Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Herr Pidde hat dankenswerterweise auf die aktuellen Expansionsbestrebungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten, insbesondere des ZDF, hingewiesen. Ich kann die Verantwortlichen nur warnen, die Lücken, die jetzt noch vor dem Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag existieren, in dem Maße auszunutzen, wie Sie es im Moment gerade tun.

Frau Präsidentin, um Herrn Luther zu zitieren: „Auf einem fremden Mannes Arsch ist gut durch’s Feuer fahren.“ Wer nicht für die Finanzierung selber aufkommen muss, ist leicht bereit, jede Menge Geld auszugeben.

(Beifall SPD)

Sicher, es klang nach Luther. Ich habe ihn extra angeführt, damit ich hier keinen Ordnungsruf erhalte, denn den müsste dann der Luther erhalten, und da kommt es ein bisschen zu spät.

(Heiterkeit im Hause)

Soweit macht das Freude, jemanden zu zitieren, dessen man nicht mehr habhaft werden kann. Sie werden das von mir in Zukunft noch öfter erfahren.

Es ist also wahrlich nicht in Ordnung, diese Spartenkanäle jetzt voll aufzubohren zu Vollprogrammen - zu inhaltlichen Konflikten hat mein Vorredner schon vorgetragen - und uns dann ab dem Jahr 2013 die Gebühren vor das Haus zu schütten. Natürlich wird ein Mehrbedarf kommen, der fällt nicht sofort an, aber er ist absehbar. Wenn wir jetzt nicht die Stimme erheben, haben wir dann gegenüber der Bevölkerung wieder diese Notarfunktion auszufüllen, wir müssen dann formal die Gebührenerhöhung beschließen und hatten null Einfluss darauf. Jetzt, ganz zu Beginn, bevor die Sündenfälle geschehen, können wir die Stimme erheben und sollten sie auch schnell erheben, bevor der Public Value Test von der EU in diesem Kompromissverfahren aufgedrückt wird, also der

Mehrwerttest. Bringt das Programm tatsächlich den Bürgern einen erklecklichen Mehrwert, ist es möglicherweise eine Konkurrenz zu schon bestehenden Programmen und damit überflüssig? Das soll ja erst nach dem Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag verpflichtend werden. Man kann eigentlich jetzt nur darum bitten, liebe Macherinnen und Macher, insbesondere beim ZDF, setzt euch diesen Kriterien jetzt schon aus und haltet inne.

Die LINKEN haben jetzt schon angekündigt, gegen die Gebührenerhöhung zu sein. Sollte das bei den Öffentlich-Rechtlichen so weitergehen, sehe ich die Zustimmung in den Parlamenten generell beim nächsten Rundfunkgebührenänderungsstaatsvertrag, der gebührenrelevant ist, schwinden. Dann können wir uns ja lange über die Gerichte unterhalten, ob wir das gedurft hätten oder nicht. Da wird es lange, lange keinen Zuschuss mehr geben und da wird man noch heftiger darauf schauen, was man dort macht. Wir sind alle, soweit ich das hier überblicken kann, für den Erhalt des Öffentlich-Rechtlichen, aber man kann auch an dem Ast sägen, auf dem man sitzt und im Moment sind die Sägegeräusche sehr deutlich zu hören. Ich hoffe, dass man dieses Bild versteht. Andere Landtage sind schon viel weiter gegangen. Wir signalisieren, dass wir dieser Gebührenerhöhung zustimmen, weil das Verfahren so ist, wie es ist, weil Spezialisten den Mehrbedarf geprüft haben. Es gibt auch einen tatsächlichen Mehrbedarf. Auch im Bereich der Medien sind die Gehälter nicht mehr auf dem Stand von 1990, die Energiepreise sind gestiegen, die Gerätepreise sind gestiegen, die technische Entwicklung ist vorangeschritten, vieles an digitaler Technik, was eigentlich vereinfachen sollte, ist erst einmal deutlich teurer, bevor es in der vollen Breite da ist. Das sind alles Tatbestände, die auch die LINKEN anerkennen müssten. Ich weiß nicht, warum sie es nicht tun. Insoweit stellen wir das System nicht infrage, aber wir erheben mahnend den Finger und sagen, Leute bedenkt, was ihr tut, diese Zustimmung kann auch bröckeln.

Da es aber nicht alle interessiert, bitte ich um Ihr Verständnis, dass wir die Debatte an dieser Stelle hier beenden und sie in den Ausschuss verlagern. Ich bin wie mein Vorredner dafür, dass wir das an den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien überweisen und dann von dort Ergebnisse unserer Debatten auch hier wieder ins Plenum zurückbringen. Ich hoffe, dass wir dort sehr viel Übereinstimmung erzielen. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit beende ich die Aussprache.

Es ist Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien beantragt worden. Ich lasse über die Ausschussüberweisung abstimmen. Wer für die Ausschussüberweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist gegen die Ausschussüberweisung, den bitte ich um das Handzeichen. Wer enthält sich der Stimme? Keine Stimmenthaltung, keine Gegenstimme. Damit ist dieser Antrag einstimmig an den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien zur Beratung überwiesen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2 und rufe auf den Tagesordnungspunkt 3

Gesetz zur Änderung des Thü- ringer Gesetzes über das Ver- sorgungswerk der Rechtsan- wälte und des Thüringer Heil- berufegesetzes Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/4385 - ERSTE BERATUNG

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Begründung? Bitte, Frau Ministerin Diezel.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, durch den vorliegenden Gesetzentwurf soll das Thüringer Gesetz über das Versorgungswerk der Rechtsanwälte und das Thüringer Heilberufegesetz geändert werden. Diese Gesetze sehen die Einrichtung von Versorgungswerken für Freie Berufe vor. Versorgungswerke sind Versorgungs- und Fürsorgeeinrichtungen für die Kammermitglieder der Freien Berufe zur Sicherung der Altersversorgung, der Hinterbliebenenversorgung und zur Sicherung bei Berufsunfähigkeit. In Thüringen sind vier Versorgungswerke ansässig. Ähnlich wie in anderen Ländern sind das bei uns die Versorgungswerke der Ärzte, der Zahnärzte, der Tierärzte und der Rechtsanwälte. Die Finanzierung der Leistungen der Versorgungswerke beruht, anders als bei der gesetzlichen Rentenversicherung, nicht auf einer Umlagefinanzierung, sondern auf einer weitgehenden Kapitaldeckung. Die genannten Gesetze enthalten ferner Regelungen über das Vorhalten von Eigenmitteln. Eigenmittel sollen die Risiken des Versicherungsgeschäftes abdecken. Sie sichern damit die Ansprüche der Mitglieder. Im Vordergrund des Gesetzentwurfs steht diesbezüglich die Einführung einer Vorschrift über die Mindestausstattung der Thüringer Versorgungswerke mit Eigenmitteln. Die Thüringer Versorgungswerke müssen danach zur dauernden Erfüllbarkeit ihrer Verpflichtungen und zur Absicherung von Risiken genügend freie Eigenmittel in Form von Verlustrücklagen vorhalten. Schwankungen am Kapitalmarkt oder Veränderungen der demographi

schen Entwicklung können zu erhöhtem Eigenkapitalbedarf führen. Um diesen Risiken zu begegnen, schreibt der Gesetzentwurf die Bildung einer Verlustrücklage in erforderlicher Höhe vor. Weiterhin vereinheitlicht der Gesetzentwurf die aufsichtsrechtlichen Regelungen für die vier in Thüringen ansässigen Versorgungswerke. Dies betrifft u.a. die Vorschriften über die Berichts- und Anzeigepflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde. Im Gesetz über die Versorgungswerke der Rechtsanwälte wird daneben das Höchsteintrittsalter für die Pflichtmitgliedschaft gestrichen. Dadurch wird dem Versorgungswerk die Möglichkeit eingeräumt, wie z.B. bei den Heilberufen auch, eigenständig in der Satzung ein Höchsteintrittsalter festzulegen. Außerdem wurden auf eine im Rahmen des Anhörungsverfahrens zum Gesetzentwurf vorgebrachte Anregung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte Anpassungen an die bestehende Verwaltungspraxis sowie zur Verwaltungsvereinfachung vorgenommen. Diese betreffen die Regelungen zu Verzugszinsen und zu Auskunftspflichten der Rechtsanwaltskammer gegenüber dem Versorgungswerk.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Ich eröffne die Aussprache, zu der mir keine Wortmeldungen vorliegen. Wird Ausschussüberweisung beantragt? Bitte, Abgeordneter Blechschmidt.

Ich möchte namens meiner Fraktion die Überweisung an den Haushalts- und Finanzausschuss beantragen.

Es ist die Überweisung an den Haushalts- und Finanzausschuss beantragt. Wer für die Überweisung an den Haushalts- und Finanzausschuss ist, den bitte ich um das Handzeichen. Wer gegen die Überweisung an den Haushalts- und Finanzausschuss ist, den bitte ich um das Handzeichen. 1 Gegenstimme. Wer enthält sich der Stimme? Eine große Zahl von Stimmenthaltungen. Damit ist mit 1 Gegenstimme der Ausschussüberweisung zugestimmt.

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und rufe auf den Tagesordnungspunkt 4

Thüringer Gesetz zur Umsetzung des Personenstandsrechtsreform- gesetzes Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/4388 - ERSTE BERATUNG

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Begründung? Bitte, Herr Innenminister Scherer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, die Landesregierung legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des Personenstandsrechtsreformgesetzes vor. Kern dieses Gesetzentwurfs ist ein neues Thüringer Ausführungsgesetz zum Personenstandsgesetz. Aufgrund Artikel 5 Abs. 2 des Personenstandsrechtsreformgesetzes vom Februar 2007 tritt am 1. Januar 2009 ein gänzlich neu gefasstes Personenstandsgesetz als Bundesgesetz in Kraft. Gleichzeitig tritt das bisherige Personenstandsgesetz außer Kraft. Damit entfällt auch die im bisherigen Personenstandsgesetz enthaltene Zuständigkeitszuweisung von Standesämtern zu erfüllenden Aufgaben an die Gemeinden. Gemäß § 1 Abs. 2 des neuen Personenstandsgesetzes beurkunden den Personenstand die nach Landesrecht für das Personenstandswesen zuständigen Behörden. Das heißt, welche Behörden ab 01.01.2009 als Standesämter fungieren, muss durch ein Landesgesetz neu festgelegt werden. Mit dem vorliegenden Gesetz werden die Aufgaben der Standesämter auf die Gemeinden übertragen. Ohne eine solche Regelung wären alle Entscheidungen der bisher bestehenden Standesämter ab dem 1. Januar 2009 wegen fehlender Zuständigkeit nichtig. § 1 des Artikels 1 des Gesetzes weist die Aufgaben der für das Personenstandswesen zuständigen Behörde wie bisher den Gemeinden zu. Die Ansiedlung der Zuständigkeit bei den Gemeinden hat sich aus der Perspektive der Bevölkerung sowie der Gemeinden und des Landes bewährt. Den Gemeinden bleibt damit die Aufgabe im übertragenen Wirkungskreis zugewiesen. Den Gemeinden wird also keine neue Aufgabe übertragen, es wird nur die Rechtsgrundlage ausgewechselt - Landesrecht tritt an die Stelle von Bundesrecht.

Ich will das etwas abkürzen. Die in Artikel 1 § 2 enthaltene Bestimmung zur Aufsicht über die Standesämter entspricht dem derzeitigen Stand. Sie ist im Moment in § 10 Abs. 5 der Thüringer Verordnung zur Bestimmung von Zuständigkeiten im Geschäftsbereich des Innenministeriums enthalten und beruht auf dem bisherigen § 70 a des Personenstandsge

setzes. Die bisherigen aufsichtlichen Strukturen werden beibehalten. Neu ist lediglich die Bestimmung in Artikel 1 § 2 Abs. 2, die die Trennung zwischen Standesamt und Aufsicht in den kreisfreien Städten sicherstellen soll. Aus Gründen der Vereinfachung und der Übersichtlichkeit werden die Regelungen über die Aufsicht nunmehr in das vorliegende Gesetz übernommen. Die ansonsten in Artikel 1 in § 3 getroffenen Zuständigkeitsregeln entsprechen im Wesentlichen dem bisherigen § 10 Abs. 1 bis 3 der genannten Thüringer Verordnung zur Bestimmung von Zuständigkeiten im Geschäftsbereich des Innenministeriums und werden nunmehr aus Gründen der Übersichtlichkeit und Rechtsvereinfachung in das vorliegende Gesetz aufgenommen. In Artikel 1 § 4 gibt es Bestimmungen zur Notfallbestellung, die auch bisher in der Thüringer Verordnung über die Zuständigkeiten enthalten waren. Artikel 1 § 5 enthält die Kostenbestimmung und dann gibt es noch die Artikel 2 bis 6 des vorliegenden Gesetzentwurfs, das sind Folgeänderungen bzw. Vorschriften über das Außerkrafttreten anderer Verfahrensvorschriften. Und schließlich wird zu guter Letzt mit der in Artikel 2 des Gesetzentwurfs enthaltenen Ergänzung der §§ 3 und 5 des Thüringer Ausführungsgesetzes zum Lebenspartnerschaftsgesetz die bundesgesetzliche Vorgabe umgesetzt, dass auch bei der Begründung von Lebenspartnerschaften die Beurkundungen fortlaufend dokumentiert werden und Mitteilungspflichten, die das Personenstandsgesetz voraussetzen, erfüllt werden.

Ich bedanke mich schon jetzt für die vorgesehene zügige Behandlung des Gesetzentwurfs. Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Die Fraktionen sind übereingekommen, diesen Tagesordnungspunkt ohne Aussprache zu behandeln. Deshalb schließe ich die erste Beratung und wir rufen morgen, wie vereinbart, die zweite Beratung auf.

Ich rufe hiermit auf den Tagesordnungspunkt 5

„Für Thüringen in Europa“ - Wei- terentwicklung der europapoli- tischen Strategie der Landesre- gierung Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 4/4206 - dazu: Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten - Drucksache 4/4379 -

dazu: Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 4/4424 -

Der Berichterstatter ist Abgeordneter Carius. Die Landesregierung hat angekündigt, den in Nummer 1 des Antrags erbetenen Bericht noch vor der Aussprache und Beschlussfassung zu erstatten. Deshalb wollte ich erst Herrn Minister Dr. Zeh das Wort erteilen und dann dem Abgeordneten Carius. Bitte, Herr Minister Dr. Zeh.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, man hat den Eindruck, Europa will nicht recht zur Ruhe kommen. Das Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon stellt die gerade wiedergewonnene Sicherheit über die Zukunft der europäischen Integration infrage. Das ist schade, weil das Gelingen der Europäischen Union meines Erachtens eine der entscheidenden Fragen für eine gute und friedliche Entwicklung der europäischen Völker darstellt und die beste Antwort auf die Globalisierung der Welt ist. Die Gründe für die Ablehnung u.a. sind leider genau die, die im Lissabon-Vertrag verbessert werden sollten, u.a. mehr Rechte der Regionen, schnellere Entscheidungen, weniger Bürokratie. Aber wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Ich denke, es ist auch richtig, dass wir einerseits das irische Veto ebenso zu respektieren haben, wie die französische und niederländische Ablehnung vor drei Jahren. Dieser Respekt fordert umso mehr das irische Nein zu hinterfragen, welche Ursachen denn eigentlich dahinterstehen. Aber andererseits darf nicht das Gewicht derjenigen Volksvertretungen aus dem Blick verloren werden, die mit überwältigender Mehrheit den Vertrag von Lissabon als neue Rechtsgrundlage der Union bereits gebilligt haben. Inzwischen ist das parlamentarische Ratifizierungsverfahren in 24 Mitgliedstaaten erfolgreich abgeschlossen. Lediglich die Parlamente in Tschechien, wo das Verfassungsgericht zunächst über die Verfassungsmäßigkeit entscheidet, und in Schweden haben noch nicht über den Vertrag abgestimmt. In Deutschland hoffen wir auf eine zügige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die anhängigen Verfassungsklagen, damit das Ratifizierungsgesetz vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden kann. Anders als vor drei Jahren setzt sich das irische Nein deutlich ab vom Ja zur Reform der Mehrheit der Mitgliedstaaten. Die zweijährigen Verhandlungen und der schwierige Einigungsprozess über die neue Vertragsgrundlage im Sommer 2007, der übrigens unter der deutschen Ratspräsidentschaft von Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel erfolgreich war, haben in vielen Staaten die Überzeugung gefestigt, dass wir unbedingt eine Ver

tragsreform brauchen. Die Bürger haben genau das von der Politik erwartet. Wir können den Erwartungen der Bürger an gemeinsamen Lösungen für die drängenden Probleme nur dann gerecht werden, wenn Entscheidungen nicht mehr von einzelnen Nationalstaaten blockiert werden können. Mit diesen Änderungen geht zwangsläufig natürlich der Einfluss der nationalen Regierungen verloren. Dem steht aber die Stärkung der Regionen gegenüber durch das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Das ist im Grund- und Gesamtinteresse Europas auch so gewollt. Dass dieser Verlust für kleinere Mitgliedstaaten schwerer wiegen mag als für größere, das ist nachvollziehbar. Entscheidend ist aber, dass der den Verlust überwiegende Gewinn durch den neuen Vertrag sichtbar wird, denn eine Untersuchung über das Abstimmungsverhalten der Iren hat ergeben, dass eine mangelnde Information über den Vertragsinhalt als häufigste Ursache für eine Ablehnung genannt wurde. Mangelnde Information ist also eines der Ursachen, die wir in Zukunft, gerade bei Fragen der Europäischen Union, stärker in den Blick nehmen müssen. Vor diesem Hintergrund begrüße ich es sehr, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs am 20. Juni 2008 für eine Fortsetzung der nationalen Ratifizierungsverfahren eingesetzt haben. Im Oktober wird sich der Europäische Rat erneut mit der Zukunft der Vertragsreform befassen. Unter dem Eindruck des weiteren Verlaufs der Ratifizierungsprozesse wird dann über die Antwort auf das irische Nein zu entscheiden sein. Ich bin zuversichtlich, dass diese Antwort kein Nein zum Vertrag von Lissabon sein wird.

Für die deutschen Länder verbinden sich mit diesem Vertrag neue Mitwirkungsrechte und bessere Chancen, Europapolitik im Interesse unserer Bürger mitzugestalten. All das wird subsumiert unter dem Begriff „Subsidiaritätsprinzip“, also mehr Rechte bzw. Möglichkeiten der Regionen.

Thüringen setzt sich weiterhin für den Vertrag von Lissabon ein und für ein Inkrafttreten noch vor den Europawahlen am 7. Juni 2009. Das wird allerdings sehr schwierig werden, das zeigen bereits schon jetzt die Verhandlungen. Als Vorsitzender der Europaministerkonferenz werde ich mich insbesondere dafür einsetzen, dass die neuen Instrumente zur Wahrung dieses Subsidiaritätsprinzips, also der stärkeren Rechte der Regionen, auch umgesetzt werden. Denn schließlich geht es schon lange nicht mehr darum, ob wir die europäische Integration wollen; es geht darum, wie man sie gestaltet, wo man einerseits eine stärkere Integration der Union möchte, z.B. in außenpolitischen Fragen, und wo man andererseits die Zuständigkeiten auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der Regionen und der Kommunen belassen will. Dieser Positionsbestimmung dient die europapolitische Strategie der Landesregierung. Die europa

politische Strategie soll eine erste Positionsbestimmung für die anstehenden Reformen der großen Politikbereiche der Europäischen Union sein. Die jetzige finanzielle Vorschau läuft z.B. darauf hinaus, dass wir uns in Zukunft bei Haushalts-, Kohäsions- und Agrarpolitik schnell entscheiden müssen. Für die Haushalts- und Kohäsionspolitik leitete die Kommission bis ins Jahr 2007 breite Konsultationen ein, an denen wir aktiv beteiligt waren. Ein wichtiges Thema wird die künftige Haushaltspolitik der EU sein. Nun ist 2008 das erste Jahr, in dem der größte Anteil des EU-Haushalts - und das sind 45 Prozent aller Ausgaben - zur Belebung des Wirtschaftswachstums und zur Stärkung der Kohäsion in den 27 Mitgliedstaaten dient. Der Haushalt 2008 bildet somit bereits eine Schwerpunktverlagerung in den Politikbereichen der Europäischen Union ab. Die Länder haben ihre Positionen für die künftige Haushaltspolitik der EU in der Ministerpräsidentenkonferenz festgelegt, das heißt unter anderem die Ausrichtung der Beitragslast an der Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten, Festlegung einer Gesamtobergrenze für den EU-Haushalt und auch das Verschuldungsverbot. Eine EU-Steuer lehnen wir ab. Der Schwerpunkt des EU-Haushalts muss künftig auf die Förderung von Wachstum und Beschäftigung gelegt werden, wobei der Regionalförderung als eine Stärkung der Regionen eine wichtige Rolle zukommt.

Ich komme zu dem Kapitel Kohäsionspolitik, also Angleichung der Wirtschaftskraft der Länder. Eine wichtige Rolle für Thüringen spielen die sogenannten Strukturfonds. Für die ostdeutschen Konvergenzregionen sind insgesamt 13,4 Mrd. € im Förderzeitraum 2007 bis 2013 vorgesehen. Also 13,4 Mrd. € fließen den ostdeutschen Ländern zu. Das ist wichtig für uns, denn ursprünglich war ja vorgesehen, dass die jungen Länder nicht mehr Ziel-1-Region sein sollen, also keine Zuschüsse mehr erhalten. Ich denke, 13,4 Mrd. € in den nächsten sechs Jahren, das ist ein guter Kompromiss, auch wenn es etwas weniger ist als das, was wir vorher hatten. Thüringen stehen von diesen Mitteln insgesamt 2,1 Mrd. € zur Verfügung. Diese wiederum teilen sich auf. Auf den EFRE-Fonds entfallen rund 1,477 Mrd. €, das sind 70 Prozent der Mittel. Aus dem ESF, den Europäischen Sozialfonds, sind rund 629,0 Mio. € vorgesehen, was ca. 30 Prozent der Mittel sind.

Wir wollen dabei die Konzentration auf die Bereiche der Regionalpolitik, die ein mittel- und langfristiges Wirtschafts- und vor allen Dingen auch Beschäftigungswachstum versprechen, also die Frage nach mehr Beschäftigung und mehr Arbeitsplätzen steht bei der Einsetzung der Mittel im Vordergrund. Durch den Einsatz des EFRE sollen insgesamt die F- und E- also die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Unternehmen forciert werden. Forschungs- und Innovationspotenziale müssen gestärkt sowie

der Kapitalstock der gewerblichen Wirtschaft erweitert bzw. modernisiert werden. In den Städten sollen perspektivisch wichtige Stadtteile aufgewertet sowie die regionale Erreichbarkeit verbessert werden. Die Rückgewinnung brachliegender Flächen sowie die Verbesserung der Abwasserentsorgung und des Hochwasserschutzes zielen auf einen verbesserten Schutz der Umwelt. Die strategische Ausrichtung des ESF-Einsatzes in Thüringen konzentriert sich auf die Förderung der Aus- und Weiterbildung sowie die Verbindung beschäftigungs- und strukturwirksamer Maßnahmen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Landesarbeitsmarktpolitik korrespondiert dabei mit den Hauptzielen der Thüringer Wirtschaftspolitik, nämlich der Schaffung vor allem wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze. Diese Strukturfondsmittel leisten daher einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Thüringens und unterstützen die erfolgreiche Ansiedlungspolitik der Landesregierung.

Das Bruttoinlandsprodukt in Thüringen erhöhte sich im Jahr 2007 gegenüber dem Vorjahr um 4,2 Prozent. Das ist, glaube ich, auch ein gutes Ergebnis. Das hängt auch damit zusammen, dass wir die Strukturfonds sinnvoll eingesetzt haben. Thüringen liegt inzwischen deutlich über 75 Prozent des durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts der 27 EU-Staaten. Das heißt, die Schwelle für die Einstufung als Konvergenzregion, für die ja diese Zahl in Anspruch genommen und herangezogen wird, sagt eigentlich, dass wir im Bereich der Konvergenzpolitik sehr erfolgreich vorangekommen sind. Allerdings - auch das müssen wir sagen - ist dies natürlich auch ein Stück weit Statistik; denn mit Staaten, die zur EU gekommen sind, die ein niedriges Bruttoinlandsprodukt haben, rutscht natürlich automatisch unser Betrag dann auch nach oben. Dennoch, denke ich, ist es ein wichtiges Ergebnis, dass wir die Förderung nicht schlagartig abbrechen. Dass wir also nicht mehr Ziel-1-Gebiet sind, hätte das bewirkt. Die Verhandlungen auch des Ministerpräsidenten Herrn Althaus in dieser Frage haben Erfolg gehabt.

Ein weiteres Thema ist die Agrarpolitik - ein wichtiges Thema. Die gemeinsame Agrarpolitik ist der am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich der EU. Die gemeinsame Agrarpolitik wurde in den letzten zehn Jahren tief greifend reformiert und sollte so Planungssicherheit für die landwirtschaftlichen Betriebe bis 2013 bieten. Sie wurde ausgerichtet am Interesse der Verbraucher, der Einhaltung von Qualitäts- und Umweltschutzstandards und der hohen Lebensmittelsicherheit. Eine neu geschaffene Betriebsprämie vereint verschiedene Direktzahlungen aus der Vergangenheit und soll somit die Marktelemente stärken. Die Umsetzung der Reform fordert die Landwirte und Verwaltungen gleichermaßen in einer bisher nicht gekannten Dimension. Alle Beteiligten müssen ein kompliziertes Geflecht von EU

Verordnungen, nationalen Umsetzungsregelungen und landesspezifischen Regelungen und Besonderheiten anwenden. Am 20. Mai 2008 hat die Kommission ihre Vorschläge zum sogenannten Gesundheitscheck vorgelegt. Der Begriff ist nicht ganz glücklich gewählt, aber es ist die Übersetzung. Es hat hier nichts mit Gesundheit zu tun, sondern es geht natürlich um die Fragen, ist die Agrarpolitik noch effektiv, also ist sie gesund im übertragenen Sinn. Auch wenn diese Vorschläge nicht so weitgehend sind, wie wir vorher die Diskussion erlebt haben, hätten sich doch dramatische Auswirkungen auf die Landwirtschaft in Ostdeutschland und Thüringen ergeben. Minister Sklenar hat im Landtagsplenum im Juni 2008 darüber bereits umfassend berichtet. Der Bundesrat hat am 4. Juli 2008 eine Stellungnahme abgegeben. Kernaussage ist, dass die Länder weitere Kürzungen der Direktzahlung zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen und Planungssicherheit für die Landwirte bis zum Jahr 2013 fordern. Der Gesundheitscheck darf zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu einer neuen Agrarreform werden. Auch nach 2013 brauchen wir eine nachhaltige und auf die regionalen Verhältnisse abgestimmte Landwirtschaft, die den Bedürfnissen der Verbraucher insbesondere gerecht wird.

Zum Thema „bessere Rechtsetzung“ auch noch eine Anmerkung: Die deutsche Ratspräsidentschaft hat die Entlastung europäischer Unternehmen von unnötigen Bürokratiekosten zu einem Schwerpunkt ihres Programms gemacht und sich mit Nachdruck für die Festlegung konkreter quantitativer Ziele eingesetzt. Mit dem am 8./9. März 2007 verabschiedeten Aktionsprogramm zur Verringerung von Verwaltungslasten setzte sich der Europäische Rat das Ziel, die durch europäische Regelungen bedingten Verwaltungslasten in der Europäischen Union bis 2012 um 25 Prozent zu verringern. Als Folge wird eine Steigerung des Bruttoinlandprodukts um 1,5 Prozent in diesem Zeitraum erwartet. Sie sehen also, dass Bürokratie Bruttoinlandprodukt aufzehrt. Wenn wir Bürokratie abbauen, kommt das unmittelbar auch der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zugute.

Das Aktionsprogramm beruht auf drei Säulen: Reduzierung der Belastung von Unternehmen durch europäische Regelungen, Bereinigung des europäischen Rechts und Verbesserung der europäischen Rechtsetzung durch eine konsequente Folgenabschätzung. Im Rahmen der Europaministerkonferenz vom 5. Juli 2008 hatte ich die Gelegenheit, mich in einem Gespräch mit Herrn Kommissar Verheugen und dem für die Expertengruppe zum Abbau von Verwaltungslasten zuständigen Ministerpräsidenten a.D. Edmund Stoiber über die konkreten Maßnahmen der Europäischen Kommission zu informieren. Ich war tatsächlich auch beeindruckt von der Systematik und vom Umfang des bislang beispiellosen Projektes zur

Erfassung der Verwaltungslasten. Ende dieses Jahres werden nun die ersten Ergebnisse vorliegen und ich hoffe, diese Ergebnisse werden für die weiteren europäischen Anstrengungen wegweisend sein.

Die Frage der Zuständigkeiten der EU wird auch immer wieder aufgeworfen. Ich denke, die EU kann nur dort tätig werden, wo ihr die Mitgliedstaaten in den Verträgen Kompetenzen eingeräumt haben. Für die Landesregierung ist es nicht hinnehmbar, dass die Kommission, wie z.B. im Bildungsbereich, immer wieder versucht, in sogenannter offener Koordinierung verbindliche Vorgaben zu machen. Wir befürworten einen Erfahrungsaustausch, lehnen aber Vorgaben für Lehrplaninhalte und organisatorische Fragen ab.