Protokoll der Sitzung vom 22.03.2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße die Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Als Schriftführerin hat Frau Abgeordnete Kanis Platz genommen. Die Rednerliste führt Frau Abgeordnete König.

Es haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Günther, Herr Abgeordneter Kalich, Herr Abgeordneter Metz, Herr Abgeordneter Recknagel, Herr Abgeordneter Dr. Voigt zeitweise, Herr Minister Carius, Herr Minister Machnig, Frau Ministerin Walsmann, Herr Minister Dr. Poppenhäger zeitweise, Herr Minister Reinholz zeitweise und Herr Minister Dr. Voß zeitweise.

Folgender Hinweis zur Tagesordnung: Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Hitzing in der Drucksache 5/5867 wurde zurückgezogen.

Gibt es noch Anmerkungen zur Tagesordnung? Das sehe ich nicht, dann treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 10

Bau einer gemeinsamen Justizvollzugsanstalt Westsachsen/Ostthüringen Antrag der Fraktion der FDP - Drucksache 5/5701

Wünscht die FDP-Fraktion das Wort zur Begründung? Ja, Herr Abgeordneter Bergner, bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, gern würde ich auch die Mitglieder der Landesregierung an dieser Stelle begrüßen. Ich denke, dasselbe, was ich gestern gesagt habe, trifft auch heute wieder zu.

(Beifall FDP)

Die Diskussion der vergangenen Wochen zum Bau einer gemeinsamen Justizvollzugsanstalt mit Sachsen hat gezeigt, dass jede Menge Fragen einer dringenden Klärung bedürfen. Da ist die grundsätzliche Kritik des Rechnungshofs, der die Notwendigkeit des Neubaus ebenso hinterfragt hat wie die prognostizierten Zahlen. Da sind Irritationen im Zusammenhang mit der Informationspolitik der Landesregierung. Da ist das Dilemma mit den nicht rechtzeitig geklärten Grundstücksfragen und es ent

stehen Zweifel, wie belastbar bisherige Variantenvergleiche und Kostenschätzungen durchgeführt worden sind. Es entstehen Zweifel, ob wirklich mit der gebotenen Ernsthaftigkeit geprüft worden ist, ob bestehende Justizstandorte eventuell doch so ertüchtigt werden können, dass sie modernen Anforderungen an Haftplätzen Genüge tun und vielleicht sogar weniger kosten als völlig neu zu erschließende Bauplätze auf der grünen Wiese.

Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir Ihnen einen umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt, der unseres Erachtens mit Blick auf die gebotene Sorgfaltspflicht einer Klärung bedarf. Ich freue mich auf eine interessante und sicherlich spannende Debatte. Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Vielen Dank. Die Landesregierung erstattet einen Sofortbericht zu den Nummern I, II und III des Antrags. Für die Landesregierung hat Staatssekretär Prof. Herz das Wort. Bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Landesregierung möchte ich Ihnen gern heute folgenden sehr ausführlichen Sofortbericht geben.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das war eine Drohung.)

Viele Fragen, viele Antworten.

(Beifall SPD)

Zunächst kann ich Ihnen auf Ihre Fragen Nummer 1 und Nummer 2 nach dem Zeitpunkt der Kabinettsentscheidung der Thüringer und der Sächsischen Landesregierung zum Standort in Zwickau und zur Information der Bediensteten der von der Schließung betroffenen Justizvollzugsanstalten und der Mitglieder des Justiz- und Verfassungsausschusses im Thüringer Landtag mitteilen, dass die Entscheidungen der beiden Landesregierungen in den Sitzungen der Kabinette am 15. Januar 2013 gefallen sind.

Die Entscheidung der Thüringer Landesregierung ist den JVA-Bediensteten in Gera und Hohenleuben in Personalversammlungen noch am selben Tag durch zwei Referatsleiter der Abteilung Justizvollzug meines Hauses mitgeteilt worden.

Der Justiz- und Verfassungsausschuss des Thüringer Landtags wurde in seiner planmäßigen Sitzung am 16. Januar 2013, also nur einen Tag nach der Entscheidung der Kabinette, aufgrund eines Antrags der Landesregierung über den Standortbeschluss informiert.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu Frage I Nummer 3 aus dem Antrag der FDP-Fraktion kommen. Den Entscheidungen lag das Ergebnis der Prüfung der von den Landesregierungen gemeinsam eingesetzten Arbeitsgruppe zugrunde. Diese prüfte die in Betracht kommenden Standorte auf Grundlage einer Haftplatzkapazität von 940 Haftplätzen. Unter Einbeziehung der Überlegungen der beiden Landesrechnungshöfe wurde die Haftplatzkapazität auf 740 reduziert. Zur Prognose des Haftplatzbedarfes werde ich an anderer Stelle des Berichts noch detaillierter eingehen. Den weiteren Planungen wird nun eine Kapazität von 740 Haftplätzen zugrunde gelegt, von denen jeweils die Hälfte den beiden Vertragsländern zugeordnet werden sollen. Darüber hinaus soll, das ist der Stand der Dinge, dem Freistaat Sachsen die Option einer Erweiterung der Anstalt um 100 Haftplätze zustehen.

Lassen Sie mich nun zu Frage 4 des Antrags ein paar Anmerkungen machen. Die Bewertung der Grundstücke erfolgte im Rahmen einer Nutzwertanalyse. In die Bewertungsmatrix - ich hatte die Möglichkeit, die hier schon mehrfach darzulegen haben verschiedene Kriterien mit unterschiedlichen Gewichtungen Eingang gefunden. Ich nenne die Kriterien und die Gewichtungen: Baurecht 13,2 Prozent, Nähe zum abgebenden Bundesland 13,2 Prozent, Straßenanschluss 13,2 Prozent, Nähe zu einer größeren Stadt 10,4 Prozent, Eigentumsverhältnisse 10,4 Prozent, Baugrundherrichtung 7,7 Prozent, Entfernung zu Gerichten 7,7 Prozent, Grundstücksgröße und Grundstückszuschnitt 7,7 Prozent, Erschließung und Erschließbarkeit 3,8 Prozent, öffentliche Verkehrsmittel 3,8 Prozent, Übergangsmanagement 3,8 Prozent, Arbeit/Ausbildung 3,8 Prozent, Sichtbeziehungen 0,5 Prozent, kulturelle Einrichtungen 0,5 Prozent.

Die Kriterienauswahl erfolgte aufgrund vollzugsfachlicher und baufachlicher Anforderungen u.a. gemäß den landesspezifischen Baurichtlinien für Thüringen, also die Richtlinie Bau, den allgemeinen Empfehlungen für den Bau von Justizvollzugsanstalten und beinhalten auch die bereits im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung abgestimmten Standortkriterien. Die konkrete Definition der Bewertungskriterien erfolgte im Rahmen einer Klausurtagung der länderübergreifenden Projektgruppe Standortsuche unter Mitwirkung von Vertretern des Thüringer Justizministeriums, des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa sowie des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen.

Zur besseren Übersichtlichkeit und der Systematisierung wurden die Kriterien nach baufachlichen und vollzugsfachlichen Gesichtspunkten in drei Schwerpunkte gegliedert. Erstens vollzugliche Kriterien, zweitens baufachliche Kriterien und drittens Kriterien, die sowohl baufachlich als auch vollzuglich relevant sind. Danach wurde innerhalb dieser

Kriteriengruppen entsprechend der Bedeutung des Einzelkriteriums für die Standortbewertung eine Rangfolge bestimmt. In einem nächsten Schritt erfolgte die Gewichtung der vorgenannten Kriterien anhand einer Präferenzmatrix, die auch schon bei der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung Anwendung fand. Hierzu wurden die Kriterien jeweils durch direkten Vergleich gegeneinander abgewogen. Die aus dem Vergleich hervorgehende Summe bestimmt die Wichtigkeit der jeweiligen Kriterien für die Standortbewertung, der sogenannte Gewichtungsfaktor.

Meine Damen und Herren, Folgendes ist zu den Fragen 5 und 6 des Antrags der Fraktion der FDP auszuführen: Was den sonstigen Planungsstand hinsichtlich der Leistungsbilder und Leistungsphasen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure betrifft, wurden über die Standortsuche und Standortentscheidung hinaus bislang noch keine konkreten Planungsleistungen in Angriff genommen. Erst mit der Entscheidung über das gemeinsame Projekt und den Standort werden mit dem Bauantrag und der Erstellung der HU-Bau die konkreten Planungsleistungen beginnen. Von der sächsischen und Thüringer Bauverwaltung konnte anhand von Erfahrungswerten und Kostendaten aus Kostendatenbanken und abgeschlossenen sowie laufenden Neubaumaßnahmen von Justizvollzugsanstalten bislang Kostenschätzungen zu den Baukosten getätigt werden. Allerdings wurden für die zuletzt in Betracht kommenden vier Grundstücke Standortanalysen auch im Rahmen der sogenannten K1-Gutachten durchgeführt, die eine besondere Leistung der Leistungsphase 1 nach HOAI darstellen. Darüber hinaus wurden mit Sachsen planerische Eckpunkte für die gemeinsame Anstalt abgestimmt, die ich bereits mehrfach unter anderem im Rahmen der Beantwortung von parlamentarischen Anfragen dargelegt habe. So war Ausgangspunkt der beiderseitigen Überlegungen und Abstimmungen mit dem Freistaat Sachsen zu einer gemeinsamen Justizvollzugsanstalt immer ein modernes Justizvollzugskonzept, um den hohen Anforderungen eines modernen, auf umfassende Resozialisierung und Wiedereingliederung der Gefangenen in die Gesellschaft abzielenden Justizvollzugs Rechnung zu tragen. Die gemeinsame Anstalt wird baulich und organisatorisch so geplant, dass sie nach außen sicher und nach innen offen gestaltet ist und ein hohes Maß an Differenzierung durch überschaubare Unterbringungs- und Behandlungseinheiten gewährleistet. Die Funktionsgebäude sollen kompakt, die Unterkunftsgebäude in aufgelockerter Bebauung erstellt werden.

Zu erwartende gesetzliche Regelungen eines neuen Strafvollzugsgesetzes, insbesondere solche, die aufgrund gestalterischer Vorgaben bauliche Auswirkungen haben, werden berücksichtigt. So sollen unter anderem das Gebot der Einzelunterbringung der

(Staatssekretär Prof. Dr. Herz)

Gefangenen zur Ruhezeit sowie die Vorgaben zum Wohngruppenvollzug umgesetzt werden. Die Anstalt soll ausreichend Möglichkeiten für umfassende Arbeits-, Ausbildungs-, Beschäftigungs-, Behandlungs- und Therapiemaßnahmen bieten, aber auch eine sinnvolle und vielfältige Freizeitgestaltung und Sportmöglichkeiten zulassen. Eckpunkte hierzu, die unter anderem die strukturelle Gestaltung, zum Beispiel die Anzahl und Größe der Vollzugsabteilungen und Betreuungseinheiten, Maßnahmen der Binnendifferenzierung, angestrebte Beschäftigungsquote und Beschäftigungsarten, Umfang und Art schulischer sowie beruflicher Bildungsmaßnahmen und therapeutischer Angebote betreffen, wurden in einem Arbeitspapier der Arbeitsgruppe Projektplanung einer gemeinsamen Justizvollzugsanstalt Südwestsachsen/Ostthüringen und einem Konzeptpapier Gefängnisbau Ostthüringen/Westsachsen festgehalten. Diese Eckpunkte werden auch den weiteren Planungen zugrunde liegen.

Lassen Sie mich nun auf die Variantenvergleiche zu sprechen kommen, die in Frage 7 thematisiert sind. Der Entscheidung für einen gemeinsamen Neubau einer Justizvollzugsanstalt ging eine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit voraus. Dabei berücksichtigte die länderübergreifende Arbeitsgruppe unter anderem drei verschiedene Varianten, sowohl unter vollzuglichen Aspekten als auch unter Kostenaspekten:

1. der gegenwärtige Zustand - Variante Status quo Thüringen,

2. die Neuerrichtung zweier getrennter Justizvollzugseinrichtungen in Thüringen und Sachsen und

3. die gemeinsame Errichtung einer neuen Vollzugsanstalt.

Dabei wurden die Baukosten und die Personalkosten betrachtet. Das Ergebnis dieser Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, das in einem gemeinsamen Bericht „Untersuchung der Wirtschaftlichkeit eines gemeinsamen Neubaus einer Justizvollzugsanstalt“ dargestellt wurde, ergab insgesamt einen Vorteil für die Errichtung einer gemeinsamen Justizvollzugsanstalt.

Meine Damen und Herren, damit möchte ich mich Fragen 8 und 9 unter I aus dem heute zu beratenden Antrag zuwenden. Auf die Fragestellung nach dem Flächenbedarf je Haftplatz und umbautem Raum kann zum gegenwärtigen Entscheidungsstand nur pauschal eingegangen werden. Bei Einzelhafträumen beträgt die Fläche mindestens 9 m2. Bei Einzelhafträumen, bei denen eine Doppelbelegung im Sinn des § 18 Abs. 1 Satz 2 Strafvollzugsgesetz angeordnet werden kann, soll diese Fläche hingegen mindestens 12 m2 betragen. Dies entspräche auch den bisherigen Planungen von Neubauten, wie zum Beispiel bei der Justizvollzugsanstalt Tonna und der Jugendstrafanstalt Arnstadt,

und wurde auch den bisherigen Überlegungen und Absprachen mit Sachsen für die gemeinsame Justizvollzugsanstalt zugrunde gelegt. Dabei ist stets entsprechend dem Rechtsanspruch auf Einzelunterbringung von einer Einzelbelegung, also grundsätzlich von 740 Einzelhafträumen, auszugehen.

Nun zu den Entschließungskosten:

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Erschlie- ßung!)

- Erschließung, ja, ein Lapsus Linguae, Sie verzeihen. Die Erschließungskosten für die zuletzt in Betracht kommenden Grundstücke in Zwickau-Pöhlau und Marienthal, Gera-Aga und Großenstein wurden einerseits vom sächsischen Immobilien- und Baumanagement für die beiden sächsischen Grundstücke und andererseits vom Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr für die beiden Thüringer Grundstücke im Rahmen des sogenannten K1-Gutachtens nach der Richtlinie Bau ermittelt. Für die sächsischen Grundstücke ermittelte das sächsische Immobilien- und Baumanagement Erschließungskosten von 1,15 Mio. € für Zwickau-Pöhlau bzw. 9,467 Mio. € für Marienthal. Die Kosten der Erschließung der Thüringer Grundstücke ermittelte das TLBV mit 2,768 Mio. € für Gera-Aga bzw. 3,509 Mio. € für Großenstein.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zum Abschnitt II aus dem Antrag der FDP-Fraktion kommen, der die Hinweise des Thüringer Rechnungshofs thematisiert. Ich möchte hier zunächst auf die Fragen 1 bis 4 im Zusammenhang eingehen. Gestatten Sie mir aber zunächst, grundsätzlich etwas zu den Vorhersagen oder Prognosen zukünftiger Entwicklungen im Allgemeinen und den Besonderheiten im Justizvollzug zu sagen. Eine Prognose, meine Damen und Herren, ist die Vorhersage von Ereignissen aufgrund theoretischer Modelle und empirischer Beobachtungen in der Vergangenheit.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Da sind wir fast bei Valentin.)

Ja. Prinzipiell sind Prognosen immer bedingte Vorhersagen, da sie von jeweils zugrunde gelegten Prämissen abhängig sind. Ich glaube, man muss das mal so genau sagen. Bei jeder prognostischen Betrachtung müssen daher auch die Folgen von Abweichungen und die entstehenden Risiken bewertet werden. Besteht das Risiko einer zu hohen Prognose in der Schaffung von Überkapazitäten und entsprechendem finanziellen Mehraufwand, führt eine zu niedrige Prognose zu stetiger Überbelegung der Justizvollzugsanstalten, in deren Folge die Resozialisierung der Gefangenen und die innere und äußere Sicherheit nicht in dem erforderlichen Maß gewährleistet werden kann. Das ist die entscheidende Frage. Eine dauerhafte Überbelegung ist im Übrigen für Strafgefangene nach § 146

(Staatssekretär Prof. Dr. Herz)

Abs. 1 Strafvollzugsgesetz, für Jugendstrafgefangene nach § 99 Abs. 2 und Abs. 3 Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetz und für Untersuchungsgefangene nach § 77 Abs. 2 und Abs. 3 Thüringer Untersuchungsvollzugsgesetz rechtswidrig. Der Freistaat Thüringen verfügt derzeit über sieben Justizvollzugseinrichtungen, fünf Justizvollzugsanstalten, eine Jugendstrafanstalt und eine Jugendarrestanstalt. Aufgrund der nach § 145 Strafvollzugsgesetz und § 77 Abs. 1 Thüringer Untersuchungsvollzugsgesetz, § 99 Abs. 1 Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetz zum 31. August 2012 festgesetzten Belegungsfähigkeit besteht derzeit insgesamt eine Haftplatzkapazität von 2.000 Haftplätzen, worunter lediglich 984 Haftplätze für die Einzelunterbringung zur Verfügung stehen, was bundesweit die schlechteste Einzelunterbringungsquote bedeutet. Diesen Satz kann man nur unterstreichen. Unter der Voraussetzung, dass die Entwicklung der Gefangenenzahlen in Anlehnung an den prognostizierten Bevölkerungsrückgang erfolgt, ist es nach heutiger Einschätzung allerdings vertretbar, die 501 wegfallenden Haftplätze in den Justizvollzugsanstalten Hohenleuben und Gera durch lediglich 370 neue Haftplätze zu ersetzen, so dass mit Inbetriebnahme einer neuen Justizvollzugsanstalt 1.300 moderne, behandlungsorientierte Haftplätze zur Verfügung stehen. Als gesichert kann bei allen Unwägbarkeiten allerdings gelten, dass über das Jahr 2017/2018 hinaus diese ca. 1.300 zum größten Teil Einzelhaftplätze in den neuen Justizvollzugsanstalten und der Jugendstrafanstalt Arnstadt nicht ausreichen werden, so dass die alten und teilweise sanierten Justizvollzugsanstalten Untermaßfeld und Goldlauter auch über diesen Zeitpunkt hinaus mindestens bis zum Jahr 2025 weiterzubetreiben sein werden. Der Thüringer Rechnungshof vertritt nun die Auffassung, das Thüringer Justizministerium habe den Haftplatzbedarf überschätzt. Die angenommene prognostizierte Gefangenenquote von mindestens 0,82 Promille, die ausschließlich rückblickend statistisch erfasst sei, werde zu hoch und erfasse nicht die Bevölkerungszusammensetzung der Zukunft. Der Thüringer Rechnungshof kommt zu dem Schluss, dass eine Gefangenenquote von 0,80 Promille als Berechnungsgröße für die Zukunft angemessen sei. Danach sei auch ein wesentlich geringeres Kontingent an Haftplätzen als durch das Justizministerium veranschlagt zu planen.

Meine Damen und Herren, das Justizministerium teilt die Einschätzung des Rechnungshofs nicht, ich betone ausdrücklich „nicht“. Gefangenenraten sind nicht durch einen Faktor erklärbar.

(Beifall DIE LINKE)

Sie sind vielmehr das Resultat einer komplexen Interaktion verschiedener Ursachen. Es ist zwischen externen Faktoren wie sozialen Umbruchs und Transformationsprozessen, gesellschaftlichen Reformen, Veränderungen der wirtschaftlichen Rah

menbedingungen, dem demografischen Strukturwandel und internen Faktoren wie Veränderungen des Strafverfolgungssystems und der Kriminalpolitik zu unterscheiden. Ferner gilt es, Faktoren zu berücksichtigen, die dazwischen liegen und einen moderierenden Einfluss ausüben können - Massenmedien, öffentliche Meinung, allgemeine Politikströmungen.

Mein Haus hat, um zumindest näherungsweise eine Voraussage möglicher Gefangenenquoten und Inhaftiertenzahlen zu treffen, auf anerkannte Methoden, nämlich der empirischen Beobachtung der Vergangenheit und der aktuellen Entwicklung auch über die Grenzen Thüringens hinaus, zurückgegriffen. In Thüringen unterlag der Anteil der Inhaftierten in den letzten Jahren erheblichen, auf nicht demografischen Faktoren beruhenden Schwankungen. Am 31. März 2000 befanden sich 0,76 Promille und am 31. März 2006 0,95 Promille, bezogen auf die Einwohnerzahl Thüringens, in Haft. Bis zum 31. März 2010 sank der Wert auf 0,82 Promille und zeigt tendenziell derzeit wieder einen Anstieg an. Bezogen auf den Jugendvollzug waren Werte zwischen 0,09 Promille und 0,13 Promille zu verzeichnen. Das heißt, obwohl also die Einwohnerzahl in Thüringen vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2006 um 5 Prozent sank, stieg die Gesamtanzahl der Gefangenen im gleichen Zeitraum um 18,6 Prozent. Man müsste diesen Satz zur Verdeutlichung fast noch einmal vorlesen. Ab 2006 sank die Gefangenenzahl demgegenüber überproportional zur Bevölkerungsentwicklung. In die Prognose ist daher über die bereits dargelegten vergangenen und gegenwärtigen Entwicklungen hinaus auch ein Vergleich der Gefangenenquoten der Länder eingeflossen. Im Durchschnitt lag in den westlichen Flächenländern der Anteil der Inhaftierten an der Bevölkerung zum Stichtag 31. März 2009 bei 0,87 Promille, in den neuen Ländern bei 0,84 Promille. Auch die aktuellen Erhebungen zeigen, dass die Anzahl der Inhaftierten derzeit entgegen der Prognose des Thüringer Rechnungshofs sich beinah auf dem Stand des Jahres 2011 bewegt, haben Eingang in die Prognose gefunden.