Der Schürer-Bericht aus dem Oktober 1989 liest sich wie eine Offenbarung. Da ist von „unmittelbar bevorstehender Zahlungsunfähigkeit“, von „Tausenden von Wohnungen, die nicht mehr bewohnbar sind“, und von einer Arbeitsproduktivität die Rede, die um „40 Prozent hinter der der Bundesrepublik zurückliegt“. Diese Tatsachen, diese Fakten müssen vermittelt werden, damit sich ein realistisches Bild auf die DDR auch in Thüringer Schulen und in der Thüringer Gesellschaft ganz allgemein vermittelt.
Das Fazit vom Thüringen-Monitor ist aber auch: Wer gute Perspektiven hat, gerät kaum in Versuchung, die DDR rückblickend zu verklären. Die Einschätzung der eigenen beruflichen und sozialen Chancen beeinflusst ganz wesentlich die Demokratiezufriedenheit. Es ist ein außerordentlich erfreuliches Signal, wie ich finde, dass die Zahl der sogenannten konsistenten Demokraten - so nennt es die Studie - also derjenigen, die der Demokratie im Gegensatz zu den Schönwetterdemokraten bedingungslos zustimmen, nochmals auf 72 Prozent gewachsen. Das ist eine Erfolgsmarke, die deutlich macht, die Demokraten sind auf dem Vormarsch.
Eine weitere gute Nachricht ist, dass das Vertrauen der Thüringer in die demokratischen Institutionen gewachsen ist. Wieder mehr Thüringer sind mit der Art und Weise, wie die Demokratie Tag für
Tag ins Werk gesetzt wird, zufrieden. Das liegt sicher auch daran, dass viele sich Tag für Tag ehrenamtlich in den Parlamenten, in Kommunen, im Landkreis betätigen und damit auch ein Beispiel geben. Ihnen möchte ich im Besonderen danken, dieses ehrenamtliche Engagement für die Demokratie, für die Politik ist außerordentlich hilfreich.
Gleichwohl ist die Zahl mit 49 Prozent eher noch mäßig und alles andere als stabil. Wie zufrieden die Thüringer mit der Demokratie sind, hängt aber auch davon ab, wie sie die wirtschaftliche Leistungsbilanz bewerten, und das ist eine sehr persönliche Bewertung. Ich freue mich, dass die Thüringer den Aufschwung im Freistaat so stark wie noch nie wahrnehmen. Über die Hälfte der Befragten sagen, der Thüringer Wirtschaft gehe es gut bis sehr gut. Wörtlich heißt es in der Studie: „Noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 2000 hat sich ein so hoher Anteil der Thüringer (51 Prozent) positiv über die Wirtschaftslage im Freistaat geäußert.“ Besonders die 18- bis 24-Jährigen sagen, dass es sich in Thüringen gut leben lässt und die vielfältigen Aktivitäten, jungen Menschen eine Perspektive im Freistaat zu geben, fallen demzufolge auf fruchtbaren Boden.
Gleichwohl besorgt mich und uns alle die anhaltende Abwanderung junger Menschen. Die Gründe sind vielfältig, aber vor allem geht es um eine persönliche berufliche Perspektive. Das heißt, Bildung, Ausbildung, berufliche Tätigkeit - dieser Dreiklang bleibt wichtig. Der Ausbildungspakt wird deshalb zum Beschäftigungssicherungspakt weiterentwickelt und wir werben aktiv für Thüringen. Die sogenannten Rückkehrer im vergangenen Jahr, zum Beispiel bei N3, stimmen deshalb sehr optimistisch. Trotzdem, wenn es um Einstellungen geht, sind es vor allen Dingen die jungen Menschen, die sich von ihren westdeutschen Landsleuten als Menschen zweiter Klasse behandelt fühlen, eine Altersgruppe, die weder die DDR noch die Wendezeit bewusst erlebt hat. Offensichtlich wird diese Wahrnehmung konserviert. Deshalb können wir nicht darauf setzen, dass sich die DDR-Nostalgie quasi generationsbedingt von selbst erledigt. Wir dürfen die empfundene Gerechtigkeitslücke nicht unterschätzen. Wer sich benachteiligt fühlt, neigt auch eher zu autoritären Orientierungen, was wiederum DDR-Sympathie und auch extreme Einstellungen begünstigen. Deshalb darf der Aufbau Ost auch bundesweit nicht aus dem Blick geraten. Die gemeinsame Anstrengung muss erhalten bleiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie lebt vom Mitmachen und von dem sogenannten Systemvertrauen, wie es Fritz Stern formuliert hat. Leider herrscht bei vielen Thüringern die Meinung vor, politische Entscheidungen ließen sich nicht beeinflussen. Fast drei Viertel der Menschen glauben, sie hätten keinen Einfluss darauf, was die Politiker machen. Ähnlich viele sind der Ansicht, allen Parteien gehe es nur um Wählerstimmen. Die politischen Eliten seien nicht ausreichend bereit, Anliegen und Interessen der Bürger wahrzunehmen. Von einer „Achillesferse“ - so wörtlich - sprechen hier die Autoren des ThüringenMonitors. Tatsache ist, die Bürger geben der Politik zu wenig Vertrauensvorschuss - Systemvertrauen, wie es Fritz Stern deutlich gemacht hat.
Wir müssen noch nachhaltiger deutlich machen, wir nehmen die Menschen mit ihren Anliegen außerordentlich ernst. Das heißt, wir müssen noch stärker vermitteln, dass Demokratie auch vom Mitmachen lebt. Denn es ist gefährlich, wenn die Menschen glauben, in den Parlamenten, Parteien und Ministerien interessiere ihre Meinung nicht. Die Anliegen und Probleme ernst nehmen, politische Konzepte öffentlich diskutieren, die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft erörtern, die Herausforderung, Chancen, aber auch Risiken der Globalisierung realistisch beschreiben, das bestimmt weiterhin den politischen Diskurs, die politische Tagesordnung von uns allen.
Der Bundespräsident Horst Köhler hat richtig gesagt: „Der moderne Sozialstaat schützt vor Not, aber er gaukelt nicht vor, dem Einzelnen den einmal erreichten Lebensstandard garantieren zu können. Die Ordnung der Freiheit bedeutet, die Bürger beauftragen den Staat, die Spielregeln zu setzen. Aber das Spiel machen die Bürger. Die Regeln lauten: Privateigentum und Vertragsfreiheit, Wettbewerb und offene Märkte, freie Preisbildung und ein stabiles Geldwesen, eine Sicherung vor den großen Lebensrisiken für jeden und Haftung aller für ihr Tun und Lassen.“ So weit der Bundespräsident. Das ist eine politische Agenda, die Tag für Tag auch vermittelt werden muss, denn Freiheit und Demokratie gehören zusammen wie zwei Seiten ein und derselben Medaille und sie fordern nach einem klaren und auch immer wieder erörterten Engagement für Freiheit und Demokratie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb ist es auch wichtig, Heilsversprechern zu widersprechen, genau wie denen, die die Probleme politisch instrumentalisieren wollen. Auf der anderen Seite ist es eine gute Nachricht, dass bei den Thüringern die Bereitschaft, sich politisch und bürgerschaftlich einzubringen, unverändert hoch ist. Hier steckt eine Menge Potenzial, das wir mobilisieren und nutzen müssen, denn leider bleibt das tatsächliche
Engagement weit hinter der theoretischen Bereitschaft zurück. Vor allem bei den Befragten mit einem niedrigeren Bildungsabschluss ist es außerordentlich gering. Also auch hier gilt, kaum etwas entscheidet so sehr über die politische Kultur wie Bildung. Je höher der Bildungsgrad, umso größer sind Demokratiezufriedenheit, politisches Interesse und Engagement. Deshalb: Bildung ist die beste Demokratieschule.
Für Thüringen gilt auch gerade nach dieser Studie: Bildung in Thüringen - ein Erfolgsmodell 18 Jahre nach der Einführung der Grundlagen. Es gibt Erfolge, aber es gibt auch Herausforderungen. Thüringen ist ein Bildungsland und wir blicken dankenswerterweise auf große pädagogische Traditionen. Ich will nur Friedrich Fröbel nennen, der ja vor rund 170 Jahren in Blankenburg den ersten Kindergarten gegründet hat; allein sein reformpädagogisches Werk hat sich inzwischen weltweit als Erfolgsmodell umgesetzt. Selbst der Name hat sich inzwischen auch in den Ländern der englischen Sprache durchgesetzt. Das heißt, diese reformpädagogischen Traditionen sind nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch eine Chance.
Das war auch genau vor 18 Jahren der Grund, dass diese reformpädagogischen Traditionen in die neu entwickelte Bildungslandschaft stärker einbezogen werden konnten. Wir wollen ein demokratisches, wettbewerbsfähiges Bildungssystem - ein System, das immer weiterentwickelt werden muss. Die Regelschulen wurden eingeführt, das Abitur nach 12 Jahren beibehalten. Wir haben die Schuleingangsphase und die Stundentafel flexibilisiert, wir haben die Projektarbeit zum Abschlussprüfungsteil in der Regelschule eingeführt und die Berufswahlvorbereitung intensiviert. Außerdem haben wir die Schuljugendarbeit gestärkt. Das Thüringer Schulangebot mit Grund- und Regelschulen, Gymnasien, Spezialgymnasien und berufsbildenden Schulen sowie Förderschulen ist vielfältig, differenziert und durchlässig. So können sich junge Menschen darauf verlassen, dass auf die Leistungsfähigkeit und die konkrete Leistung bezogen, Durchlässigkeit und damit Entwicklungsperspektive besteht.
Deutschlands PISA-Chef, Manfred Prenzel, lobt: Thüringen hat den Weg „zum zweigliedrigen Schulsystem beschritten und ist dabei sehr erfolgreich“.
Und auch renommierte Studien wie der Bildungsmonitor 2007 des Instituts der deutschen Wirtschaft oder das Bundesländerranking 2007 der Bertelsmann
Stiftung bescheinigen uns, dass der eingeschlagene Weg richtig ist. Der Freistaat belegt im Ländervergleich Platz drei und bildet zusammen mit Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern das Führungsquartett in der deutschen Bildungslandschaft.
Aber wie sehen es die Thüringer? Die Antwort lautet: Prinzipiell genauso, und zwar auf allen Ebenen - vom Kindergarten bis zur Universität. Die Thüringer sind mit dem Bildungssystem im Freistaat außerordentlich zufrieden.
Mehr als drei Viertel aller Befragten meinen, das Thüringer Schulsystem - mit Regelschulen und Gymnasien - bietet den Kindern gute Chancen. „Damit nehmen die Schulen im Vergleich verschiedener Institutionen gemeinsam mit den Universitäten und mit der Polizei einen Spitzenplatz ein.“ Aufgeschlüsselt nach Parteienpräferenz, ergibt sich folgendes bemerkenswertes Ranking bei der positiven Bewertung des Schulsystems: 91 Prozent CDU, 85 Prozent SPD und 59 Prozent DIE LINKE. Das macht auch deutlich, die Thüringer sehen parteiübergreifend keine Notwendigkeit für eine spezielle Strukturreform,
stattdessen gilt auch nach der Studie, es kommt auf Qualität an. Die Eigenverantwortung für das Fördern und Fordern zu stärken - das ist der wichtigste Punkt. Deshalb geht es auch den Thüringerinnen und Thüringern um eine kritische Frage, wenn es um die Frage der Zuständigkeit geht.
Trotz der erfreulich hohen Zustimmung zum Thüringer Bildungssystem stehen viele Thüringer dem Bildungsföderalismus in Deutschland kritisch gegenüber. 64 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Zentralisierung in der Bildungspolitik; davon versprechen sich viele eine noch bessere Bildung.
Hinter dieser Einstellung steckt der von mir ausdrücklich unterstützte Wunsch nach mehr Vergleichbarkeit. Föderale Strukturen können das leisten, denn wir setzen aus Thüringen heraus auf vergleichbare Bildungsstandards.
Der bildungspolitische Föderalismus trägt, wie wir wissen, einen entscheidenden Vorteil in sich: Er schafft den Raum für Wettbewerb, Wettbewerb, der
auch von den Thüringern befürwortet wird. Die Mehrheit der Befragten sagt: Schulen und Universitäten brauchen eher noch mehr Freiheit als weniger. Mehr Zentralismus würde demzufolge diesem Ziel klar entgegenwirken.
Das heißt, der bildungspolitische Föderalismus trägt einen entscheidenden Vorteil in sich, er schafft diesen Raum und wir müssen politisch dafür Sorge tragen, dass dieser Raum immer gut ausgestaltet wird.
Deshalb geht es bei Bildung um Bildung in allen Phasen des Lebens, von Kindesbeinen an über die Schule, die Ausbildung und die Erwachsenenbildung. Bildung in allen Lebensphasen, das ist auch das Programm der letzten Jahre in der Thüringer Politik gewesen.
Bildung beginnt nicht erst mit der Einschulung, wie wir gut genug wissen, sondern natürlich in der Kindertagesstätte und bei den Eltern.
Es ist wichtig, die Jüngsten sind unsere Zukunft. Es ist erfreulich, dass sich neun von zehn Befragten für ein Pflicht-Kindergartenjahr aussprechen. Das macht deutlich, wie wichtig es den Eltern ist, vor der Einschulung im Kindergarten entsprechende Bildungs- und auch Werteinhalte zu vermitteln. Dem entspricht auch unsere Praxis. Fast 98 Prozent aller Kinder besuchen das letzte Kindergartenjahr, so viel wie nirgendwo in Deutschland. Und auch bei den unter 3-Jährigen liegen wir deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Bildung in der Kindertagesstätte heißt, spielerisches Lernen verbinden mit sozialen Erfahrungen und Ausprägung der Persönlichkeit, eine Position, die auch die Thüringer in ihrer Mehrheit teilen. Mehr als zwei Drittel der Befragten meinen, Kinder sollen vor der Einschulung aber auch Kinder sein dürfen. Das heißt, Bildung hat auch Grenzen zu beachten.
Mit dem „Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre“, den das Kultusministerium mit den Praktikern erarbeitet hat, werden wir der Bedeutung der frühkindlichen Bildung gerecht. Der Freistaat ist hier einer der Ersten in Deutschland. Den Kindertagesstätten und auch Grundschulen wird ein Orientierungsrahmen an die Hand gegeben, auf dessen Grundlage sie ihre alltägliche pädagogische Arbeit gestalten können. Derzeit läuft die Probephase und ab dem Schuljahr 2008/2009 gilt er landesweit.
Den Thüringern ist die Kindererziehung wichtig. Fast zwei Drittel der Thüringer sehen sowohl die Eltern als auch die Erzieherinnen und Erzieher in der Kinder
tagesstätte in der gemeinsamen Verantwortung. Sie lehnen eine ausschließliche Fremdbetreuung nach dieser Studie ausdrücklich ab. Deshalb setzt die Thüringer Familienoffensive zu Recht auf echte Wahlfreiheit.
Alle Familien im Freistaat bekommen für jedes Kind im dritten Lebensjahr das Thüringer Erziehungsgeld. Damit können Eltern selbst entscheiden, ob sie ihr Kind lieber zu Hause erziehen oder in den Kindergarten bringen. Dazu passt auch das Bundeselterngeld, das seit Januar 2007 gezahlt wird und mit unseren Regelungen vereinbar ist, weil das Bundeselterngeld gesplittet und auf zwei Jahre ausgedehnt werden kann.
22 Prozent der Thüringer Eltern nutzen das und somit ist ein nahtloser Übergang zum Landeserziehungsgeld möglich.
Neben einem dichten Netz von Kindertagesstätten garantiert das Familienfördergesetz den uneingeschränkten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab zwei Jahren. Das ist ebenfalls in dieser Form in Deutschland einmalig.
Darüber hinaus arbeiten wir daran, eine Betreuungsplatz-Garantie schon ab dem ersten Geburtstag einzuführen. Für die ganz Kleinen gibt es bereits vielfältige Angebote, die wir ausbauen wollen. Dabei hilft auch das gemeinsam vereinbarte Bundesprogramm, das, Gott sei Dank, auch für die neuen Länder einsetzbar ist. Der Ausbau und die Sanierung der Kindertagesstätten wird bis 2013 in Thüringen mit jährlich etwa 9 Mio. € bezuschusst. Diese Chancen werden wir umfassend nutzen.