negiert werden, weil sie nicht aus der Mitte des Hauses kommen.
Ich will in diesem guten Sinne Vorschläge bzw. Bemerkungen zum Umgang mit Rechtsextremismus auch hier im Haus machen. Meine Damen und Herren, erstens mit dem Bundesprogramm - neu - haben wir gute personelle Voraussetzungen für ein tragfähiges Netz in ganz Thüringen zur Hilfe und Beratung. Wir haben die Landesstelle Gewaltprävention, wir haben jetzt endlich MOBIT und wir haben das neue Bundesprogramm, wo im Augenblick noch nicht klar ist, ob wir noch mal sechs oder sieben zentrale kommunal angelegte Anlaufstellen gegen Rechtsextremismus bekommen. All das wäre dazu geeignet, ein flächendeckendes Netz über Thüringen zu ziehen. Aber, ich sage das ganz deutlich, anstatt zu bündeln und zu optimieren, statt gemeinsam - das Wort ist ja bei Ihnen immer wieder vorgekommen - das beschriebene Netz zu knüpfen, gibt es unerklärlicherweise hier Alleingänge, die für mich und die SPD-Landtagsfraktion einfach nicht mehr nachvollziehbar sind.
Um ganz konkret zu werden: Dieses Jahr im Oktober gab es ein Treffen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Umsetzung dieser Bundesprogramme. Eingeladen waren die entsprechenden Vertreter der Landesministerien, des Gemeinde- und Städtebundes, des Landkreistages und des Städtetages. Ziel war es, für die neuen Bundesländer drei regionale Schwerpunkte pro Bundesland zu benennen. Wir haben dies aus der Zeitung erfahren, es gab weder eine Debatte noch Beratung, noch gemeinsame Absprachen im Vorfeld zu diesem wichtigen Thema.
Frau Lieberknecht, Herr Althaus, sieht so gemeinsames Vorgehen in dieser Frage aus? Das Ergebnis ist auch dementsprechend. Aus den Medien haben wir erfahren, dass zum Beispiel Ohrdruf benannt wurde. Nun weiß ich selber, wie viele hier im
Haus, dass Ohrdruf natürlich ein Problem ist. Aber wir haben 15 km von Ohrdruf entfernt ein Büro von MOBIT. Haben wir es denn so dicke, dass wir auf eine regional so kleine Fläche so viel Personal, was uns so viel Geld kostet, konzentrieren?
Meine Damen und Herren, ich fordere ganz deutlich eine klare Koordinierung, was mit diesem Programm passiert. Wir brauchen ein gleichmäßiges Netz. Ich will nicht im Endeffekt fünf Stellen in Ostthüringen und eine in Südthüringen haben und der Rest guckt in die Röhre. Im Augenblick wird überall in den großen Städten in den Rathäusern an Programmen gearbeitet, um in den Genuss dieses Programms zu kommen. Das halte ich für vollkommen richtig. Aber wir brauchen eine kompetente und eine dirigierende Hand an dieser Stelle, dass das ein gleichmäßiges, regionales Netz wird. Noch mal, wir brauchen diese ordnende Hand. Wir brauchen die Beteiligung aller Landtagsfraktionen, was dieses Thema betrifft. Ich sage es ganz klar: Gemeinsamer Antrag heißt gemeinsames Handeln.
Zweitens, zum NPD-Verbot: Natürlich, Herr Ministerpräsident, wir müssen uns politisch mit diesem Thema auseinandersetzen. Aber es gibt auch dieses andere Mittel. Da frage ich zunächst erst mal im Raum, hoffend auf die Zukunft: Wer glaubt eigentlich nach der Debatte, die hier im Augenblick abläuft, dass das draußen noch irgendjemand versteht? Ob Gasser, ob Körting, ob Jentsch, ob Struck, ob Schäuble und heute auch Dieter Althaus mit seinem kräftigen Jein, ich werde das Gefühl nicht los, es geht hier teilweise nur noch um politisches Formulieren um des politischen Gewinns willen. Um ein wirkliches NPD-Verbot geht es kaum noch.
Meine Damen und Herren, für uns Sozialdemokraten ist das Grundgesetz eindeutig. Ist die NPD verfassungsfeindlich, muss sie verboten werden. Das ist Pflicht, das ist nicht Kür. Das liegt auch nicht in irgendwelchen politischen Spielräumen, die wir als Politiker haben. Ist die NPD verfassungswidrig, muss sie verboten werden.
Dann bitte ich Sie - das ist ja nicht so schwer -, lesen Sie einmal die 16 Verfassungsschutzberichte der Bundesländer. Legen Sie die einmal nebeneinander. Da können Sie nur zu einem Ergebnis kommen: Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei; die NPD muss verboten werden. Ich wünsche mir, jenseits von diesen ganzen Formulierungen, dass wir in Thüringen den Leuten endlich eine klare Orientierung geben. Thüringen kann, was das NPD-Verbot betrifft, Lokomotive sein. Die Voraussetzungen dafür sind
erfüllt. Der Innenminister selbst hat davon gesprochen, dass es im Vorstand der NPD - da bitte ich auch einmal genau auf das zu hören, was der ehemalige Thüringer Justizminister Jentsch dazu gesagt hat -, dass es im Vorstand der NPD keine V-Leute mehr gibt. Insofern haben wir Thüringer die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt. Herr Körting in Berlin sagt, er zieht zurück, weil ihm erstens die V-Leute nicht so viele Erkenntnisse bringen und ihm zweitens das Verbot wichtiger ist. Dann wären wir schon zwei im Bund. Also, Herr Ministerpräsident, Herr Innenminister, werden Sie zur Lokomotive! Ich sage Ihnen dazu, es gibt die Unterstützung der SPD bei dieser Frage ohne Wenn und Aber.
Meine Damen und Herren, ich will das ein bisschen kritisch anmerken, bei allem Selbstlob: Die lokalen Bündnisse gegen Rechtsextremismus haben hier in den meisten Reden überhaupt keine Rolle gespielt; für mich sind sie die Lokomotive der Entwicklung.
Ich würde mich freuen und ich fordere Sie dazu auf, meine Damen und Herren Fraktionsvorsitzenden, laden Sie die Vertreter dieser lokalen Bündnisse nächstes Jahr einmal hier in den Landtag ein. Erstens einmal haben sie es schlicht und einfach verdient; sie haben sich verdient gemacht um den Rechtsstaat. Zweitens, glaube ich, es würde uns helfen, wenn wir mit diesen Leuten einmal in den Erfahrungsaustausch gehen. Ich glaube, es ist unwahrscheinlich interessant zu hören, mit welcher Situation sie vor Ort konfrontiert werden und was sie in ihrer Arbeit hemmt. Vielleicht können wir ihnen ja helfen; vielleicht können wir über dieses Bündnis, dieses theoretische Bündnis hier im Landtag hinaus das große Bündnis gegen Rechtsextremismus in Thüringen schmieden. Drittens, meine Damen und Herren, teile ich ausdrücklich nicht die Einschätzung des Innenministers, der es für sehr unwahrscheinlich hält, dass die NPD 2009 in den Thüringer Landtag einzieht. Wer sich diesen Thüringen-Monitor anschaut, der sieht, das Potenzial, vielleicht sogar ein bisschen mehr, ist da. Das Potenzial ist zum großen Teil passiv, ja apathisch, aber gelingt der NPD in Thüringen der Weckruf für dieses Potenzial, dann gnade uns Gott hier in diesem Haus. Was viele Menschen abschreckt, berechtigterweise abschreckt, ist vor allem die Gewaltbereitschaft und die kriminelle Energie in dieser Szene. Aber, das sage ich auch, der NPD gelingt es zusehends, sich als rechtsstaatlich saubere Partei in der Öffentlichkeit darzustellen. Dies haben wir mit aller Macht zu unterbinden, weil es nicht die Realität ist.
Meine Damen und Herren, ich will dazu gern meinen Beitrag leisten. Allein der Landesvorstand der Thüringer NPD besteht in seiner Mehrzahl aus rechtmäßig verurteilten Straftätern. Gegen den Landesgeschäftsführer der NPD, Patrick Wieschke, wurde im Februar 2001 ein Zivilverfahren am Amtsgericht Eisenach angestrengt. Er hatte in zwei Flugblättern einen Pfarrer als „Deutschlandhasser“ und „Volksverhetzer“ diffamiert, im August 2000 Anstifter und Teilnahme an einem Sprengstoffanschlag, im Mai 2000 Verurteilung vom Landgericht Mühlhausen u.a. wegen Anstiftung und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und einer Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 9 Monaten. Hinzu kam eine weitere Verurteilung wegen Körperverletzung. Thorsten Heise - er ist mehrfach vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruch, Nötigung, Volksverhetzung sowie Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole: 1989 versuchte er, einen libanesischen Flüchtling mit dem Auto zu überfahren; 1994 erhielt er eine 8-monatige Haftstrafe, weil er Schüler auf einer Abiturfeier mit einer Gaspistole beschoss. Hinzu kommt 2005 eine weitere Verurteilung, weil er auf einer Vatertagstour Polizeibeamte tätlich angegriffen hat. Frank Schwert, Landesvorsitzender der NPD: Von Mitte 1998 bis Mai 1999 eine neunmonatige Haftstrafe wegen Volksverhetzung, Herstellung und Verbreitung von NS-Propagandamaterial sowie Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen; im November 1999 erneut sechs Monate Haftstrafe offener Vollzug in der JVA Plötzensee wegen Vertreibung gewaltverherrlichender CDs. Zu guter Letzt in diesem Kabinett des Schreckens Ralf Wohlebe - und da werden das Strafregister und die Strafmöglichkeiten komplett: Am 16. April in zweiter Instanz verurteilt wegen gemeinschaftlicher Nötigung und Körperverletzung zwei junger Frauen.
Meine Damen und Herren, genau wie die Tatsache, dass die Thüringer NPD unter ihrem Deckmantel verbotene Veranstaltungen durchführt und damit bewusst gegen Verfassung und gegen Gesetz verstößt, muss nach unserer Auffassung von uns viel mehr in der Öffentlichkeit dokumentiert werden. Es darf diesen rechten Chaoten, diesen Neonazis einfach nicht gelingen, für sich den Anschein in Anspruch zu nehmen, sie sind eine rechtsstaatliche Partei. Meine Damen und Herren, sie sind es nicht. Herr Justiz- und Herr Innenminister, insbesondere bei Ihnen liegt eine große Verantwortung, um das auch immer wieder draußen in der Öffentlichkeit klar zu machen. Meine Damen und Herren, die Ergebnisse, ich habe es mehrfach gesagt, des Thüringen-Monitors können erstmals ein Stückchen optimistisch stimmen, mehr nicht. Ich glaube, auch das ist deutlich rübergekommen. Ich fordere einfach alle auf, zu dem, was heute so positiv angesprochen worden ist, auf die Möglichkeit, auch andere Wege zu gehen und an das, was von Gemeinsamkeit gesprochen worden ist, auch im
politischen Alltag immer wieder zurückzudenken, dass wir uns heute mehr oder weniger ein Wort gegeben haben. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit den lokalen Bündnissen vor Ort diesen durchaus positiven Trend für die nächsten Jahre zu verstärken und konstant zu machen. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass wir zu diesem heiklen Thema, was Rechtsextremismus in diesem Land angeht, uns ein gemeinsames Wort gegeben haben, gemeinsam miteinander arbeiten wollen. Ich hätte mir gewünscht, Herr Ministerpräsident, dass Sie diesen Anspruch für sich auch geltend machen an einem anderen Thema, an einem für Sie ganz wichtigen Thema, für uns auch, nämlich der Familienpolitik, und hätten das akzeptiert, was Ihnen im Thüringen-Monitor zum Thema Familienpolitik gesagt wird. Aber nein, Sie haben es schöngeredet in Ihrer Regierungserklärung. Sie wünschen zwar eine andere politische Kultur im Umgang miteinander, aber wenn das so ist, dann ist es sehr merkwürdig, welche Schlüsse Sie aus den klaren Angaben der Bevölkerung zur Familienpolitik ziehen. Das hat einen Grund: weil Sie nicht mit den Menschen, sondern an den Menschen vorbei agieren. Insofern hat mich dann schon verwundert, Frau Lieberknecht, wenn Sie von Beteiligungsgerechtigkeit reden, gerade in dieser Frage, was die Familienoffensive angeht, ist niemand von denen, die es angeht, von Ihnen beteiligt worden.
64 Prozent der Bevölkerung nennt Kindermangel als großes Problem und nennt als einen wesentlichen Aspekt dafür die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn das so ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier nicht so geregelt ist, wie es die Bevölkerung erwartet, dann war Ihre Regierungserklärung zumindest zu diesem Punkt schon etwas ignorant gegenüber den Thüringern. Ist denn etwa die Thüringer Spitzenstellung bei niedrigsten Löhnen verbunden mit der von Ihnen immer wieder genannten Forderung nach Abbau von Kündigungsschutz familiengerecht? Ist die Ignoranz gegenüber der fehlenden Chancengleichheit von Frauen bei der Umsetzung des Europäischen Sozialfonds familiengerecht? Ist die Missachtung der Bedürfnisse von jungen Frauen im alljährlichen Ausbildungspakt
und deren Benachteiligung bei der dualen Ausbildung familiengerecht? Ich sage: Nein. Was will die Bevölkerung? 74 Prozent der Befragten sehen in der öffentlichen Kinderbetreuung eine wichtige Möglichkeit zur Steigerung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nur 23 Prozent betrachten höhere finanzielle Leistungen als die bessere Möglichkeit. Was tun Sie? Die pädagogische Betreuung in den Kitas wird verschlechtert, die Gruppengrößen nehmen zu, die Elternbeiträge steigen, Personalstellen werden abgebaut, Monat für Monat liegen uns diese Fakten mittlerweile immer klarer auf dem Tisch. Obwohl die Landesregierung nur mit 50 Prozent der Eltern von zwei- bis dreijährigen Kindern kalkuliert hatte, sind es jetzt offenbar 77 Prozent, die ihr Kind in den Kindergarten schicken. Sie hatten es erwähnt - ja, es ist unser Erfolg. Sie sollten mal darüber nachdenken, was Ihnen die Eltern sagen. Die Eltern wollen unter anderem auch eine weitere Absenkung des Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz. Das ist die Botschaft und nicht etwa der Versuch einer Herdprämie.
Wenn Sie nun - und das ist natürlich dann auch schon ein bisschen schwierig, was Sie tun - trotzdem darauf verweisen, dass 56 Prozent der Thüringer die Zahlung des Thüringer Erziehungsgeldes positiv aufnehmen, dann ist das offenkundig nur die halbe Wahrheit, Herr Ministerpräsident. Die Landesregierung weiß doch ganz genau, dass die Mehrheit der Befragten überhaupt nicht darüber informiert ist, dass dieses Geld mit Kürzungen in den Einrichtungen bitter erkauft wird. Das weiß man nicht. Da lässt sich an drei Fingern ausrechnen, wie Menschen reagieren würden, wenn sie das wüssten, denn, wie gesagt, 74 Prozent plädieren für öffentliche Kinderbetreuung.
Dann muss man Ihnen auch noch mal ganz deutlich sagen, wie Sie versuchen, das, was Ihnen die Bevölkerung gesagt hat, zu verdrehen. Nur 30 Prozent der Bevölkerung ist nämlich die Familienoffensive überhaupt ein Begriff und bei potenziellen Eltern sogar nur 20 Prozent. Ganz so weit her kann es da nicht sein mit dem, was Sie angeblich an Positivem an die Leute weitergegeben haben. Ich garantiere Ihnen, die Mehrheit der Thüringer Eltern will kein Erziehungsgeld, wenn es zulasten der Betreuung der Kinder in Kindergärten und Kinderkrippen gezahlt wird, aber genau das machen Sie.
Lassen Sie mich noch etwas erwähnen, weil oftmals die Wiederholung der Dinge ganz notwendig ist, wie sie sich jetzt entwickeln. Im Eichsfeld mussten die finanziellen Mittel in der Jugendhilfe zur Übernahme von Kindergartengebühren erhöht werden mit einer ganz deutlichen Begründung, die ich hier zitiere: „Hauptursache für die überplanmäßige Ausgabe ist jedoch die Umstellung der Kita-Finanzierung durch das Land, welche erhebliche Erhöhungen der Eltern
beiträge, die entweder schon erfolgt sind oder bereits angekündigt sind, zur Folge hat.“ Ich will das gar nicht weiter untersetzen, ich hätte mir gewünscht, dass Sie aus diesen Aussagen im Thüringen-Monitor Ihre Lehren ziehen. Sie, Herr Ministerpräsident, haben gesagt - das geht aus dem Monitor hervor: „Die Skepsis gegenüber den demokratischen Parteien nimmt zu.“ Ich sage Ihnen sehr deutlich: Wer Menschen an der Nase herumführt, der wird zu dieser zunehmenden Skepsis seinen Beitrag leisten. Die Familienoffensive ist bis heute von Ihnen und Ihrer Fraktion darauf angelegt, den Menschen ein X für ein U vorzumachen. Man sagt ihnen die Unwahrheit. Diese Familienoffensive ist ein Beispiel dafür, sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen und schuldzuweisend auf andere zu zeigen. Ihre Interpretation heute, Herr Ministerpräsident, und auch die Klage gegen das Volksbegehren sind der erneute Beweis dafür.
Ich wünsche mir, dass Sie die Klage zurückziehen und dass Sie die Lehren aus dem Thüringen-Monitor ziehen und Sie endlich eine familienfreundliche Politik hier in Thüringen machen, und zwar mit und für die Menschen. Herzlichen Dank.
Mir liegen jetzt keine weiteren Redemeldungen seitens der Abgeordneten vor. Herr Ministerpräsident, bitte noch einmal.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie in jedem Jahr sollte und hat die Regierungserklärung anhand des aktuellen ThüringenMonitors die Situation zur politischen Kultur in unserem Freistaat zur Diskussion gestellt, Entwicklungen aufgezeigt und Strategien vorgezeigt und hat außerdem einen Diskussionsraum eröffnet, der in den nächsten Wochen und Monaten auch gefüllt werden muss. Ich bin den Mitgliedern der Fraktionen dankbar, dass sie auch in diesem Sinn die Debatte genutzt haben. Umso unverständlicher ist die Ausführung des Fraktionsvorsitzenden der SPD. Kein Beitrag zur Ausprägung der politischen Kultur im Landtag war das, sondern ein erneuter Beweis Ihres Politikprinzips: Sie bedienen Stimmungen, schaffen im Zeitgeist und üben sich im gnadenlosen Populismus.